Wikipedia.de verboten
von , veröffentlicht am 15.11.2008"Mit einstweiliger Verfügung des Landgerichts Lübeck vom 13. November 2008, erwirkt durch Lutz Heilmann, MdB (Die Linke), wird es dem Wikimedia Deutschland e.V. untersagt, "die Internetadresse wikipedia.de auf die Internetadresse de.wikipedia.org weiterzuleiten", solange "unter der Internet-Adresse de.wikipedia.org" bestimmte Äußerungen über Lutz Heilmann vorgehalten werden. Bis auf Weiteres muss das Angebot auf wikipedia.de in seiner bisherigen Form daher eingestellt werden. Der Wikimedia Deutschland e.V. wird gegen den Beschluss Widerspruch einlegen." So steht es auf der Seite wikipedia.de.
Der Auseinandersetzung liegen in Wikipedia zitierte Berichte zugrunde, denen zufolge die Immunität des Abgeordneten im Oktober aufgehoben worden sei, weil er einen Bekannten per SMS bedroht haben soll. Auch eine eventuelle Stasi-Vergangenheit des Abgeordneten spielt hier eine Rolle, da Heilmann nach seiner offiziellen Bundestags-Biographie als Personenschützer für das Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.
Ich verstehe den Fall trotzdem nicht: Warum geht Heilmann dann nicht gegen de.wikipedia.org vor und lässt nur einen Redirect verbieten? Und was hat eine Domain mit den Inhalten eines einzelnen Wikipedia-Beitrags zu tun? Wieso geht Herr Heilmann nicht gegen den einzelnen Beitrag vor?
http://www.heise.de/newsticker/Bundestagsabgeordneter-laesst-wikipedia-d...
http://www.sueddeutsche.de/computer/838/333693/text/
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben
19 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenChristoph Z kommentiert am Permanenter Link
Meine Theorie:
die .org-Domain unterliegt nicht der deutschen Gerichtsbarkeit (bzw. er konnte keinen Gerichtsstand im Ausland begründen) und er scheute den Weg zu einem anderen Gericht als dem, an dem er gerade als Rechtsreferendar tätig ist...
Christoph Z kommentiert am Permanenter Link
...ich meinte natürlich, dass er gegen die .org-Domain nicht in Deutschland klagen konnte
Niels kommentiert am Permanenter Link
So ähnlich. Die Wikimedia Foundation mit Sitz in den USA in Deutschland zu verklagen, macht keinen Spaß. Also nimmt man sich Wikimedia e. V. mit Sitz in Deutschland vor, der aber wiederum nur über die Domain samt zugehöriger Website und Weiterleitung verfügt. Ähnlich wie seinerzeit schon die RAe von Hacker "Tron's" Eltern.
wikipedia.de - ... kommentiert am Permanenter Link
[...] Jedenfalls erwirkte Heilmann nun vor dem LG Lübeck eine einstweilige Verfügung gegen die Domain wikipedia.de (bekanntlich ein Redirect auf de.wikipedia.org), nicht jedoch gegen die eigentliche URL de.wikipedia.org und/oder den eigt. betreffenden Artikel. Warum dem so war, erklärt sich wie folgt: Die Wikimedia Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Florida, USA und hostet die meisten Wikipedia Server, darunter auch den deutschen Server, welcher unter de.wikipedia.org zu erreichen ist. Problematisch ist hier nicht nur die Frage nach dem anwendbaren Recht, sondern auch Haftungsprivilegien im US-Recht, bei der Zustellung von Gerichtsverfügungen und in der Vollstreckung. (via) Daher wird auf den deutschen gemeinnützigen Verein WIkimedia e.V. zurückgegriffen, wobei dieser - außer eben der Inhaberschaft der angegriffenen Domain - organisationstechnisch nichts mit der Wikimedia Foundation zu tun hat. Ursprünglich leitete wikipedia auf de.wikipedia.org um, mit dem ersten Urteil gegen die Domain wurde der Inhalt der Seite zu einer Suchmaschine umgewandelt und mit dem aktuellen Urteil jetzt gänzlich eingestellt. Insoweit dürfte dies die Frage vom Kollegen Hoeren beantworten. [...]
corax kommentiert am Permanenter Link
Man könnte ja Herrn Heilmann mal selber fragen.
Giesen kommentiert am Permanenter Link
Seltsam, Politiker sollten mittlerweile verstanden haben, dass eine einstweilige Verfügung gegen Wikimedia kein Schwert sondern ein Bumerang ist.
Vor Heilmann haben bereits andere die de-Domain per einstweiliger Verfügung sperren lassen, das Ergebnis war stets das Gleiche. Die Presse berichtet und Wikimedia weist darauf hin, wer die Sperrung hat vornehmen lassen und dass de.wikipedia.org weiter erreichbar ist. Und die Aufrufe der betreffenden Seite vervielfachen sich.
Herr Heilmann hat es so geschafft, sich in den Blickpunkt der bundesweiten Öffentlichkeit zu rücken. Oder, um genauer zu sein, seine Stasi-Vergangenheit. Dass seiner Partei daran gelegen ist, wage ich zu bezweifeln.
Mal sehen, ob andere Politiker daraus klug werden.
M kommentiert am Permanenter Link
In dubio pro reo hat H. Heilmann zumindest verstanden, dass Sperrverfügungen (http://www.blog.beck.de/tag/sperrverfugung/) de lege lata nicht mit der Verfassung vereinbar sind.
Linker Ossi kommentiert am Permanenter Link
Wir empfinden die einstweilige Verfügung, die Heilmann erwirkt hat, als einen plumpen Reklametrick, solange er selbst auf seiner eigenen WEB-Seite nichts besseres über sich schreiben kann. Nur bedauerlich, dass die einstweilige Verfügung eines deutschen Gerichtes darauf schließen lassen kann, dass es die Motive des Antragstellers scheinbar nicht erkannt hat. Wenn Heilmann Probleme mit seiner Vergangenheit empfindet, sollte er sich selbst anders darstellen, als die Darstellung anderer über sich zu bemängeln. Es wird zu beobachten sein, wie seine Partei, "Die Linke" auf diese Sache reagiert, um diese Aktivität unbeschädigt zu überstehen. Oder wurde Heilmann am Ende etwa nur schlecht beraten, um seine Partei zu schädigen ?
Prof. Dr. Thoma... kommentiert am Permanenter Link
Eine spannende Diskussion beginnt. Aber noch einmal nachgefragt und problematisiert: Wieso soll der Wikimedia e.V. als bloße Domaininhaberin für einen Redirect als Störer verantwortlich sein? Der Redirect ist ja noch nicht einmal vergleichbar mit dem AnyDVD-Link von Heise, der nach (sehr umstrittener) Auffassung des OLG München zur Verantwortlichkeit von Heise führen soll. Denn im Heise-Fall war der Link gezielt auf die (evtl. verbotene) Seite von AnyDVD gerichtet. Hier aber bezieht sich aber der Redirect auf die Gesamtseite von Wikipedia mit geschätzten 99,9% legalen Inhalten. Oder anders gefragt: Soll jetzt Wikimedia eV jedesmal als Störer in Anspruch genommen werden können, wenn ein einzelner Artikel im gigantischen Wikipedia-Universum persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte hat? Schade, daß hierzu nur einstweilige Verfügungen ohne Begründung existieren!
Ralf Lang kommentiert am Permanenter Link
Toller Beitrag. Im Gegensatz zu dem Beitrag hier spinnt sich der Großteil der Blogosphäre zusammen, Heilmann wolle seine Stasi-Zeit verheimlichen und sei irgendwie dumm, weil er nur den Redirect sperrt (während hier immerhin als Frage formuliert ist, warum er das so tut).
Ich glaub ich lese hier öfter mit in Zukunft.
Meine Sicht auf das Ganze: http://www.ralf-lang.de/?p=65
Niels kommentiert am Permanenter Link
Prof. Hoeren:"Oder anders gefragt: Soll jetzt Wikimedia eV jedesmal als Störer in Anspruch genommen werden können, wenn ein einzelner Artikel im gigantischen Wikipedia-Universum persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte hat?"
So sehen das zumindest zwei deutsche LGe, ja. Besonders überzeugend finde ich's auch nicht. Ich vermute, da hat man sich letztlich vom Ergebnis her leiten lassen und es für unerquicklich gehalten, dass da jede Menge deutschsprachiger Inhalte vom Ausland aus, und damit mit den Mitteln der ZPO nur unzureichend angreifbar, vorgehalten werden.
Dr. Klaus Graf kommentiert am Permanenter Link
Eine Linkzusammenstellung einschl. Blawgs biete ich unter
http://archiv.twoday.net/stories/5324206/
Für mich ist die eV völlig haltlos, wie ich auch im LawBlog kommentiert habe.
Hoeren kommentiert am Permanenter Link
Anscheinend rudert Herr Heilmann wieder zurück und gibt das Vorgehen gegen Wikipedia auf. So jedenfalls gerade die Neuigkeiten aus der FAZ
http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~ED87D5EEA00...
Die Grundsatzfrage nach der juristischen Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens bleibt. Auch zum Beispiel wegen der Frage, ob man wirklich im Wege der einstweiligen Verfügung eine Sperrung einer Domain und deren Nutzung verlangen kann (Stichwort: Vorwegnahme der Hauptsache)
DrFB kommentiert am Permanenter Link
Langsam weiß wohl auch der Letzte, wie man direkt an die ungefilterten Informationen von Wikipedia kommt. wikipedia.de ist doch sowieso lediglich das Sprungbrett für die absoluten Neulinge.
Gerd kommentiert am Permanenter Link
Wie war das noch mit der Anbieterkennzeichnung, dem Impressum auf Webseiten und so? Also im momentanen Zustand sehe ich da "Schwachstellen" auf www.lutz-heilmann.info...
Niels kommentiert am Permanenter Link
Prof. Hoeren: Eine Vorwegnahme der Hauptsache sehe ich hier eher nicht. Die Weiterleitung wäre ohne weiteres wieder herstellbar, wenn die EV aufgehoben wird.
Bodo kommentiert am Permanenter Link
Der Störer ist dazu verpflichtet, beschränkt durch den Grundsatz der Zumutbarkeit, alles ihm mögliche dahingehend zu unternehmen, dass die Störung ausgeschlossen wird. Mag die wikimedia Deutschland auch willentlich und adäquat kausal eine vermeintliche Rechtsverletzung befördert haben, so scheitert es doch jedenfalls an möglichen Handlungsoptionen, um die Störung abzustellen. Wie bereits dargelegt, ist der Host ja wikimedia foundation. Der "Access", wenn man die wikimedia D. mal faktisch so beschreiben möchte, kann im Grunde ja nicht effektiv handeln...
Niels kommentiert am Permanenter Link
Hier übrigens der fragliche Beschluss.
Giesen kommentiert am Permanenter Link
Ein schönes Zitat von Spiegel Online:
"Das Online-Lexikon ist eine der meistbesuchten Seiten im deutschsprachigen Internet - es war, als habe Heilmann eine Nationalbibliothek zusperren lassen, nur weil ihm ein Buch darin nicht passte."
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,590972,00.html