Neues zum AGG-Hopping

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.06.2009

AGG-Hopping ist zwar noch kein Volkssport, aber immerhin soll es "eine Clique im dreistelligen Bereich" geben, die Arbeitgeber gezielt mit Schadensersatz- und Entschädigungsklagen wegen vermeintlicher Benachteiligungen überzieht. Mit dieser Aussage wird Rechtsanwalt Dr. Steffen Krieger (Gleiss Lutz, Stuttgart) im aktuellen Spiegel (Heft 23/2009, S. 66 f.) zitiert. Wie lukrativ AGG-Hopping sein kann, wird in diesem Bericht anhand eines Klägers dokumentiert, der parallel mindestens sieben Entschädigungsklagen eingereicht hatte, die sich auf insgesamt 145.000 Euro summierten. Das LAG Hamburg hat seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe jedoch zurückgewiesen.

Besonders leicht macht es das Gesetz schwerbehinderten Bewerbern, Indizien i.S. des § 22 AGG für eine Benachteiligung vorzutragen. § 81 SGB IX legt dem Arbeitgeber nämlich zahlreiche Pflichten auf, von denen in der Praxis nahezu stets mindestens eine, wenn nicht mehrere verletzt zu werden pflegen:

  • Erstens muss der Arbeitgeber prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können; im Rahmen dieser Prüfung sind zwingend die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebs- bzw. Personalrat anzuhören (§ 81 Abs. 1 Sätze 1 und 6 SGB IX).
  • Kann die Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgen, ist der Arbeitgeber zweitens zur Prüfung verpflichtet, ob der Arbeitsplatz mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten Schwerbehinderten besetzt werden kann. Das setzt denklogisch voraus, dass der Arbeitgeber den freien Arbeitsplatz der Agentur für Arbeit überhaupt erst einmal meldet. Die vielen Arbeitgeber, die freie Stellen nicht der Arbeitsagentur melden, sondern sie über den freien Arbeitsmarkt oder über professionelle Arbeitsvermittler zu besetzen versuchen, verstoßen also gegen § 81 Abs. 1 SGB IX.
  • Nach § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX hat der Arbeitgeber drittens die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebs- oder Personalrat über eingehende Bewerbungen von Schwerbehinderten „unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten", ebenso über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit. Auch gegen diese Pflicht wird in der Praxis ständig verstoßen, wenn erst einmal alle eingehenden Bewerbungen gesichtet werden und eine Vorauswahl getroffen und erst dann die Arbeitnehmervertretung eingeschaltet wird.
  • Viertens muss der Arbeitgeber, wenn er die sog. Pflichtquote (§ 71 SGB IX) nicht erfüllt oder die Schwerbehindertenvertretung und/oder der Betriebs- oder Personalrat dies von ihm verlangt haben, seine Entscheidung unter Darlegung der Gründe mit den genannten Vertretungen erörtern (§ 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX) und dabei den betroffenen schwerbehinderten Menschen anhören (§ 81 Abs. 1 Satz 8 SGB IX).
  • Fünftens hat der Arbeitgeber alle Beteiligten über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten.
  • Öffentliche Arbeitgeber schließlich müssen sechstens Schwerbehinderte, die sich beworben haben oder von der Bundesagentur für Arbeit vorgeschlagen wurden, stets zu einem Vorstellungsgespräch einladen, es sei denn, dass die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 82 SGB IX).

Jede einzelne Obliegenheitsverletzung begründet nach der Rechtsprechung ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Behinderung (vgl. BAG 15.2.2005 - 9 AZR 635/03, NZA 2005, 870; 12.9.2006 - 9 AZR 807/05, NZA 2007, 507; 16.9.2008 - 9 AZR 791/07, NZA 2009, 79).

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