Nochmals: "Freiwillige" Speichelprobe wird zum Zwang, § 81h StPO in der Praxis

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 26.01.2010

Im Mai 2009 hatte ich hier im Blog  das Thema aufgegriffen: Ein Taxifahrer aus Klein Gerau in Hessen war anlässlich einer "cold case"-Mordermittlung nach 19 Jahren zu einer freiwilligen Speichelprobe nach § 81h StPO aufgefordert worden. Als er nicht freiwillig teilnehmen wollte, da er sich nicht vorstellen konnte, weshalb man ihn überhaupt in Betracht zieht, wurde gegen ihn als Tatverdächtiger ermittelt und es erging ein Gerichtsbeschluss (vermutlich nach § 81a StPO). Daraufhin gab der Mann nach und gab seine Probe ab, die negativ ausfiel. Allerdings legte er Beschwerde gegen die Ermittlungsmaßnahme ein.

Heute rief mich der Betreffende an und teilte mir einige Hintergründe mit. Ich habe keinen Anlass, an seiner Darstellung zu zweifeln, muss aber hier vorausschicken, dass ich die "Gegenseite" dazu nicht gehört habe.

Nachdem er herausgefunden habe, um welchen Tatort und welche Tatzeit es ging, habe er seinen damaligen Aufenthaltsort herausgefunden (nach 19 Jahren nicht ganz leicht) - er müsse damals an seiner Arbeitsstelle gewesen sein, nicht am Tatort. Aufzeichnungen darüber seien insofern vorhanden, als er in dem betr. Monat keine Fehlzeiten habe und die Tatzeit mitten in die Arbeitszeit fiel. Er habe auch herausgefunden, wie sein Name in die Akte gelangt sei, was ihm die Polizei auch bestätigt habe: Der Fall sei damals in "Aktenzeichen xy" gelaufen und ein Phantombild sei gezeigt worden. Daraufhin habe sich eine Frau gemeldet, die ihn in dem Phantombild zu erkennen glaubte. Ermittlungen der Polizei habe dies damals nicht veranlasst. Nach 19 Jahren will man aber nun offenbar allen, auch den entferntesten "Spuren" mit der freiwilligen Speichelprobe nachgehen.

Die Polizei sei nach seiner "Weigerung" dann eines Tages bei ihm erschienen mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss (Suche nach Tatbeute aus dem Fall) und einer Anordnung zur  DNA-Probe; die Beamten für die Durchsuchung hätten schon bereit gestanden. Ausweg: die "freiwillige" Abgabe der Speichelprobe. Um insbesondere die Durchsuchung zu vermeiden, habe er dann auf Rat seines Anwalts nachgegeben. Mit der Beschwerde wolle er aber die Feststellung der Rechstwidrigkeit erreichen - bislang versucht der Anwalt vergeblich, Akteneinsicht zu bekommen. Zudem wolle er sich aus evtl. Datenbeständen, in denen er möglicherweise als Verweigerer einer Speichelprobe gespeichert sei, löschen lassen.  Inzwischen habe er auch schon erhebliche Anwaltskosten investiert.

Wenn es so ist wie geschildert gab es - außer der Angabe der Frau, die ihn auf dem Bild wiedererkannt haben wollte - und der "Verweigerung" der Speichelprobe keine weiteren Anhaltspunkte für einen Tatverdacht. Wenn diese Vorgehensweise Schule macht, ist die "Freiwilligkeit" in § 81h StPO  Makulatur.

 

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5 Kommentare

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War die Freiwilligkeit nicht von Anfang an Makulatur, weil von Anfang an ja mit diesem Druck gearbeitet wurde? Natürlich, kriminalistische Liste etc. usw... Aber dass der Weg zu dieser Freiwilligkeit führt, war leider zu erwarten.

Die Schilderung des betroffenen Taxifahrers wirft Fragen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit auf:

"Die Polizei sei nach seiner "Weigerung" dann eines Tages bei ihm erschienen mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss (Suche nach Tatbeute aus dem Fall) und einer Anordnung zur  DNA-Probe; die Beamten für die Durchsuchung hätten schon bereit gestanden. Ausweg: die "freiwillige" Abgabe der Speichelprobe. Um insbesondere die Durchsuchung zu vermeiden, habe er dann auf Rat seines Anwalts nachgegeben."

Wenn die Polizei einen richterlichen Beschluss zur Durchsuchung der Wohnung nach der Tatbeute hatte, hat sie die Durchsuchung auch durchgeführt. Den Beschluss hat sie nämlich nicht beim Discounter nebenan bekommen, sondern musste ihn zuvor mit ausführlicher Begründung beantragen.

Wieso sollte eine Speichelprobe nach § 81 h StPO eine Ersatzlösung für diese Durchsuchung sein ? Das scheint nicht gerade logisch. Sind bei einer Durchsuchung Beweismittel (Beute aus der Tat) zu finden, dann sind diese auch sicherzustellen. Das ist nur eine Schiene, um einen Tatnachweis führen zu können. Das hat aber überhaupt nichts mit vorhandenen DNA-Spuren aus der Tat zu tun, die über eine Reihenuntersuchung nach § 81 h abgeklärt werden können. Das ist eine ganz andere Schiene, die unabhängig von der Durchsuchung ermittelt werden muss und den Mann übrigens auch entlasten kann.  Auch für diese Maßnahme ist ein richterlicher Beschluss erforderlich, der nicht willkürlich eine x-beliebigen Personenkreis umfasst.

Soweit die zitierte Mitteilung das wiedergibt, was der Taxifahrer erlebt haben will, sind Zweifel daran mehr als berechtigt.

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Norbert Hoffmann schrieb:

Den Beschluss hat sie nämlich nicht beim Discounter nebenan bekommen, sondern musste ihn zuvor mit ausführlicher Begründung beantragen.

Diese Annahme entspricht leider nicht der Rechtswirklichkeit.
Gerichtsbeschlüsse zur Durchsuchung werden in der Regel
mit einem 2 Zeiler begründet und auch dementsprechend beantragt.

Die Durchsuchung wird regelmäßig zum "Totmachen" der jeweiligen Ermittlungen
in Form einer polizeilichen Standardmaßnahme missbraucht. Dies geschieht in
der Praxis sogar allzu häufig ganz ohne Gerichtsbeschluss mit "Gefahr im Verzug".

Auch ist die Annahme der Verfassungsgeber, ein Gerichtsbeschluss sei die Gewähr
für eine rechtsstaatliche Prüfung durch die Rechtswirklichkeit längst widerlegt
worden (vgl. Jürgen Stock / Arthur Kreuzer, Drogen und Polizei, Bonn 1996, S. 255 ff.).

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
hat trotz ihrer bindenden Wirkung in den letzten 20 Jahren keine nachhaltigen
Veränderungen in der Praxis der Durchsuchung zur Folge gehabt.
Dies belegt die hierzu vorliegende wissenschaftliche Literatur
ebenso wie die Vielzahl der hierzu ergangenen Urteile des BVerfG
nachdrücklich  (vgl. etwa: 2 BvR 308/04).

RA Wiesel
(http://www.ra-wiesel.de)

 

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Sehr geehrter Herr Hoffmann,

gerade in diesem Punkt klang die Angabe durchaus glaubwürdig und entspricht auch diesem  Pressebericht.

Danach "standen Anfang der Woche zwei Beamte mit Durchsuchungsbefehl und einer Androhung der Festnahme wegen des Verdachtes des Mordes bei einem Mann in Klein-Gerau vor der Tür. Es kam dann weder zu dem einen noch dem anderen, denn der 47-Jährige willigte nach Rücksprache mit einem Anwalt zur DNA-Probe ein, die er vorher auf freiwilliger Basis abgelehnt hatte. Uwe Stein, der ermittelnde Kripobeamte und einer der beiden Männer vor Ort, ließ im Gespräch mit unserer Zeitung keinen Zweifel daran, dass er andernfalls den Familienvater zwangsweise zur Dienststelle gebracht und dort zur Probe gezwungen hätte.
Dafür lag eine richterliche Anordnung vor."

Möglicherweise wurde von der Polizei aber auch nur verbal mit der Durchsuchung gedroht, ohne einen dahingehenden gerichtlichen Beschluss wirklich schon zu haben.

Dass die Durchsuchung ein Ersatz für die Speichelprobe sein kann, erscheint mir schon logisch - schließlich ging es nicht um die Tatbeute als solche, sondern darum, die Tatbeute (mein Informant sprach davon, es solle sich um Goldmünzen gehandelt haben) als Indiz für die Täterschaft zu finden. Wenn nämlich  der "Tatverdacht" tatsächlich nur auf der Verweigerung der freiwilligen Speichelprobe beruht, kann er durch die negative Speichelprobe ausgeräumt werden. Dann macht es auch keinen Sinn mehr, die Wohnung zu durchsuchen.

Wenn Sie allerdings meinen, die Angaben seien allein deshalb unglaubwürdig, weil von Richtern niemals rechtswidrige Durchsuchungsmaßnahmen angeordnet werden (Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf) - willkommen in der Wirklichkeit!

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Herr Sch.,

danke für Ihre Klarstellung.

Ich halte es durchaus für anerkennenswert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft alles tun, um einen Mordfall aufzuklären. Dass dabei gegen die StPO verstoßen wird, lassen wir uns im Fernsehkrimi noch gefallen - in der Realität sollte man sich aber schon darauf verlassen können, dass Gerichtsbeschlüsse auf korrekte Weise ergehen. Deshalb wünsche ich viel Erfolg bei der gerichtlichen Klärung der Angelegenheit.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

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