BGH und § 651 BGB: Anwendung von Kaufrecht auf Software-Erstellung ?

von Dr. Michael Karger, veröffentlicht am 09.11.2009

Eine Zeitlang war § 651 BGB ein Dauerbrenner in jeder IT-rechtlichen Diskussion: Handelt es sich bei Software um eine bewegliche Sache und ist deshalb auf die Erstellung von Software Kaufrecht und nicht (das eigentlich besser passende) Werkvertragsrecht anzuwenden? Viele Autoren haben sich dazu geäußert (darunter auch - schön zu lesen, da sehr humorvoll - Prof. Thomas Hoeren  in der Festschrift für Prof. Michael Bartsch). 

Zwischenzeitlich war es eine Weile still geworden um § 651 BGB, nicht zuletzt deshalb, weil im Palandt (nach meiner Erinnerung mit über verschiedene Auflagen hinweg wechselnden Begründungen) die Anwendung des § 651 BGB und die Verweisung ins Kaufrecht abgelehnt wurde und damit für Viele das Thema für's Erste erledigt war.

Bis zur Entscheidung des BGH vom 23.07.2009 - VII ZR 151/08 (= NJW 2009, 2877; CR 2009, 637), die nun allmählich im IT-Recht rezipiert wird.

Die Entscheidung betrifft die analoge Welt (Lieferung von Bauteilen für die Errichtung einer Siloanlage), ist aber auch für das IT-Recht relevant. Lesenswert hierzu die Anmerkung des Kollegen Martin Schweinoch in CR 2009, 640 f., der hier - und auch in einem aktuellen Beitrag in der Computerwoche Online - zum Ergebnis kommt, der BGH habe den Begründungen der Literatur zur Vermeidung der Anwendung von § 651 BGB ein klare Absage erteilt. Schweinoch verweist u.a. auf die ASP-Entscheidung des BGH (MMR 2007, 243), in der das Gericht klargestellt habe, dass Software eine bewegliche Sache sei. Damit wäre in der Tat die Auffassung von Palandt-Spree (68. Aufl. 2009 , Einf v § 631, Rz. 22) widerlegt. Dort heißt es zu individuellen Programmierleistungen:"§651 ist in diesen Fällen mangels Sacheigensch der Leistung nicht anwenb." 

Doch erster Widerspruch regt sich bereits: Der Kollege Thomas Stadler weist darauf hin, dass der BGH für diejenigen Fälle ein "Schlupfloch" gelassen habe, in denen der "Schwerpunkt des Vertrags in einer Art Planungsleistung" liege. In der Tat führt der BGH (Ziffer 25 der Entscheidung) aus, dass eine Ausnahme im Hinblick auf die Anwendung des § 651 BGB (allenfalls) dann gelten könne, wenn die Planungsleistung so dominiere, dass sie den Schwerpunkt des Vertrags bilde und deshalb die Anwendung des Werkvertragsrechts erfordere.

Damit wird man also (erneut) die Frage diskutieren müssen, was bei der Softwareerstellung typischerweise dominiert - die "Planung" im Sinne der Erstellung von Konzepten (etwa Grobkonzept und Feinkonzept) oder das "doing" im Sinne der "schlichten" Programmierung, wobei sich in der Praxis beides oft nicht trennen läßt bzw. parallel läuft. Stoff für neue Aufsätze, Vorträge und Seminare zum Thema, die bestimmt nicht lange auf sich warten lassen werden. 

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3 Kommentare

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Schweinoch hat seine Ansicht mittlerweile noch weiter vertieft in CR 2010, 1-8. Auch Schneider geht in ITRB 2010, 18, 23 (sogar unter Zitat dieses Beitrags im BeckBlog) ebenfalls darauf ein. Meine Ansicht, die der BGH ja in Rz. 22 ausdrücklich heranzieht, ist die entscheidende Frage, ob die Lieferung dem Vertrag das Gepräge gibt, oder andere Leistungselemente. Anders als in der alten Fassung des § 651 BGB steht die Lieferung im Zentrum, nicht die Herstellung. Dies wird in den Stellungnahmen oft nicht beachtet. Sicher gibt es nun IT-Lieferungen, die nach Kaufrecht zu beurteilen sind.
Bei den typischen großen IT-Projekten wird man aber sorgfältig abzuwägen haben, ob tatsächlich die Lieferung im Vordergrund steht.
Bei Regelungen in AGB wird gern auf die Klauselkontrolle verwiesen, die Abweichungen von Vertragstypen verbiete. Dabei muss aber beachtet werden, wer die AGB stellt und wer eventuell benachteiligt wird. Ersetzt man Übergabe (mit Prüfpflichten nach § 377 HGB) durch Abnahme, benachteiligt das die Systemhäuser, nicht die Kunden. In AGB eines Systemhauses wird eine solche Regelung dann wohl nicht an der Klauselkontrolle scheitern können.

Besten Dank an den Kollegen Dr. Lapp für das Update. Die Diskussion um § 651 BGB geht also in eine neue Runde. Bei den diesjährigen Kölner Tagen zum IT -Recht ist er gleich Gegenstand des Eröffnungsvortrags von Prof. Jochen Schneider (11. März 2010 - save the date).

Und ich habe nachgesehen: Im Januar-Heft des ITRB ist der Blogbeitrag tatsächlich erwähnt (ITRB 2010, 18, 22 Fußnote 35): Wie schön, wir sind also jetzt nachweislich zitierfähig ;)

Sicherlich lohnt es sich für jeden Juristen, der im Bereich Kauf- und Werkvertragsrecht tätig ist, die Entscheidung des BGH vom 23.07.2009 - VII ZR 151/08 zu lesen. Bislang hat mit jeder bestätigt, dass es sich um ein gut geschriebenes, instruktives Urteil handelt. Aber ist die Entscheidung auf den IT-Bereich übertragbar? Und werden dann vor allem die richtigen Schlüsse aus dieser Entscheidung gezogen?

Aus meiner Sicht stellen sich vor allem die folgenden 2 Fragen:

  1. Ist Individualsoftware eine Sache i.S.v. § 651 BGB?
  2. Wenn es sich um eine Sache handelt, wird Individualsoftware i.S.v. § 651 BGB "geliefert"?

Zu 1.: Gehen wir davon aus, dass für § 651 BGB der nationale Sachenrechtsbegriff gilt. Das nun gerne herangezogene Urteil des BGH vom 15.11.2006 - XI ZR 120/04 bezieht sich ausdrücklich nur auf Standardsoftware, s. dort die Randziffern 11 und 15. Das wird bisweilen übersehen.
Erhellend ist dann der Vergleich in der Entscheidung des Datenträgers mit einem Buch (Rz. 16). Nur auf dem ersten Blick passt das auch für Individualsoftware. In der Tat sind die Vertriebswege einer auf einer DVD verkörperten Standardsoftware und eines Buchs sehr ähnlich: Beide werden vielfach vervielfältigt "verkauft". Der Schwerpunkt liegt auf dem Erwerbsvorgang.
Das gilt nicht für eine Individualsoftware. Sie wird auf besondere Anforderung hin gefertigt. Sie kann eben nicht gleichsam "von der Stange" in einem Geschäft gekauft werden. Schon da hinkt also der Vergleich.

Zu 2.:  Der Schwerpunkt der Betrachtung dürfte eher bei der Erstellung als bei der Lieferung liegen. Der Auftraggeber möchte natürlich die Individualsoftware auf einem Datenträger haben, um sie konkret einsetzen zu können. Hierfür kommt aber schon ein elektronischer Dateiversand in Betracht, d.h. der Auftragnehmer muss die Individualsoftware nicht unbedingt selbst auf der DVD speichern. Wichtiger ist dem Auftraggeber aber, dass seine Anforderungen an die Eigenschaften der Individualsoftware erfüllt werden. Dahinter tritt deren Lieferung zurück.
Abgesehen davon - und damit kommen wir zum Kern - sind die Fälle einer isolierten Lieferung von Individualsoftware eher rar. Tatsächlich sucht der Auftraggeber i.d.R. eine bestimmte Lösung für eine bestimmte Anforderung. Der Auftragnehmer bietet dafür eine Planungsleistung (fachliche und technische Konzeption), deren Umsetzung in den Code einer bestimmten Individualsoftware sowie schließlich deren Implementierung in die Systemlandschaft des Auftraggebers.
Damit kommen wir m.E. schon sehr nahe an die "planerische Lösung eines konstruktiven Problems" i.S.e. Werkvertrags, von der der BGH in seiner Entscheidung vom 23.07.2009 (Rz. 25) spricht.

Daher mein Fazit: Es ist schon fraglich, ob Individualsoftware überhaupt eine Sache ist. Aber selbst wenn sie es sein sollte, liegt der Schwerpunkt der Leistung mehr bei der Problemlösung als bei der Lieferung. Und schließlich ist eine isolierte Individualsoftwarelieferung rein praktisch gesehen die Ausnahme.

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