Der Deutsche Anwaltsverein lehnt Erscheinens- und Aussagepflicht für Zeugen bei der Polizei ab

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 04.05.2010Der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt die Erscheinens- und Aussagepflicht für Zeugen bei der Polizei, die der «Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Effektivität des Strafverfahrens»  entsprechend dem Koalitionsvertrag vorsieht, ab (näher hier). Darüber gab es schon eine Diskussion im Blog. Der DAV zweifelt schon daran, dass dieser «weitere Ausbau der polizeilichen Kompetenzen im Ermittlungsverfahren» einen Effektivitätsgewinn bringt. Dem stehe der Verlust einer Rechtsförmigkeit des Ermittlungsverfahrens gegenüber. Eine Verpflichtung des Bürgers, Ladungen der Polizei Folge zu leisten, sei mit seiner Rechtsstellung im liberalen Rechtsstaat nicht zu vereinbaren. Der Gesetzentwurf ziele auf eine weitere Demontage der Bedeutung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zu Gunsten der Polizei. Dem polizeilichen Zweckdenken müsse das für den Bereich des Strafrechts geforderte Rechtsdenken entgegengesetzt werden; dies begründe die heutige Stellung der Staatsanwaltschaft als «Herrin des Verfahrens».

Der DAV hält die Effektivitätserwägungen, mit denen der von den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen eingebrachte Gesetzentwurf begründet wird, für «nur vordergründig». Tatsächlich werde die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft weiter ausgehöhlt. Dies halten die Anwälte rechtspolitisch für «höchst bedenklich». «Bürgerinnen und Bürger sollen durch die gesetzeskundige und gesetzestreue Mitwirkung der Staatsanwaltschaft vor gesetzwidrigen Eingriffen der Obrigkeit im Ermittlungsverfahren geschützt werden», erläutert DAV-Präsident Ewer den Standpunkt der Anwaltschaft.

Schon seit Jahren sei ein zunehmendes Vordringen der polizeilichen Kompetenzen zu beobachten, vor allem durch die Faktoren der technischen Ausrüstung der Polizei und der starken Zunahme der Zahl der Ermittlungsverfahren. Ein weiterer Ausbau der polizeilichen Kompetenzen im Ermittlungsverfahren, der die vom Gesetzgeber gewollte Herrschaft der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren noch stärker relativieren würde, lehnt der DAV mit Nachdruck ab.

Dem ist entgegen zu halten, dass die Erscheinenspflicht vor der Staatsanwaltschaft den Bürger belastet, der deswegen ein längeren Anfahrtsweg  auf sich nehmen müsste. Auch könnte die polizeilichen Vorladung mit Erscheinenspflicht davon abhängig gemacht werden, dass der zuständige Staatsanwalt dies genehmigt.

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2 Kommentare

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Der DAV hat recht. Aber auch noch aus einem anderen, mehr pragmatischen (und fiskalischen) Grund, ist das Vorhaben abzulehnen. Normalerweise hat bei uns jede Gesetzesreform, die berechtigter- oder unberechtigterweise mit dem Versprechen daherkommt, die Änderung werde zu einer Verfahernsbeschleunigung beitragen, schon gute Erfolgsaussichten. Eine Erscheinenspflicht des Zeugen bei der Polizei wird nach meinem Dafürhalten vielfach, insbesondere bei Vorwürfen der Wirtschaftskriminalität, aber auch Untreue Betrug, besonders auch Arztabrechnungsbetrug, Beitragsvoranthaltung etc, zu noch größerer Ineffizienz und Verfahrenbsverlängerung führen. Die Kripo behandelt solche Verfahren meist nach einem bestimmten Schema, Einholen von umfangreichen Daten über das betroffene Unternehmen und über deren rechtlich Verantwortlichen der vergangenen Jahre, der Insolvenzakten, der Jahresabschlüsse, es werden oft umfangreiche  Auswertungsberichte gefertigt und so weiter. Vielfach kommt es letztlich auf all dies aus rechtlichen Gründen nicht an (Verjährung oder Rechtsänderungen wie bei § 19 Abs. 2 InsO oder schlicht Verkennung der Strafnorm "versuchte Untreue"). Hier soll und muss die Staatsanwaltschaft Herrin bleiben und die Ermittlungsschritte vorgeben. Sollte die Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei kommen, wird die Kripo die Akte vor Abschluss der von ihr als relevant angesehenen Ermittlungen überhaupt nicht mehr der Staatsanwaltschaft vorlegen. Das heißt: es werden noch mehr Zeugen gehört werden, auf deren Aussage es nicht ankommen kann oder eben schematisch alle Personen vorgeladen werden, die womöglich "irgendetwas" zum Untersuchungsgegenstand sagen können. Und das spricht gegen die Mehrbelastung des Bürgers bei Beibehaltung der derzeitigen Gesetzeslage. Ich habe in meiner Praxis Ermittlungsverfahren, die - ohne Abschluss nach § 169a StPO - bis zu zehn Jahren andauern; oftmals liegen die Akten über Monate und Jahre bei der Kripo und es laufen Randermittlungen über Sachverhalte aus den frühen Neunzigern.   

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Ich weiß ja nicht, woher Sie Ihre Erfahrungen zu Wirtschaftsstraftaten haben, aber in der Regel ist es so, dass gerade in diesem Bereich die Staatsanwaltschaft noch weitgehend Herrin des Verfahrens ist, weil

- die Verfahren meist aufgrund von Strafanzeigen eingeleitet werden, die unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft erstattet werden

- oder durch die Staatsanwaltschaft aufgrund von Mitteilungen in Zivilsachen (Insolvenzeröffnung/Ablehnung, eV) eingeleitet werden.

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