„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ – Überlegungen von Prof. Thomas Hoeren zur dekonstruktiven Macht des Internet und zur Internet-Governance

von Dr. Michael Karger, veröffentlicht am 21.02.2008

Manchmal tut es wohl, sich von Einzelfragen zu lösen und den Blick von einer abgehobenen Warte zu wagen – so wie man sich bei Google Earth mit einer Mouse-Bewegung hoch in den Weltraum zoomt, um die Dinge einmal von Oben zu sehen. Prof. Thomas Hoeren hat das Auditorium in seinen Festvortrag zum 10-jährigen Jubiläum der MMR mit zu einem solchen Aussichtspunkt genommen, um Rückschau und Vorschau zu halten: Haben sich die vor einem Jahrzehnt aufgestellten Thesen zur dekonstruktiven Macht des Internet (siehe Hoeren, Internet und Recht – Neue Paradigmen des Informationsrechts, NJW 1998, 2849) bewahrheitet?

„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ - durch die Übermittlung dieses Satzes demonstrierte Johann Philipp Reis 1861 in Frankfurt, dass das von ihm erfundene Telefon auch wirklich funktionierte. Dieses Zitat zum ersten „Go Live“ eines Kommunikationssystems nahm Hoeren als Ausgangspunkt für seine Feststellung, dass sich das Verhältnis von Netz und Content spätestens mitt dem Siegeszug des Internet umgekehrt hat. Seinerzeit stand die Technik im Vordergrund, auf den Inhalt ("Gurkensalat") kam es erst in zweiter Linie an. Ganz anders heute: Nicht mehr Netz- oder Speicherkapazität sondern „Information, Information, Information" lautet die Botschaft. Eine vormals unvorhergesehene Folge hieraus, so Hoeren: Das Informationsrecht siegt über Telekommunikations- und Medienrecht.

Doch als wie „dekonstruktiv“ hat sich das Internet zwischenzeitlich wirklich erwiesen? Unter den Schlagworten Depersonalisierung, Deformalisierung und Deterritorialisierung ging Hoeren der Frage nach, ob sich auf rechtlicher Ebene die überkommenen Kriterien der Pandektistik persona, forma, res zwischenzeitlich aufgelöst haben oder weiterhin als Leitperspektiven auch für die Internet-Governance dienen können.

Die von Hoeren gegebenene Antwort hierauf vorweg: Die traditionellen Kriterien sind noch aktuell. Beispiel Depersonalisierung: Die Feststellung, dass im Internet agierende Personen häufig nur schwer identifizierbar bzw. greifbar sind, gilt zwar nach wie vor. Jedoch findet eine Repersonalisierung insofern statt, als die Gerichte nunmehr stellvertretend „Haftungsintermediäre“ zur Verantwortung ziehen – Admin-Cs, Linksetzer und Forenbetreiber müssen Unterlassungsklagen fürchten. Zur Reformalisierung stellt Hoeren zutreffend fest, dass die mit den Formvorschriften verbundenen Warnfunktionen zunehmend durch Aufklärungs- und Informationspflichten abgelöst werden: „Auf jede Homepage gehören bis zu 20 Angaben, bei Verbraucherbezug bis zu 100 Angaben.“

Die rechtliche Entscheidungsfindung werde jedoch zunehmend schwieriger, so Hoeren, da sich Rechtsfälle mit Internetbezug oft durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen auszeichneten und nicht mit der traditionellen juristischen Binärwertung „ja“ oder „nein“ gelöst werden könnten. Die vorhandenen Lösungsansätze hierfür (u.a. die Verlagerung der Entscheidungsfindung auf Sachverständige) sind in der Tat nicht befriedigend.

Wie aber kann verhindert werden, dass sich künftig Technik und Recht weiter entkoppeln und wie kann eine sachgerechte Gesetzgebung und Rechtsanwendung sichergestellt werden? Kritisch ins Visier nimmt Hoeren insbesondere das "Diktat einer auf schnelle Schlüsselreize reagierenden Gesetzgebung", die bisher "rechtspolitischen Willkürlichkeitspostulaten" Rechnung getragen habe. Als Gegenmittel benennt er seine „Forschungsdesiderate“: Grundlagenforschung in Gestalt von Meta-Untersuchungen zu Themen wie Informationsgerechtigkeit und techno-legal-issues. In der Tat könnte so herausgearbeitet werden, wie unreflektiert falsch manche "Weisheiten" der Informationsgesellschaft sind.

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8 Kommentare

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Ein toller Vortrag. Zwar untypisch für Hoeren, den ich als freien Redner kenne und sehr schätze. Ober offensichtlich wollte er bei dieser Veranstaltung etwas in aller Akribie und Genauigkeit rüberbringen: Die Suche nach den Grundregeln des Informationsrechts, die langfristige Perspektiven der Internet Governance Frage, abseits des Mainstreams, der angeblichen Selbstverständlichkeiten. Man kann nur hoffen, daß seine Botschaft gehört wird.

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Rasanter Vortrag. Es ist verblüffend, wie Hoeren es schafft, in 17 Minuten viele Dogmen des Informationsrechts zu hinterfragen und eine neue Sicht der Dinge vom Datenschutz- bis hin zum Haftungsrecht zu präsentieren. Wird der Vortrag veröffentlicht?

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Jubiläum 10 Jahre MMR
Videos und Impressionen zu den Festreden von Prof. Dr. Thomas Hoeren, Prof. Dr. Gerald Spindler, RA Prof. Dr. Fabian Schuster und Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar.

Sehr geehrte Damen und Herren, dürfte ich obiges Video in meinen Blog:

promedienschutz. blogspot.com

einbauen? Es steht bereits auf youtube.

Vielen Dank für eine positive Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Weiss
_______________________________________________________
Landesmedienzentrum Rheinland-Pfalz
Bereich IT-Entwicklung / Service
Team Systementwicklung
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Tel: (0261) 97 02 - 300
Fax:(0261) 97 02 - 200

ulrich.weiss@lmz.rlp.de
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Inhaltlich stellenweise nicht schlecht, aber durch das im Endeffekt nur ablesen und den engen Zeitrahmen so sehr gehetzt wirkend, dass es wenig zum Zuhören anregt.
Das ist aber vermutlich auch nicht gewollt, wie man bereits an der Einleitung sieht. Das Telephon von Herrn Reis markiert nämlich nciht das Ende der analogen Sprachübermittlung, sondern den Anfang der analogen Sprachübermittlung.
Auch wählte Reis den Satz nicht als "Binsenweisheit", sondern wählte bewusst einen möglichst verqueren Satz, um auszuschließen, dass die Nachricht vom Empfänger erraten wird. Ein übliches Vorgehen in der Wissenschaft, wenn man einen Beweis sauber führen möchte, nämlich mögliche Fehlerquellen auszuschließen.
An Hand einer so einfachen Strichprobe lässt sich dann abschätzen, warum ein aufmerksamer Zuhörer möglicherweise nicht erwünscht ist.

Mit freundlichen Grüßen,

Lorenz Kolb

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Lieber Herr Kolb,
der gehetzte Stil verdankt sich dem knappen Zeitfenster von 20 Minuten, das mir erst kurzfristig mitgeteilt wurde. Ablesen ist alte akademische Tradition, allerdings auch nicht gerade mein Lieblingsstil. Ich habe nicht gesagt, daß das Telefon das Ende der analogen Sprachübermittlung war (das wäre grober Unsinn). Der Satz von Reis war von ihm als Binsenweisheit gemeint; die Aussage ist ein alter Spruch, den es schon seit langem in Pferdezüchterkreisen gab. Er stimmt einfach nicht, wie ich von Züchtern erfuhr, wurde aber viele Jahrhunderte kolporiert. Herzlichen Gruss IHr TH

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Sehr geehrter Herr Hoeren,

dann muss ich mich natürlich für mein schlechtes Gehör entschuldigen:
"der Satz markiert nicht nur das Ende der analogen Sprachübermittlung", dieser Teilsatz, den ich so zumindest in dem Video höre, da darf ich Ihnen Recht geben, ist grober Unsinn. Für die Behauptung es handle sich um eine "Binsenweisheit" von Pferdezüchtern, kann ich zwar keine Quellen finden, lasse dies aber gerne so im Raum stehen, denn nichts desto Trotz finden sich ausreichend Belege für die These, dass es Herrn Reis nicht um die Aussage an sich ging, sondern um einen nicht zu erratenden Inhalt. Leider fehlt mir die Zeit und Muse Ihren Vortrag weiter zu untersuchen, allerdings darf ich Ihnen dennoch empfehlen gerade die technischen Aspekte, sofern sie planen diesen Vortrag in ähnlicher Form öfter zu halten, einer Überprüfung zu unterziehen. So erscheint mir auch beispielsweise Ihre Prognose bezüglich Frequenzversteigerungen angesichts überbelegter Frequenzbänder (in massenmarkt-tauglichen Frequenzregionen, für Luftübertragung, dass es hier natürlich auf dedizierten Leitungen einfacher aussieht, ist selbstverständlich) sehr gewagt.
Selbstverständlich liegt Ihr Hauptaugenmerk natürlich auf der Juristerei, dennoch sollte, jedenfalls aus meiner, technisch geprägten, Sicht auch die verwendete technische Basis stimmig sein.

Mit freundlichen Grüßen,

Lorenz Kolb

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