Kommt die Internetsperre noch diese Woche? In entschärfter Version? (mit Update 16.06.2009)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 15.06.2009

Entgegen breiten Protesten aus dem Netz und einer überwiegend kritischen Expertenanhörung im Bundestag soll es jetzt noch in dieser Woche zu einer Verabschiedung eines Gesetzes kommen, das die Internetsperren gegen Kinderpornographie ermöglicht.

Der Protest war allerdings nicht überflüssig. Nach Informationen der taz soll in der jetzt diskutierten Entwurfsfassung ein unabhängiges Kontrollgremium, dessen fünf Mitglieder vom Bundesdatenschutzbeauftragten ausgewählt werden sollen, die Sperrliste des BKA mindestens alle drei Monate überprüfen. (Anmerkung: Ist das wirklich eine Frage des Datenschutzes?) Das Gremium soll die Liste auch jederzeit einsehen können. (Update: Neue Entwurfsfassung)

Die Daten, die beim Surfen auf gesperrte Seiten entstehen, sollen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden dürfen (also: Keine "Honigtopffunktion" der gesperrten Seiten. Die Sicherstellung dieser Regelung wäre allerdings eine Frage des Datenschutzes)

Des Weiteren fordert die SPD nach diesen Berichten, dass die Sperrregelung nicht im TMG sondern in einem speziellen Gesetz oder im TKG eingefügt und auf drei Jahre befristet werden solle. Die aus dem Netz vehement erhobene Forderung „Löschen statt Sperren" soll von der SPD-Seite als „Löschversuch vor Sperre" in die Diskussion eingebracht worden sein. Die Erfolgschancen dieser Forderungen sind aber noch völlig offen, zumal bis Donnerstag nicht mehr viel Zeit bleibt.

Was bislang noch völlig fehlt, ist eine gesetzliche Routine, auf welche Weise Domains, die einmal gesperrt wurden, wieder „entsperrt" werden können.

Wenn es wie geplant zu der Verabschiedung am Donnerstag kommt, wird also eine Internet-Sperr-Infrastruktur tatsächlich eingeführt, wenn auch gegenüber der ursprünglichen Planung der Familienministerin (die dies ja zunächst völlig ohne gesetzliche Grundlage durchziehen wollte) in einigen erheblichen Punkten „entschärft".

Aufschlussreiche Antworten des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfragen von FDP-Abgeordneten zum Thema Internetsperren finden sich hier.

Dieser Antrag von Björn Böhning wurde auf dem Parteitag der SPD jedenfalls nicht diskutiert.

Weitere Kritik an der derzeit diskutierten Version des Gesetzentwurfs   hier auf Internet-law.

 

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13 Kommentare

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Ich finde die Hast beklagenswert, in der massive Grundrechtseingriffe vorgenommen werden sollen, ohne eine öffentliche Debatte zuzulassen. Gerade von der SPD, die in der Vergangenheit ja oft genug Opfer von Zensur und Verboten war, wäre etwas mehr Sensibilität zu erwarten gewesen.

Uns bleibt nur erneut auf das BVerfG zu vertrauen. Leider hat das BVerfG in der Vergangenheit ja nur die extremsten Auswüchse aufgehoben oder durch Vorbehalte eingeschränkt, statt die gesamte Regelung aufzuheben. Hier wünsche ich mir eine Änderung in der Spruchpraxis. Ganz offenbar haben die Politiker erlernt, einfach Maximalwünsche zu formulieren und im Übringen auf das BVerfG zu vertrauen. Der Politik obliegt es aber zuerst sich selbst mit dem Schutz der Grundrechte zu befassen. Wenn das BVerfG bei Verfassungswidrigkeit auch nur von Teilen der Reglung zur Aufhebung der Gesamtregelung greifen würde, müssten die Verfassungsgemäßheit der Gesetze in der Politik auch wieder eine Rolle spielen. Eine ausgewogene Politik zu erzwingen: Diese Macht hat wohl nur noch das BVerfG. Dem Bürger stehen dazu in der repräsentativen Demokratie die Mittel nicht zur Verfügung.

Erschütternd. Erschütternd, wie langsam es in Berlin üblicherweise dauert, Gesetze zu erlassen. Z.B. hatte die maßvolle Änderung des Unterhaltsrecht, von den ersten Diskussionen über dem ersten Gesetzesentwurf bis hin zum endgültigen Gesetz, Jahre gebraucht, um in geltendes Recht gegossen zu werden.

Wenn ich hingegen sehe, mit welcher Geschwindigkeit - nein Raserei - hier in die Infrastrukur der wohl wichtigsten technischen Entwicklung der letzten Jahre hineinreguliert wird, bin ich wahrlich überrascht, was die Politik, eine entsprechende Entschlossenheit vorrausgesetzt, leisten kann.

Die zahllosen und oft berechtigten Bedenken mag ich nicht wiederholen müssen. Die Gesetzesidee als solche kann ich, positiv interpretiert, nur als Versuch werten, den Transport strafbarer Güter zu erschweren - indem Autobahnmeistereien verpflichtet werden, von der Polizei ausgewählte Zufahrten zu sperren. Zwar werden Straftäter dann stattdessen die Landstraßen nutzen, aber egal, scheinbar hat wenigsten jemand mal an die Kinder gedacht.

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Kauz schrieb:
Die Gesetzesidee als solche kann ich, positiv interpretiert, nur als Versuch werten, den Transport strafbarer Güter zu erschweren - indem Autobahnmeistereien verpflichtet werden, von der Polizei ausgewählte Zufahrten zu sperren.

Fast. Es werden ja die Abfahrten gesperrt. Kernpunkt der politischen Kritik ist ja gerade, dass keine Versuche unternommen werden, die liefernden Seiten über deren Provider (Auffahrten) abzuknipsen, sondern erst beim Bundesbürger angesetzt wird (Abfahrt des Lasters). Das gilt leider gerade auch bei Computern mit Standort in Deutschland.

Frustrierend ist, dass inzwischen mehrfach bewiesen wurde, dass eine Email an die Abuseadresse der Provider genügt, um innerhalb von Stundenfrist die Seiten aus dem Netz zu bekommen. Und dass, ohne alle Bundesbürger zu überwachen. Und zwar bei Servern in praktisch allen Ländern.

Nebenfrage: Wie verhalte ich mich als Strafverteidiger eines angeblichen Konsumenten? Kann/darf/muss ich die Sperren umgehen? Im Ausland die Seite aufrufen? Den Tatvorwurf ungeprüft akzeptieren?

Hat jemand die aktuelle (heute erschienene) PKS näher ins Auge gefasst?

 

Wenn nein, hier ein paar Schmankerl: Besitz und Besitzverschaffung von Kinderpornographie ist um 25% eingebrochen, der angeblich kommerzielle Massenmarkt hat sich von 347 auf 123 Fälle um zwei Drittel reduziert(!), die Verbreitungsdelikte sind konstant geblieben.

Die Fälle des schweren Kindesmißbrauches zur Herstellung von Pornographie sind von 103 auf 81 Fälle gesunken (-20%).

 

Mehr zu den Zahlen (einschließlich Link auf die PKS): http://mogis.wordpress.com/2009/06/15/die-polizeiliche-kriminalstatistik...

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Würde der Bundespräsident sehenden Auges und möglicherweise gegen die Empfehlungen seiner Verfasssungsjuristen denn so ein Gesetz unterzeichnen?

Sind Stellungnahmen der den Bundespräsidenten beratenden Juristen (oder zumindest eine Tendenz deren Einschätzung) bekannt?

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Der Bundespräsident wird unterzeichnen [sic].

Ich kann mir bei diesem Personal in Berlin nicht vorstellen wie eine Besserung eintreten sollte. Das gilt hier für den Einzelfall wie im allgemeinen. Man kann oftmals (Regelfall) nur zuschauen. Wie Herr Voigt schon anmerkt muss man dabei (bei werthaltiger Arbeitsauffassung) auf das BVerfG vertrauen.

Zum (allgemeinen) Thema passend hat die SPD ja nun im Wahlprogramm beschlossen gegen eine Vorratsdatenspeicherung zu sein. Das muss man sich einmal vor Augen halten. Wer hierbei nicht das Vertrauen in Politiker heutiger Generation verliert, der ist ganz schön schlecht informiert.

Grüße

ALOA

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Sehr geehrter Herr Voigt,

lassen Sie mich kurz antworten: Sie schreiben: "Frustrierend ist, dass inzwischen mehrfach bewiesen wurde, dass eine Email an die Abuseadresse der Provider genügt, um innerhalb von Stundenfrist die Seiten aus dem Netz zu bekommen."

Das ist in der Tat so, aber lässt sich möglicherweise nicht beliebig reproduzieren. In diesem Beitrag habe ich mich mit dem Argument auseinandergestezt. Ich halte eine Art FSK des Internet, die solche untechnischen "Abmahnungen" durchführt, für durchaus eine gute Idee. Fraglich ist alleridngs, ob dies der Staat (sprich: die Polizei) tun sollte oder dürfte.

"Und das, ohne alle Bundesbürger zu überwachen."

Meines Erachtens ist zwar die Sperre rechtlich problematisch, aber sie bedeutet keine "Überwachung" aller Bundesbürger.

"Wie verhalte ich mich als Strafverteidiger eines angeblichen Konsumenten? Kann/darf/muss ich die Sperren umgehen? Im Ausland die Seite aufrufen? Den Tatvorwurf ungeprüft akzeptieren?"

Das bloße Ansurfen einer Seite mit (angeblicher oder tatsächlicher) Kinderpornographie ist nicht strafbar, bislang setzt § 184 b StGB den Vorsatz der Besitzverschaffung voraus, ggf. sollte man den Browser-Cache abschalten.  Die strafrechtlichen Fragen habe ich hier schon erörtert (in den dortigen Kommentaren 4, 13 und 29). Aber Sie brauchen ja als Verteidiger auch etwas für die "Akte". Dann wird hier § 184 b Abs. 4 einschlägig sein, wenn Sie pflichtgemäß den Vorwurf gegen einen Mandanten überprüfen.  Die Umgehung einer Sperre ist ebenfalls (noch) nicht strafbar und technisch bei den bislang geplanten Sperren auch leicht durchzuführen.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

vielen Dank für Ihre Antwort.

Prof. Dr. Henning Ernst Müller schrieb:

"Und das, ohne alle Bundesbürger zu überwachen."

Meines Erachtens ist zwar die Sperre rechtlich problematisch, aber sie bedeutet keine "Überwachung" aller Bundesbürger.

Nach dem aktuellen Gesetzentwurf haben Sie - bezogen auf das "Stoppschild" - recht. Überwacht werden alle Bundesbürger (genauer, jeder der sich auf dem Territorium der BRD befindet) durch die Vorratsdatenspeicherung. Persönlich mache ich mir schon sorgen, dass die Daten aus der Vorratsspeicherung mit der Sperrliste abgeglichen werden, selbst wenn die Daten der Stoppseite nicht protokolliert werden sollten. Nach meiner - begrenzten - technischen Erfahrung speichern aber die Dienstanbieter aus Eigeninteresse meist weitaus mehr als für die Erbringung der Leistung nötig. So speichert die Telekom nach eigener Auskunft auch bei Flatratekunden die Internetnutzung und die Telefonverbindungsdaten PARALLEL zu den im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung vorgehaltenen. Der Verbindungsversuch wird also an mehreren Stellen protokolliert und ist damit (weil die Verbindungsdaten leichter erreichbar sind) praktisch für die Strafverfolgungsbehörden abrufbar.

 

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar,  hat sich wohl auch gefragt, was denn ein Gremium, das eine polizeiliche Kinderpornographie-Sperrliste überwachen (und damit auch legitimieren) soll, mit Datenschutz zu tun hat. Deshalb auch sein etwas verwundert klingender Brief.

 

 

Ach wissen Sie Herr Prof. Dr. Ernst Henning Müller,

der liebe Herr Schaar hat sich wohl lediglich (immer) noch nicht so ganz mit der Rolle abgefunden welche ihm (bzw. seinem Posten) zunehmend von der Politik zugedacht wird.

Grüße

ALOA

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Ich habe eben noch einmal die neue Fassung gelesen.

Punkte:

- "Nicht für Zwecke der Strafverfolgung"

- "Stichprobe.... relevante Anzahl"

Das bedeutet (bitte korrigieren):

A) Die Daten werden sehr wohl erhoben und gespeichert. Es befindet sich weder für das erheben, das speichern und darauf aufbauend auch nicht für das löschen eine Formulierung im Gesetz. (Und die Frage an die Juristen hier ist, ob das überhaupt so möglich ist. Irgendwie ist mir so etwas im Gedächtnis als ob nicht (Kfz-Kennzeichen und so), aber möglich das es mich trügt und ich es verwechsle.)

B) Ebenso ist mir nicht klar ob ein Verbot der Verwertung für eine Strafverfolgung eine Verwertung für einen (zu erhärteten) Verdacht
 aufgrund einer anderen Datenbasis ausschließt. (Also nicht im Prosess gegen ihn verwendet werden wird, aber sehr wohl für eine sagen wir untermalung einer Durchsuchungsanordnung oder der Anordnung einer Überwachung herhalten kann. Das zielt in Richtung dem von Hr. Voigt geäußerten Vermutung des Datenabgleiches mit anderen Datenbeständen.)

C) Bei einer recht hohen zu erwartenden Anzahl von Sperren innerhalb von 3 Monaten (an ein paar wenige glaube ich nicht) wird (so nehme ich an) das Quorum für "relevant" unterhalb von 10% liegen mit fallender Tendenz. Das erhöht vor allem bei wechselndem Content (also von illegal zu legal) die Fehlerquote enorm. Nach 5 Jahren wird mit 4 Prüfungen im Jahr bei einer möglicherweise per Hand vorselektierten "Bestenliste" die Relevanz der Sichproben mit einer Lupe zu suchen sein. Man kann auch erklären das bei 1000 Seiten 30 "relevant" wären wenn keine Fehler getroffen wurden. Kein festes Quorum bedeutet mithin, das es absichtlich kein festes Quorum gibt. Man hätte leicht 10% oder 20% hinein schreiben können. So hat man es der Justiz überlassen die Mindestmarke dafür festzulegen - für die allfällige Klage  dagegen.

 

Typisches (unterstes) Gesetzes-Niveau in meinen Augen.

Ganz nett dieser Artikel (Handelsblatt) mit dem Unertitel "Gewaltenteilung aufgehoben":

http://www.handelsblatt.com/politik/handelsblatt-kommentar/dammbruch-im-...

Grüße

ALOA

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