BVerfG: (Noch) keine Missachtung des Willkürverbots durch Fachgerichte bei Blutprobenentnahmeanordnung durch Polizei

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.06.2008

Das BVerfG hat in einem nicht in der Fachpresse veröffentlichten Beschluss vom 21. Januar 2008 eine Verfassungsbeschwerde gegen Beschlüsse über die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung des AG Hildesheim bzw. des LG Hildesheim nicht zur Entscheidung angenommen.

Es ging um den bereits im Blog erörterten Fall der Blutprobenentnahme durch Polizeibeamte ohne die Einschaltung eines Richters. Besonderheit war eine Nachtrunkbehauptung des Beschuldigten. Das BVerfG hat keine spezifische Verletzung von Verfassungsrecht gesehen:

Dies ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen (vgl.

BVerfGE 18, 85 <92 f.>

). Dem Bundesverfassungsgericht obliegt auch die Kontrolle, ob die Fachgerichte das Willkürverbot missachtet haben (vgl.

BVerfGE 62, 338 <343>

).

Gemessen an diesem Maßstab sind die angegriffenen Maßnahmen nicht zu beanstanden. Dass die Gerichte bei der Verwertung der Ergebnisse der Blutentnahme die Grundrechte des Beschwerdeführers verkannten oder willkürlich gehandelt haben, ist nicht erkennbar.

Im Gegensatz zu Art. 13 Abs. 2 GG ist der Richtervorbehalt, der bei der hier in Rede stehenden Blutentnahme zu beachten ist, lediglich einfachrechtlich in § 81a Abs. 1, 2 StPO geregelt. Eine Missachtung dieses Vorbehalts stellt damit zunächst einen Verstoß gegen einfaches Recht dar. Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG steht hingegen allein wegen der fehlenden richterlichen Anordnung noch nicht zu befürchten.

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt vor, wenn die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Vorwurf. Willkürlich im objektiven Sinne ist eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl.

BVerfGE 80, 48 <51>;

83, 82 <84>;

86, 59 <63>

; stRspr).

Im vorliegenden Fall kann noch nicht festgestellt werden, dass die Missachtung der richterlichen Anordnungsbefugnis willkürlich gewesen ist. Zwar hätte – wie der Beschwerdeführer zutreffend vorträgt – an einem Werktag zwischen 14.40 und 15.40 Uhr ein Ermittlungsrichter, der die Blutabnahme anordnet, erreicht werden können. Es ist jedoch trotz der fehlenden Protokollierung nicht vollständig auszuschließen, dass die ermittelnden Polizeibeamten das Vorliegen von Gefahr im Verzuge

Im vorliegenden Fall kann noch nicht festgestellt werden, dass die Missachtung der richterlichen Anordnungsbefugnis willkürlich gewesen ist. Zwar hätte – wie der Beschwerdeführer zutreffend vorträgt – an einem Werktag zwischen 14.40 und 15.40 Uhr ein Ermittlungsrichter, der die Blutabnahme anordnet, erreicht werden können. Es ist jedoch trotz der fehlenden Protokollierung nicht vollständig auszuschließen, dass die ermittelnden Polizeibeamten das Vorliegen von Gefahr im Verzuge angenommen haben, um die Blutalkoholkonzentration des Beschwerdeführers, insbesondere wegen dessen Behauptung des Nachtrunks, in zeitlicher Nähe zum Tatzeitpunkt zu sichern. Als tatsächlich und eindeutig unangemessen kann diese Annahme noch nicht bewertet werden.

 

Wie ist die Entscheidung zu bewerten? Geht die Entscheidung von einem Beweiserhebungsverbot aus? Ist das im letzten zitierten Satz eingefügte Wort "noch" von entscheidender Bedeutung? Sollen die Fachgerichte hierdurch veranlasst werden, ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, falls weiterhin "willkürlich" Blutproben durch Polizei und StA angeordnet werden? Oder ist das "noch" sachlich zu verstehen (sprich: "so schlimm ist das noch nicht!)? 

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4 Kommentare

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Es ist in der Tat verwirrend. Das noch deutet m.E. klar darauf hin, dass es doch sehr hart an der Grenze zur Willkür war und man sich nur zurücknimmt, um nicht allzu sehr im einfachen Recht zu judizieren.
Andererseits deutet das "nicht vollständig auszuschließen" an, dass es vollständig auszuschließen sein müsste. Das setzt natürlich sie Willkürschranke sehr hoch.

Für mich klingt es daher eher nach "Halten wir für unangemessen, aber wir üben uns in Zurückhaltung."

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Ich denke nicht, dass man sagen kann, dass die Entscheidung "von einem Beweisverwertungsverbot ausgeht". Es wird ja nichts weiter gesagt, als dass, wenn die Annahme von Gefahr im Verzug durch die Polizeibeamten einfachgesetzlich verfehlt war, dies nicht zwingend auch zu einer Verletzung spezifischen Verfassungsrechts - namentlich von Grundrechten - führt.
Das "noch nicht" am Ende der Entscheidung verstehe ich nicht in zeitlicher Hinsicht, also nicht als "derzeit noch nicht", sondern in sachlicher Hinsicht dahingehend, dass die Art des gerügten Verstoßes hier "inhaltlich noch nicht" genügt, um eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts anzunehmen. Das BVerfG argumentiert hier ja nicht mit Kenntnissen der Polizeibeamten (die sich auf Grund der Entscheidung nun ändern könnten), sondern sachlich mit der Intensität des Verstoßes im Hinblick auf Grundrechtsverletzungen bzw. einen Verstoß gegen das Willkürverbot.

Im Zusammenhang mit dem Beschluss des BVerfG kann ich auf die Entscheidung des OLG Stuttgart, NStZ 2008, 238 und die im Anschluss abgedruckte, sehr interessante Anmerkung von Götz hinweisen. Es deutet sich an, dass das BVerfG nicht so hohe Anforderungen an die Annahme von Gefahr im Verzug stellen wird, wie es das OLG Stuttgart obiter geäußert hat.

Für mich liegt die Problematik in §81a StPO begründet, der völlig unnötig einen Richtervorbehalt statuiert. Hier kann wohl nur der Gesetzgeber wirklich Abhilfe schaffen. Aus meiner Sicht weist das BVerfG in dem hier diskutierten Beschluss den derzeitigen Weg für die Praxis dahin, in Blutentnahmefällen die Anordnung durch Polizeibeamte möglichst zu billigen. Im konkreten Fall gab es mit der Nachtrunk-Situation allerdings auch gewisse Anhaltspunkte, die eine schnelle Blutentnahme sinnvoll erscheinen lassen konnten. Wichtig erscheint mir auch, dass das BVerfG es - trotz fehlender Protokollierung (!) - es hat genügen lassen, dass "nicht vollständig auszuschließen" (!) war, "dass die ermittelnden Polizeibeamten das Vorliegen von Gefahr im Verzuge angenommen haben, um die Blutalkoholkonzentration des Beschwerdeführers, insbesondere wegen dessen Behauptung des Nachtrunks, in zeitlicher Nähe zum Tatzeitpunkt zu sichern".

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...aber wenn das BVerfG nicht so hohe Anforderungen wie das OLG Stuttgart an den Begriff "Gefahr in Verzug" stellen würde, würde es einen anderen Begriff hierfür zugrundelegen, als es selbst für die Durchsuchungsbeschlüsse festgelegt hat. Ich glaube also, so kann man die Entscheidung nicht lesen.
Was Ihre Meinung zum Nachtrunk angeht, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Es ist sicher gut vertretbar, stets in Alkoholfällen "Gefahr in Verzug" jedenfalls dann zu bejahen, wenn es zu Nachtrunkbehauptungen kommt. Andererseits (und das halte ich eigentlich selbst für "richtiger") kann man gut und relativ zuverlässig zurückrechnen. Jedenfalls gingen hiervon bislang alle Gerichte, die Rechtsprechung und ja auch die Rechtsmedizin aus. Nun zu sagen "Das ist aber für Gerichte zu unzuverlässig, daher ist immer Gefahr in Verzug zu bejahen" halte ich daher für falsch.
Was die Frage der bisherigen Polizeipraxis angeht, so ist natürlich m.E. die Frage, ob es hinnehmbar ist, dass die bisherige Praxis (der Richter wird nicht gefragt) einfach weitergeht.
Ich will dann noch kurz auf die rein praktische Seite eingehen: Jedes Amtsgericht hat derzeit einen Eildienst. Wenn die Polizei einfach in dem Augenblick, in dem sie den blutprobeentnehmenden Arzt anruft auch den zuständigen Eildienstrichter anrufen würde, so wäre sicher für jede (!) Blutprobenentnahme ein richterlicher Beschluss zu erreichen.

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Keineswegs gibt es bei allen Gerichten einen ständig erreichbaren Eildienst. Dieser endet oftmals zu für die Richterschaft bequemen Uhrzeiten, so dass danach die (nächtlichen) Anrufe der Polizei nur den Staatsanwalt oder niemanden erreichen und dann doch die Polizei entscheiden. Da dürfte in der Praxis genau die Lösung liegen. Wennerst tatsächlich Richter jede Nacht aufstehen müssten, wie bisher höchstens Staatsanwälte, würde innerhalb kürzester Zeit die Rechtsprechung der Fachgerichte "entschärft", denn das wäre viel zu unbequem. Jede Wette.

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