Fall Tennessee Eisenberg - neue Erkenntnisse durch Tatrekonstruktion?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.12.2009

Nach Berichten über die letzte Woche stattgefundene  Tatrekonstruktion und wiedergegebenen Auskünften des Rechtsanwalts Tronicsek (mandatiert von der Familie Eisenbergs) seien  nicht nur die letzten vier Schüsse, sondern auch die ersten beiden Schüsse nicht in einer Notwehr/Nothilfefsituation abgefeuert worden (Quelle). Natürlich ist zu berücksichtigen, dass hier der RA für seine Mandantschaft spricht. Nachdem sich aber die Zweifel an einer eindeutigen Notwehrsituation demnach eher verdichten als zerschlagen, wird man nach meiner Einschätzung um eine Anklageerhebung kaum noch herum kommen. Der Fall hat auch mittlerweile so viel (auch überregionale) öffentliche Aufmerksamkeit erregt, dass eine Rechtsfrieden stiftende Entscheidung wohl nur noch durch ein Gericht nach transparenter Aufklärung im Gerichtssaal ergehen kann (hier die umfangreiche Diskussion im blog dazu). Das bedeutet nicht notwendig, dass die Polizeibeamten auch verurteilt werden. Denn auch wenn sich bestätigen sollte, dass objektiv keine Notwehrlage gegeben war, wird man sich noch fragen, ob die Beamten auch schuldhaft gehandelt haben, oder ob sie in der Situation - überraschend dem ein Messer führenden Eisenberg gegenüber zu stehen - einem zwar fahrlässigen, aber (möglicherweise) nicht schuldhaften Irrtum unterlagen.

Der Darstellung in der Mittelbayerischen Zeitung (Quelle), nach der praktisch nur eine Totschlagsanklage oder eine einem Freispruch gleichkommende Einstellung nach § 170 Abs.2 StPO in Betracht komme, ist daher zu widersprechen - auch eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung kommt in Betracht. Und ob eine Verurteilung erfolgt, hängt ganz von den in der Hauptverhandlung präsentierten Beweisen und der Würdigung derselben ab.

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76 Kommentare

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@ Analyst

Ihr Kommentar ist einer der Gründe warum ich an eine fairen Verfahren ernste Zweifel hege. Wie bei ihnen und einigen anderen Kommentatoren ist eine deutliche Vorverurteilung anzumerken, die in keiner Weise zielführend ist und zudem nicht ansatzweise Optimierungsreserven aufzeigt.

Offensichtlich herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung, vielleicht genährt durch manche Arztserie aus dem Abendprogramm, die Vorstellung vor, es muß nur ein Psychologe auf der Bildfläche erscheinen, der sich dann heroisch einem bewaffneten, offensichtlich Verhaltensauffälligen Menschen nährt und mit ein paar psychologischen Kniffen ist dann alles geregelt.

Schön wenn es so wäre, aber leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Wo ist denn eine Garantie zu finden, das solchermaßen immer gelingt. Ich kenne keinen ernsthaften Psychologen, der sich diesbezüglich absolut festlegen würde. Was aber wenn es schief läuft und der Arzt wird verletzt? Wer trägt dann die Verantwortung dafür?

Und was die von ihnen angeführten sportlichen und schießtechnischen Defizite angeht, möchte ich nicht weiter darauf eingehen, da es mir bei der Ernsthaftigkeit des Falles unangemessen erscheint, darauf zu antworten.

ich beteilige mich an dieser Diskussion, weil ich mir den einen oder anderen Denkanstoß erhoffe, der sich vielleicht in die polizeiliche Praxis übertragen läßt. In diesem Sinne versuche ich den Ist-Zustand bezogen auf einen gleichgelagerten Fall abzubilden. Grundsätzlich bin ich immer bereit auch Denkanstöße aufzunehmen und neue Wege zu beschreiten, denn eine Verbesserung polizeilicher Arbeit kann nur das Ziel eines jeden Polizeibeamten sein.

Vorurteile und festgefahrene Meinungen nehme ich zur Kenntnis, werden aber auch nicht daran arbeiten, diese abzubauen. Dies ist nicht meine Absicht, Pauschalkritik nimmt aber in meinen Verbesserungsüberlegungen auch keinen Raum ein.

 

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Sehr geehrter Herr Saint John,

für Ihre Diskussionsbeteiligung meinen Dank. Pauschal- und Vorurteile sollen hier nicht vorherrschen. Um in dem "Konflikt" zu vermitteln:

1. Ja, es sind in dieser Auseinandersetzung auch "pauschale" Urteile und auch Vorurteile geäußert worden. Allerdings gibt die anfangs wenig transparente und zum Ende auch nicht nachvollziehbare "Klärung" im Ermittlungsverfahren solchen Pauschal- und Vorurteilen Raum. Ich gehe davon aus, dass eine gerichtliche Klärung hier sehr viel sorgfältiger ans Werk ginge. Dass die Polizeibeamten kein "faires Verfahren" erwartet, halte ich für ausgeschlossen. Selbst die Organisatoren der Podiumsdiskussion und der Demonstration haben sich bemüht, keine polizeifeindliche Stimmung aufkommen zu lassen oder zu verbreiten.

2. Klar ist auch, dass Psychologen kein Wundermittel sind und selbstverständlich auch geschützt werden müssten gegen einen potentiellen Angreifer, dessen Gefährlichkeit sich nicht abschätzen lässt.

3. Hier sind vier Streifenwagen unkoordiniert am "Tatort" eingetroffen, eine Einsatzleitung existierte nicht und wurde auch nicht ad hoc bestimmt. Dass auch der Einsatz insgesamt dann unkoordiniert verlief, liegt m. E. recht nahe, dies wird jedoch von den polizeilichen Verantwortlichen bislang bestritten. Alle acht Beamten sind in das enge Treppenhaus gegangen. Die "Enge" wird heute als maßgeblicher Grund dafür angegeben, dass man nicht (ohne zugleich Kollegen zu gefährden) angemessen reagieren konnte und der schnelle Rückzug unmöglich wurde. Das ist ein Punkt, der zwar nicht strafrechtlich jedem einzelnen Beamten zur Last fallen mag, aber den Gesamteinsatz betrifft. Ein Einsatzleiter hätte vielleicht die Enge des Treppenhauses richtig eingeschätzt und eine Vorhut mit besonders besonnenen Beamt/inn/en zur Abklärung hineingeschickt. Diese hätten sich leichter zurückziehen können, ohne die Kollegen "im Rücken" zu haben. Aber wie gesagt - ich bin kein Experte in Polizeitaktik.

4. Es existiert in Regensburg ein "Verhandlungsteam" mit psychologisch besonders geschulten Beamten für Fälle mit Geiselnehmern oder (etwa) psychisch auffälligen Suizidenten u.ä. Dass man dieses Team  für sinnvoll hält in bestimmten Fällen, ergibt sich daraus, dass  es existiert. Dieses Team wurde nicht herbeigeholt. Man hat dies auch offenbar nicht geplant. Hätte man daran gedacht und vorerst nur sicher gestellt, dass T.E. nicht andere Personen gefährdet, wäre es vielleicht nicht zu diesem tragischen Ereignis gekommen. Das ist "hätte, würde, könnte" - natürlich ist es das. Aber dass es  keine Garantie dafür gibt, dass ein Psychologe geholfen hätte, scheint mir kein überzeugendes Gegenargument. Offenbar (natürlich "ungewollt") hat der konkret stattgefundene Einsatz jedenfalls kein optimales Ergebnis gebracht.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

@Saint John:

Sie betrachten es offenbar als weit hergeholt und unrealistisch, dass das Herbeiholen eines Psychologen oder Psychiaters - sprich eine primär verbale Lösung der Situation - zu einem besseren Ergebnis geführt hätte. Sie sagen, die Wirklichkeit sähe anders aus und es gebe keine Garantie, dass das immer funktionieren würde.

Hier muss ich deutlich widersprechen: Selbst wenn es nicht immer funktionieren sollte, dann sicherlich doch oft, und gerade hier im konkreten Fall HAT es offenbar auch zumindest ein stückweit funktioniert, denn Tennessees Mitbewohner hat vor der Alarmierung der Polizei 45 Minuten in Tennessees Gegenwart verbracht und mit ihm gesprochen, ohne verletzt worden zu sein. Diese Strategie scheint also bei weitem nicht so abwegig und aussichtslos, wie Sie das darstellen! Und dabei war dieser Mitbewohner nicht einmal in irgendeiner Weise geschult sondern konnte ein Eskalieren der Situation um ein vielfaches länger verhindern als acht ausgebildete Polizeibeamten das später fertig brachten. Das gibt mir doch sehr zu denken! Und es zeigt für mich doch, dass es ein durchaus vielversprechender und unbedingt angebrachter Versuch gewesen wäre, hier entsprechende Fachleute einzuschalten (natürlich war der Mitbewohner alleine hier überfordert und hat daher ja um Hilfe gebeten) - insbesondere angesichts des unkalkulierbaren und höchst risikobehafteten Vorgehens, für das sich stattdessen - m.E. fahrlässig - entschieden wurde.

 

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Die Bestimmung eines Einsatzleiters und Erwägung von Elektroschockern verbessert ein wenig.

Die Vielzahl weiterer Anregungen hätten Polizisten, die Optimierungsreserven suchen, kaum abgeblockt. Solche Beamten werden erkennbar werden, wenn sie auf Anregungen eingehend Varianten/Alternativen zur Diskussion stellen (ohne sich öffentlich auf Details festzulegen). Sie könnten Vertrauen zurückgewinnen.

Zeitlich war die „Trefferfolge“ wohl so:

2 Verletzungen von hinten am Fuß der Treppe gemäß ballist. Gutachten (vergessen von Zeugen), dann kehrte der verwirrte Musikschüler um und ging an den Schützen vorbei (also kurze Schusspause),

5 weitere Verletzungen von hinten gemäß Gutachten und Zeugenaussagen ("Kugelhagel" ), dann drehte sich der verwirrte Musikschüler zu den Schützen und ging auf diese zu,

1 weitere Verletzung, ERSTMALS von vorn, während 7 Polizisten nacheinander den Raum verließen (also nahezu Schusspause, lange andauernd)

4 tödliche Verletzungen in Herzgegend mit 1 Volltreffer

aus #49 Saint John: „Dem Beamten …“ wegen der Brustschüsse  „ … eine Tötungsabsicht zu unterstellen ist nicht sachgerecht. Wäre dies die Absicht der Beamten gewesen, warum dann so lange warten und erst mehrfach auf vital nicht wichtige Körperregionen schießen?“

Zuzustimmen ist der Darstellung, dass der Beschuldigte2 vor den Todesschüssen „lange warte(te)“, da er nur einen „Treffer“ erzielte in der Zeit zwischen Zuwendung des verwirrten Musikschülers zu ihm und diesen letzten 4 „Treffern“.

Lange war zwischen ihm und dem verwirrten Musikschüler also fast nur das endlos langsame Zurückweichen, während hinter ihm 7 Kollegen nacheinander in den Hof flüchteten.

In dieser langen Wartezeit beobachtete er den Schwerverletzten und hatte viele Sekunden Zeit sein Handeln abzuwägen.

Die von Herrn Saint John aufgeworfene Frage, warum er wohl so lange wartete, kann u.a. mit dieser Abwägung beantwortet werden, aber leider auch damit, dass evtl. beabsichtigte Todesschüsse ohne Augenzeugen menschlich leichter fallen.

Kripokollegen des Fragestellers werden das kennen. Sobald keine Augenzeugen mehr im Raum waren, fielen die Todesschüsse. Nur INDIZ für Kausalität ist der zeitliche Zusammenhang. Vor-Verurteilung darf hier ebenso wenig sein wie Vor-Freisprechung, sondern realistische Antwort auf die berechtigte Frage.

Ich selbst fühle die Versuchung zur Vor-Freisprechung von Vorsatz und zweifele nicht an der Notwendigkeit, das von Prof. Müller angesprochene Versäumnis der StA nachzuholen, mögliche Fahrlässigkeit zu prüfen.

Doch die gilt es zu prüfen im Wissen, es KANN auch schlimmer sein.

Sollte nämlich keinerlei Klage erhoben werden und später eine teilweise ähnliche Wiederholung passieren wegen desselben Polizisten, könnten - wie im Missbrauchsfall durch Pfarrer in Riekofen – wohlmeinende Verharmloser mitschuldig werden.

 

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Ich glaube ich erkenne jetzt das Verstädnisproblem. Zwar ist der Fall T.E. sehr tragisch und spektakulär, aber es handelt sich um einen Aufsehen erregenden Fall unter Tausenden, die völlig unspektakulär und ohne dieses öffentliche Aufsehen, verbunden mit der medialen Begleitung, stattfinden. Der weitaus größte Teil dieser polizeilichen Einsätze stellt sich im Nachhinein als unbegründet heraus. Begründet durch diese nachvollziehbaren Erfahrungswerte ist eine diesbezügliche Dienstanweisung nicht existent und auch nicht notwendig (zumindest in NRW nicht).

Würde man einige Vorschläge hier ernsthaft in Erwägung ziehen, die für Menschen, die nicht über solche internen Einblicke verfügen durchaus logisch und nachvollziehbar sind, so wären sie leider nicht realisierbar.

Die Benachrichtigung von Angehörigen oder nahe stehenden Person z.B. scheitert an ganz praktischen Hürden:

Wie soll die Polizei an solche Informationen kommen? Steht eine Person zur zeitnahen Befragung diesbezüglich zur Verfügung und wie umfangreich und gesichert ist ihr Wissen dazu? Es wird offensichtlich angenommen. solcher Wissen ist für die Polizei auf Knopfdruck abfragbar. Dem ist nicht so. Dazu müßten bei den Einwohnermeldeämtern der Gemeinden zu jeder Person die entsprechenden Informationen und Verknüpfungen zu anderen Personen hinterlegt sein, was ein datenschutzrechtlicher Albtraum  sein dürfte. Solche Informationen könne i.d.R. nur durch umfangreiche Ermittlungsarbeit, keinesfalls aber sehr zeitnah beschafft werden. Wollte man dies bei jedem der täglich anfallenden Suizidhinweise durchführen, müßte man die Polizei erheblich aufstocken, da man grundsätzlich bei jeder Meldung von ihrer Ernsthaftigkeit ausgehen muß.   

Vergleichbar sieht es mit der Bereitstellung von Psychologen oder Fachärzten aus. Jeder mag sich gern bei seiner Gemeinde / seinem Kreis mal über die Rettungsdienststruktur informieren und wird dannach erschreckt sein, mit welch heißer Nadel und knappem Garn diese gestrickt ist. Wieviele Notärzte mögen in Regensburg für den weitaus wahrscheinlicheren Unglücksfall wohl  zur Verfügung stehen? Wie mag deren Motivation wohl aussehen, da sie statistisch gesehen mehrfach am Tag bei Hinweisen auf Suizidenten ausrücken müßten, noch dazu, ebenfalls statistisch nachweisbar, überwiegend grundlos. Wer soll der Kostenträger dafür sein?

Richtig ist, das die Polizei über s.g. Verhandlungsgruppen verfügt, die allerdings tatsächlich für Geisellagen und vergleichbare Einsatzsituationen vorgesehen sind. Aus ihren Vorhandensein auf die Einsatzmöglichkeit bei Suizidfällen zu schließen erscheint logisch, ist aber nur in begründeten Einzelfällen möglich. Die Erklärung warum dies so ist, würde an dieser Stelle aber zu tief in polizeiinterne Abläufe eindringen.

Weiterhin scheint auch noch nicht klar zu sein, daß neben der Gefahrenermittlung bezüglich der Suizidandrohung noch weitere taktische Ziele für die Polizei bestanden.

Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet zwar das Rechts auf Leben, aber kein Verfügungsrecht über das eigene Leben (Di Fabio). Aufgrund des Stellenwertes, den das menschliche Leben im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland einnimmt ist dessen Erhaltung eine Aufgabe zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit.

Weiterhin ist der Angriff auf den Mitbewohner ebenfalls taktisch zu bewerten und der Schutz anderer Personen gegen solche Angriffe genießt aus meiner Sicht oberste Priorität.

Zum Einsatzeitpunkt war die Möglichkeit solcher Angriffe zumindest hinreichend wahrscheinlich und vor diesem Hintergrund war eine abwartende Haltung nicht angezeigt.

Interessant wäre eine verwaltungs-/polizeirechtliche Bewertung des Sachverhaltes, die ich nicht liefern kann, da ich mich dazu erst mit der bayrischen Rechtslage auseinandersetzen müßte. 

Der Vergleich eines Schußwaffengebrauchs mit einem Mißbrauchsfall ist aus meiner Sicht nicht sachgerecht, da es sich bei Mißbrauchsfällen i.d.R. um triebgesteuerte Taten handelt.

Das ein Polizeibeamter in mehreren unabhängigen Fällen auf  Personen geschossen hat ist außerhalb der Spezialeinheiten in Deutschland nicht belegt und läßt völlig außer acht, daß ein solches Ereignis auch für den betroffenen Beamten eine enorme psychische Belastung darstellt.

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@55

 

Es ist doch ganz einfach, die Polizei wusste hier durch den Telefonanruf, dass der evtl. Bedrohte außer Gefahr ist. Somit wären die Bestimmung von Einsatzleiter, Anforderung geschulter Polizeikräfte, Benachrichtigung von Psychologe, Arzt, Eltern die nächsten logischen Handlungen für jeden objektiven Betrachter. Das was dort passierte, nach den inzwischen sehr zahlreichen Informationen des recht genau analysierten SV, ist wenigstens abenteuerlich, in jedem Fall jedoch nahezu unglaublich, wäre es nicht dramatische Realität.

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@Andrea

Zu den Anforderungen / Benachrichtigungen habe ich die praktischen Schwierigkeiten bereits dargelegt (sogar mehrfach, wenn man den anderen Beitrag zum Thema T.E. mit einbezieht). Offensichtlich wird dem kein Glauben geschenkt oder es wird einfach überlesen. Dennoch ist es eine Abbildung des Ist-Zustandes, zu dem noch niemand konkret Stellung bezogen hat. Eine ständige Wiederholung wünschenswerter Verhaltensweisen, bezogen auf diesen speziellen Einzelfall, macht sie trotzdem nicht praktisch realisierbar.

Bei polizeilichen Einsatzmaßnahmen mangelt es i.d.R. in der Anfangsphase an zwei Sachen: Zeit und gesicherte Informationen.

Jetzt wissen alle im Nachhinein, wie der ganze Sachverhalt verlaufen ist. Ein Wissen, das aber zum Zeitpunkt des Vorfalls noch nicht vorlag. Zum Zeitpunkt als das erste Einsatzmittel sich auf den Weg machte müssen insbesondere 3 Szenarien in Betracht gezogen werden:

1. T.E. ist allein in seiner Wohnung, er hat sich weitgehend beruhigt und nicht die ernsthafte Absicht. sich etwas anzutun, eine Gefährdung anderer Personen (andere Hausbewohner, Passanten vor dem Haus) besteht nicht.

2. T.E. ist allein in seiner Wohnung und hat sich seiner Ankündigung gemäß versucht, das Leben zu nehmen. Er ist ernsthaft verletzt.

3. T.E. hat mit dem Messer bewaffnet seine Wohnung verlassen, bewegt sich im Haus oder sogar auf der Straße und greift weitere Personen an.

Keine der genannten Alternativen kann vorausgesetzt werden, aber jede ist auf Basis der zum Einsatzzeitpunkt vorliegenden Informationen hinreichend wahrscheinlich. Daneben gibt es natürlich noch unzählige Varianten der vorgenannten Fälle.   

Ich bitte um Ideen, wie mit den entsprechenden Szenarien umzugehen ist, oder Begründungen, warum die aufgezeigten Varianten nicht zutreffend sein können.

Man sollte immer offen sein für konstruktive Kritik, wobei eine solche immer gekennzeichnet ist, durch das Aufzeigen machbarer Alternativen.

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Sehr geehrter Herr Saint John,

Sie haben insofern Recht, dass die Polizei aufgrund der zum Einsatzzeitpunkt vorliegenden Infomationen vorgehen muss. Bei Ihren drei Szenarien fehlt allerdings eines, nämlich genau das, welches tatsächlich vorlag und welches auch nicht unwahrscheinlich war, nämlich dass T.E. unverändert mit dem Messer allein in seiner Wohnung steht und sich weiterhin in einer Art "Wahn" befindet (Szenario 4). Eben so, wie es der Mitbewohner, der übrigens vor Ort war und den eingesetzten Beamten Fragen beantworten konnte, geschildert hat.

Dann wäre vorhersehbar gewesen, was dann auch eingetreten ist, nämlich dass T.E. das Messer auf Zuruf nicht fallen lässt, dass die Lage durch den Polizeieinsatz möglicherweise  eskaliert, dass die notwendige "Distanz" zum Messer unmitelbar nach Einsatzbeginn schon unterschritten ist, und man sich quasi sofort in der Defensive befindet, in der sich dann acht Beamte im engen Treppenhaus gegenseitig behindern und sowohl eine nichttödliche Abwehr als auch einen geordneten Rückzug erschweren.

Von den dann insgesamt vier Szenarien müsste für jedes dessen Wahrscheinlichkeit beurteilt werden, die Möglichkeit, es auszuschließen oder zu verifizieren, und die dabei möglicherweise eintretende Gefährdung der Beamten bzw. Unbeteiligter. Für jedes der wahrscheinlichen Szenarien hätte man dann überlegen können, wie dieses am besten "bewältigt" werden kann, ohne dass weitere Personen gefährdet werden. Ich weiß, dass man nicht alles vorhersehen kann (Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen), aber ich denke, dass man sich hier besonders wenig Gedanken darüber gemacht hat, als man erstmal mit acht Leuten in das Treppenhaus stiefelte. 

Die machbare Alternative habe ich oben ja schon ansatzweise erwähnt: Um Ihre Szenarien 2 und 3 auszuschließen, musste man "nachschauen". Dabei musste man einkalkulieren (und ich sehe, dass z.B. Sie dies eben auch jetzt nicht tun), dass die Situation eben noch genauso ist, wie sie sich darstellte, als der Mitbewohner die Wohnung verließ. Also musste das Nachschauen so gestaltet sein, dass möglichst keine Bedrohungslage entstehen konnte und dass man sich nach Feststellung der Lage schnell zurückziehen konnte, um sodann zu überlegen, ob und wie man erreichen kann, dass sich T.E. beruhigt. Vielleicht hätte dann auch eine der Überlegungen das Verhandlungsteam sein können. Denn wenn man es mit acht Beamten nicht zuwege bringen kann (so ja leider die Behauptung der Polizei), einen Messerträger zu entwaffnen, ohne auf ihn solange zu schießen, bis er kampfunfähig ist, dann ist der psychologische Weg doch einen Versuch wert. Zugleich hätte man sicherstellen müssen (und auch können), dass T.E. nicht die Wohnung/das Haus verlässt, um andere Menschen zu bedrohen.

(Dies alles gilt unabhängig von den  Zweifeln daran, dass im konkreten Fall überhaupt schon der tödliche Schusswaffeneinsatz durch Notwehr gerechtfertigt war.)

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Ich nehme mal an, die 8 Polizisten wären nicht so unbedarft ins Haus/Zimmer eingedrungen, wenn der "verrückte" Eisenberg mit einer Handgranate gedroht hätte. Dann hätte der geflohene Mitbewohner darüber berichtet und dann wäre jedem Polizisten klar gewesen, dass man äußerst behutsam vorgehen muss. Ich wette, das Haus wäre erst mal abgesichert worden, man hätte versucht, telefonisch Kontakt aufzunehmen und kein Polizist wäre in das Zimmer spaziert.

Mit ein bisschen mehr Angst (der Polizisten) wäre vermutlich nichts Schlimmes passiert. Die Polizisten waren einfach zu mutig.

 

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@Prof. Dr. Henning Ernst Müller
"einen Messerträger zu entwaffnen, ohne auf ihn solange zu schießen, bis er kampfunfähig ist"

Mit Ausnahme einiger nicht-tödlicher Waffen (Taser) ist das die einzige Möglichkeit, einen Messerträge ohne Gefährdung des eigenen Lebens zu entwaffnen.Die Anzahl der Entwaffnenden ist dabei zweitrangig. Wenn mehrere Personen um ihn herumstehen hat der Messerträger meist mehr Chancen auf einen "Zufallstreffer".

@Bernd W.
"Mit ein bisschen mehr Angst (der Polizisten) wäre vermutlich nichts Schlimmes passiert. Die Polizisten waren einfach zu mutig."

Das klingt zynisch. Es ist immer jedesmal eine Abwägungssache, ob Streifenpolizisten in Extremsituationen eingreifen oder auf Unterstützung warten sollen. Siehe z.B. auch der getötete Polizist bei dem Amoklauf in Erfurt. Aber Unterstützung (Psychologen und/oder Spezialkräfte) ist selten sofort verfügbar. Man darf hier nicht in Minuten rechnen sondern (optimistisch) in Viertelstunden. Und ein Suizident bzw. mögliche Opfer eines Gewalttäters könnten erst durch diese Verzögerung wiederum zu schaden kommen. Wie gesagt, jedesmal Abwägungssache.

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@Prof. Dr. Henning Ernst Müller

Ich würde das von ihnen als Szenario 4 beschriebene eigentlich als Variante des von mir zuerst genannten bewerten, da sie wesentlichen Aspekte für die Lagebewertung gemeinsam haben.

Verläßliche Informationen zum aktuellen Gemüts- und Gesundheitszustand hätte man vom Mitbewohner auch nicht erlangen können, da er bereits einige Zeit keinen Kontakt mit T.E. mehr hatte.

Es ist richtig, daß aus der Ferne betrachtet ein gewisser Mangel an Absprache zu diagnostizieren ist. Tatsächlich gibt es für solche Situationen gewisse Erfahrungswerte (auf die ich aber hier aus taktischen Gründen nicht genauer eingehen will), die den Lösungsansatz, unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis, nicht optimal erscheinen lassen. Aber darüber kann ich auch nur Mutmaßungen anstellen, da ich diesbezüglich nicht über gesicherte Informationen verfüge.

Erstaunlich finde ich allerdings, daß immer noch die Meinung zu finden ist, man könnte jemand ein Messer einfach so wegnehmen. Vielleicht könnte ein Selbstversuch damit mal aufräumen. Einfach mal jemanden einen dicken Filzschreiber geben und er soll ihn wie ein Messer handhaben. Dann versuchen ihm den Schreiber gegen seinen Willen wegzunehmen. Viel Vergnügen beim Auswaschen der Farbe.

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Sehr geehrte/r Herr/Frau Briegel, sehr geehrter Herr Saint John,

ich habe also ganz richtig wiedergegeben, dass die Polizei einen Messerträger offenbar nicht entwaffnen kann, ohne ihn kampfunfähig zu schießen. Das entspricht der hier von Polizeibeamten vielfach geäußerten Auffassung. Ich will dies überhaupt nicht bestreiten. Die Konsequenz daraus habe ich oben beschrieben: Das Argument fällt auf die Polizei zurück und belastet sie strafrechtlich: Wenn man diese Situaton vorhersehen kann (dass man in der Wohnung auf den Messerträger T.E. trifft), und ahnt, dass man dann schießen muss, dann liegt strafrechtlich eine actio illicita in causa nahe: man kann sich nicht auf eine Notwehrsituation berufen, die man selbst fahrlässig herbeigeführt hat, in die man sich sehenden Auges begeben hat. Sie bestätigen im Grunde diese Auffassung.

Herr Saint John, nun muss ich Ihnen deutlich widersprechen: Das Szenario, dass Sie in Nummer 1 beschreiben, ist ein entscheidend anderes als das von mir beschriebene: Erstens ist das von mir beschriebene offenbar das Szenario, das tatsächlich eingetreten ist - und es war, weil es aus der einzig verfügbaren Info-Quelle vor Ort stammte, auch dasjenige, das am wahrscheinlichsten war. Zweitens ist es die "Variante", die mangels Beachtung durch die Polizeibeamten Hern T.E. letztlich das Leben gekostet hat. Die "Lagebewertung", falls eine solche vor Ort überhaupt stattgefunden hat, hat leider keine vernünftigen Resultate gebracht. Wenn selbst Sie ein Jahr später aus der Distanz meinen, dass es für die Polizei egal sei, ob T.E. sich beruhigt hat oder ob er noch immer wahnhaft ein Messer in der Hand hält., dann vermute ich doch einen erheblichen Organisationsmangel in der Polizei. Offenbar haben die Kollegen doch genau damit nicht gerechnet, womit sie hätten rechnen müssen! Und haben sich deshalb fahrlässig in eine Situation begeben, in der sie meinten, nur noch durch Erschießen des polizeilichen Gegenübers herauskommen zu können.

Ähnlich erstaunt war ich übrigens auf der Podiumsdiskussion, auf der der Polizeipräsident der Oberpfalz ebenfalls - trotz ehrlichen Bedauerns über den tragischen Ausgang der Sache - meinte, diese würde auch aus der heutigen Sicht wahrscheinlich genauso wieder ablaufen können, tragisch eben, aber seitens der Polizei fehlerlos.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Die inzwischen detaillierte Analyse und Beurteilung von Prof. Müller überzeugt natürlich, auch als logisch einzig denknotwendig, sehr. Auch nach m.E. haben die Einsatzkräfte die Situation sehr wesentlich geschaffen, aus der sie sich dann durch den Tod eines jungen Menschen hände- und waffenringend befreien zu suchten. Da wünscht man sich dann doch auch eine soziale und ethische Kompetenz bei der Polizei bzw. diese wäre für eine glaubwürdige, erfolgreiche und menschenschützende Arbeit unumgänglich. Diese Position "...der Polizeipräsident der Oberpfalz ebenfalls - trotz ehrlichen Bedauerns über den tragischen Ausgang der Sache - meinte, diese würde auch aus der heutigen Sicht wahrscheinlich genauso wieder ablaufen können, tragisch eben, aber seitens der Polizei fehlerlos." zeigt sehr deutlich, dass es hier auch sehr erheblichen und ggfs. verstärkt gerichtlichen Kontrollbedarf der Polizeiarbeit und auch maßgeblichen Reformbedarf schon in der Polizeiausbildung gibt.

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Ist es denn so abwegig, geradezu auszuschließen, das sich T.E. selbst vital bedrohlich verletzt hat und sterbend in seiner Wohnung liegt? Was, wenn er wegen des zögerlichen Vorgehens der Polizei zu Tode gekommen wäre? Würde dann hier nicht in die andere Richtung argumentiert und die Polizei wegen Tatenlosigkeit gegeißelt? Zu welchem Thema hätte der Mitbewohner befragt werden können? Zur aktuellen Situation in der Wohnung, die er vor mehr als 15 Minuten verlassen hat (belegt durch die hier bereits angeführte Zeitleiste)? Zum Verhalten des T.E. vielleicht? Wenn er doch einschätzen konnte, das T.E. nicht alkoholisiert und auch nicht unter Einfluss bewußtseinsverändernder Mittel (hier hätte selbst ein Psychologe kaum helfen können) stand sondern sich lediglich in einer psychischen Ausnahmesituation befand, warum dann nicht sofort selbst die Angehörigen (wenn man davon ausgeht, daß ihm solche bekannt sind und er ihre Erreichbarkeiten kennt) informieren? Oder wenn er über die notwendigen fachlichen Kenntnisse verfügt die psychische Situation einzuschätzen, warum sich nicht gleich fachlich kompetenter Hilfe versichern?

Aber der junge Mann hat aus irgendeinem Grund die Polizei angerufen und unter dem Eindruck des jüngst erlebten eine Sachverhaltsschilderung abgegeben, die mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht deckungsgleich ist mit der, die mit einigem zeitlichen und gedanklichen Abstand und vielleicht unter dem Eindruck selbst ein Baustein auf dem Weg zum tragischen Endergebnis gewesen zu sein, ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat.

Die Argumentation, daß die angetroffene Variante die wahrscheinlichste ist, weil sie so passiert ist, ist aus meiner Sicht ein Zirkelschluß. Die polizeiliche Erfahrung, belegtbar durch statistische Auswertung solcher Einsatzanlässe zeigt ein deutlich anderes Bild. Eben aus diesen Grund hat sich der Polizeipräsident Oberpfalz so geäußert. Die Polizei hat für alle denkbaren besonderen Einsatzanlässe Planentscheide und normierte Verfahrensabläufe entwickelt und schriftlich niedergelegt. Basierend auf Auswertungen vergleichbarer Einsätze und ständiger taktischer Weiterentwicklung sowie angepaßt an veränderte Rechtslagen. Der Einsatz T.E. fällt nicht unter diese Kategorie, weil nochmals, es ist ein alltäglicher Einsatzanlaß, bei dem es lediglich im Promillebereich zu Problemen kommt. Ein vergleichbarer Fall wie der des T.E. ist mir in Deutschland nicht bekannt und soweit ich weiß, auch im näheren europäischen Ausland nicht belegt.

Argumentationen, die mehr Fragen als Antworten liefern sind m.E. nicht besonders schlüssig.

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Sehr geehrter Herr Saint John,

sicherlich gibt es für alle möglichen Einsatzanlässe Planentscheide, aber niemand hat in diesem Fall bisher behauptet, dass über solche Einsatzpläne überhaupt nachgedacht wurde. Oder glauben Sie etwa ernsthaft, die acht Streifenbeamte aus vier Streifenwagen, die ohne Einsatzleitung in das Treppenhaus gingen, hätten vorher Einsatzpläne studiert? Es ist m.E. gerade die Gedankenlosigkeit, mit der dieser Einsatz begonnen wurde, der auch zu diesem tragischen Ergebnis beigetragen hat. Ich habe übrigens nicht vorgeschlagen  (siehe #58), die Polizei solle tatenlos bleiben.

Ich habe auch keineswegs zirkelschlüssig gefolgert, dass die Situation deshalb wahrscheinlich ist, weil sie eingetreten sei, sondern habe nur Folgendes  festgestellt: Sie nennen drei Versionen, die - was ich mit keinem Wort bestritten habe - durchaus möglich sind. Sie lassen dabei aber die Version aus, die eingetreten ist (und für die es Anhaltspunkte gab!), und meinen dann zuerst, diese tatsächlich eingetretene Version unterscheide sich nicht erheblich von einer völlig harmlosen Variante, die Sie angeführt haben.  Und deshalb erfordere diese Version, die ja auch völlig unwahrscheinlich sei, auch keine besondere Berücksichtigung.

 

Aus Ihren Argumenten entnehme ich: Die Polizei weiß besser, wie die Situation in der Wohnung ist als der Mitbewohner (weil der ja schließlich schon seit 15 Minuten nicht mehr dort war) und rechnet daher eher mit der harmlosen Variante als mit der schlimmeren. Und das soll vernünftig sein? Ich bleibe dabei: Die Polizei hätte (neben den anderen Versionen, die Sie nennen) AUCH berücksichtigen müssen, dass es so sein könnte, wie es dann auch war. Die Wirklichkeit wich hier nicht so weit vom Vorhersehbaren ab, dass man diese Variante hätte vernachlässigen dürfen. Das ist meine Schlussfolgerung: Wer überzeugt ist, alles richtig gemacht zu haben (bzw. dass die Kollegen alles richtig gemacht haben), ist auch nicht offen dafür, Lehren aus dem Ereignis zu ziehen. Das ist schade.

Die Einzigartigkeit des Falls liegt m.E. nicht im Verhalten des T.E., sondern in der polizeilichen Reaktion und im tragischen Ergebnis.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Das Klageerzwingungsverfahren ist bereits vor einigen Wochen beantragt worden - kann man abschätzen, wie lange es nun dauern dürfte, bin man wieder etwas hört? Gibt es da eine - u.U. längere - öffentliche Verhandlung oder würde das Gericht nur kurz seine Entscheidung bekanntgeben? Oder lässt sich so etwas nicht abschätzen?

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Sehr geehrter Mediziner,

das Klageerzwingungsverfahren selbst ist ein schriftliches Verfahren, eine Verhandlung dazu wird es also nicht geben. Irgendwann wird die Entscheidung verkündet. Ich habe gehört, dass damit nicht vor Juni (der heute beginnt)  zu rechnen sei. Falls der Antrag positiv beschieden wird, wird das OLG eine Anklageerhebung anordnen. Nur dann kommt es auch zu einer Hauptverhandlung. Gibt das Gericht dem Antrag nicht statt, dann bleibt es bei der Einstellung des Verfahrens. Damit wäre - bis auf den "Gang nach Karlsruhe" - der Rechtsweg erschöpft.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Vorgestern ist ein recht ausführliches Interview mit Polizeipräsident Kraus (Oberpfalz) im Blog regensburg-digital veröffentlicht worden, bitte hier nachlesen.

Alle Diskussionen über die praktischen Aspekte dieses Falles führen leider zu nichts, obwohl sich in dem Interview mit PP Kraus einiges wiederfindet, was ich bereits schon vorher angeführt habe.

Betrachtet man die zum Fall gehörigen Presseveröffentlichungen und auch die damit verbundenen Kommentare sowie einige Kommentare hier, ist ein gerichtlich geordnetes Verfahren ohnehin nicht mehr notwendig. Das Urteil steht bereits fest und es lautet SCHULDIG!!

Ein anderer Verfahrensausgang ist ohnehin für das, ich nenne es mal Lager T.E. nicht akzeptabel und wird neue Verschwörungstheorien und den weiteren Instanzenweg nach sich ziehen. Solange auch noch zumindest 1 Cent damit zu verdienen ist, wird sich immer ein Rechtsvertreter finden, der sich dieser Geschichte im Sinne seiner Klienten annimmt. Es mag sein, das Rechtsanwälte Organe der Rechtspflege sind, aber nur Träumer können annahmen, daß sie im Sinne der Wahrheit und Gerechtigkeit handeln, sondern stets im Interesse ihrerer Mandanten. Und zwischen Mandanteninteresse auf der einen Seite und Wahrheit und Gerechtigkeit auf der anderen Seite existieren meistens Schnittmengen, die gegen Null tendieren.

Kann es in diesem Fall ein gerechtes Verfahren geben? Ich behaupte, dies ist nicht möglich. Dazu ist mittlerweile bei nahezu allen Beteiligten die Objektivität abhanden gekommen.

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Sehr geehrter Herr Saint John,

"Kann es in diesem Fall ein gerechtes Verfahren geben? Ich behaupte, dies ist nicht möglich. Dazu ist mittlerweile bei nahezu allen Beteiligten die Objektivität abhanden gekommen." Wenn Ihr Argument stimmte, könnte in Fällen, die öffentlich diskutiert wurden, gar keine Hauptverhandlung mehr stattfinden. Eine öffentliche Vorverurteilung ist schließlich recht häufig. Sicherlich ist eine persönliche Befassung mit einem solchen Fall selten vollkommen objektiv und auch viele, die sich an der Diskussion beteiligen, sind dies nicht, können es auch angesichts jeweils nur bruchstückhafter Information nicht sein. Warum das gegen eine Befassung durch ein zuständiges Gericht sprechen soll, habe ich nicht verstanden. Ihr Argument, dass Rechtsanwälte natürlich die Seite ihrer Mandanten vertreten, ist richtig: Genau das ist die Aufgabe eines Rechtsanwalts. Genauso ist es natürlich eine der Aufgaben des Polizeipräsidenten, sich schützend vor seine Beamten zu stellen.

Der Vorwurf, dies geschehe bei Anwälten gegen Bezahlung, lässt sich immer erheben, hat aber für die Sache kaum Bedeutung. Ein Jurist / Gericht kann sehr wohl erkennen, welche Schriftsätze rechtlich und sachlich fundiert sind und welche nicht. Da ich die Schriftsätze beider Seiten kenne, erkenne ich durchaus Lücken in der Einstellungsbegründung, deren Klärung noch aussteht. Ihr Vorwurf ist zudem undurchdacht und einseitig: Die Verteidiger der tatverdächtigen Polizeibeamten haben auch nicht umsonst gearbeitet. Nach Ihrer Auffassung dürfte zwischen den Behauptungen der Strafverteidiger bzw. der Mandanten und der Wahrheit/Gerechtigkeit auch keine Schnittmenge existieren? Ich kann Ihnen auch nicht wünschen, dass Sie jemals einen Strafverteidiger brauchen, dessen Einwände im Verfahren mit dem Vorurteil zurückgewiesen werden, infolge der Bezahlung hätten seine  Angaben eh kein Gewicht.

Ich kann aus Ihren Vorbehalten gegen die Informationen von "interessierter" Seite nur folgern: Umso wichtiger ist es, dass ein unabhängiges Gericht die Sache prüft.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Leider ist die Manipulation der öffentlichen Meinung über die Medien in Aufsehen erregenden Fällen inzwischen in Deutschland üblich. Ein Fakt, mit dem alle Beteiligten umzugehen lernen müssen.

Ich möchte meinen Beitrag auch nicht als pauschale Anwaltsschelte verstanden wissen, habe auch nicht behauptet, daß keine Schnittmengen  zwischen Behauptungen von Anwälten und deren Mandanten sowie Wahrheit / Gerechtigkeit bestehen.

Ich möchte hier auch keine berufsethische Diskussion lostreten. Grundsätzlich pflege ich ein völlig unverkrampftes Verhältnis mit der Mehrzahl der Rechtsanwälte, denen ich bei inzwischen unzähligen Gerichtsterminen begegnet bin. Auch ich habe mich in der Vergangenheit schon eines Rechtsbeistandes bedient und mit Recht erwartet, daß er meine Sache mit dem gebotenen Nachdruck vertritt. Und genau deshalb weiß ich auch, daß ein Rechtsanwalt immer bestrebt ist, die Fakten aus seiner Sicht darzustellen und zu interpretieren. Eine Sicht, die für seinen Mandanten von Vorteil ist und die oftmals mit dem eigentlichen Geschehen nur ansatzweise in Deckung zu bringen ist. Die Person des Mandanten ist dabei nicht von Belang. Es könnte sich natürlich auch um Polizeibeamte handeln.

Weiterhin möchte ich nochmals auf eine zentrale Frage der ganzen Geschichte zurückkommen, auf die noch keiner eingegangen ist. Welchen Nutzen hat eine Staatsanwaltschaft von einer Verfahrenseinstellung? Warum sollte eine Staatsanwaltschaft Partei für Polizeibeamte des Streifendienstes ergreifen, mit denen es keinerlei persönliche Berührungspunkte gibt. Die Staatsanwaltschaft hat somit im Gegensatz zum Rechtsvertreter der Hinterbliebenen von T.E. keinerlei persönliche oder finanzielle Interessen. Und wenn eine Staatsanwaltschaft nach umfassenden Ermittlungen auch nach massivem öffentlichen Druck zu dem Schluß kommt, keine Anklage zu erheben, welchen Vorteil hat sie davon?

Was die Aufgaben des Polizeipräsidenten angeht, möchte ich allerdings widersprechen. Es ist nicht seine Aufgabe, sich grundsätzlich schützend vor seine Beamten zu stellen. Seine Aufgabe ist, seine Behörde sauber zu halten. Wenn nach interner Prüfung des Sachverhaltes Fehlverhalten von Polizeibeamten erkennbar ist, so ist dies auch zu sanktionieren. Wenn allerdings kein Fehlverhalten feststellbar ist, dann muß man von ihm erwarten, daß er sich schützend vor seine Leute stellt. Nichts anderes erwartet jeder seiner Beamten von ihm.

 

 

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Sehr geehrter Herr Saint John,

ich bin kein Vertreter der Theorie, dass sich die Staatsanwaltschaft durch eine Entscheidung "Vorteile" verschaffen wolle oder gar vorsätzlich eine Fehlentscheidung getroffen habe. Es ist auch eher eine schlichte Theorie, dass es bei solchen kniffligen  Entscheidungen darum gehe, sich Vorteile zu verschaffen. Der Mensch handelt nicht immer aus rein rationalen oder ökonomischen Gründen. Nein, Fehler werden überall gemacht und sind menschlich, selbst wenn der fehlende Mensch keinen  Vorteil davon hat. In diesem Fall ergeben sich Ungereimtheiten, die leider  auch eklatante Fehleinschätzungen der ermittelnden Kollegen bis hin zum LKA (fachlich hanebüchene "Erklärung" der Blutspritzer) einschließen, weshalb ich nach näherem Blick auf einige der wesentlichen Schriftsätze (aber ohne komplette Akteneinsicht) zu der Einschätzung gekommen bin, dass man um eine Hauptverhandlung nicht herum kommt, diesen Fall zu entscheiden. Die Staatsanwaltschaft ist offenbar zu einem anderen Ergebnis gekommen - aber selbst wenn sie davon keinen "Vorteil" hat, schließt das doch nicht aus, sich mit dem Fall kritisch zu befassen.

In einer idealen Welt würde die objektivste Behörde der Welt immer vollständig objektiv und fehlerlos ermitteln. Leider ist unsere Welt nicht ideal und es sind nicht alle Menschen so souverän, Fehler in der Öffentlichkeit einzuräumen (siehe z.B. die Fälle Kachelmann und No Angels, beide hier im Blog besprochen). Und leider gibt es auch in der bayerischen Justiz Fälle staatsanwaltlichen und gerichtlichen Versagens in der Fehlerbearbeitung, so dass ein gewisses Misstrauen leider verständlich ist (ich spiele auf den Fall "Rupp" in Neuburg an der Donau an, indem die StA - ohne davon irgendwelche Vorteile zu haben -  darauf beharrte, es sei alles richtig so, obwohl ein offenkundiges Fehlurteil vorliegt). Vgl. auch den Fall des Zellentods von Ouri Jallow, in der der BGH schließlich ein Machtwort über die heillos subjektiven und sträflich verschlampten Ermittlungen gegen Beamte sprechen musste. Eine gewisse Tendenz, die Welt der Behörden insgesamt  "sauber  zu halten" (Ihr Ausdruck), spielt womöglich psychologisch eine ungute Rolle in der Entscheidungsfindung. Das gilt natürlich für jeden Menschen, der evtl. eine Entscheidung gegen die "eigenen" Leute, die eigene Firma etc. treffen muss. Und da schließe ich mich ein.

Meines Erachtens ist deshalb die Frage, was die Staatsanwaltschaft für einen Vorteil davon hat, keine sonderlich weiterführende Frage, schon gar keine "zentrale Frage". Es bedarf des nüchternen Blicks auf die ermittelten (bzw. nicht ermittelten) Fakten, um zu beurteilen, ob eine Anklageerhebung geboten ist. Ich halte sie für geboten, aus sachlichen Gründen, aber auch im Interesse des Vertrauens in Polizei und Justiz und sogar im Interesse der (ehemals) beschuldigten Beamten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

(edit 24.06.)

 

 

 

Grüß Gott Herr Professor,

haben Sie vielen Dank für Ihre köstlichen Formulierungen:

"Und leider gibt es auch in der bayerischen Justiz Fälle staatsanwaltlichen und gerichtlichen Versagens in der Fehlerbearbeitung, so dass ein gewisses Misstrauen leider verständlich ist (ich spiele auf den Fall "Rupp" in Neuburg an der Donau an, indem die StA - ohne davon irgendwelche Vorteile zu haben -  darauf beharrte, es sei alles richtig so, obwohl ein offenkundiges Fehlurteil vorliegt). Vgl. auch den Fall des Zellentods von Ouri Jallow, in der der BGH schließlich ein Machtwort über die heillos subjektiven und sträflich verschlampten Ermittlungen gegen Beamte sprechen musste. Eine gewisse Tendenz, die Welt der Behörden insgesamt  "sauber  zu halten" (Ihr Ausdruck), spielt womöglich psychologisch eine ungute Rolle in der Entscheidungsfindung."

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

wie lange wird (kann, darf?) das Ergebnis des Klageerzwingungsverfahrens wohl noch auf sich warten lassen?

Mit freundlichem Gruß

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Sehr geehrter Herr hans,

nach meinen Informationen ist demnächst mit einer Entscheidung zu rechnen.

Mit bestem Gruß

Henning Ernst Müller

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