BVerfG: Mündliche Verhandlung zur Vorratsdatenspeicherung heute

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 15.12.2009

Besonders energisch scheint mir die Verteidigung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung durch die Bundesregierung nicht gewesen zu sein: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erschien entgegen der Gepflogenheiten erst gar nicht vor Gericht, weil sie Beschwerdeführerin und Vertreterin der Bundesregierung zugleich ist. "Ihre Staatssekretärin Birgit Grundmann ging kaum inhaltlich auf das Gesetz ein und verwies darauf, dass die Bundesregierung in besonderer Weise dem Datenschutz verpflichtet sei..."

Quelle: u.a. http://www.news.de/politik/855036687/regierung-verteidigt-vorratsdatenspeicherung/1/

Was meint die Beck-Community zur mündlichen Verhandlung? Wie wird das BVerfG entscheiden? 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

11 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Meiner Meinung nach ist es bedenklich, dass das Bundesverfassungsgericht neben der verfassungsrechtlichen nach dem Vortrag der BReg auch eine politische Entscheidung treffen soll. Die FDP als "Bürgerrechtspartei" kann sich die schweren Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung eigentlich nicht erlauben, andererseits mauert der Koalitionsparner; der Koalitionsvertrag schließlich verweist meines Wissens auf die VB. Legislatorische Gesetzesänderungen sind in nächster Zeit also nicht zu erwarten. Mit einem vollen Erfolg der Beschwerdeführer ist wegen der Rechtsprechung des EuGH nicht zu rechnen. Dessen Vorgaben wiederum muss das BVerfG berücksichtigen, wenn es "nachbessern" lassen will.

0

Unsere neue Bundesjustiziministerin hätte heute in Karlsruhe in der Tat "zwischen den Stühlen" Platz nehmen müssen, allerdings mit einer klaren Tendenz zu den Beschwerdeführern. Ihr Nichterscheinen spricht aus meiner Sicht eindeutig für ihre innere Einstellung gegen die Vorratsdatenspeicherung, wie sie derzeit Gesetz ist. Die aktuelle Gesetzeslage kann nicht im Sinne einer Partei sein, die sich für Bürgerrechte einsetzt. Dies zeigt auch ein Blick auf die Reihe der prominenteren Beschwerdeführer.

Wie wird das BVerfG entscheiden? Dies läßt sich m.E. nicht vorhersehen. Es spielt eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle. Zum einen verschließt sich nach dem zwischenzeitlich wohl gefestigten Rollenverständnis des BVerfG für dieses eine volle Nachprüfung, da die nationale Gesetzgebung auf einer nach dem Gemeinschaftsrecht umzusetzenden Richtlinie basiert. Andererseits geht die im nationalen TKG getroffene Ausgestaltung über das hinaus, was gemeinschaftsrechtlich vorgeschrieben ist. Diesen Hebel könnte das BVerfG durchaus nutzen, um die seine verfassungsrechtlichen Bedenken zu Gehör zu bringen. Ferner böte der für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik wie auch für den Staat bedeutende Fall die Gelegenheit, die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen. Dort könnten und würde von den Luxemburger Richtern eine Grundrechtspürfung vorgenommen werden, wie dies im abgeschlossenen Verfahren der Republik Irland nicht möglich gewesen ist.

Ob es soweit kommt, vermag ich nicht zu sagen. Ich würde es uns jedoch wünschen.

0

Die FDP ist keine Bürgerrechtspartei. Die L.-S., Baums und Hirschs sind dort inzwischen die Heiner Geißlers der FDP.

Für mich war diese Passage der Twitter-Übertragung interressant:

17:44 akvorrat: Hirsch: Bundesgesetzgeber müsse Zugriff genau regeln, wenn er Speicherung vorschreibt.

17:49 akvorrat: Papier: Für Senat wichtig zu prüfen, in wieweit Bundesgesetzgeber, der VDS einführt, auch Nutzungsmodalitäten regeln muss.

17:52 akvorrat: Papier: Bundesgesetzgeber solle dann nicht überrascht sein über Begründung im Urteil des #BVerfG.

Und damit sehe ich das Urteil schon vor mir. Es ist jedoch nicht sonderlich befriedigend.

"Lustig" wird jedoch in der Tat das dann folgende sein. Denn dem Gesetzgeber - und dort sitzt die FDP - wird dann auferlegt Zugriffsbeschränkungen zu erstellen. Leutheusser-Schnarrenberger müsste(?) dann ein Gesetz entwickeln gegen dessen Grundlage, nämlich die Datenspeicherung an sich, sie geklagt hat. Sollte meine Vorhersage eintreten wäre ich über das procedere gespannt.

Grüße
ALOA

0

Die Zeitungen sehen es z.T. ebenso. Exemplarisch sei dabei die "Zeit" genannt:
http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2009-12/vds-bverfg-prozessbericht...

Effektiv bliebe danach nur noch eine theoretische Hülle des entsprechenden Grundrechtes übrig. Ich glaube nicht das es noch zu dämmen oder gar revidierbar sein wird. Ich erinnere dabei nur an die "Operation Mikado" und an die Geschichten im Vorfeld von Heiligendamm. Weiterhin sind die Maut OBU´s oder via Kfz-Scanner im Gespräch, der ungeprüfte Personalausweis kommt 2010 mit einem RFID der bis zu 20m auslesbar ist und Schäubles "Zentralstelle für Kommunikationstechnologien" ist auch schon da.

0

Ist meine schon einmal aufgeworfene Frage für die hiesigen Experten zu schwer?:
Kann das BVG grundsetzlich die via EU-Ministerrat und EU-Parlament, sowie Zustimmung des Bundestages beschlossene EU-Richtlinie überhaupt kippen? D.h. EU-Recht gegen Landesrecht stellen?

0

Grundsätzlich nicht, des es besteht ein Anwendungsvorrang des EU-Rechts. Jedoch soll nach der Diktion des BVerfG anhand der Ultra-Vires-Kontrolle bzw. der Verfassungsidentität eine Ausnahme möglich u.U. zulässig sein.

0

BVerfG, Urt. v. 30. 2009 - 2 BvE 2/08 u.a., Rn. 240 f.

Innerhalb der deutschen Jurisdiktion muss es zudem möglich sein, die Integrationsverantwortung im Fall von ersichtlichen Grenzüberschreitungen bei Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch die Europäische Union - dies wurde auch von den Bevollmächtigten des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung betont - und zur Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes im Rahmen einer Identitätskontrolle einfordern zu können (vgl.BVerfGE 75, 223 ; 89, 155 ; 113, 273 ). Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür bereits den Weg der Ultra-vires-Kontrolle eröffnet, die im Fall von Grenzdurchbrechungen bei der Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch Gemeinschafts- und Unionsorgane greift. Wenn Rechtsschutz auf Unionsebene nicht zu erlangen ist, prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich unter Wahrung des gemeinschafts- und unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 2 EGV; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon) in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten (vgl.BVerfGE 58, 1 ; 75, 223 ; 89, 155 : dort zum sogenannten ausbrechenden Rechtsakt). Darüber hinaus prüft das Bundesverfassungsgericht, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist (vgl.BVerfGE 113, 273 ). Die Ausübung dieser verfassungsrechtlich radizierten Prüfungskompetenz folgt dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, und sie widerspricht deshalb auch nicht dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV-Lissabon); anders können die von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV-Lissabon anerkannten grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen souveräner Mitgliedstaaten bei fortschreitender Integration nicht gewahrt werden. Insoweit gehen die verfassungs- und die unionsrechtliche Gewährleistung der nationalen Verfassungsidentität im europäischen Rechtsraum Hand in Hand. Die Identitätskontrolle ermöglicht die Prüfung, ob infolge des Handelns europäischer Organe die in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG verletzt werden. Damit wird sichergestellt, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nur kraft und im Rahmen der fortbestehenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung gilt.
241

Sowohl die Ultra-vires- als auch die Identitätskontrolle können dazu führen, dass Gemeinschafts- oder künftig Unionsrecht in Deutschland für unanwendbar erklärt wird. Zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung verlangt die europarechtsfreundliche Anwendung von Verfassungsrecht bei Beachtung des in Art. 100 Abs. 1 GG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedankens, dass sowohl eine Ultra-vires-Feststellung wie auch die Feststellung einer Verletzung der Verfassungsidentität nur dem Bundesverfassungsgericht obliegt. In welchen Verfahren das Bundesverfassungsgericht im Einzelnen mit dieser Kontrolle befasst werden kann, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden. In Betracht kommt die Inanspruchnahme bereits jetzt vorgesehener Verfahren, mithin die abstrakte (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) und konkrete (Art. 100 Abs. 1 GG) Normenkontrolle, der Organstreit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), der Bund-Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) und die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Denkbar ist aber auch die Schaffung eines zusätzlichen, speziell auf die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle zugeschnittenen verfassungsgerichtlichen Verfahrens durch den Gesetzgeber zur Absicherung der Verpflichtung deutscher Organe, kompetenzüberschreitende oder identitätsverletzende Unionsrechtsakte im Einzelfall in Deutschland unangewendet zu lassen.

0

Ich freue mich über die versierten Kommentare. Es scheint mir h.M. hier im Blog zu sein, dass eine Richtervorlage zum EuGH durch das BVerfG wohl nicht in Frage kommt. Lieber Kollege Gustav Mahler, ist Ihre Frage hinreichend beantwortet?

Offensichtlich ist meine gestrige Nachricht nicht angekommen. Insofern:

Herzlichsten Dank an IG für diese informative Antwort.

0

Kommentar hinzufügen