Die Filesharing-Debatte: Soll die Internetnutzung (staatlich bzw. privat) überwacht werden, um Urheberrechtsverstöße zu verhindern?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.12.2009

Auf Zeit-Online findet sich ein lesenwerter Beitrag von Sandro Gaycken zum Thema Filesharing und Demokratie.

Er argumentiert, dass weder eine staatliche Überwachung noch die nunmehr durch das ACTA (vgl. dazu zuletzt  Axel Spies hier im blog) beabsichtigte Überwachung durch die Provider im Vergleich zum Wert  einer freien und offenen Meinungsäußerung im Internet verhältnismäßig sei. Zumal die von der Musikindustrie behaupteten Schäden durch filesharing bestritten werden könnten.

Sein Fazit:

"Die freiheitsrechtlichen Kosten stehen in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen. (...), weil dieser Nutzen die Abwendung von finanziellen Schäden einer Minderheit ist. Die Wahrung wichtiger Menschen- und Grundrechte sollte dagegen immer schwerer wiegen."

Daher sei auch die Haltung der Politik, die solche Bestrebungen der Musiklobby unterstütze (3-strikes Regel u.ä.)  fragwürdig.

Allerdings stellt Gaycken sich keineswegs hinter das Filesharing selbst:

"Es hat keinen nachweisbaren politischen Hintergrund und keinen politischen Wert. Es ist primär eine marktwirtschaftlich illegale und keine politische Handlung. Dagegen vorzugehen ist gesellschaftlich geboten."

Nun fällt ihm für dieses "dagegen Vorgehen" auch keine Lösung ein. Jedes individuelle Vorgehen (Strafrecht wie Zivilrecht) gegen Filesharer setzt ja gerade die von ihm beklagte Überwachung voraus. Eine folgenlose gesellschaftliche "Ächtung" des Filesharing bringt aber wohl auch nichts.

Also doch eine Kulturflatrate a la GEZ für alle Internetnutzer?

 

 

 

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11 Kommentare

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Eine Kulturflatrate ist eine potentielle Möglichkeit.

Meine Argumentation ist schon seit jeher im ersten Teil ähnlich der von Gaycken und war vor Jahren meine Motivation die Piratenpartei mit zu gründen.

Rechte - auch und gerade gerade Immaterialgüterrechte - existieren nicht als Selbstzweck sondern hauptsächlich aus der Überzeugung das daraus ein Nutzen für die Allgemeinheit erwächst. Urheberrecht wie Patentrecht habe aus diesem Grunde ursprünglich auch eine Begrenzung. Im Urheberrecht ist diese teilweise schon Makulatur. Siehe den Disney-Act oder auch die derzeitigen hauptsächlich aus GB nach Europa getragenen Bemühungen zu verhindern das die Beatles oder die Rolling Stones jemals frei verfügbar sein werden (erst einmal ein verlängern - dann weitersehen wie in den USA ebenfalls).

Bei Patenten kann man schön anhand der Debatte um das IQUiG und Sawickis sehen wie so etwas (nicht nur) bei Pharma-Patenten gemacht wird. Da man Patentlaufzeiten nicht so leicht wie das Urheberrecht ändern kann wird dort eben eine Scheininnovation ohne Wirkungsverbesserung patentiert und diese gefördert.

Ebenso selbstverständlich wie man bei Patenten und den Scheininnovationen "entrüstet" ist wird die Argumentation der Content-Industrie das man nahezu unendliche Laufzeiten bräuchte geschluckt. Eine Debatte darüber welche Laufzeiten man überhaupt sinnvollerweise "genehmigen" sollte wird nicht geführt. Und - in Addition - eine Diskussion wie man den gesellschaftlich erwünschten Zweck ggfs. mit einem milderen oder anderen Mittel erreichen kann wird ebenfalls nicht geführt.

Eine Kulturflatrate ist jedoch wie ein Mindestlohn und ist auch wie die von der Koalition nun geprobten Leistungsschutzrechte für Verlage. (nach VG Wort eine VG Zeitung). Es sind nämlich nicht die (zweckgeprüften) Mindestanforderungen welche damit erfüllt werden sondern die Forderungen der Urheber. Ich glaube der Umsatz(!) der Musikindustrie liegt bei 1,7Mrd Euro(1). Davon ein großer Teil auch durch CD´s (also Hardware) verursacht. Würde man annehmen das keine CD mehr verkauft und damit auch keine mehr gekauft werden müssten wären vielleicht effektiv 1Mrd zu ersetzen (Umsatz... nicht Gewinn). Teilt man 1Mrd Euro durch 55mio Haushalte/Telefonanschlüsse kommt man auf 20 Euro pro Haushalt. Durch 12 geteilt hätte man etwa 1,70 im Monat zu zahlen. Dann wäre der komplette(!) Umsatz der Musikindustrie (abzgl. Hardware, inkl. Gewinn) ersetzt und kein Musiker hätte weniger als davor und das Urheberrecht auf Musikstücke wäre mithin obsolet.

Macht man Differenzierungen wie eine Freigabe lediglich für Privatkopien dann reicht sicher auch 1 Euro pro Monat und Haushalt/Telefonanschluss aus. Volkswirtschaftlich gesehen ist die Musikindustrie ein Witz.

Frage: welcher Musikindustrielle bzw. welche MI-GEZ würde sich mit einem Euro pro Monat zufrieden geben? Mit im Schnitt 3 Euro pro Monat könnte man Filme und Software vermutlich ebenfalls einbeziehen und wären abgegolten.

Grüße
ALOA

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Musikindustrie#Krisen

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....und wie bemessen wir dann den Umfang? Oder geht es bloß um die Ausfinanzierung einer öffentlich-rechtlichen Kulturanstalt, die dann zukünftig auch die Nachfolger der "No Angels" produziert? Oder eine Art Kopierabgabe auf Internetanschlüsse (analog den Verwertungsgesellschaften, nicht unbedingt der GEZ)?

Und natürlich müsste dann an die Urheber ausgeschüttet werden, nicht an die Produzenten und Vermarkter... In den Absprachen zwischen Produzenten und Verwertern liegt dann noch ein besonderes Risiko, dass quasi Kosten künstlich generiert werden.

Wie bestimmen wir die Quote? Per TED? Viele (Verkaufs-, Zuschauer-, Zuhörer-)Quoten sind ja eh ziemlich halbseiden (vgl. Diskussion zu Media Control Charts, Radioquoten).

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Interessant finde ich in diesem Zusammenhang immer wieder aus welchen vermeintlichen Tatsachen einige Autoren meinen Schlussfolgerungen herleiten zu können, und, was noch bedenklicher ist, welche Behauptungen sich allmählich in der öffentlichen Wahrnehmung aufgrund von zum Teil sogar gezielter Fehlinformationen zu Tatsachen verdichtet haben. Durch gebetsmühlenartige Wiederholung von Behauptungen wie "Am Ende kassieren doch nur die Plattenbosse die Kohle" oder "Beim Künstler kommt eh keine Vergütung mehr an" werden die Behauptungen sicher nicht wahrer. Es mag sein, dass es einzelne "Plattenbosse" ihre Künstler nicht bezahlen, zwischen den unabhängigen, also nicht konzerngebundenen Künstlern und ihren Partnern, seien es Label, Verlage oder Agenturen besteht allerdings ein enges, fast symbiotisches Verhältnis, in vielen Fällen fallen die Rollen schlichtweg in einer Person zusammen. Es sind diese Personen, die sich dann einer beispiellosen Schmähkritik ausgesetzt sehen, wenn sie sich ausnahmsweise selbst in Blogs zu Wort melden, um darauf hinzuweisen, dass sie von der Vermarktung der von Ihnen geschaffenen Musik wenigstens einen Teil ihrer Miete bezahlen wollen.

Ein Beispiel für sogar gezielte Fehlinformation war die Verbreitung einer Nachricht über "Zeit-Online", der ich in diesem Zusammenhang etwas ausführlicher nachgehen möchte und die vor dem Hintergrund des aktuellen Themas durchaus eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, man könnte fast sagen, der Artikel in der Zeit ergibt sich als Folge eines Themas, dass zu einem früheren Zeitpunkt in diesem Jahr ebenfalls kontrovers diskutiert wurde:

Ende April dieses Jahres erschienen weltweit Presseveröffentlichungen mit Überschriften wie „Piraten zahlen gern“ und dem Inhalt „Eine Studie rettet die Ehre der Musikpiraten: Wer illegal Songs herunterlädt, wird sie später höchstwahrscheinlich legal kaufen.“ „Musikpiraten sind gar nicht so böse. Die Plattenindustrie profitiert sogar von ihnen“ „Musikpiraten (…) sind die größte Kundengruppe der legalen Download-Plattformen. Forscher der BI Norwegian School of Management haben rund 2.000 Nutzer illegaler Portale zu ihrem Musikkonsum befragt. Ihre Bereitschaft, für Musik zu bezahlen, sei zehnmal höher als die derjenigen, die nicht in P2P Tauschbörsen aktiv sind“ (alle Zitate: Rabea Weiser in der Zeit Online).

Ähnliche Artikel erschienen in zahlreichen internationalen Publikationen (s.u.)

Der Verband der unabhängigen Musikunternehmen VUT e.V. - das ist die Interessengemeinschaft der unabhängigen Musikschaffenden, Label, Verlage etc. - fanden diese Ergebnisse interessant, die wenigen veröffentlichten Zahlen schienen die von den Medien gemachten Aussagen aber nicht zu unterstützen. Der VUT machte sich daher die Mühe und kontaktierte deshalb die BI Norwegian School of Management um ein Exemplar der Studie anzufordern.

Zum Verständnis: Merkmale wissenschaftlicher Publikationen
Unter einer wissenschaftlichen Publikation versteht man eine „schriftliche wissenschaftliche Arbeit von einem oder mehreren Autoren, deren Veröffentlichung (Publikation) bei einem Wissenschaftsverlag vorgesehen oder bereits erfolgt ist. (...) Wissenschaftliche Arbeiten unterliegen einem sogenannten peer review, in welchem andere Wissenschaftler die Korrektheit und Relevanz der zu publizierenden Arbeit prüfen.“. Beiträge, die als Artikel in Fachzeitschriften erscheinen sollen, müssen „formalen und inhaltlichen Kriterien genügen, um im peer review Prozess zur Veröffentlichung akzeptiert zu werden. Dabei überprüfen Fachgutachter die Arbeiten auf wissenschaftliche Güte. Die Zeitspanne zwischen Einreichung und der effektiven Publikation kann unter Umständen mehr als ein Jahr betragen. Die Prüfung der zu publizierenden Befunde im peer review Verfahren gewährleistet aber meist auch eine hohe Qualität der wissenschaftlichen Publikation.“

„Um falsche und gefälschte Resultate zu unterbinden, wird es den Forschern in der Regel nicht gestattet, eine Publikation nachträglich zurückzuziehen – so dass der Ruf, der mit einer nicht korrekt geleisteten Arbeit verbunden ist, kaum zu tilgen ist.“

Es wird u.a. publiziert, um die „Forschungsergebnisse der wissenschaftlichen Gemeinschaft (...) vorzustellen, erst dadurch werden sie „existent“ und können zitiert werden.“ (zit. nach Wikipedia)

Die „norwegische Studie“ (Stand 22. Juni 2009)
Überraschender Weise sind die viel zitierten Ergebnisse der „norwegischen Studie“ von Gran und Molde nach wissenschaftlichen Kriterien überhaupt nicht veröffentlicht.

Nach Auskunft von Herrn Molde handelt es sich bei den Darstellungen auf der institutseigenen Homepage um eine „Pressemitteilung“. Es existiert zur Zeit keine schriftliche wissenschaftliche Arbeit, die in einem Wissenschaftsverlag veröffentlicht wurde oder mit dem Zweck einer Veröffentlichung bei einem entsprechenden Verlag als Manuskript eingereicht wurde. Dementsprechend konnten die aus einer Telefonbefragung gezogenen Ergebnisse auch noch nicht von Fachgutachtern im Rahmen des peer review überprüft werden.

Aufgrund der wenigen in der Pressemitteilung enthaltenen Informationen ist eine abschließende inhaltliche Bewertung der Studie nicht möglich. Anzumerken ist allerdings:

• In der Pressemitteilung werden die Ergebnisse in verschiedenen Tabellen dargestellt. Durchgängig werden in diesen Tabellen sehr heterogene Gruppen gebildet ***miteinander verglichen…

Beispielsweise beinhaltet die Gruppe „Not using unpaid downloads“ 60% der 15-20Jährigen, also alle die kein internet ben., gar keine musik down loaden, unehrlich sind etc… In dieser Gruppe 7 paid downloads (Durchschnitt?)

• Nach einer Tabelle benutzten im Untersuchungszeitraum 40% der 15 bis 20jährigen sog. „unpaid downloads“ und 49% dieser Altersgruppe „paid downloads“. Der berichtete Befund, dass die „unpaid“-Benutzer auch zehnmal soviele „paid downloads“ nachweisen konnten, bedeutet, dass es hier eine Überschneidung geben muss: Es handelt sich also nicht um zwei getrennte Gruppen von Nutzern, sondern ein Teil der befragten 15 bis 20jährigen benutzte offensichtlich beide Möglichkeiten, um Musik zu bekommen. In der Pressemitteilung wird die wesentliche Information, wie viele dies eigentlich sind, nicht gegeben.

• Es werden keinerlei Angaben darüber gemacht, wie groß die Gruppe derjenigen in dieser Altersgruppe ist, die überhaupt keine Downloads tätigten (also weder „paid“ noch „unpaid“ ) und wieviele CDs diese kauften. Anhand der veröffentlichen Zahlen könnte diese Gruppe sowohl 11% als auch bis zu 51% der Untersuchungsteilnehmer ausmachen. Eine große Gruppe von Teilnehmern die beide Downloadarten benutzten ist aber wahrscheinlicher, da bei einer Divergenz der beiden Nutzergruppen (paid vs. unpaid) das viel zitierte Ergebnis unmöglich gewesen wäre.

• Eine ebenfalls nicht näher quantifizierte Gruppe lehnte möglicherweise die Nutzung unbezahlter Downloads vollständig ab und gab an, für den Erwerb von Musik im Internet immer zu zahlen.

Wenn in Interviews Teenager nach ihrer eigenen Beteiligung an illegalem Verhalten gefragt werden, muss immer von einem Anteil unehrlicher Antworten ausgegangen werden, dieser kann erfahrungsgemäß von 5% bis zu 30% der Antworten reichen (siehe Vielzahl von Studien zur sozialen Erwünschtheit).

Es ließen sich noch viele, weitere Argumente anfügen, warum die Ergebnisse der Studie inhaltlich keiner kritischen Prüfung standhalten können. Jedenfalls lassen sich aus der extrem selektiven Art der Darstellung keine seriösen Aussagen über die Relevanz der Befunde ableiten. Ob das so gewollt oder aus reiner Unfähigkeit geschehen ist nicht nachweisbar.

Allerdings sind die Hintergründe der handelnden Personen und Institutionen aufschlussreich.

Die Autoren:

Die neu als Professorin berufene Anne-Britt Gran veröffentlichte seit 2004 nur sieben Artikel sowie ihre Dissertation (engl. Übersetzung des norw. Titels: „White Lies/Black Myths – Ethnicity on the Stage of Modernity). Grans bisherigen Arbeiten erschienen in ihrer Landessprache norwegisch und scheinen sich mit Theater, Kultur und Management zu befassen. Es liegen keine internationalen Veröffentlichungen vor, die in der Wissenschaft Grundlage für die Beurteilung der Kompetenz von Forschern sind.

Prof. Gran ist neben ihrer Tätigkeit an der BI Norwegian School of Management auch Partner und Senior Advisor der PR-Firma Perduco Kultur; eine Tochterfirma der PR- und Lobbyfirma Perduco AS, die auch mit der eigentlichen Durchführung und Auswertung der Untersuchung beauftragt war.

Der andere Autor, Ass. Prof. Auden Molde, wird in der Pressemitteilung der Institutshomepage als Ansprechpartner für die Musikwirtschaft genannt. Verschiedene Recherchen sowohl auf der Institutshomepage, als auch über Google blieben erfolglos bezüglich bisheriger wissenschaftlicher Tätigkeiten. Er scheint der Autor eines Buches über Popmusik zu sein, leider konnte aber auch hierzu nichts weiter gefunden werden.

Perduco AS:

Die Untersuchung wurde – wie es auf der Insitutshomepage dargestellt wurde – im Rahmen einer Kooperation der privaten BI Norwegian School of Management und der Perduco AS durchgeführt. Die Datenerhebung (Telefonbefragung) und statistische Auswertung führte Perduco AS aus.

Bei Perduco AS handelt es sich nicht um ein unabhängiges wissenschaftliches Forschungsinstitut, sondern, wie man der firmeneigenen Webpage entnehmen kann, um eine PR- und Lobbyfirma - spezialisiert auf „strategic communication“ durch Forschungsprojekte, die von ihren Kunden in Auftrag gegeben werden. Für die anspruchsvollen Kunden („demanding clients“) im privaten und öffentlichen Sektor werden Forschungsprojekte gezielt entworfen, durchgeführt und ausgewertet. Perduco führt jährlich ca. 20.000 Interviews aus und verfügt so stets über die Struktur und einen genügend großen Datenpool um eine Zufriedenheit ihrer Kunden zu gewährleisten.

Zu den Spezialgebieten der Perduco AS zählen laut ihrer Eigendarstellung u.A. „Meinungsbildung“ und „reputation building“. Perduco gibt an, zu diesem Zweck die geeigneten „Kommunikationsstrategien“ , Texte und Pressemitteilungen zu entwerfen.

Auf der Firmenwebpage von Perduco wird nicht ohne Stolz auf mehr als 1600 „media stories“ hingewiesen, die allein im Jahr 2008 aufgrund der von Perduco erstellten Studien und Berichte in 185 verschiedenen Medien erschienen seien.

Die Ergebnisse der „norwegischen Studie“ konnten erfolgreich in folgenden Medien lanciert werden: Guardian (UK), El Pais (Spanien), AFP, der Freitag, London Daily News, Music Week, Le Monde (Frankreich), Hip Hop Law (USA), Politiken (Dänemark), Die Zeit (Deutschland).

Ungenannt bleiben auf der website Perducos Auftraggeber.

Zu Rabea Weisers Artikel in der Zeit

Wie ausgeführt, enthält schon die Pressemitteilung gravierende methodische Mängel – Rabea Weiser übernimmt im Zeit Artikel nicht nur unkritisch die in der PM vorgegebenen Interpretationen sondern fügt selbst weitere Fehlinformationen hinzu.

Inhaltlich falsch ist beispielsweise ihre Darstellung, es wären „2.000 Nutzer illegaler Tauschbörsen“ befragt worden. Tatsächlich gab es insgesamt 1.901 Befragte von denen 17% Nutzer von „unpaid“ downloads waren, also 323 in der Gesamtstichprobe.

Weiterhin bezieht sich das viel zitierte Ergebnis bezüglich legaler Musikkäufe wie erwähnt nur auf einen kleinen Ausschnitt der Gesamtstichprobe, nämlich die 15 bis 20 Jährigen. Die Pressemitteilung erwähnt dies noch (verschweigt aber das Verhalten der anderen Altersgruppen), im Zeit Artikel wird dieses Ergebnis schon in der Überschrift als generell gültiger Befund bezüglich aller „Musikpiraten“ dargstellt.

Musikpiraten (…) sind die größte Kundengruppe der legalen Download-Plattformen?

Die Pressemitteilung wurde im April lanciert – über das Urteil im vielbeachteten Verfahren gegen die Pirate Bay Betreiber erging am 17.April.

Nachtrag:
Die auch im Wissenschaftsbetrieb bekannte Problematik, daß interne Berichte z.T. ungewollt von einer interessierten Öffentlichkeit/Presse gelesen und auch verwertet werden, besteht zwar– ebenso wie der Druck der z.T. von Geldgebern einer Studie ausgeübt wird und (um der Konkurrenz vorauszusein) zu einer Verwendung interner Arbeitsberichte vor der eigentlichen Veröffentlichung führt – dies muss aber klar abgegrenzt werden von der hier gezeigten gezielten Beeinflussung der Medien: Die von der Presse wiedergegebenen Befunde wurden von einer PR-Firma dort im Sinne der geplanten „strategischen Kommunikation“ lanciert.

RA Reinher Karl
Justiziar VUT

Weder eine Überwachung der Internetnutzung, noch ein Internetverbot in den Fällen der downloads oder eine Kulturflatrate sind taugliche Ansätze, vielmehr ein trauriges Zeichen untauglicher Lösungsansätze. Wenn insbesondere die Marketing-, Management-, Verwaltungs-, Produktionskosten in der Musikbranche endlich auf ein realistisches Mass reduziert würden, könnte man auch realistische Preise für Medienprodukte kalkulieren, es würde sich wieder Qualität durchsetzen, anstatt sehr oftmals minderqualitative dafür umso intensiver beworbene Produkte.

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Sehr geehrter Herr Karl,

besten Dank für Ihren langen Diskussionsbeitrag! Sie verweisen auf ein Problem, das uns in der Wissenschaft leider immer öfter begegnet: Studienergebnisse, die von bestimmten Lobbies (Sie werden sicher zustimmen, dass dies keineswegs nur die eine Seite betreibt, sondern etwa auch Teile der Musikindustrie) werden der Presse vorab mitgeteilt, ohne dass sie vorab auf Einhaltung wissenschaftlicher Standards getestet werden konnten, ja, ohne dass man sie überhaupt nachlesen kann. Ihr Beispiel ist nur eines von Vielen. Die Medien greifen gern auf solche "Studien" zurück, es macht halt wenig Arbeit bei der Recherche, wenn dies alles schon mundgerecht serviert wird.
Gegenrecherche ist sehr mühevoll, zumal in Norwegen. Der Leser muss gerade bei solchen Mitteilungen skeptisch bleiben.

Mir war diese "Studie" allerdings nicht bekannt und ich hätte sie auch nicht sonderlich ernst genommen: Selbstverständlich gibt es viele Jugendliche, die früher (wie auch ich) mit dem "Casi" alle bei Freunden und Bekannten und im Radio erreichbaren Musikstücke aufgenommen hätten (ich hatte z.B. genau eine bezahlte LP von den Beatles, alles andere von den fabulösen vier "kostenfrei" auf C90 Cassetten), dies heute noch viel effektiver im Internet "tauschen und teilen". (Allerdings: Hätte ich das früher nicht gekonnt, würde ich heute mit Sicherheit nicht immer noch ein regelmäßiger Käufer gerade der von VUT-Unternehmen produzierten Musik sein).

Das kostenfreie Musikhören und -tauschen auf Cassetten war - bis auf die Technik - dasselbe Verhalten wie das heutige filesharing und m.E. ist das Strafrecht hier einfach unangebracht. Das überzogene Gerede von "Raubkopien" hat in meinen Augen den Interessen der Musikindustrie mehr geschadet als genützt - ich jedenfalls kann das nicht ernst nehmen.

Es ist sicherlich nicht plausibel, dass "Piraten" mehr Musik kaufen als "Nichtpiraten" und daher das filesharing für den Verkauf geradezu nützlich sei. Selbstverständlich kaufen dieselben Jugendlichen, die Musik tauschen auch gelegentlich Musik (oder sie werden von Verwandten mit CDs oder itunes-Gutscheinen beschenkt). Für Pop und Rockmusik sind eben Jugendliche trotz ihres klammen Geldbeutels die Hauptzielgruppe und waren es auch früher. Aber die Digitalisierung, die zunächst der Industrie einen Riesenumsatz gebracht hat, weil alle die Musik auf CD noch einmal kaufen "mussten", hat sicherlich später wegen der leichten und verlustfreien Kopierbarkeit zu Umsatzverlusten beigetragen: Das wird heute niemand ernsthaft leugnen können (wenn auch VUT-Unternehmen nicht so hart betroffen sind, s.u.). Die Musikindistrie hat hier auch einiges zum (eigenen) Schaden beigetragen, aber auch die Kostenlos-Mentalität im Internet ist verantwortlich, und dieser hängen nicht nur mehr Jugendliche an.

Dass das Internet allerdings nicht nur von Übel ist, zeigen gerade die in der VUT zusammengeschlossenen Unternehmen: Ohne Internet würde sich Vieles aus dem independent-Bereich gar nicht vermarkten lassen, wie diese VUT-Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2005 zeigt (Titel: "Wachstum gegen den Trend"):
http://tinyurl.com/y9kqbwf

Eine richtig "schlaue" Lösung, die ohne Überwachung auskommt und trotzdem den Kreativen und Produzenten ihren fairen Anteil garantiert, sehe ich allerdings auch noch nicht.

Besten Gruß
Henning Ernst Müller

Obwohl ich durchaus Verständnis für die von Herrn RA Karl vorgetragenen Belange habe, muß ich doch sagen, dass ich sehr gerne eine, wenn es sein muß, auch etwas höhere als von aloa5 vorgeschlagene, Kulturflatrate entrichten würde, wenn ich mich dadurch von permanenter Überwachung, sei es durch den Staat, sei es durch die Provider, freikaufen könnte.
Freikaufen nicht etwa, um dann hemmungslos Musik und Filme etc. zu konsumieren, sondern vielmehr, um ohne psychologischen Druck, d.h. ohne die ständige Befürchtung, mich, obwohl ich nichts Illegales tue, dennoch irgendwie "verdächtig" zu machen, meinen beruflichen und politischen Informationsbedürfnissen nachgehen zu können.
Würde man in der "realen" Welt, ohne dass man irgendwelche Diebstahlsabsichten hegt, auf der Straße alle dreißig Meter durchsucht und nach den Personalien gefragt, dann würden doch alle zustimmen, dass ein solches Vorgehen juristisch völlig unverhältnismäßig und gesellschaftlich völlig unerträglich ist!
Und dieselbe Bewertung müßte doch auch für die virtuelle Welt, für das Internet gelten.

Aber auch eine Kulturflatrate wäre keine Lösung, denn viele Menschen nutzen diese Unterhaltungsformen nicht in relevantem Maß, haben daran kein Interesse oder beruflich keine Zeit. Hier wir von der Industrie ein Bedürfnis nach exzessiver Unterhaltung suggeriert, dass die meisten Menschen garnicht haben, lediglich vielleicht einige reifende teens und für die braucht es eben auch keine Pauschallösungen, schon gar keine Internetüberwachung.

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via nerdcore komme ich auf diesen Artikel

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40915958.html

aus einer fernen Vergangenheit. Er stammt aus dem Jahr 1977. Damals wird die große Krise der Musikindustrie beklagt: Leerkassetten machen der Musikkultur den Garaus. Schulklassen kaufen nur noch eine LP und kopieren sie dann schamlos mit dem Kassettenrecorder. Oder die Konsumenten tun das ganz kostenlos, indem sie Radiosendungen einfach mitschneiden! Unerhört! Die Musikindustrie schäumt: Die moderne Kassettentechnik bedeutet spätestens 1990 den Untergang... aber lesen Sie selbst.

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