LG Frankenthal: Provider-Auskunft gegen Tauschbörsennutzer nicht verwertbar

von Jan Spoenle, veröffentlicht am 10.06.2008

In einem im Verfügungsverfahren ergangenen Beschluss vom 21. Mai 2008 hat das LG Frankenthal entschieden, dass die staatsanwaltschaftlich eingeholte Provider-Auskunft in zivilrechtlichen Verfahren gegen Tauschbörsennutzer nicht verwertet werden kann (Az. 6 O 156/08). Denn die Auskunftserteilung verstoße nach der jüngsten (Eil-)Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung gegen die Grundrechte des Betroffenen Anschlussinhabers.

Diese auf den ersten Blick erstaunliche Entscheidung geht auf zwei Denkfehler zurück: Zum einen begründet das LG Frankenthal seine Auffassung fehlerhaft mit der Eilentscheidungs des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (Az. 1 BvR 256/08), zum anderen stellt es auf die Übermittlung von Verkehrsdaten vom Provider an die Staatsanwaltschaft ab, wo es sich genau umgekehrt verhält - nach einer Anfrage zu bereits vorliegenden Verkehrsdaten übermittelt der Provider lediglich (der StA bislang unbekannte) Bestandsdaten.

Im Einzelnen:

Das Gericht argumentiert, dass dynamische IP-Adressen als Verkehrsdaten anzusehen sind, was auch kaum mehr ernsthaft bestritten werden kann. Es folgert daraus, dass diese Daten nach der zitierten Entscheidung des BVerfG vom entsprechenden Provider ausschließlich zu Verfolgung schwerer Straftaten nach § 100a Abs. 2 StPO herausgegeben bzw. übermittelt werden dürfen. Dabei übersieht es jedoch, dass sich die Entscheidung des BVerfG allein auf nach § 113a TKG gespeicherte Verkehrsdaten bezieht, also auf im Wege der sog. Vorratsdatenspeicherung erhobene Daten. Im Bereich der Internet-Provider gilt derzeit eine Übergangsfrist bis zum 01. Januar 2009, weshalb derzeit kein deutscher Internet-Provider - auch wegen der bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf eine Verwerfung der entsprechenden Vorschriften durch das BVerfG - auf Vorrat speichert. Vorliegend muss es sich also um eine Auskunft gehandelt haben, die der Provider aufgrund der nach §§ 96, 100 TKG erlaubterweise gespeicherten Daten noch rechtzeitig vor der Löschung beantworten konnte. Die Entscheidung des BVerfG vom 11. März 2008 ist daher insoweit gar nicht einschlägig.

Weiterhin verwechselt das Gericht den Abruf (!) von Bestandsdaten und Verkehrsdaten. Letzteres ist nur möglich, wenn die fraglichen Verkehrsdaten nicht - wie in solchen Fällen - schon bekannt sind. Der Provider "übermittelt" daher an die Staatsanwaltschaft keine weiteren Verkehrsdaten (was auf der Grundlage von § 100g StPO derzeit mangels Vorratsdatenspeicherung ohnehin ins Leere laufen würde), sondern Namen und Anschrift des Anschlussinhabers, also Bestandsdaten. Dieses grundlegende Missverständnis untermauert das LG Frankenthal mit Hinweisen auf die einschlägige Literatur zum Thema "dynamische IP-Interessen sind Verkehrsdaten", ohne zu erkennen, dass hier keine Übermittlung von dynamischen IP-Adressen vom Provider zur Staatsanwaltschaft stattgefunden hat, sondern diese Übermittlung vielmehr umgekehrt stattfand. Dabei zitiert das Gericht als abweichende Meinung die Entscheidung des LG Offenburg vom 17.04.2008 (Az. 3 Qs 83/07), ohne zu bemerken, dass diese Entscheidung auf einer geänderten Rechtslage seit dem 01.01.2008 beruht.

Insofern dürfte der vermeintliche "Etappensieg" für zivilrechtlich verfolgte Tauschbörsennutzer schnell wieder vom Tisch sein. Auf die erste ausführliche Besprechung des Beschlusses darf man sich gespannt freuen.

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53 Kommentare

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Der Beitrag von Ernst/Spoenle in der MMR zur Entscheidung des LG Frankenthal muss am Ende enttäuschen.

So wird die Diskussion Verkehrsdaten/Bestandsdaten aufgemacht, ohne zum eigentlichen Problem vorzudringen, nämlich der grundrechtlichen Überprüfung der Erkenntnisse (oder besser: Verwirrungen...) aus der Subsumtion unter die einfachgesetzlichen, technisch geprägten Begrifflichkeiten.

Dabei muss man, um zu vertretbaren Ergebnissen zu gelangen, zu zwei Dingen bereit sein, und jetzt erst beginnt die eigentliche JURISTISCHE LEISTUNG:

1. Man muss die verschiedenen Vorgänge bei der Auskunft über Telekommunikationsdaten in einen Gesamtkontext einordnen; man muss Zwischenschritte zusammenfassen und fragen, welche Erkenntnisse am Ende gewonnen werden; der Blick muss zwischen einfachem Gesetz und den Grundrechten, die man im Hinterkopf hat, "hin- und herwandern" (diesen Ansatz vorbildlich vollziehend Eckhardt, s. unten)

2. Dann muss ganz dezidiert die Frage nach den Grundrechten gestellt werden. Anders gewendet: Berührt die De-Anonymisierung, die sich in einem Fall wie dem des LG Frankenthal letztlich ergibt, Grundrechte, wenn ja: in welcher Intensität, und drittens: kann dies gerechtfertigt werden? Welche Eingriffshürden sind danach zu verlangen?

All dies erfolgt bei Ernst/ Spoenle nicht.

Zitat MMR 2008, 687, 690: "Dieser [der Provider] übermittelt als Antwort den Namen und die Adresse des Anschlussinhabers, aber keine weiteren, der StA bislang noch nicht bekannte IP-Adressen - soweit die rechtstatsächlichen Vorgänge. Im rechtlichen Kontext bedeutet das: Die StA übermittelt ein Verkehrsdatum, das der TK-Anbieter dazu verwendet, ein Bestandsdatum herauszusuchen, um es anschließend zu übermitteln. Der technisch notwendige Zwischenschritt des Heraussuchens besteht in der Verknüpfung des ersten (Verkehrs-)Datums mit einem dritten - nämlich der Benutzer- oder Anschlusskennung (etwa „01234...@t-online.de“) -, um das zweite (Bestands-)Datum zuordnen zu können. Die Frage ist daher nicht, ob eine dynamische IP-Adresse ein Bestands- oder ein Verkehrsdatum ist, sondern allenfalls, ob der eben beschriebene Vorgang in jedem Fall - und nicht nur dem vom BVerfG behandelten - in das Fernmeldegeheimnis eingreift und ob dieser Eingriff durch die zur Auskunft berechtigende Vorschrift gedeckt ist. Dafür, dass dies der Fall sein sollte, lässt sich aus der höchstrichterlichen Entscheidung jedoch nichts entnehmen."

Gerade letzteres aber ist doch entscheidend: Die Verknüpfung und ihre grundrechtliche Relevanz(Art. 10 GG; Art. 2 iVm 1 GG). Dazu findet sich leider nichts. Anders gewendet: Ernst / Spoenle betreten schon den richtigen Weg, gehen dann aber keinen einzigen Schritt weiter, sondern begnügen sich damit, dass das BVerfG dazu "nichts sage"... Dabei wird verkannt, dass nicht alles, was das BVerfG nicht ausdrücklich "sagt" und als rechtswidrig bezeichnet damit automisch rechtmäßig ist. Das ist einfach nur platt und überrascht, denn die Literatur hat das Problem längst richtig erkannt und beschrieben:

Beispiele:

"Ein weiterer entscheidender Aspekt für die Einordnung ist der Informationsgehalt einer solchen Auskunft. Gesamtaussage der Auskunftserteilung ist, dass eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt war. Dieser Informationsgehalt entsteht erst durch die Zusammenführung der den Sicherheitsbehörden bereits bekannten Verkehrsdaten mit dem Namen. Erst damit entsteht eine Aussage über das Ob und die nähere Umstände der Telekommunikation (hierzu § 88 Rn. 10). Diese Information untersteht dem Schutz durch Art. 10 GG. Damit genügt § 113 als Eingriffsgrundlage nicht."

Eckhardt, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien,
1. Auflage 2008, Verlag C.H. Beck, § 113 Rn. 11

"Dabei ist zunächst den Gerichten, die auf § 113 TKG zurückgreifen wollen insoweit zuzustimmen, als es sich bei den gewünschten Informationen tatsächlich nur um Bestandsdaten handelt. Andererseits können aber die vom Provider gewünschten Informationen nur dann gegeben werden, wenn die gesamten gespeicherten Log-Files herangezogen und ausgewertet werden, um daraus die konkrete Person zu ermitteln, es muss daher ein Zugriff auf Verkehrs- bzw. Verbindungsdaten erfolgen. Damit wird offensichtlich, dass es sich bei der begehrten Auskunft folglich um Maßnahmen handelt, die von der Eingriffsschwere zwischen den Vorschriften des § 113 TKG und § 100 g StPO liegen. Beide Vorschriften passen folglich nicht für diesen Fall. Nachdem aber derzeit keine anderen gesetzlichen Bestimmungen vorliegen, sollte daher in derartigen Fällen in jedem Fall auf die Vorschrift des § 100 g StPO bis zu einer anderen klarstellenden gesetzlichen Regelung zurückgegriffen werden."

Bär, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- u. Steuerstrafrechts, 3. Auflage 2007, Verlag: C.H.Beck, Rn. 77.

"Es ist nicht ausreichend, allein auf die Übermittlung der Daten des Anschlussinhabers, welche für sich betrachtet Bestandsdaten sind, abzustellen, so wie es das LG Stuttgart macht, da um an diese Informationen zu gelangen, auch die Information erforderlich ist, wie lange eine IP-Adresse genutzt worden ist. Diese Information kann man nur mittels Zugriff auf die Verkehrsdaten, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, erhalten. Die Auskunft eines hinter einer dynamischen IP-Adresse stehenden Anschlussinhabers erfordert daher einen Beschluss nach §§ 100 g, 100 h StPO."

Bock, in: Beck’scher TKG-Kommentar, 3. Auflage 2006, § 113 Rn. 24.

Zu Ernst / Spoenle bleibt nur zu sagen: Enttäuschender Artikel!

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Tja, das LG Frankenthal hat die Damen und Herren aus Karlsruhe wohl doch falsch verstanden. Zu der Auffassung muss zumindest kommen, wer Absatz 261 im heute verkündeten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung liest. Damit ist die Rechtslage hinsichtlich der Abfrage von IP-Daten i.S.e. Deanonymisierung für Zwecke der Ermittlungsbehörden endgültig und höchstrichterlich geklärt – zugunsten von § 113 TKG.

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