Nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit: Fristlose Kündigung wegen 1,30 Euro

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 02.02.2009

Vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg klagt eine Supermarkt-Kassiererin gegen ihre außerordentliche Kündigung (7 Sa 2017/08). Ihr wird vorgeworfen, zwei von einem Kunden liegengelassene Pfandbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu ihren eigenen Gunsten eingelöst zu haben, statt sie abzuliefern. Wie der SPIEGEL heute berichtet, ist die Frau seit über 30 Jahren angestellt (Heft 6/2009, S. 69). Noch zu DDR-Zeiten begann sie in einer HO-Kaufhalle, die nach der Wiedervereinigung von Kaiser's übernommen wurde. In erster Instanz hat das Arbeitsgericht Berlin ihre Klage abgewiesen. Das LAG hat für den 24.2.2009 Verkündungstermin anberaumt.

In der Rechtsprechung des BAG werden Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers bislang regelmäßig als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung anerkannt. Einer vorhergehenden Abmahnung bedarf es auch bei nur geringem Schaden nicht. Berühmt geworden ist der "Bienenstichfall" einer Konditorei-Verkäuferin, die ein Stück Bienenstich verzehrt hatte, ohne es zu bezahlen (BAG 17.5.1984 NZA 1985, 91). Ähnlich streng war das Gericht beim Diebstahl von drei Kiwi-Früchten im Wert von 2,97 DM (BAG 20.9.1984 NZA 1985, 286) und zuletzt beim Diebstahl von unverkäuflicher Ware (BAG 11.12.2003 NZA 2004, 486).

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10 Kommentare

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Interessant finde ich als Nichtjurist den - sollte es kein Tippfehler sein - Pfandbon von 0,82€.
Er ergibt alleine wenig Sinn, da: 82 = 2 x 41 (Primzahl) ist.

Es erweckt als den Anschein als sei eben jene Dame "reingelegt" worden, da ein Pfandbon der in natura so nicht vorkommen kann mit Leichtigkeit einer bestimmten Perosn zuzuordnen ist.

Interessieren würde mich aber generell in einem solchen Fall die Rechtslage. Unabhängig ob meine Vermutung zutrifft.

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Ob gegen die Klägerin lediglich ein Verdacht auf Unterschlagung besteht oder ob ihr wegen nachgewiesener Pflichtverletzung gekündigt wurde, scheint nach den vorliegenden Berichten zwischen den Parteien streitig zu sein. Im Bericht des SPIEGEL heißt es: "Der Anwalt von Barbara E. sagt: Der Verdacht gegen Frau E. wurde nie bewiesen". Und auch in dem von T verlinkten Bericht der TAZ wird lediglich einer der "Verteidigeranwälte" (gemeint ist: Anwälte der Klägerin - wir sind nicht im Strafprozess!) mit den Worten zitiert: "Der rechtliche Grundsatz der Unschuldsvermutung wird im Arbeitsrecht durch die Verdachtskündigung ausgehebelt. Darum sind heute so viele hier". Damit wird aber lediglich die Rechtsauffassung einer der beiden Seiten wiedergegeben. Weiter heißt es bei der TAZ dann: "Auf dieses grundsätzliche Terrain will sich die Richterin aber nicht begeben. Stattdessen eröffnet sie das Beweisverfahren neu und befragt eine ehemalige Kollegin E.s, die schon im ersten Prozess gehört worden war." Es geht also möglicherweise nicht nur um eine Verdachts-, sondern eine Tatkündigung.

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Entscheidend sind folgende Aspekte:

• Unstreitig ist, dass Emmely (ich nenne sie jetzt einmal so), Bons beim Personaleinkauf eingelöst hat. Emmely hat nicht (!) vorgetragen, diese Bons seien zu ihren Gunsten ausgestellt worden, nach dem sie zuvor Leergut abgegeben hätte. Emmely hat auch nicht behauptet, die Bons seien entsprechend abgezeichnet worden.

• Das Gericht geht nach der Beweisaufnahme davon aus, dass die Bons nicht als Mitarbeiterbons gekennzeichnet hat (siehe Rdnr. 39). Dabei stützt sich das Gericht auch auf elektronische Datenerfassungen, die belegen, dass der Bon über 0,48 € nicht von Emmely ausgestellt worden sein kann.

• Das Gericht kann letztlich nicht mit absoluter Sicherheit feststellen, dass es sich bei den Bons um Kundenbons handelt. Umgekehrt bedeutet dies, dass nur der – dringende –Verdacht besteht, Emmely habe Kundenbons eingelöst.

• Das Gericht bejaht einen Betrug, weil es eine Täuschung des Unternehmens über den Umstand sieht, Emmely habe eine Forderung (nämlich Auszahlung des Bons) gegen das Unternehmen gehabt, wobei infolge dieser Täuschung ein entsprechender Irrtum erregt worden sei, der letztlich zur Minderung des Kaufpreises geführt habe.

• Diese strafbare Handlung stelle einen wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 BGB dar.

• Auch in Hinblick auf die Schadenshöhe sei dem Unternehmen die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses unzumutbar.

Ich werte das Urteil wie folgt:

• Der dringende Verdacht ist plausibel begründet. Emmely bzw. ihr Prozeßvertreter müssen sich fragen lassen, warum die entsprechenden Sachverhaltsdarstellungen nur abstrakt bestritten werden. Es findet sich keinerlei Einlassung zu den Rekonstruktionen der Vorgänge an der Kasse.

Zur Glaubwürdigkeit der Zeugen kann man nichts sagen. Die Darlegungen des Gerichts sind nachvollziehbar.

• Dass der geringe Schaden das strafbare Unrecht und damit auch eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung nicht ausschließt, ist eine Annahme, die sich in den Bahnen der Rechtsprechung bewegt.

• Zur Frage der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses nimmt das Gericht plausibel darauf Bezug, dass Emmely einen Rechtsverstoß bestreitet und ein Unrecht nicht zu erkennen vermag.

Letztlich muss man m. E. folgende Aspekte sehen:

Das Urteil ist ungewöhnlich gut begründet. Es zeichnet sich durch eine umfassende Auswertung der Rechtsprechung und eine sorgfältige Sachverhaltsklärung aus.

Die Verdachtskündigung als solche ist in der Tat angreifbar, wird aber vom BAG für zulässig erachtet. Man muss klar sehen, dass es gerade im Einzelhandel häufig für den Arbeitgeber unmöglich ist, den absoluten Nachweis einer strafbaren Handlung zu führen.

Mitarbeiter an der Kasse müssen besonders vertrauenswürdig sein. Keinesfalls kann man argumentieren, jedem Arbeitnehmer müssten kleinere Delikte in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit nachgesehen werden.

Nach meinem Eindruck, der sich aus der Erfahrung speist, hat Emmely äußerst ungeschickt taktiert. Der stete Angriff auf die Rechtsprechung des BAG zur Verdachtskündigung (Skandal) kommt nicht gut an. Der Hinweis auf den Bagatellcharakter provoziert nur, weil er auf mangelnde Einsichtsfähigkeit deutet. Das pauschale Bestreiten des detaillierten Sachverhalts wirkt befremdlich. Die ersten Erklärungsversuche (Hinweis auf die Tochter) deuten auf Ausflüchte hin.

Wenn in der Berufungsinstanz nicht die Zeugenaussagen erschüttert werden bzw. diese anders gewertet werden (dies kann man nur schwer einschätzen, weil es da auf die Details der Bonausgabe und –einlösung sowie das E-Journal ankommt), wird es für Emmely ganz schwierig.

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Ich hätte mir in dem Blogeintrag einen Hinweis darauf gewünscht, dass das erstinstanzliche Urteil auf den Seiten der Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit abrufbar ist. Bin darauf erst durch den Randnummerverweis meines Vorposters gestoßen.
Dieses Urteil ist außergewöhnlich sorgfältig und gut geschrieben. Schwachpunkt aus meiner Sicht ist allerdings die strafrechtliche Würdigung des Sachverhalts. Herr Prof. Rolfs hat ja auf Unterschlagung verwiesen, wobei ich das nicht so recht zu erkennen vermag.
Das Arbeitsgericht ist lediglich auf Betrug durch Vortäuschen einer Forderung mit Hilfe der Bons eingegangen. Ich bin mir ehrlich gesagt da nicht so sicher, da ich nicht wirklich den Schaden sehe. Dieser träte doch nur ein, wenn noch der wahre Inhaber der Leergutbons seine Ansprüche geltend machen würde. Dies kann man aber wohl ausschließen, da es schon an einer Legitimationsmöglichkeit mangelt. Ob die Forderung durch das Auffinden der Bons im Markt der Beklagten wieder in das Vermögen der Beklagten gegangen ist, ist auch sehr zweifelhaft bzw. ausgeschlossen. Diebstahl hinsichtlich der Bons wäre möglich, weil sich die Klägerin wie eine Eigentümerin geriert hat.
Ein Arbeitsrechtler ist halt kein Strafrechtler, aber ich denke dennoch, dass das Arbeitsgericht, über diesen Punkt zu schnell hinweg gegangen ist.
Zum arbeitsrechtlichen Teil kann ich meinem Vorposter im Wesentlichen zustimmen.
Der Kassiererin wurde m.E. die verfehlte Strategie ihrer Prozessvertreter zum Verhängnis.
Zunächst war und ist es völlig verfehlt das Institut der Verdachtskündigung anzugreifen. Das BAG bejaht diese Möglichkeit in ständiger Rechtsprechung. Dies ist inhaltlich auch völlig korrekt. Es kann im Zivilrecht nicht der gleiche Maßstab gelten wie im Strafrecht gelten. Dies in Zweifel zu ziehen zeugt Realitätsverlust.
Doch selbst wenn man dies anders sieht, ist es wenig hilfreich eine gefestigte bundesgerichtliche Rspr. als „Skandal“ zu bezeichnen. Hier wäre es besser gewesen auf die hohen Anforderungen an den erforderlichen Verdacht zu verweisen. An der Stelle besteht ein hoher Wertungsspielraum für den Tatrichter.
Fast noch schlimmer ist die Einlassung, solche kleinen Delikte könnten von vornherein keine Kündigung rechtfertigen. Dies war ein böses Eigentor.
Das BAG hat schon öfters darauf verwiesen, dass es bei Straftaten nicht auf die Schadenshöhe ankommt. Auch hier völlig zu Recht, wie ich finde. Schließlich geht es um das Vertrauen.
Dennoch sind Richter auch nur Menschen und neigen tendenziell sicherlich bei sehr kleinen Schadensumfängen eher zu Nachsicht – und hierfür bestehen bei den vielen unbestimmten Rechtsbegriffen in einem Kündigungsschutzverfahren viele Möglichkeiten – als bei hohen Schadenssummen. Wenn der Kläger/die Klägerin aber von vornherein uneinsichtig sind, kommt das eben nicht gut an.
Im Ergebnis halte ich die Entscheidung für sehr gut nachvollziehbar. Glaube aber, dass mit einer guten Prozessvertretung für die Klägerin bessere Chancen bestanden hätten. Mit Einsicht und einer zumindest nicht widersprüchlichen Erklärung hätte man bei den Sozialdaten durchaus im Rahmen der Interessenabwägung, aber auch bei der Wertung des Verdachtsgrads zu ihren Gunsten entscheiden können. Nicht eingegangen ist das Gericht z.B. auf die Tatsache, dass das Einlösen der Bons ja praktisch bekannt werden musste, da diese nicht abgezeichnet waren und von einer Kollegin kassiert worden sind. Ein systematisches Vorgehen bzw. eine Wiederholungsgefahr drängt sich da nicht unbedingt auf.
Vermutlich wird bei der Entscheidung des LAG die Frage der Schwere des Verdachts die entscheidende Rolle spielen.

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Wo ich bei bei HiG den Begriff "wahrer Inhaber" lese...

Ist so ein Pfandbon nicht ein Inhaberpapier mit Legitimationswirkung? Mit anderen Worten: Der Supermarkt kann an den Überbringer des Bons mit befreiender Wirkung leisten, selbst wenn dieser nicht der Gläubiger des Pfandrückgabeanspruchs ist.

Dann wäre ein Schaden wohl tatsächlich ausgeschlossen, weil selbst wenn der wahre Gläubiger käme um gestützt auf irgendwelche sonstigen Beweismittel die 1,30 € geltend zu machen, der Supermarkt ihm die Erfüllung gegenüber der E entgegenhalten könnte.

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