Flechsig und die Flatrate

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 12.08.2008

Hier ein (erster; demnächst evtl. mehr) Gastkommentar von RA Prof. Dr. Norbert Flechsig, renommierter Urheberrechtler und früherer SWR-Justitiar, zur Kulturflatrate im Urheberrecht (zuerst erschienen als Leserbrief in der NJW):

Kulturflatrate im Internet

- zur Rettung des Urheberrechts

Seit dem 1. Januar 2008 hat das Urheberrechtsgesetz wesentliche Neuerungen erfahren, die erklärtermaßen der weiteren Ausgestaltung fakultativer Schrankenbestimmungen, insbesondere der Privatkopie dienen sollen. Das pauschale Vergütungssystem im Bereich gesetzlicher Zweitvergütungsansprüche hat der Gesetzgeber den technischen Entwicklungen angepasst und mit Blick auf die neuen Vervielfältigungstechniken flexibler gestaltet. Die fortschreitende technische Entwicklung machte es auch erforderlich, das bisher geltende Verbot einer Verfügung über unbekannte Nutzungsarten zu lockern. Dieser sogenannte 2.Korb kann nicht befriedigen, weil er viele Fragen, insbesondere der veränderten Nutzungsanschauungen urheberrechtlicher Werke beispielsweise im Bereich der Hochschulen wie im Internet sowie deren angemessene Vergütung, ausspart. Die unsägliche Verpflichtung, angemessene Vergütungen für Zweit­verwertungen zu verhandeln, wird die Berechtigten zukünftig noch schmerz­haft treffen: Zahlungen der Verwertungsgesellschaften werden nämlich demnächst erheblich geringer ausfallen.

Noch vor der Verabschiedung der Novelle zum Korb 2 im Bundestag wurde der Ruf nach einem 3. Korb laut und vernehmlich von diesem selbst geäußert: Die Regelungen der Kabelweitersendung seien angesichts der fortschreitenden technischen Entwicklung (z.B. Internet-TV) technisch neutral auszugestalten; eine Begrenzung der Privatkopie auf Kopien nur vom Original und das Verbot der Herstellung einer Kopie durch Dritte seien zu überprüfen; ein gesetzliches Verbot so genannter intelligenter Aufnahmesoftware sei zu hinterfragen­. Welche Zweitverwertungsrechte sollen Urheber von wissenschaftlichen Beiträgen besitzen? Fragen über Fragen, die das Problem der gegenwärtigen, meist rechtswidrigen Nutzung beispielsweise durch Jugendliche im Internet durch eine Verbesserung der Durch­setzung von Rechten des geistigen Eigentums in den Griff bekommen wollen. Es bestehen mehr als Zweifel, ob die neuerliche Gesetzesänderung zum 1. September 2008 mit der Beschränkung der Abmahnungskosten auf 100,- € (§ 97a UrhG) einem angemessenen Interessenausgleich dient. Letztere “Kos­tendeckelung” verharmlost geradezu die Forderung, der Werk­herrschaft zum Sieg zu verhelfen.

Der Urheber darf aber nicht alleine gelassen werden und ihm kann nicht allein durch eine sicherlich notwendige, europarechtlich gewollte Verstärkung seiner Rechtsdurchsetzung geholfen sein. Auch die Interessen der Verwerter müssen berücksichtigt werden, ohne die kreative Seite in Gefahr zu bringen. Die in Deutsch­land etablierten Verwertungsgesellschaftenpflichtigkeit sind die Garanten der Verwirkli­chung einer angemessenen Vergütung für die Fälle der zweitverwertenden Nutzung von geschützten Werken und unverzichtbar.

Gerade das globale Internet zeigt deutlich, dass das Interesse der Allgemeinheit und der Nutzer die Belange der Rechtsinhaber an der ausschließlichen Verwertung ihrer Werke jedenfalls in den Fällen der Zweitverwertung überwiegt. Wie aber kann beiden geholfen werden? Anerkannt muss bleiben, dass Erstverwertungsrechte dem Urheber (wie Leistungsschutzberechtigten) ausschließlich zustehen. Dies gebietet schon der persönlichkeitsrechtliche Gehalt dieses Rechts. Hiervon zu unterscheiden sind aber die Fälle der Zweit- oder Nachnutzung, in denen Werke und Leistungen offen vor uns liegen. Die Bedürfnisse der Wissensgesellschaft wie der Privatheit, hierauf für nicht­kommerzielle Verwendungen zurückgreifen zu können, müssen ebenfalls gestillt werden. Kopierschutzmaßnahmen, wie sie in Form eines so genannten digitalen Rechtemanagements aufscheinen, wirken hierzu eher kontraproduktiv. Dies auch deshalb, weil die Kriminalisierung eines solche Praktiken aushebelnden Verhaltens nur in seltenen Fällen Abhilfe schafft.

In Frankreich wurde im Rahmen der Umsetzung der Informationsrichtlinie ehedem die Einführung einer licence globale diskutiert. Eine solche Pauschalabgabe für die Werk-nutzung beispielsweise in den Fällen der Online-Musiknutzung ist nicht Gesetz geworden. Es fragt sich jedoch, ob eine derartige, durchaus radikale Kultur- oder Contentflatrate in der ferneren Zukunft nicht die einzige Rettung und Lösung darstellt dort, wo der Rechtsverfolgung individuell wie durch Verwertungsgesellschaften per se Grenzen gesetzt sind.

Pauschalvergütungen gerade für diejenigen Arten der Nutzungshandlungen, die massenhaft erfolgen und sich der individuellen Überprüfung entziehen, sind nicht unbekannt. Ist es die unsichtbare Gefahr einer gefühlten Bedrohung, die uns davor zurückschrecken lässt, im Bereich des Internets wie der Fort- und Weiterbildung neu, weil ungewöhnlich zu denken? Der Gedanke einer Contentflatrate beispielsweise des Internetnutzers, für einen geringfügigen Pauschalbetrag pro Monat unter Berücksichtigung der Downloadzahlen und der Geschwindigkeit des Onlinezugangs das Recht auf private Kopien abzugelten, kann im Vergleich zur Unmöglichkeit der Durch­setzung urheberrechtlicher Nutzungsentgelte eine sichere Grund­lage für die Erlangung angemessener Nut­zungsentgelte hierin sein. Unzumutbare Beeinträchtigungen der Urheberbelange sind hierbei genauso zu berücksichtigen, wie beispielsweise die berechtigten Interessen derjenigen Nutzer, auf deren Wissen und Erfolg wir alle bauen: Schulen, Hochschulen, Bildungseinrichtungen. Der Fluss von Wissen und Innovationen als „Fünf­te Freiheit“ muss gefördert werden, wobei zugleich dem Fehlverständnis entgegen zu treten ist, der Werkgenuss sei wegen der real greifbar gegebenen urheberrechtlichen Nutzungsmöglichkeiten beliebig frei.­ Sollen also Urheber und Inhaber geschützter Leistungen zukünftig durch unsägliche Streitereien und dornige Verfahrenswege über angemessene Vergütungen für Speichermedien nicht entrechtet werden, muss über eine Kulturflatrate der Interessenstreit ausgeglichen werden. Dies ist die logische Konse­quenz der selbst­verursachten technologischen Revolution.

Wir müssen die Vergütung der Urheber durch zeitgemäße Vergütungssysteme si­chern, um deren Ansprüche zu gewährleisten. Dies gilt nicht erst, wenn demnächst der Dritte Korb aufgemacht wird (vgl. Leutheusser-Schnar­renberger zur Verabschiedung des 2. Korbes); anderenfalls verkommt das ganze Urheberrecht zu einer Regelung, die kein Mensch versteht (­aaO). Hierzu besteht Gelegenheit im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem jetzt vorliegenden Grünbuch “Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft” (COM[2008] 466/3), in dessen Zentrum die Forderung steht, Wissen im Binnenmarkt ungehindert zu zirkulieren.

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