Fehlverurteilung wegen Totschlags – und was sagt die Staatsanwaltschaft?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 17.06.2009

Im März dieses Jahres wurde die Leiche des seit 2001 vermissten Landwirts Rudi R. in Neuburg aus der Donau geborgen. Drei Monate später (!) liegt nun das endgültige Gutachten der Gerichtsmedizin vor: Nichts deutet auf eine Fremdeinwirkung, die zum Tode des R. führte. Angehörige des R. sind 2005 wegen Totschlags zu inzwischen vollstreckten Jugendstrafen und Freiheitsstrafen von 8 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Sie hatten in - nicht näher polizeilich dokumentierten - Geständnissen angegeben, den Bauern erschlagen, dessen Leiche zerlegt und sie den Hunden zum Fraß gegeben zu haben. Die Geständnisse wurden vor der Hauptverhandlung widerrufen. Obwohl keinerlei Sachbeweise vorlagen, die die Geständnisversion stützten (insbesondere keinerlei Spuren der angeblichen Leichenzerteilung), wurden die Angeklagten verurteilt.

Nur ein Detail aus der Hauptverhandlung, wie es damals im Donaukurier geschildert wurde:

„Schwierig gestaltete sich gestern die Vernehmung des Mitarbeiters eines Schrotthändlers, in dessen Betrieb im Donaumoos laut Anklage der Mercedes des verschwundenen Bauern nach dem Verbrechen entsorgt worden war. Der 37-Jährige hatte das bei einer polizeilichen Anhörung zunächst bestätigt, wollte von dieser Aussage vor Gericht aber nichts mehr wissen. „Ich bin unter Entzug gestanden und hab irgendwas erzählt", erklärte der alkoholkranke Mann. Die Angst, seinen Chef zu belasten, war ihm förmlich anzusehen, denn dem Schrotthändler fühlt er sich verbunden: „Er ist der einzige Mensch, der mir geholfen hat", sagte er und berichtete, wie der Mann ihm nach einem Gefängnisaufenthalt aufgenommen und ihm einen Arbeitsplatz angeboten hatte. Erst als Vorsitzender Georg Sitka und Oberstaatsanwalt Christian Veh mit der Festnahme wegen Falschaussage drohten, räumte der 37-Jährige ein, dass in der fraglichen Nacht tatsächlich ein Mercedes im Schrotthandel seines Chefs beseitigt worden war."

Es geht um den Mercedes, den man einige Jahre später mitsamt dem gewaltlos zu Tode gekommenen Rudi R. aus der Donau geborgen hat. Aber der Vorsitzende Richter und der Oberstaatsanwalt waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie dem Zeugen mit Strafverfolgung drohten und ihn offenbar auf diese Weise tatsächlich (fahrlässig) zu einer Falschaussage nötigten. Aber vielleicht ist ja im Schrotthandel (zufällig) ein anderer Mercedes beseitigt worden. Auch über das damalige Plädoyer von OStA Veh (er forderte lebenslange Freiheitsstrafe für die beiden erwachsenen Angeklagten) berichtete der Donaukurier ausführlich.

Dies soll aber nicht der Inhalt meines Beitrags sein, denn niemand ist vor Irrtümern gefeit.... Thema des Beitrags soll die erstaunliche Nonchalance sein, mit der jetzt von Seiten der Staatsanwaltschaft auf ein von ihr mit zu verantwortendes Fehlurteil reagiert wird. Wenn stimmt, was Spiegel Online schreibt (hierauf ist allerdings ja nicht immer Verlass), dann hat die Staatsanwaltschaft so reagiert:

"Die Akten liegen uns bereits vor. Wir prüfen derzeit die Anträge der Pflichtverteidiger auf Prozesskostenhilfe. Wenn die gestattet werden, rechnen wir mit den Anträgen auf Wiederaufnahme", sagt Peter Pöhlmann von der Staatsanwaltschaft Landshut SPIEGEL ONLINE."

Alles deutet darauf hin, dass hier ein Fehlurteil vorliegt, und der zuständige Staatsanwalt wartet das Prozesskostenhilfeverfahren ab? Und Helmut Walter, Leitender Oberstaatsanwalt von Ingolstadt, der zuvor zuständigen Staatsanwaltschaft, hält

„die Falschgeständnisse für "verwunderlich". "Der Fall ist sicher ungewöhnlich", sagt der Chefermittler SPIEGEL ONLINE. Eine Wiederaufnahme allerdings sieht er nicht als selbstverständlich und hält an den Tatvorwürfen fest."

Auch wenn die Wirklichkeit dem Urteil widerspricht, muss man am Urteil festhalten? Ist es so schwierig, einen Irrtum einzugestehen und das zu tun, was Wahrheitsfindung und Recht gebieten?

Einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kann auch die Staatsanwaltschaft stellen (§§ 360, 365, 296 StPO). In einem Fall wie diesem, bei dem offenkundig Menschen zu Unrecht bestraft wurden, weil nun die tatsächlichen Urteilsgrundlagen durch neue Tatsachen falsifiziert werden, verdichtet sich das Antragsrecht m. E. zu einer Pflicht - jede staatliche Gewalt unterliegt schließlich dem Rechtsstaats"gebot". Erst Recht in einem Fall, in dem man vorab offenbar versäumt hat, entlastende Anhaltspunkte zu ermitteln oder angemessen zu würdigen. Auch die sofortige Unterbrechung der Vollstreckung nach § 360 Abs.2 StPO kann gerichtlich angeordnet werden (sofern die Verurteilten noch inhaftiert sind) , um das Wiederaufnahmeverfahren ohne weitere Rechtsverletzungen durchzuführen...

Zur Kriminologie von Falschgeständnissen möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt  noch einen Beitrag einstellen, aber auch dazu wurde schon im blog diskutiert.

 

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22 Kommentare

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Wäre es für die entsprechenden Amtsträger der StA nicht nur prozessual, sondern auch materiellrechtlich in ihrem ur-eigenen Interesse,  alles zu tun, dass die offensichtlich zu Unrecht Verurteilten alsbald auf freien Fuß kommen? Immerhin ist die StA auch Strafvollstreckungsbehörde. Und eine "Freiheitsberaubung im Amt" ist zwar nicht gesetzlich normiert, wohl aber die "Vollstreckung gegen Unschuldige", § 345 StGB.

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Sehr geehrter Herr Jens,

§ 345 StGB wäre einschlägig, wenn gegen einen Unschuldigen vorsätzlich zu Unrecht eine Strafe vollstreckt wird. Aber § 345 bezieht sich allein auf die formal rechtswidrige Vollstreckung. Solange ein rechtskräftiges Urteil vollstreckt wird, ist die Staatsanwaltschaft im "grünen" Bereich, selbst wenn sie annehmen muss, dass das Urteil materiell ein Fehlurteil ist. 

Eher zu denken ist an § 239 StGB und zwar durch Unterlassen, wenn die Staatsanwaltschaft zu einem Antrag auf Wiederaufnahme und Vollstreckungsunterbrechung, wie ich oben versucht habe zu begründen, verpflichtet wäre und auch ein entsprechender Vorsatz (man denke auch an die Sperrwirkung des § 339 StGB) vorläge. Ich begebe mich da allerdings, zugegebenermaßen, auf eisiges Neuland, und müsste noch einmal darüber nachdenken...

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@ Nr.2

Die Mutmaßungen und Begründungen, wie ich sie hier lese,  müssen einen Demokraten ängstigen.

Hatten wir das gerade in diesem Land nicht schon mal, dass sich Juristen bei offenkundigem Unrecht hinter Paragraphen versteckt haben?

Und haben nicht die Mütter und Väter des GHrundgesetzes genau deswegen, um dieses furchtbaren Juristen das Schlupfloch zu entreißen, den Passus "an Recht und Gesetz" in die Verfassung eingefügt?

Ein Staatsanwalt, der nicht die sofortige Vollstreckungsunterbrechung verfügt, ist für den Job des Juristen in einem Rechtsstaat ungeeignet.

 

 

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Herr Vetter hat das auch schon zum Thema in seinem Blog gemacht. Interessant sind dort die Kommentare und Wertungen der Leser. Ganz witzig Nr. 1 und Nr. 3

 

http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/06/16/die-nie-verfutterte-...

  1. danebod meint: (16.6.2009 um 12:40)

    Und das ganz ohne Waterboarding - klasse Leistung!

  2. mrg' meint: (16.6.2009 um 12:44)

    könnte eine interessante sache für die damals zuständigen leute sein, die die verhöre geleitet haben ;)

  3. marcus05 meint: (16.6.2009 um 12:47)

    in Bayern brauchen wir kein neumodisches Waterboarding, wir foltern da noch ganz klassisch

  4. FH meint: (16.6.2009 um 12:48)

    Das wird sicher als tragischer Einzelfall undsoweiter abgetan.

    Davon mal ab - was bedeutet folgendes Zitat:

    "Die Akten liegen uns bereits vor. Wir prüfen derzeit die Anträge der Pflichtverteidiger auf Prozesskostenhilfe. Wenn die gestattet werden, rechnen wir mit den Anträgen auf Wiederaufnahme"

    Heißt das im Umkehrschluß: "Wenn die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt wird, bleiben die Leute im Knast"?

  5. thomas meint: (16.6.2009 um 12:49)

    @2: Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft!?

 

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Sehr geehrte Frau Ertan, 

obwohl "ganz witzig" wohl zutrifft, halte ich pauschale Abwertungen der Strafverfolgungsbehörden und Justiz insgesamt nicht für gerechtfertigt. Aber es sind eben solche gravierenden Einzelfälle, die besonders geeignet sind, das Vertrauen in diese Institutionen zu untergraben, wie man es auch in den Blogkommentaren hier wie dort erkennen kann. Da wir wohl in absehbarer Zukunft nicht auf Polizei und Strafjustiz verzichten können, kann es nur darum gehen, Fehlurteile (nach meinem Dafürhalten der GAU in der Strafjustiz) zu analysieren und dafür zu sorgen, dass sie möglichst vermieden werden. Vorschläge, wie Falschgeständnisse zu vermeiden bzw. zu erkennen sind, liegen seit Jahren auf dem Tisch. Die Polizei wendet die Ratschläge aber nicht an und die Staatsanwälte sehen sich leider nicht immer in der Rolle derjenigen, die ermittlungsleitend (auch) die Rechtsstaatlichkeit eines Verfahrens sichern sollen. 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Der Wiederaufnahmeantrag wird sicher erfolgreich sein, legt das zuständige Gericht die einschlägigen Kriterien des Bundesverfassungsgerichtes zugrunde

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20070516_2bvr009307.html

Demnach darf der Tatablauf im Kerngeschehen nicht einfach (ohne neue Hauptverhandlung) durch einen alternativen Tatablauf ersetzt werden, wenn die erste Variante nicht mehr haltbar geworden ist.

Nachdem also zweifelsfrei feststeht, dass eine (erneute) Verurteilung allenfalls nach neuer Hauptverhandlung möglich ist und der Antrag auf Wiederaufnahme unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten erfolgreich sein muss, so ist nicht nachvollziehbar, warum die bayerische Staatsanwaltschaft nicht sofort von sich aus diesen Antrag auf Wiederaufnahme stellt.

Jedenfalls ist es unzulässig, die Verurteilung aufrechtzuerhalten unter dem Motto "irgendwie werden die Verurteilten den Bauer schon umgebracht haben, wenn nicht so, dann eben anders".

 

- 2 BvR 93/07 -

Wie bereits dargelegt, steht für die Feststellung strafrechtlicher Schuld die Hauptverhandlung zur Verfügung. Sie ist von Rechts wegen so ausgestaltet, dass sie die größtmöglichste Gewähr sowohl für die Erforschung der Wahrheit wie für die bestmöglichste Verteidigung des Angeklagten bietet, der nicht als Objekt des Verfahrens behandelt werden darf (vgl.BVerfGE 57, 250 <275>) und dessen Unschuld bis zur Schuldspruchreife der Hauptverhandlung vermutet wird (vgl. BVerfGE 74, 358 <370 f.> ). Der Angeklagte kann dort Beweisanträge stellen, Zeugen befragen und sonst auf Gang und Ergebnis des Verfahrens in dem näher geregelten Maße Einfluss nehmen. Diese Möglichkeiten sind ihm abgeschnitten, wenn die in der Hauptverhandlung getroffene, jedoch unhaltbar gewordene oder ernstlich in Frage gestellte, Feststellung einer wesentlichen, den Schuldspruch begründenden Tatsache im Nachhinein durch eine andere ersetzt wird, die ohne Hauptverhandlung ermittelt wurde (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1994 - 2 BvR 2093/93 -, NJW 1995, S. 2024 <2025>). Dies verbietet es, ohne erneute Hauptverhandlung den festgestellten unmittelbaren Tatverlauf in einer Kernfrage der Beweisaufnahme durch einen anderen zu ersetzen oder eine Erschütterung der betreffenden Feststellungen unter Verweis auf denkbare alternative Verläufe für unmaßgeblich zu erklären, wie es das Oberlandesgericht bezüglich der vom Schwurgericht festgestellten Drehung des Opfers getan hat. Dadurch hat das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, auf den Prozess der Wahrheitsfindung in einer wesentlichen Frage angemessen einzuwirken.

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Sehr geehrte Frau Ertan,
danke für Ihren Beitrag. Wie die Staatsanwaltschaft den Fall möglicherweise heute sieht, ergibt sich aus einem Bericht des Donaukurier vom 12.05.:

"Im Oktober 2001, damals war Rudolf Rupp 52 Jahre alt, könnte das Opfer nach der Auseinandersetzung im Heinrichsheimer Wohnhaus noch gelebt haben, als ihn die Täter zum Stausee fuhren und mit seinem Mercedes an der Treppe ins Wasser rollen ließen. Im Wasser könnte der Mann das Bewusstsein wiedererlangt und verzweifelt versucht haben, aus dem Wagen zu kommen. Eine grausame Vorstellung - und eine reine Spekulation."

und: "Im Oktober 2001 hatte die Ehefrau Rudolf Rupp als vermisst gemeldet. In Wirklichkeit war er zuhause zu Tode gekommen - laut Landgerichtsurteil aus dem Jahr 2005 war er von den eigenen Angehörigen erschlagen worden. Die meisten Ermittler hegen keinen Zweifel daran, dass der Mercedes bereits im Oktober 2001 mit dem Opfer bei Bergheim versenkt worden ist - und danach siebeneinhalb Jahre an dieser Stelle ruhte. Ob man nach dieser langen Zeit gerichtsmedizinisch einen möglichen Ertrinkungstod nachweisen kann, bezweifeln die Fachleute allerdings. Die Staatsanwaltschaft hat ein ausführliches chemisch-toxikologisches Gutachten in Auftrag gegeben. "Wir lassen nach allem suchen, was möglich ist", sagt Oberstaatsanwalt Wolfram Herrle. Deshalb müsse man sich mit dem Gesamtergebnis noch gedulden - so eine Auskunft des Gerichtsmedizinischen Instituts von dieser Woche."


Die verschiedenen Versionen sind, wie Sie ganz richtig bemerken, eben nicht die Version des Urteils, und müssten erst einmal bewiesen werden.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller


Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

Sie haben mich völlig richtig interpretiert. Ich fand die Kommentare "ganz witzig", mehr nicht, und wollte nicht die Justiz grundsätzlich in Frage stellen.

Ich teile auch Ihr Unverständnis darüber, dass die Justiz in diesem Einzelfall nicht sofort alles tut, um den "GAU" zu bereinigen. Zumal ich denke, dass das Bundesverfassungsgericht (in obiger von mir zitierter Entscheidung) schon alles Wesentliche zu dieser Problematik gesagt hat. Man kann nur dem Staatsanwalt empfehlen, sich diese Entscheidung zur Wiederaufnahme durchzulesen. Dann wird er sehen, dass er nicht einfach eine andere Todesursache zugrunde legen kann, unter Beibehaltung der Verurteilung. Eine neue Hauptverhandlung ist zwingend erforderlich, wenn es rechtsstaatlich zugehen soll. Dann kann aber der Staatsanwalt auch über seinen eigenen Schatten springen und von sich aus die Wiederaufnahme beantragen.

Dann wäre als nächster Schritt naheliegend, wie Sie schon ausführten:

Auch die sofortige Unterbrechung der Vollstreckung nach § 360 Abs.2 StPO kann gerichtlich angeordnet werden (sofern die Verurteilten noch inhaftiert sind) , um das Wiederaufnahmeverfahren ohne weitere Rechtsverletzungen durchzuführen...

Ich verstehe nur nicht, warum die Justiz in diesem Einzelfall (allerdings wirklich ein GAU) derart fahrlässig mit dem Grundrecht auf Freiheit umgeht. Dies lässt darüber grübeln, ob es der Justiz wirklich in jedem Fall um Gerechtigkeit geht oder ob man nicht auf Teufel komm raus an einem einmal bestehenden Urteil festhalten will (nur um nicht eigene Fehler einzugestehen).

Sie haben auch ganz richtig die Problematik beschrieben: Fehler machen kann jeder. Es geht aber jetzt darum, wie die bayerische Justiz mit diesem Fehler umgeht. Da würde man sich ein etwas zügigeres Handeln durchaus wünschen. Entsetzt hat mich die offensichtlich ganz falsche Einschätzung der Staatsanwaltschaft, dass es doch völlig egal ist, ob der Mann nun den Hunden verfüttert wurde oder aber im Fluss ertrunken ist - Wiederaufnahme gibt es wegen einer solchen Lapalie nicht unbedingt. Eine solche Auffassung ist mit einem Rechsstaat schwer vereinbar, aber das hat Sie ja auch schon gestört.

Wollen wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft schnell ihre Meinung überdenkt und auf die Linie einschwenkt, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zur Wiederaufnahme vorgegeben hat.

beste Grüße,

Iris Ertan

 

 

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Noch ein kurzer Nachtrag zu #7:

Selbstverständlich wird die Staatanwaltschaft jetzt über andere Geschehensabläufe spekulieren.Vermutlich wird die Rechtsmedizin nichts Wesentliches dazu beitragen können. Aber das Wesentlichste ist schon gesagt: Es gibt keinerlei knöcherne Verletzungen, auch keinen zertrümmerten Schädel, und auch keine Verfütterung eines Leichnams. Damit ist zumindest die Version im Urteil zweifelsfrei widerlegt.

Es ist jetzt Aufgabe der Staatsanwaltschaft, ggf. neue Beweise für eine andere Version eines unnatürlichen Todes zu finden. Es ist aber nicht Aufgabe des Verurteilten, zu beweisen, dass der Tote doch auf natürlichem Wege gestorben ist.

Unklar bleibt immer noch das reine Phantasiegeständnis von drei der vier Verurteilten. Eine Massenhysterie erscheint doch wenig wahrscheinlich. Es spricht vieles dafür, dass hier doch sehr gezielte Beeinflussungen vorlagen (die Gründe für solche Falschgeständnisse sind ja mannigfaltig).

freundliche Grüße

Iris Ertan

 

 

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Einen Monat früher (April 2009)  in derselben Zeitung: "Die Staatsanwaltschaft bleibt gelassen. Sie will sich zu den gerichtsmedizinischen Ergebnissen nicht äußern. „Es ist nur ein vorläufiges Ergebnis der reinen Leichenöffnung", sagt Herrle. Die chemisch-toxikologischen Befunde stünden noch aus. Erst nach einer Gesamtschau werde die Staatsanwaltschaft Stellung beziehen. Außerdem, so Herrle, „kommt es nicht drauf an, wie jemand umgebracht wurde." Für ein Wiederaufnahmeverfahren müsste ein Freispruch in Frage kommen oder eine deutlich mildere Strafe. Dafür gebe es derzeit keinen Ansatzpunkt. Auch habe der Anwalt noch gar keinen Antrag gestellt. Über den müsste dann das Landgericht Landshut entscheiden. Staatsanwaltschaft und Gericht Ingolstadt blieben dann außen vor."
Der hervorgehobene Satz - ein angebliches wörtliches Zitat - zeigt in der Tat eine erschreckende Einstellung.

Im Januar 2004 gab es übrigens noch folgende Versionen beide ohne (vorsätzliches) Tötungsdelikt, ebenfalls zitiert aus dem Donaukurier:

"Eines der Mädchen soll offenbart haben, dass der Vater nach einer Auseinandersetzung und einem Sturz gestorben sei. Das war im Oktober 2001. Das Opfer soll sich seitdem in einem Gewässer in der Nähe von Neuburg befinden. (...) Bestätigt sich der Verdacht, hat sich die Vermisstensache dramatisch gewendet. Ursprünglich stellte sich der Vorgang für die Polizei ganz anders dar: Der Heinrichsheimer Landwirt, hoch verschuldet, kam mit seiner wirtschaftlichen Situation nicht mehr zurecht. Verhandlungen mit der Stadt um Baulandausweisung blieben erfolglos. Der Mann sah keinen Ausweg mehr und beging Suizid · so eine Annahme. Die Familie hatte ihn damals als vermisst gemeldet. Dass sich der bodenständige Landwirt ins Ausland abgesetzt haben könnte, kam weniger in Betracht."

Warum OStA Herrle beides jetzt nicht einmal mehr in Betracht zieht?


 

Was hindert eigentlich den Bürger daran, nunmehr Strafanzeige gegen die (un)sachbearbeitende Staatsanwaltschaft zu erstatten?

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Nach Ansicht von Oberstaatsanwalt Herrle scheint es nur dann ein Wiederaufnahme zu geben, wenn die neuen Tatsachen Einfluss auf die Verurteilung der Täter haben (so weit, so richtig). Eine gänzlich andere Todesart (als bisher dem Urteil zugrundegelegt) gehört seiner Ansicht nach nicht dazu (das verwundert).

Vermutlich gibt es nur dann (vielleicht) eine Wiederaufnahme, wenn der angeblich Ermordete lebendig aufgefunden wird.

http://www.tz-online.de/aktuelles/bayern/tz-toter-bauer-rudolf-kein-neue...

"Die neuen Ermittlungen müssten schon neue Tatsachen schaffen, die Einfluss auf die Verurteilung der Täter haben", sagte Oberstaatsanwalt Wolfram Herrle am Donnerstag in Ingolstadt. Ein anderer Tatablauf als bisher vermutet reiche allein nicht aus, um den Fall neu aufzurollen.

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Theorie und Wirklichkeit scheinen beim Thema Wiederaufnahme weit auseinanderzuklaffen.

Theorie:

- 2 BvR 93/07 -

Wie bereits dargelegt, steht für die Feststellung strafrechtlicher Schuld die Hauptverhandlung zur Verfügung. Sie ist von Rechts wegen so ausgestaltet, dass sie die größtmöglichste Gewähr sowohl für die Erforschung der Wahrheit wie für die bestmöglichste Verteidigung des Angeklagten bietet, der nicht als Objekt des Verfahrens behandelt werden darf (vgl.BVerfGE 57, 250 <275>) und dessen Unschuld bis zur Schuldspruchreife der Hauptverhandlung vermutet wird (vgl. BVerfGE 74, 358 <370 f.> ). Der Angeklagte kann dort Beweisanträge stellen, Zeugen befragen und sonst auf Gang und Ergebnis des Verfahrens in dem näher geregelten Maße Einfluss nehmen. Diese Möglichkeiten sind ihm abgeschnitten, wenn die in der Hauptverhandlung getroffene, jedoch unhaltbar gewordene oder ernstlich in Frage gestellte, Feststellung einer wesentlichen, den Schuldspruch begründenden Tatsache im Nachhinein durch eine andere ersetzt wird, die ohne Hauptverhandlung ermittelt wurde (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1994 - 2 BvR 2093/93 -, NJW 1995, S. 2024 <2025>). Dies verbietet es, ohne erneute Hauptverhandlung den festgestellten unmittelbaren Tatverlauf in einer Kernfrage der Beweisaufnahme durch einen anderen zu ersetzen oder eine Erschütterung der betreffenden Feststellungen unter Verweis auf denkbare alternative Verläufe für unmaßgeblich zu erklären, wie es das Oberlandesgericht bezüglich der vom Schwurgericht festgestellten Drehung des Opfers getan hat. Dadurch hat das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, auf den Prozess der Wahrheitsfindung in einer wesentlichen Frage angemessen einzuwirken.

 

Wirklichkeit:

http://www.faz.net/s/Rub77CAECAE94D7431F9EACD163751D4CFD/Doc~E49F23B497C...

Der Rudi ist wieder da.

Über eine Wiederaufnahme des Falles wird nun das Landgericht Landshut entscheiden. Die zweite Chance für die Verurteilten scheint jedoch keineswegs sicher. Denn dass Rudi R. offensichtlich nicht an die Hunde verfüttert wurde, heiße ja nicht unbedingt, dass seine Familie an seinem Tod unschuldig sei, sagt der zuständige Staatsanwalt Ralph Reiter. „Wir müssen uns nun vorstellen, welches Urteil das Gericht in Ingolstadt gefällt hätte, wenn es damals schon die Leiche gehabt hätte", sagt Reiter. Nur wenn das neue Urteil gravierend anders als das damals gefällte ausgefallen wäre, würde der Fall neu verhandelt werden - es muss also geprüft werden, ob der Unsinn unsinnig genug war.

 

Nö, Herr Reiter, so ist es eigentlich nicht, in der Theorie (des Bundesverfassungsgerichts). Wir haben keine hypothetische virtuelle Hauptverhandlung, in der sich der Staatsanwalt überlegt, was der zuständige Richter gedacht und entschieden hätte, wenn er die richtigen Fakten auf dem Tisch gehabt hätte: nämlich einen unversehrten Leichnam und den Nachweis eines unsinnigen (und widerrufenen) Geständnisses, und in der es auf die Verteidigung des Angeklagten gar nicht mehr ankommt (weil man sich ja alles hypothetisch durchdenken kann).

Jedoch mögen Sie recht haben: In der Praxis wird halt nur geprüft, ob das Urteil unsinnig genug für eine Wiederaufnahme ist. Ansonsten gilt: Irgendwie wird die Familie den Bauern schon umgebracht haben. Wenn nicht so, dann eben irgendwie anders. Und verteidigen müssen die sich nicht in einer neuen Hauptverhandlung (wie das Bundesverfassungsgericht irrigerweise meint), denn die Täter hätten doch einfach in der ersten Hauptverhandlung ein wahrheitsgemäßes Geständnis ablegen können, und nicht diesen Unsinn erzählen müssen.

So denkt Herr Reiter. Hoffentlich sieht das Landgericht Landshut die Sache anders und hält nicht nur das erste Urteil für unsinnig, sondern auch die Rechtsauffassung des Herrn Staatsanwalt.

 

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So langsam tut sich was (bei der Staatsanwaltschaft):

Doch so, wie das Gericht urteilte, kann es nicht gewesen sein, denn die skelettierte Leiche, die in dem geborgenen Wagen entdeckt wurde, war gerichtsmedizinisch und chemisch-toxikologisch unauffällig. Für die Verteidiger ist das Urteil des Landgerichts Ingolstadt damit nicht mehr haltbar. Sie streben am Landgericht Landshut ein Wiederaufnahmeverfahren an.
 
Noch steht eine Entscheidung aus. Wittmann zeigt sich aber "felsenfest davon überzeugt, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird".

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Landshut meinte, das sei noch nicht sicher, aber auch nicht aussichtslos.

http://www.donaukurier.de/nachrichten/aktuellesthema/Neuauflage-des-Rupp...

So häufig kommt es ja nicht vor, dass ein widerrufenes Geständnis, welches wesentliche Grundlage für eine Verurteilung war, sich durch Auffinden des Toten als weitgehend falsch erweist. Wie man damit umgehen soll, ist sicher nicht Routine bei der Staatsanwaltschaft Landshut.

 

 

 

Sehr geehrte Frau Ertan,

danke, dass Sie hier nachrecherchiert haben.

Es ist wohl gut, dass nicht die Staatsanwaltschaft zuständig ist, die die Anklage im Ausgangsverfahren vertreten hat, denn es ist offenbar eine sehr große (vor allem psychologische?) Hürde, ein solches Verfahren wieder aufzurollen, wenn man derart überzeugt ist, dass die "Schuldigen" zutreffend verurteilt wurden.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Noch ein Zufallsfundstück (auf der Suche nach Informationen, ob und wie sich die Sache weiterentwickelt). Offenbar hatten die umtriebigen Mordermittlungen noch ein weiteres Opfer. Aber die unberechtigte Untersuchungshaft des Schrotthändlers wegen Strafvereitelung (angebliche Beseitigung des Mercedes, s.o.) macht ja nichts, denn sie konnte in einem späteren Urteil "berücksichtigt" werden.

Spielt die Justiz auf Zeit? Oder warum kommt man erst jetzt auf die Idee, die Identität der Wasserleiche Rudi "zweifelsfrei" feststellen zu wollen? Zeit, in der die bisher Verurteilten weiter im Gefängnis sitzen müssen.

Bekanntlich stützte sich das damalige Urteil auf die (widerrufenen) Geständnisse der Beteiligten. So viel sollte mittlerweile feststehen: die Geständnisse waren falsch, was den Tatablauf anging. Somit sind auch die Urteilsfeststellungen erschüttert. Ob es andere Beweise (außer den falschen Geständnissen) für eine Täterschaft gibt, kann nur die Wiederaufnahme des Verfahrens zeigen.

Man sollte aber als Staatsanwaltschaft nicht darüber spekulieren, ob die Verurteilten den Rudi dann eben auf andere Weise (als die Urteilsfeststellungen annehmen) um die Ecke gebracht haben. Ort für solche Überlegungen ist allenfalls die Hauptverhandlung.

Jedoch scheint die Staatsanwaltschaft immer noch einer Wiederaufnahme ablehnend gegenüber zu stehen. Warum eigentlich? Ist es Tradition, Brauchtum oder ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Justiz Wiederaufnahmen stets blockiert?

http://www.augsburger-allgemeine.de/Home/Lokales/Neuburg/Lokalnachrichte...

Bis Ende diesen Jahres soll über den Wiederaufnahmeantrag Wittmanns entschieden werden. „Aber es ist kein Geheimnis, dass die Staatsanwaltschaft die Erfolgsaussichten eher gering einschätzt“, so Pressesprecher Reiter. Die Landshuter Staatsanwälte werden ihre Empfehlung in den kommenden Wochen an das Landgericht Landshut weitergeben.

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Wie mir heute bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Landshut mittlerweile zum Wiederaufnahmeantrag negativ Stellung genommen. Von neuen Erkenntnissen verlautet nichts. Offenbar meint man auch in der StA Landshut, dass die neuen Tatsachen nicht geeignet sind, eine Freisprechung oder geringere Bestrafung zu begründen. Das LG Landshut wird nun entscheiden müssen.

Wie die Südeutsche Zeitung schon vergangene Woche meldete, wurde die verurteilte Witwe des Opfers freigelassen. Allerdings aufgrund ihrer Krankheit, nicht, weil man seitens der Justiz inzwischen die Wiederaufnahmegründe für stichhaltig hielte. (Quelle)

Das Landgericht Landshut hat mit Beschluss vom 17. November die Wiederaufnahme abgelehnt. Das ist schon ein Armutszeugnis für die Justiz, die sicherlich auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen kennt:

"Dies verbietet es, ohne erneute Hauptverhandlung den festgestellten unmittelbaren Tatverlauf in einer Kernfrage der Beweisaufnahme durch einen anderen zu ersetzen oder eine Erschütterung der betreffenden Feststellungen unter Verweis auf denkbare alternative Verläufe für unmaßgeblich zu erklären"

Insofern ist dem Anwalt (der ohnehin bei der Wiederaufnahme viel Hirnschmalz verbrät für einen Appel und ein Ei) recht zu geben, der erklärte:

http://www.donaukurier.de/lokales/kurzmeldungen/ingolstadt/Fall-Rudi-Rup...

Für Verteidiger Klaus Wittmann ist die Entscheidung des Landshuter Landgerichts rechtlich nicht nachvollziehbar. "Aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist es nicht zulässig, im Wiederaufnahmeverfahren den durch das Ausgangsgericht festgestellten Sachverhalt auszuwechseln und an seine Stelle einen erdachten, neuen Sachverhalt einzusetzen", erklärte er. "Die Feststellung des konkreten Geschehensablauf einer Tat ist dem Gericht erster Instanz vorbehalten. Das Landgericht Ingolstadt hat einen konkreten Sachverhalt, wie Rudolf Rupp getötet worden sein soll, festgestellt. Diese Feststellungen sind durch die neuen Beweismittel widerlegt."

Hier hat das LG Landshut sozusagen lediglich geprüft, ob die vorhandenen Beweise auch für eine Verurteilung bei anderem Ablauf genügen würden, und hat dies bejaht. Damit aber werden die Rechte der Verteidigung beschnitten. Diese hat nur in der Hauptverhandlung die Möglichkeit, auf geänderte angenommene Abläufe mit Beweisanträgen zu reagieren. Insbesondere wäre auch in einer neuen Hauptverhandlung zu prüfen, wie denn die falschen identischen Geständnisse aller Angeklagten entstanden sind und wie dies zu bewerten ist.

Die Verteidigung wird wohl Beschwerde beim OLG München einlegen. Mal sehen, ob man sich dort etwas mehr Mühe gibt oder ob es "same procedure as every year / as usual" gibt - die Ablehnung der Wiederaufnahme.

Sehr geehrte Frau Ertan,

diese neue Nachrichtenentwicklung habe ich zum Anlass genommen, einen neuen Beitrag einzustellen. Vielen Dank für Ihre Kommentierung, die auch dort natürlich willkommen ist.

 

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Mann, Mann, Mann! Was sich da in Ingolstadt bei den Ermittlern und bei Gericht ereignet hat muss Gegenstand von strafrechtlichen Ermittlungen werden! Insbesondere die unplausiblen (mittlerweile widerrufenen) synchronen Geständnisse der angeblichen Täter gegenüber den Ermittlern und die rechtlich äußerst bedenkliche Weigerung der StA zur Wiederaufnahme finde ich extrem krass.

Und auch die Website von Helmut Karsten finde ich erschütternd. Auch wenn ich den Wahrheitsgehalt dort nicht prüfen kann, weil mir nur seine Quellen und Schilderungen zur Verfügung stehen. Ein ganzes (Berufs-) Leben ruiniert, weil der Richter gerade keinen Bock hatte, Zeugenaussagen auf Plausibilität zu prüfen und eine Eingabe des Ermittlers ernst zu nehmen?

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