Streiks in Kindertagesstätten rechtswidrig?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 10.06.2009

In der aktuellen Tarifauseinandersetzung im Bereich der Kindertagesstätten hat das ArbG Kiel der Gewerkschaft ver.di im Verfahren der einstweiligen Verfügung Streikmaßnahmen zumindest zeitweilig untersagt. Auf Eilantrag der Stadt Kiel verbot das ArbG mit Urteil vom 18.05.2009 (öD 4 Ga 23 b/09) der Gewerkschaft ver.di, die Kita-Mitarbeiter für den 19.05.2009 zum Streik aufzurufen. Der Streik sei rechtswidrig, weil er gegen das ultima-ratio-Prinzip verstoße. Danach sei ein Arbeitskampf erst nach Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten zulässig. Tarifverhandlungen hätten jedoch noch gar nicht stattgefunden. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) habe die Aufnahme von Tarifverhandlungen auch nicht von vornherein abgelehnt, sondern sich einen angemessenen Zeitraum bis Ende Mai 2009 für die Meinungsbildung und Herbeiführung eines Verhandlungsmandats erbeten. Es dränge sich der Eindruck auf, dass ver.di entgegen der bekundeten Äußerung das Ziel verfolge, durch das Thema Gesundheitsschutz Druck auf die Eingruppierungsverhandlungen auszuüben, für die indessen unstreitig die Friedenspflicht gelte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Auf die Arbeitsverhältnisse der in den Kindertagesstätten der Stadt Kiel beschäftigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen findet u.a. der TVöD und der Überleitungstarifvertrag vom BAT auf den TVöD (TVÜ-VKA) Anwendung. Die Vergütung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtet sich bis zum Inkrafttreten der Eingruppierungsvorschriften des TVöD mit Entgeltordnung nach den bisherigen Eingruppierungsvorschriften des BAT. Diese Tarifregelungen befinden sich in ungekündigtem Zustand und können frühestens zum 31.12.2010 gekündigt werden. Am 20.01.2009 nahmen die Tarifvertragsparteien Tarifverhandlungen für die Eingruppierungsregelungen der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst auf. Die Vertreter von ver.di forderten zu dem Zeitpunkt bereits, die Verhandlungen auf tarifliche Regelungen zur Gesundheitsförderung und zum Gesundheitsschutz auszudehnen. Am 25.03.2009 unterbreitete ver.di der VKA erstmals ein konkretes Forderungspapier zu einem Tarifvertrag zu einer betrieblichen Gesundheitsförderung im Sozial- und Erziehungsdienst. Wesentlicher Punkt dieses geforderten Tarifvertrages ist die Errichtung einer betrieblichen Kommission, deren Mitglieder je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Personalrat aus dem Betrieb benannt werden. Im Falle der Nichteinigung zwischen Arbeitgeber und Personalrat über eine zu treffende Maßnahme des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung soll nach dem Tarifvertrag die betriebliche Kommission das Letztentscheidungsrecht haben. Ende März/Anfang April 2009 teilte die VKA der Gewerkschaft ver.di mit, dass sie hierüber in ihren Gremien beraten und in dem für den 26.05.2009 vereinbarten Verhandlungstermin Stellung nehmen würde. Am 09.04.2009 forderte ver.di die VKA zur Aufnahme von Tarifverhandlungen für die Gesundheitsförderung am 29.04.2009 in Berlin auf. Am 17.04.2009 wies die VKA die nicht abgestimmte Einladung zu diesen Tarifverhandlungen zurück und verwies darauf, dass sie nach ihrer Präsidiumssitzung am 26.05.2009 auf den geforderten Tarifvertrag zur Gesundheitsförderung reagieren werde. Nach einer Urabstimmung teilte der Bundesvorstand von ver.di am 14.05.2009 mit, dass die Kita-Beschäftigten ab dem 15.05.2009 zu unbefristeten Streiks aufgerufen seien. Ver.di kündigte der Stadt Kiel am 14.05.2009 für Freitag, den 15.05.2009, und für Dienstag, den 19.05.2009, Streiks in den Kindertagesstätten u.a. der Stadt Kiel an.

Nach Auffassung des ArbG Kiel verstößt der Arbeitskampf nicht nur gegen das ultima-ratio-Prinzip, sondern soll er auch der Durchsetzung rechtswidriger Tarifforderungen dienen. Der geforderte Tarifvertrag zur Gesundheitsförderung mit der Statuierung einer betrieblichen Kommission verstoße gegen das Mitbestimmungsrecht des Landes Schleswig-Holstein. Der Personalrat habe bei Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen nach dem Mitbestimmungsrecht Schleswig-Holstein (MBG SH) ein Mitbestimmungsrecht. Sofern es diesbezüglich nicht zu einer Einigung zwischen Arbeitgeber und Personalrat komme, habe hierüber nach dem MBG zwingend die Einigungsstelle zu entscheiden (§§ 51 Abs. 1, 54 Abs. 4 Nr. 4 MBG SH). Von dem nach dem MBG SH vorgesehenen Einigungsstellenverfahren könne nicht aufgrund abweichender tariflicher Regelungen abgewichen werden, § 90 MBG SH. Durch den geforderten Tarifvertrag würden die Befugnisse der Einigungsstelle in unzulässiger Weise auf die betriebliche Kommission übertragen. Da nach dem Tarifvertrag die Letztentscheidungen der betrieblichen Kommission ohne Rücksicht auf die Vorgaben des Haushaltsrechts zu erfüllen seien, verstoße der Tarifvertrag zudem gegen das Demokratieprinzip des Art. 28 GG, d.h. die verfassungsmäßig geschützte Gewährleistung der Selbstverwaltung und die damit verbundene finanzielle Eigenverantwortung der Kommunen.

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