Nach dem Amoklauf von Winnenden - Es rollt schon die nächste Killerspieldebatte auf uns zu

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 12.03.2009

Ein Tag nach dem Amoklauf von Winnenden hat sich herausgestellt, dass der Täter im Besitz so genannter "Killerspiele" wie insbesondere "Counterstrike" gewesen ist und offenbar auch häufig gespielt haben soll. Da verwundert es freilich kaum, dass schon wieder Forderungen nach weiteren Verboten von Killerspielen laut werden. Dabei ist die letzte Verschärfung des Jugendschutzrechts mit zahlreichen neuen Tatbeständen bezüglich "gewaltbeherrschter Medien" noch nicht einmal ein Jahr in Kraft.

Aktuelle Auswirkungen der Verschärfungen haben sich zudem bislang nach den Erkenntnissen auf der Jahrestagung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in der vergangenen Woche noch gar nicht gezeigt. Vor diesem Hintergrund erscheint es eher nicht glaubwürdig, wenn Politiker, die an der Jugendschutznovellierung über Bundestag und Bundesrat mitgewirkt haben, bereits wieder den Ruf nach strengeren gesetzlichen Restriktionen austoßen, oft in Unwissenheit über das bereits bestehende komplexe Jugendschutzsystem gerade im Hinblick auf die Klassifizierung gewaltbeinhaltender Medien.

Insgesamt können je nach Zählweise 6 bis 7 unterschiedliche gesetzliche Kategorisierungen von Gewaltmedien ausgemacht werden. Hierzu zählen die unterschiedlichen FSK/USK Altersfreigaben nach den Altersstufen 6, 12, 16 und 18 Jahren ebenso wie die Indizierung wegen Jugendgefährdung nach § 18 Abs. 1 JuSchG, die Tatbestände schwerer Jugendgefährdung nach § 15 Abs. 2 JuSchG und schließlich das bereits seit den 70er Jahren existente kriminalstrafrechtliche Gewaltdarstellungsverbot (§ 131 StGB). Die Differenzierung und randscharfe Abgrenzung der gesetzlichen Kategorien von Gewaltmedien fällt schon heute in der Praxis aufgrund der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe außerordentlich schwer. Die Schaffung einer achten Kategorie durch den Gesetzgeber erscheint da kaum der Heilsbringer zu sein, auch angesichts dessen, dass bereits heute kein anderer Staat der Welt ein derart restriktives und differenziertes Jugendschutzsystem wie das deutsche hat.

Die Debatte um Killerspiele soll und muss wohl auch erneut geführt werden. Sie einfach in neue Straf- und Jugendschutzverbote münden zu lassen, ist aber aus meiner Sicht verfehlt und führt in erster Linie dazu, dass sich das Recht weiter von der gelebten Praxis im Sinne faktisch einfacher Beschaffungsmöglichkeiten von so genannten "Gewaltspielen" entfernt.

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56 Kommentare

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Liebe Frau Konersmann,

ich fürchte, Ihnen ist zu wenig bewusst, dass die Wirkung von staatlichem, überhaupt kollektivem Handeln begrenzt ist. Ich fürchte, es wird auch in den nächsten Jahren weitere Amokläufe an Schulen geben, und nichts, was Sie oder ich oder der Gesetzgeber tun kann, wird daran etwas ändern werden.

Ich zitiere einmal aus der Süddeutschen Zeitung online:

Auch eine Lehrerin von Tim hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. Bis Dienstag hat Theresia Zurhorst den 17-Jährigen an seiner kaufmännischen Schule in Ethik und Deutsch unterrichtet. Erst vor wenigen Wochen hat sie die Klasse einen Aufsatz über das Thema "Verschärfung der Waffengesetze, ja oder nein?" schreiben lassen. Eine ganze Unterrichtseinheit habe sie dem Thema Computerspiele, Amoklauf in Erfurt und der Reaktion des Staates darauf gewidmet, erzählt sie der Winnender Zeitung.

An Tims Aufsatz kann sich Zurhorst noch genau erinnern. Tenor: Auf Menschen dürfe man nicht schießen, Regeln müssten eingehalten werden.

Wieviel mehr würden Sie denn als Ethik-Lehrerin noch unternehmen, um das Thema Schusswaffengewalt zu problematisieren, und wieviel mehr erwarten Sie denn noch von Schülern, als die Meinung, die im Aufsatz zum Ausdruck kommt?

Das "Wohlbefinden" oder die "Lebensqualität" von Jugendlichen ist nicht wirklich messbar. Damit gibt es kein Feedback-System. Und wo es kein Feedback-System gibt, wissen Sie nicht, welche kollektiven Maßnahmen welche Effekte haben. In der Management-Beratung sagt man, "you cannot manage what you cannot measure".  Aber Wenn die Eltern als Bezugspersonen denken, sie machen alles richtig, so wird kaum kollektives Handeln hier noch zusätzlich wirksamer sein. Und wenn Sie sich vorstellen, sie wären eine Beamtin vom Jugendamt, hätten Sie mit Sicherheit bejaht, dass die dortigen Eltern "auf Ihr Kind geachtet" haben.

Die Frage, die zu stellen ist, ist die nach der Lebensqualität von Jugendlichen. Ich bedauere es, aber ich muss die Aufmerksamkeit auf einen Begriff lenken, der hier vielleicht verquer oder provozierend erscheinen mag. Was ist das wirksamste natürliche Mittel, um sozialen Stress zu abzubauen, den jede höherentwickelte Population nutzt? Sex! Wie wichtig der ist, um stressreiche Gemeinschaften überhaupt erträglich zu halten, sieht man an Menschenaffen ganz gut.

Aber die Frage, wie Jugendliche zu einem schönen Sexualleben gelangen, ist nicht nur unanständig, sondern inzwischen fast schon tabu, vor allem, wahrscheinlich, in einem kleineren badenwürttembergischen Ort. Und wenn Sie sich als Erwachsener hinstellen und diese Frage stellen, müssen Sie mit Anfeindungen rechnen. Ich wüsste nicht, dass irgendeiner der Schulamokläufer ein befriedigendes Sexualleben gehabt hätte. Großbritannien und die USA gehen mit der größten Stigmatisierung an die Kinder- und Jugendsexualität heran. Dort gibt es auch die meisten Gewalttaten von Kindern und Jugendlichen.

Ich stelle mir die Frage nach dem Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Kindern. Wie Professor Pfeiffer -seine Empirie mal außen vor gelassen- zu Recht fragt: Warum gibt es in den südlicheren europäischen Ländern, wie Spanien, Griechenland, usw. keine Amokläufe von Schülern? Gibt es dort vielleicht eine andere, warmherzigere Mentalität und Einstellung zu Kindern und Jugendlichen? 
Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Auch dort zocken sehr viele junge Menschen die von Ihnen verteufelten Spiele.

Aber dort läuft keiner Amok, und auch die haben Schulstress, Pubertätssorgen, und wahrscheinlich viel weniger Psychologen. Übrigens gab es an Tims Schule Sozialarbeiter und Schulpsychologen. Hats was geholfen?

Und noch einen quantitativen Aspekt. Ich finde die Verlogenheit der aktuellen öffentlichen Diskussion unerträglich. Offenbar ist nur dann ein Missstand, der zu toten Kindern führt, für die öffentliche Diskussion interessant, wenn er medial inszeniert oder inszenierbar ist:

Jedes Jahr sterben über einhundert Kinder durch die Hände ihrer eigenen Eltern, an Vernachlässigung und Misshandlung. Die Pro-Kopf-Aufmerksamkeit in den Medien ist aber minimal. Ist der Tod eines Kindes durch die eigenen Eltern nicht noch viel unbegreiflicher? Verzeihen sie die Polemik: Diese Kinder werden nur ausgehungert oder tot-geschüttelt oder vertrocknen, das ist halt nicht so spektakulär und medial abbildbar wie ein Beretta-Kopfschuss.

Und wenn verlässliche psychologische Instrumentarien zur Früherkennung von Depressionen bei Jugendlichen gäbe und der Wille da wäre, sie zu verwenden, wie wäre es, wenn wir uns um die ein bis zwei Kinder und Jugendliche, die sich jeden Tag das Leben nehmen, zuerst kümmern? Die sind nicht sichtbar, weil sie niemanden mitreißen. Sie leiden im Stillen, und ziehen es vor, dem Leiden allein ein Ende zu setzen.

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an alle Verteidiger von Killerspielen.

Nunja. Den § 131 StGB halte ich für gerechtfertigt. Ist man schon ein Verteidiger von Killerspielen wenn man kein Totalverbot von Shootern für Erwachsene haben möchte?

Menschen die Gewalt verachten und verabscheuen setzen sich nicht vor dem PC, um Menschen virtuell zu ermorden. Solche Menschen können einer derartigen Freizeitbeschäftigung gar nichts abgewinnen.

Das ist jetzt doppelt falsch, so dass es wieder passt. Ich verabscheue reale Gewalt und spiele trotzdem Ego-Shooter online. Jedoch nicht um virtuell Menschen zu ermorden sondern um mit Italienern, Polen, Finnen, Engländern und Franzosen zusammen Spaß zu haben.

Der Autor von www.stigma-videospiele.de hat es so ausgedrückt:

"Ich selbst habe erst spät erkannt, wie schlecht es um das Wissen der "Nichtspieler" über Videospiele steht. Als „Report Mainz" die Fälle von Kinderpornographie in dem Computerprogramm „Second Life" aufgedeckt hat habe ich, wie wohl jeder andere auch, angenommen, dass die dort beteiligten Personen pädophil sind. Nachdem ich diesen Gedankengang hatte fiel bei mir der Groschen, dass viele Menschen über Spieler von „Killerspielen" wohl das selbe denken. Also glauben, dass diese sowohl virtuell als auch in der Realität Spaß an Gewalt hätten. Anders als bei dem Fall des virtuellen Kindesmissbrauch stimmt diese Annahme bei „virtueller Gewalt" jedoch nicht.
Was aber jetzt genau den Reiz an virtuellen Duellen ausmacht weiß ich nicht. Genauso wenig kann ich erklären, warum es mir als Kind Spaß gemacht hat mit einem Spielzeuggewehr "Cowboy und Indianer" zu spielen oder an einer Schneeballschlacht teilzunehmen
." 

Im übrigen finde ich es nach dieser Schreckenstat in Winnenden einfach an der Zeit, dass etwas geschieht um Vorfälle wie diesen künftig zu verhindern.

Wenn sie solche Taten verhindern wollen sollten Sie nicht Videospiele kritisieren sondern die wirklichen Ursachen beseitigen. Amokläufer spielen weniger gewalthaltige Videospiele als die Restbevölkerung:

"Der Forscher schreibt, insbesondere eine vom Secret Service durchgeführte Studie lege nahe, dass Attentäter sogar weniger Interesse für gewalthaltige Medien und Spiele gehabt hätten als typische amerikanische Jugendliche; allerdings weist Ferguson selbst darauf hin, dass bei nur 41 untersuchten Attentätern die Datenlage recht dünn ist."

(http://www.golem.de/0901/64820.html)

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Verehrte Mitdiskutanten,

Bevor ich meine genaue Meinung zu dem Thema darlege, einige kleine Vorläufer: Ich kenne CS und habe es selbst gespielt, in einer Gruppe mit meinen Freunden. Die Phase hat nicht lange angehalten, aber es hat mir Spaß gemacht. Denken Sie in Richtung "Räuber und Gendarme", dann verstehen Sie, was ich meine.

Ist ein Spiel wie CS sinnvoll? Nein. Muss man auf Menschen schießen? Nein. Könnte man ein sinnloses Spiel verbieten? Ja.

ABER: Kennen Sie "Die Sims"? Eine kleine Beschreibung: Man hat eine Spielfigur, oder auch eine ganze Familie, die man lenken kann. Wenn ich will, dass sie essen, tun sie es. Wenn ich will, dass sie sich nicht waschen, geschieht mein Wille. Wenn ich will, dass sie sterben, tun sie es- und die kehren nicht wieder!

Ich kann meinen Sim (die Spielfigur) dazu bringen, den anderen zu schlagen, oder ihn zu betrügen. Sinnvoll, solche Werte in einem Spiel ausleben zu können? Nein. Muss man so etwas in einem Spiel erlauben? Nein. Wäre die Sims damit verbietbar? Ja.

Worauf ich hinauswill, ist, dass CS nichts anderes als ein Spiel ist.

Ein anderes Beispiel: Black and White. Sie sind dort ein Gott, dem ein ganzes Dorf zu Füßen liegt. Sie haben eine Kreatur, die wachsen kann. Sie können Wunder bewirken (Nahrung, Regen) oder Sie sind böse und schleudern Feuerbälle und töten ihre Gegner durch Wolfsrudel. Interessant: Je böser zu anderen Völkern, desto mehr Erfolg hat man. Gegen Ende hat man in Black And White 2 sogar eine Armee, die für einen tötet.

Jetzt kann man die Frage stellen: Ist so ein Spiel nicht gefährlicher, in dem man gottgleich ist, und niemand einem vorschreiben kann, ob man sein Volk quält, und das Volk nichts anderes als ein Opfer ist?

Alle Spiele haben eines gemeinsam: Nicht das Spiel bestimmt den Spieler, sondern der Spieler das Spiel. Wenn der Computer aus ist, wird sich kein Spieler für einen Soldaten, einen Sim oder einen Gott halten. In CS stellen sich andere im Gegenteil komplett quer! Und "brutaler" kann man in den anderen Spielen in jedem Fall werden (kein Blut, aber wenn ich mit meiner Kreatur Blitze auf Dorfbewohner schleudern kann, und diese das brennen anfangen, nenne ich es brutaler!).

Es bringt nichts, wenn man plötzlich anfängt, Spiele zu verbieten. Was macht man denn dann bitte mit Filmen? Oder der Realität? Ich behaupte, dass das reale Leben brutaler ist als ein Film: Den Film kann ich abschalten, das Leben nicht.

Nicht, dass ich für "Killerspiele" bin- wobei ich diesen Begriff nach den oben geschilderten Spielen für interessant halte. Ich muss keine Spiele fördern, in denen Menschen getötet werden, aber ich muss sie auch nicht verbieten. Wer spielen will, der muss seine Wahl selbst treffen.

Ich halte es nur für wichtig, dass die Eltern wissen, was ihre Kinder tun. Dass die Eltern- oder auch Lehrer, wobei es bei 6 Schulstunden am Tag sehr strittig ist, ob diese eine Veränderung bemerken können- da sind, wenn in dem Kind eine Veränderung vorgeht, die sie für bedenklich halten. Dass Eltern von dem Leistungsdruck, der durch die Schule ausgewirkt wird, ein stück wegnehmen, und dass sie den Problemen des Kindes zuhören.

Ohne diese Maßnahmen kann man alle Spiele der Welt verbieten, und es wird dennoch weiter Amokläufe geben.

Meine heutigen fünf Cent an diesem Morgen!

Liebe Grüße!

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Natürlich brauchen Jungs Computerspiele.

ABER: nur die doofen Jungs kaufen sich welche.

Die intelligenten Jungs erfinden sich die Computerspiele nämlich gleich selber (ohne digitale Unstimmigkeiten wie Pixel, schlecht gemachte Lichtverhältnisse, Zuckeln, etc).

In meinem Kopf habe ich zum Beispiel eine hyperreale Voll-Simulation der gesamten Geschichte der Menschheit (inkl. alle Kunstwerke), vier Flugsimulatoren, drei ego-shooter und vier Rollenspiele.

Da wird mir auch im Zug nie langweilig... (ich habe auch weder Handy noch X-Box noch Fernsehen - brauche ich ja nicht; mein Kopf liefert mir ja alles frei Haus).

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Die Frage ob und vor allem inwieweit Ego-Shooter Gewaltbereitschaft tatsächlich fördern, sollte man den bitte den Psychologen überlassen. nicht den Politikern und auch nicht den Juristen.

Warum bei nahezu allen Amok-Läufern "Killerspiele" auf den heimischen Rechnern gefunden wurden? Weil nach meiner Erfahrung einfach nahezu 100% der männlichen Jugendlichen (und oftmals weit über das Jugendalter hinaus) zumindest gelegentlich Ego-Shooter spielen. Zwar kann man durchaus über Sinn und Unsinn solcher Spiele diskutieren (die heutzutage übrigens fast vollständig das "Action"-Genre der Computerspiele darstellen), aber einen Ursachenzusammenhang wird man hier wohl kaum feststellen können. Nebenbei, Counterstrike ist zum ausleben von Gewaltfantasien nun wirklich das völlig falsche Spiel, da gibts ganz andere Kandidaten.

Was meiner Meinung nach aber sehr wohl einen Unterschied macht, ist der relativ leichte Zugang zu Schusswaffen, den alle Amokläufer der letzten Jahre hatten. Erst die Machtposition, die eine Schusswaffe ermöglicht, lässt den Schritt von der (ebenfalls weit verbreitenen) Weltverbitterheit zur aufsehenerregenden Gewaltphantasie möglich werden.

 

 

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