Video zeigt: Offenbar grundlose Gewalttätigkeit Berliner Polizeibeamter

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 14.09.2009

Im Verlaufe des Tages hat ein auf youtube und verschiedenen anderen Websites veröffentliches Video eines Mitglieds des Chaos Computer Clubs hohe Wellen geschlagen (via Fefe und  lawblog). Am Rande der Demonstration "Freiheit statt Angst" kam es am Samstagabend zu einem Polizeiübergriff, der durch den Film dokumentiert wird. Zu sehen ist, wie ein offenbar friedlicher Radfahrer, der sich zuvor auf einem Zettel Notizen machte, von einem Polizeibeamten fortgeschickt wird und dieser Forderung auch nachkommt. Dann aber wird er von einem anderen Beamten von hinten ergriffen, und erhält sodann  Faustschläge ins Gesicht. Weder ist ein Festnahmegrund erkennbar, noch ein Anlass für die Faustschläge. (Allerdings ist mir aus diversen glaubhaften Berichten bekannt, dass einige Bereitschaftspolizeieinheiten Faustschläge ins Gesicht bei Festnahmen routinemäßig  einsetzen.)

Sollten die Berliner Polizeiverantwortlichen nicht die Kraft aufbringen, die hier beteiligten Beamten aus dem Dienst zu entfernen und die Justiz es nicht bewerkstelligen, die Straftaten zu ermitteln und zu ahnden, ist der Vorfall geeignet, das Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat nachhaltig zu beschädigen. Das Verhalten erinnert an Hooliganismus. Solche Beamte sind in der Polizei gründlich fehl am Platz.

Es ist leider bei Weitem nicht der erste Vorfall dieser Art (ein weiteres Beispiel hier), aber es ist wohl einer der wenigen, der so dokumentiert ist, dass auch die Gesichter der ansonsten meist wegen der Helme nicht identifizierbaren Beamten erkennbar sind, so dass die Tatverdächtigen leicht zu ermitteln sein werden. Um einem Missbrauch der Anonymität zu strafbaren Handlungen zu begegnen, wird schon seit längerer Zeit gefordert, dass - wie in vielen anderen Ländern - Polizeibeamte durch ID-Nummern oder Namensschilder identifizierbar sein sollten.

Erstaunlich schnell hat die Berliner Polizei auf das sich anbahnende katastrophale Bild in der Öffentlichkeit reagiert und eine Presseerklärung veröffentlicht, die sich allerdings teilweise im Widerspruch zu den Bildern befindet. So heißt es dort:

"Trotz wiederholter Aufforderungen, den Ort zu verlassen, störte insbesondere ein 37-Jähriger weiter. Die Beamten erteilten ihm schließlich einen Platzverweis. Nachdem auch dieser wiederholt ausgesprochen worden war und der Mann keine Anstalten machte, dem nachzukommen, nahmen ihn die Polizisten fest. Hierbei griff ein Unbekannter in das Geschehen ein und versuchte, den Festgenommenen zu befreien, was die Beamten mittels einfacher körperlicher Gewalt verhinderten. Der Unbekannte entfernte sich anschließend vom Tatort. Der 37-Jährige erlitt bei seiner Festnahme Verletzungen im Gesicht und kam zur Behandlung in ein Krankenhaus."

Bis hierher hat man den Eindruck, die Pressemitteilung wolle den Einsatz rechtfertigen und den Beamten einen Freibrief ausstellen, indem die Realität, vorsichtig ausgedrückt, "verzerrt" wird. Schließlich ist  auf dem Film eindeutig erkennbar, dass sich der Fahrradfahrer (der 37-jährige) nach der Aufforderung entfernt und erst dann durch den von links herbeieilenden Beamten ergriffen wird. Die nach den anlasslosen Schlägen der Polizei eingreifenden Personen dürften in Nothilfe handeln. 

Am Ende der Pressemitteilung heißt es :

"Die Vorgehensweise der an der Festnahme beteiligten Beamten einer Einsatzhundertschaft, die auch in einer im Internet verbreiteten Videosequenz erkennbar ist, hat die Polizei veranlasst, ein Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt einzuleiten. Das Ermittlungsverfahren wird durch das zuständige Fachdezernat beim Landeskriminalamt mit Vorrang geführt."

Ein Berliner Rechtsanwalt hat zudem Strafanzeige erstattet.

Man kann nur hoffen, dass diese Ermittlungen nicht im Sande verlaufen. An verschiedenen Stellen im Internet werden nun Zeugen gesucht. Die Polizei sollte auch das von ihr selbst gedrehte Video nicht vergessen - am Ende des Films ist ein Beamter mit Kamera zu sehen.   Sicherlich werden diese Ermittlungen mit besonderer Aufmerksamkeit in der (Internet-)Öffentlichkeit verfolgt werden. 


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15 Kommentare

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Dass der Radfahrer sich entfernt hätte, könnte zweifelhaft sein, weil die Beamten ihm den Weg (vomZuschauer aus gesehen) nach links weisen, dieser sich aber nach rechts und damit wohl zu dem Platz und in die Menscvhenmenge hinein zurück begibt, von dem er wohl verwiesen worden war.

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Nun, das überrascht einen Demonstrationserfahrenen eigentlich kaum. Ich selbst habe auch bereits einige Schläge und Tritte kassiert, die nicht Reaktion auf unrechtmäßiges Verhalten, sondern nur IQ-gemäße Antwort auf mündlich vorgebrachte Einsatzkritik waren.

Natürlich ist es für den bürgerlichen Geist noch der böse Autonome, der irgendwie Keimzelle der ganzen Gewalt sein soll. Dass die "schwarzen Blöcke" ihrerseits als Abwehr gegen Polizeigewalt überhaupt erst entstanden sind, wird da gern ausgeblendet. Letztlich ist das eine schon lang gehende ständige Eskalation. Und den BILD-Zeitungsleser freut es freilich, wenn ein paar ihm unsympatische Menschen ein paar auf die Mütze bekommen. Der differenziert auch nicht so genau, wer da eins auf die Mütze bekommt. Selbst schuld, wer sich so in Gefahr begibt.

Ich hoffe, im vorliegenden Fall ist die kritische Geschwindigkeit bei der Verbreitung und Publikation erreicht. Sonst werden wir im Verfahren vor Gericht doch nur hören müssen, dass der Corpsgeist dafür sorgt, dass sich ein paar Kollegen der Schläger genau erinnern, dass es auch körperliche Wehr seitens des "Opfers" der Attacken gegeben hat.

Auf eine Strafe darf man eh nicht hoffen. Verfahren wird nichts bringen, hinterher 1 Jahr Innendienst, dann also auf Wiedersehen in 2-3 Jahren, mit Adrenalin im Blut und Knüppel in der Hand.

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Ich bin überzeugt, dass es bei Demos als auch im "normalen" Polizeialltag häufig durch nichts gerechtfertigte Gewalttaten von Polizeibeamten gibt. Auf dem Video (entwackelte Version) habe ich jedoch Schwierigkeiten den oben beschriebenen Sachverhalt zu erkennen. Ich sehe dort, ähnlich wie Herr Voß: Der Fahrradfahrer notiert zunächst umständlich irgendetwas. Er wird deutlich und wohl wiederholt darauf hingewiesen, sich nach links zu entfernen (Platzverweis?). Er geht nach rechts - wohl zur Gruppe. Ein Polizeibeamter zieht ihn darauf von hinten am Hemd zurück, wohl um ihn auf die andere Seite zu schieben/reißen. So wird er jedoch in die gerade eskalierende, unübersichtliche Schlägerei geschubst. Dort schlägt ein weitere Polizeibeamter, der sich im Getümmel befindet, den Radfahrer, der dem Polizeibeamten fast entgegenfliegt, ins Gesicht. Jetzt wird eine Frage sein, ob der schlagende Polizeibeamte irrtümlich hier nicht von einem Angriff des Radfahrers ausging. Bei einem solchen Getümmel wird der Polizeibeamte kaum mehr als einen auf ihn zukommenden/zustürzenden Menschen wahrgenommen haben. Dass der andere Beamte den praktisch dahingestoßen hat, wird nur schwerlich erkennbar gewesen sein. ODER?

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Das Video ist unglaublich, ich kann es nicht fassen.

Wie ein Berliner Rechtsprofessor mal treffend sagte: "Bedenken, wenn sie mal wieder die Ausweitung von Eingriffsbefugnissen der öffentlichen Gewalt fordern: Am ausführenden Ende des Rechtsstaats stehen kräftige junge Männer mit Knüppeln in der Hand."

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nun, wenn so die Schriftsätze "des besten Anwalts" in Berlin (oder ist Vergleichsmaßstab nur der Ortsteil Kreuzberg?) sind, nun denn ....

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Sehr geehrte Mitdiskutanten,

die Qualität von Anwälten ist ja hier nicht das Thema, aber weder (regionaler) Bekanntheitsgrad noch unbedingt einzelne Schriftsätze dürften als einziger Maßstab zweckdienlich sein.

@mediationsverweigerer (#4): Ihre Sichtweise des Videos erscheint mir doch etwas eigenwillig, besonders dieser Teil erscheint mir kaum realitätsbezogen:

"Jetzt wird eine Frage sein, ob der schlagende Polizeibeamte irrtümlich hier nicht von einem Angriff des Radfahrers ausging."

Offenbar sieht es auch die Berliner Polizei etwas anders, hier ein Bericht des Tagesspiegel.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

schau´n wir mal...

was ich da sehe, spricht zumindest von einem error in persona, der hier zu beachten sein kann, weil die Schläge gegen die anderen Personen, wenn diese angegriffen haben sollten, gerechtfertigt sein könnte,. Da fliegt der Radschieber halt - gestoßen oder geworfen von dem anderen Polizisten - dazwischen. Da der Radschieber eher unvorhergesehen zu dieser Personengruppe kommt/stolpert, spricht dafür, dass der schlagende Polizeibeamte den anderen Personen der dortigen Gruppe in das Gesicht schlagen wollte.Kann ja sein, dass manche meinen,man könnte als Teilnehmer bei einem solchen Handgemenge immer alles in Sekundenbruchteilen richtig mitbekommen.

Entscheidende Szenen sind halt nicht zu erkennen. Kurz bevor der andere Polizeibeamte den Fahrradschieber in die von ihm gewiesene Richtung zerrt, schubst, steht jemand vor der Kamera. Es fehlt das Agieren des schlagenden Polizeibeamten vor kurz vor dem Schlag. Unmittelbar nach dem Schlag schlägt der Polizeibeamte auf die anderen Personen weiter ein, wobei ich meine, dass  dies eigentlich seine alleinige Absicht war.

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Immerhin scheint das LKA Berlin die Vorwürfe ernst zu nehmen. Auch hat der Polizeipräsident, der sich seit längerem für Namensschilder bei seinen Beamten einsetzt, diese Pläne erneut bestätigt (Quelle).

Dass die Berliner Polizei an einer Aufklärung interessiert ist, ergibt sich auch aus diesem Bericht der Berliner Morgenpost (Quelle)

Und wieder stellt sich die Frage, ob die Polizei in diesem aktuellen Fall rechtmäßig gehandelt hat:

http://www.br-online.de/oktoberfest/aktuell/oktoberfest-sicherheit-neu-I...

Da nimmt die Polizei im Vorfeld der Wiesn zwei "Islamisten" vorläufig in Polizeigewahrsam, ohne dass ihnen irgendwelche Straftaten vorgeworfen werden. Somit handelt es sich um eine "rein vorbeugende Maßnahme", die auch noch bis zum Ende des Oktoberfestes am 04.10. aufrecht erhalten werden soll.

Die Rechtsgrundlage wird wohl in Art. 17 des bayrischen Polizeiaufgabengesetzes zu erblicken sein. Nur ob diese Maßnahme wirklich verhältnismäßig ist muss bezweifelt werden.

Zwar hält sich die Pressemitteilung über den genauen Grund der Ingewahrsamnahme sehr zurück, indem sie nur davon spricht, dass die beiden Festgenommenen in Kontakt zu einem bekannten Islamisten stehen würden, aber es scheint wieder ein Zeichen zu sein, dass in der heutigen Zeit der Sicherheitsgedanke der Behörden auch über den Interessen des Einzelnen steht und auch vor Freiheitsentziehungen - als einer der drastischsten Grundrechtseingriffe - nicht mehr zurückgeschreckt wird. 

Dieser Umstand scheint zwar in der Pressemitteilung unterzugehen, es ist aber zu wünschen, dass darüber intensiver berichtet wird, um festzustellen, ob die Polizei wieder einmal ihre Kompetenzen überschritten hat.

Sehr geehrter Herr Seidel,

bei der polizeilichen Ingewahrsamnahme in München handelt es sich um einen ganz anderen Fall von polizeilicher Maßnahme. Dazu habe ich jetzt einen weiteren Beitrag eingestellt, nämlich hier. Es wäre schön, wenn wir die Diskussion dort weiterführen könnten.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Ausgang:

- Anzeige der Polizisten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte abgelehnt, Gegenwehr war zulässig: http://www.taz.de/Nach-Angriff-auf-Freiheit-statt-Angst-Demo/!55562/

- Ermittlungen ziehen sich und ziehen sich, bis zur Verfahrenseröffnung dauert noch länger http://www.taz.de/Gewalt-gegen-Demonstranten/!61659/

- Widerspruch gegen Strafbefehl - Verfahren: http://www.taz.de/Polizisten-vor-Gericht/!85766/

- Urteil: 120 Tagessätze (263a Ds 96/10) http://www.heise.de/newsticker/meldung/Geldstrafe-fuer-Polizei-Brutalita... und http://www.taz.de/Urteil-zu-Polizeigewalt/!92537/

plus 10.000 Euro Schmerzensgeld auf Steuerzahlerkosten http://www.heise.de/newsticker/meldung/Berlin-zahlt-Schmerzensgeld-fuer-... und http://www.taz.de/!105186/

@Mein Name.

Wegen Art. 34 GG, 839 BGB gibt es eben keinen Direktanspruch des Verletzten gegen schlagende Polizisten, sondern nur gegen die jeweilige Anstellungskörperschaft (Land, Bund o.ä.) . Der Dienstherr kann aber den Polizisten für die Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen im Innenverhältnis in Regreß nehmen, 48 BeamtenstatusG und 75 BBG, welche Landesnorm das für Berlin regelt, habe ich auf die Schnelle nicht parat.

Also nicht bzw. nur vorläufig "auf Steuerzahlerkosten".

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