OLG Oldenburg: Beweisverwertungsverbot bei Videobrückenmessungen -mit Volltext!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 03.12.2009

Der Volltext der Entscheidung ist zwar noch nirgends zu finden. Blogleser "Gumpalm" hat aber in SENSATION! BVerfG: Geschwindigkeitsmessungen, Abstandsmessungen etc. mit Video und Film (und auch Foto?) sind verfassungswidrig auf einen Artikel der "Zeit" hingewiesen, wonach das OLG Oldenburg anlassunabhängige Videomessungen (es ging wohl um Brückenabstandsmessverfahren) für verfassungswidrig und unverwertbar gehalten hat. Tatsächlich findet sichhier eine Pressemitteilung des OLG Oldenburg - darin heißt es (auszugsweise):

Die fortlaufende Überwachung der Fahrbahnen mit Videoaufnahmen zur Feststellung von Verkehrsverstößen wegen Abstandunterschreitungen oder Geschwindigkeitsverstößen ist unzulässig. Eine solche Dauervideoüberwachung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 und 2 Grundgesetz dar. Daraus gewonnene Messdaten können nicht als Beweismittel dienen. Das entschied jetzt der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Oldenburg mit Beschluss vom 27.11.2009 (Ss Bs 186/09).
 

Sicher darf man auf die ganze Begründung gespannt sein. Es dürfte sich um eine Messung mit alltem VKS oder eine alte VAMA-Messung handeln, denn sonst hätte das OLG sicher an den BGH vorlegen müssen. Bekanntlich hatte das OLG Bamberg nämlich in § 100h StPO eine Ermächtigungsgrundlage gesehen.

 

Nur wenige Minuten nach Verfassen dieser Zeilen nun der Volltext (Vielen Dank an RA Kucklick in Dresden!!!):

Ss Bs 186/09
144 Js 81648/09 StA Osnabrück

B e s c h l u s s
In der Bußgeldsache

g e g e n D..., geboren am ...1981

Verteidiger: Rechtsanwälte …

w e g e n Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch die unterzeichnenden Richter gemäß den §§ 79 Abs. 5, 80 a Abs. 3 OWiG

am 27. November 2009

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen den Beschluss desAmtsgerichts Bersenbrück vom 25.08.2009 wird auf Kosten der Staatskasse, welcheauch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat, als unbegründetverworfen.

G r ü n d e :

Mit Beschluss vom 25.08.2009 hat das Amtsgericht Bersenbrück den Betroffenenwegen eines Vorwurfes einer Abstandsunterschreitung gem. § 4 Abs.1 StVOfreigesprochen.

Mit Bußgeldbescheid des Landkreises Osnabrück vom 04.06.2009 war demBetroffenen zur Last gelegt worden, am 19.02.2009 um 12.14 Uhr in R... auf derBAB 1 in Höhe des Kilometers 202,852 in Fahrtrichtung M... als Führer des Pkws… bei einer Geschwindigkeit von 119 km/h den erforderlichen Abstand von59,5 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten zu haben. Der Abstand habevielmehr lediglich 17 m und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertesbetragen.

Das Messergebnis, auf welches der Erlass des Bußgeldbescheides zurückzuführenwar und welches als maßgebliches Beweismittel für die Überführung in Betrachtgekommen wäre, wurde durch ein Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 der Firma V...ermittelt. Ausweislich der mit der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenenamtsgerichtlichen Feststellungen werden bei Anwendung dieses Meßsystems in derRegel mindestens zwei Videoaufzeichnungen vorgenommen, nämlich eine sog.Tatvideoaufzeichnung, mit welcher die Abstands und Geschwindigkeitsmessungdurchgeführt wird, sowie eine Fahrervideoaufzeichnung, welche derIdentifikation der Fahrer und der Kennzeichenerfassung dient. Messung und Auswertungwerden dergestalt gehandhabt, dass der auflaufende Verkehr in einem bestimmtenFahrbahnabschnitt mit einer Videokamera von einem festen, mindestens drei Meterüber der Fahrbahnoberfläche liegenden Kamerastand aufgenommen wird. Während derAufnahme wird das Videosignal kodiert. Der Kodierer zählt in dem Videosignaldie einzelnen Videobilder (Voll und Halbbilder). Der zeitliche Abstand von zweiaufeinander folgenden Videobildern beträgt 1/50 Sekunden. Die Auswertung des sokodierten Videobandes wird mittels eines Computersystems durchgeführt. Bei derso gestalteten Verkehrsüberwachung wird eine durchgängige Aufnahme desfließenden Verkehrs in der Weise angefertigt, dass jeweils die auf derÜberholspur befindlichen Fahrzeuge mit Kennzeichen erfasst werden und dieFahrer identifizierbar erkennbar sind.

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom11.08.2009 (2 BvR 941/08) hat das Amtsgericht diese Art der Messung mitRücksicht auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage in Niedersachsen alsverfassungswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmungangesehen. Weiterhin ist es zu dem Schluss gelangt, dass der Verwertung desrechtswidrig erlangten Messergebnisses ein Beweisverwertungsverbotentgegenstehe. Mit der Messung sei automatisch und unvermeidbar die Aufnahmeeiner unüberschaubaren Vielzahl von Personen verbunden, welche sichrechtskonform verhielten und über deren persönliche Information dem Staat einErfassungsrecht nicht ohne Gesetz zustehe. Dieser mit dem Messverfahrenverknüpfte ungerechtfertigte Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechteeiner Vielzahl von Verkehrsteilnehmern führe dazu, dass dem Verfahren per seeine Verfassungswidrigkeit innewohne. Die daraus gezogenen Beweismittel könntenauf ordnungsgemäßem Wege nicht mit gleicher Sicherheit erlangt werden. Für eineDifferenzierung nach jeweiligen Einzelfällen der Verstöße sei bei einerderartigen Vorgehensweise kein Raum.
Da andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen, hat das Amtsgericht denBetroffenen im Beschlusswege freigesprochen.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Osnabrück mit ihrerRechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg beigetreten ist.

Sie rügt zunächst die Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Siemacht geltend, das Amtsgericht habe die bei den Akten befindliche CDROM mit derVideosequenz des verfahrensgegenständlichen Verkehrsvorganges und die ebenfallsbei den Akten befindlichen diesbezüglichen Einzelbilder zum Gegenstand der Beweisaufnahmemachen müssen, da im vorliegenden Falle kein Beweisverwertungsverbot bestehe.Das Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrssicherheitüberwiege das nur wenig beeinträchtigte Individualinteresse des Betroffenen.Die Einhaltung der Abstandsvorschriften erfordere mit Rücksicht auf die hoheGefährlichkeit von Abstandsunterschreitungen eine konsequente Überwachung. DerBetroffene, auf dessen Person einzig abzustellen sei, sei in seinem Grundrechtauf informationelle Selbstbestimmung nicht derart schwerwiegend betroffen, dassdas geschilderte Interesse der Allgemeinheit hinter dieserGrundrechtsverletzung zurückzutreten habe. Die Aufnahme betroffener Personenerfolge nur kurzzeitig und lasse erst nach technischer Aufbereitung und unter günstigenUmständen eine Fahrzeug und Fahreridentifikation zu. Weder Intim nochPrivatsphäre seien betroffen, die Einwirkung sei zudem nicht spürbar. Von einemwillkürlichen Verhalten könne mit Rücksicht auf die Gutgläubigkeit der mit derErfassung und Auswertung der Videoaufzeichnung betrauten Polizeibeamten und desUmstandes, dass das Nds. Ministerium für Inneres, Sport und Integration -Landespräsidium für Polizei, Brand und Katastrophenschutz - auf diebundesverfassungsgerichtliche Entscheidung sofort mit einem den Einsatz derMessgeräte einschränkenden Erlass reagiert habe, nicht ausgegangen werden. Auchhabe die Möglichkeit bestanden, das Beweismittel auf ordnungsgemäßem Wegeebenso sicher durch Herbeiführung einer anlassbezogenen Videoaufzeichnung deskonkreten Verkehrsvorganges zu erlangen.
Des Weiteren erhebt die Staatsanwaltschaft die Sachrüge.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. In der Sache selbstbleibt sie jedoch ohne Erfolg.

Das Amtsgericht hat die ihm obliegende Aufklärungspflicht nicht verletzt, da eszutreffender weise von Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes ausgegangenist. Die Aufzeichnung individueller Verkehrsvorgänge durch fest installierteVideoaufzeichnungsanlagen ist, jedenfalls wenn sie unter den vorliegendanzutreffenden Bedingungen erfolgt, mit einem Eingriff in das allgemeinePersönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG inseiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden, wiedas Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.08.2009 ausgeführthat. Die Aufzeichnung des Bildmaterials führt zur technischen Fixierung derbeobachteten Vorgänge, die später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet undausgewertet werden können, wobei eine Identifizierung von Fahrer und Fahrzeugbeabsichtigt und technisch möglich ist. Derartige Eingriffe in das Recht aufinformationelle Selbstbestimmung sind unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzesim überwiegenden Allgemeininteresse zulässig, wenn hierfür eine gesetzlicheGrundlage vorliegt. Eine solche Ermächtigungsgrundlage existiert nicht, wieauch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht.
Die Messdaten, deren Verwertung in Rede steht, wurden mithin unter Verstoßgegen ein Beweiserhebungsverbot gewonnen. Ein solches zieht nach allgemeinerAuffassung im strafprozessualen Bereich nicht zwangsläufig einVerwertungsverbot nach sich. Diese schwerwiegende verfahrensrechtliche Folgewird vielmehr nur in Ausnahmefällen als gerechtfertigt angesehen. EinBeweisverwertungsverbot wird lediglich anerkannt, wenn dahingehendeausdrückliche gesetzliche Vorschriften bestehen oder wichtige übergeordneteGründe dis gebieten. Ob letzteres der Fall ist, bestimmt sich jeweils nach denUmständen des Einzelfalles. In die in diesem Zusammenhang vorzunehmendeAbwägung zwischen dem Interesse des Staates und der Allgemeinheit an derVerwertung aller in Betracht kommenden Beweismittel zum Zwecke der Aufklärungvon Straftaten und Ordnungswidrigkeiten einerseits, den durch dasErhebungsverbot geschützten Individualinteressen andererseits sind insbesonderedie Art des Erhebungsverbotes, das Gewicht des in Frage stehendenVerfahrensverstoßes und die Bedeutung der im Übrigen betroffenen Rechtsgütereinzustellen.

Vorliegend stellt sich der Verfahrensverstoß als schwerwiegend dar. Dieangewandte Messmethode ist mit einem systematisch angelegten Eingriff in dieGrundrechte einer Vielzahl von Personen verbunden. Sie war bereitskonzeptionell so angelegt, dass sie mit einer über die herkömmlichen,anlassbezogen eingesetzten Abstands und Geschwindigkeitsmessverfahren weithinausgehenden Gefahr einer Grundrechtsbeeinträchtigung einherging. Die Schweredes Eingriffs wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass er für den einzelnenVerkehrsteilnehmer nur bedingt wahrnehmbar ist, vielmehr bestätigt die miteiner Dauervideoüberwachung verbundene relative Heimlichkeit des Eingriffsdessen Schweregrad (vgl. hierzu Niehaus DAR 2009, 632, 635). Dass den einzelnenPolizeibeamten als Anwender kein persönlicher Verschuldensvorwurf treffen magist insoweit ebenso wenig von durchgreifender Bedeutung wie der Umstand, dassdie Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf ministerieller Ebene zumAnlass genommen wurde, die rechtswidrige Verfahrensweise einzustellen. DieVerkehrsverstöße, zu deren Ahndung das Messverfahren eingesetzt wird - auch derim vorliegenden Fall in Rede stehende Verstoß - sind in der Regel nur von untergeordneterBedeutung. Zwar trifft es zu, dass Abstandsunterschreitungen, insbesondere beistarker Verkehrsdichte und hohen Geschwindigkeiten, gefahrträchtig sind undnachhaltiger Verfolgung bedürfen, doch handelt es sich ungeachtet dessenjedenfalls im vorliegenden Falle um eine Ordnungswidrigkeit, welche dem unterenbis mittleren Schweregrad der Verkehrsordnungswidrigkeiten zuzuordnen ist undderen Verfolgung sich im konkreten Fall nicht als derart vordringlichdarstellt, dass schwerwiegende Grundrechtseingriffe hinzunehmen wären. DieFrage, ob der Verkehrsverstoß auch bei hypothetisch rechtmäßigemErmittlungsverlauf hätte gewonnen werden können, kann nicht ausschlaggebendsein. Der Umstand, dass die meisten Verkehrsverstöße auch in ordnungsgemäßerWeise durch den Einsatz entsprechender technischer Mittel nachgewiesen werdenkönnen, kann nicht zur Folge haben, dass Verfahrensverstößen in diesem Bereich,welche gerade damit einhergehen, dass mit hoher Streubreite der rechtlichgeschützte Bereich einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern berührt ist, einemindere Bedeutung zugemessen wird.

Rechtsfehler in der Sache sind ebenfalls nicht festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz1 StPO.

 

 

 

 

 

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2 Kommentare

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Nichts zu den Rechtsgrundlagen gesagt, oder habe ich das überlesen? Schade! Damit hätte man das Problem noch ein wenig vorantreiben können!

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Schon merkwürdig - es war ein VKS 3.0, trotzdem wurde die Sache nicht dem BGH vorgelegt. Zudem kein Wort über mögliche Rechtsgrundlagen. Hält das Gericht derartige Eingriffe etwa generell für unzulässig, unabhängig von der Rechtsgrundlage?

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