Täteridentifizierung mittels Gutachten (in Bayern) nicht mehr möglich?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 03.06.2010

Die Anforderungen der Oberlandesgerichte an die Darstellung der Täteridentifizierung mittels eines sog. "anthropologischen" Sachverständigengutachtens sind bekanntlich sehr hoch. Nun hat sich das OLG Bamberg auch der bereits von anderen Gerichten vertretenen Ansicht angschlossen, das Amtsgericht müsse auch noch zur Merkmalshäufigkeit Feststellungen treffen. Herr RiOLG Dr. Gieg hat dankenswerter Weise die Entscheidung OLG Bamberg, Beschl. v. 6. 4. 2010 - 3 Ss OWi 378/10 eingesandt, in der es heißt:

"1. Nach stRspr. muss der Tatrichter, der ein Sachverständigen­gutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung bei­misst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachver­ständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammen­fassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus ge­zogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdege­richt die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen. Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersu­chungsmethode han­delt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106 f.).

2. Diesen Anforderungen genügt hier die Darstellung des anthropologischen Gutach­tens in den Urteilsgründen nicht.

a) Zwar kann eine - wie hier - im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutach­tens beschränkte Darstellung dann ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie z.B. das daktyloskopische Gut­achten (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4), die Blutalkoholanalyse (BGHSt 28, 235/237 f.: Angabe des Mittelwertes genügt) oder die Bestimmung von Blutgruppen (BGHSt 12, 311/314) handelt (grundlegend: BGHSt 39, 291/297 ff.). Um ein standardi­siertes Verfahren handelt es sich aber bei einem anthropologischen Vergleichsgutach­ten, bei dem an­hand von Tatbildern einer Dokumentationskamera im Straßenverkehr eine bestimmte Zahl deskriptiver morphologischer Merkmale (z.B. Nasenfurche, Nasen­krümmung etc.) oder von Körpermaßen des Täters herausgearbeitet und mit den ent­sprechen­den Merkmalen des Tatverdächtigen verglichen werden (vgl. BGH NStZ 1991, 596), nicht.

b) Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutach­tens und seines Be­weiswertes zu ermöglichen, hätte deshalb zunächst dargelegt werden müssen, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale der Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt und auf wel­che Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat (BGH NStZ 2000, 106 f.; NZV 2006, 160 f.; OLG Bamberg NZV 2008, 211 f.; OLG Hamm DAR 2008, 395 ff. = NStZ-RR 2008, 287 f.; StV 2010, 124 ff.; OLG Oldenburg NZV 2009, 52 ff.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116; vgl. zuletzt wohl auch OLG Koblenz NZV 2010, 212 f.). Des Wei­teren hätte es Ausführungen dazu bedurft, welche Häufigkeit hinsichtlich der jeweils über­einstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde gelegt und wie sie ermittelt worden ist (BGH NStZ 2000, 106 f.; in BGH NZV 2006, 106 f. offen gelassen; OLG Hamm StV 2010, 124 ff. = StraFo 2009, 109 f.; OLG Jena aaO.). Denn diesen Anga­ben kommt Bedeutung bei der Beurteilung des Beweiswertes der von dem Sachver­ständigen getroffenen Wahrscheinlichkeitsaussage zu (Knußmann StV 1993, 127 ff.; AGIB in der Fassung vom Mai 2008 Ziffer 11, OLG Hamm StV 2010 124 ff.; OLG Jena aaO.). Dem steht nicht entgegen (so aber OLG Hamm DAR 2008, 399 ff.; OLG Oldenburg aaO.), dass zwischen den Klassifizierungen von Ein­zelmerkmalen ein glei­tender Übergang besteht, weswegen in der Regel keine ge­nauen Angaben über die Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung, der die zu identifizierende Person ange­hört, gemacht werden können (Knußmann NStZ 1991, 175 ff.; BGH NZV 2006, 160 f.) und dass daher der Gutachter häufig auf Schätzungen aufgrund seiner Sach­kenntnis angewiesen sein wird...."

Ich denke, damit sind die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen im Bereich zumindest des OLG Bamberg derart hoch, dass ihnen ein Tatrichter eigentlich gar nicht mehr genügen kann.

 

Es gibt aber auch andere Entscheidungen, so z.B. OLG Hamm NStZ-RR 2008, 287 = DAR 2008, 399:

"...Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung nach wie vor zum Teil konkrete Ausführungen zur Merkmalshäufigkeit verlangt werden (so offenbar OLG Jena, DAR 2006, 523, 524 und VRS 110, 424, 426, aber auch OLG Hamm, 3. Senat, Beschluß vom 14. Juni 2007 - 3 Ss OWi 387/07 -), stellt sich diese Rechtsprechung gegen die neuere BGH-Rechtsprechung (StV 2005, 374) und die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wie bereits ausgeführt können schon wegen der gleitenden Übergänge bei der Merkmalsbestimmung jedenfalls im Regelfall keine Angaben zur Merkmalshäufigkeit gemacht werden (BGH, a.a.O.). Das entspricht nach wie vor dem Stand der Wissenschaft (vgl. Dr. Dieter Buhmann u.A., Standards für die anthropologische Idenfikation lebender Personen auf Grund von Bilddokumenten - Grundlagen, Kriterien und Verfahrensregeln für Gutachten, NStZ 1999, 230, 231; Arbeitsgruppe Identifikation nach Bildern in der Fassung vom 16. Juni 2003 in http://www.bildidentifikation.de/standards.html unter Hinweis auf im Jahr 2006 herausgegebene Literatur). Soweit offenbar aus der älteren Entscheidung des BGH (NJW 2000, 1350) etwas anderes herausgelesen wird, wird verkannt, daß der Sachverständige in jenem Verfahren eine Täterwahrscheinlichkeit von 96,7 bis 98,8% errechnet hatte, was nur dann denkbar wäre, wenn biostatistisches Vergleichsmaterial zur Wahrscheinlichkeitsberechnung bestanden hätte. Deren unterbliebene Darlegung wurde durch den Bundesgerichtshof bemängelt, ohne sich jedoch mit der Frage zu beschäftigen, ob es solches überhaupt gibt. Da das jedoch nicht der Fall ist, wären derartige Angaben a priori unwissenschaftlich und unpräzise..."

 

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5 Kommentare

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Dann muss sich der Tatrichter eben anstrengen. Ich denke mit einer Befragung des SV und der Darlegung der Antworten im Urteil wird es gehen (müssen)

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Es sind bis zu diesem Tage (2. 1. 15) schon etliche Jahre vergangen. Das Gebiet der morphologischen Identifikation nach Bildern hat sich weiter entwickelt. Zur hier behandelten Frage nach den Bevölkerungshäufigkeiten haben wir gegen sachlich falsche Beschlüsse des OLG Jena einen Widerleg ausgearbeitet:

Rösing Fw, Quarch M, Danner B (2012) Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morpho-logischen Identitätsgutachten. NStZ 32/10, 15. Okt 2012, 548-554.

Mindestens das sollte in diesem Text berücksichtigt werden, vielleicht auch gleich noch die Tatsache, dass nach dem OLG-Beschluss von Bamberg die Gutachtenzahl in Bayern nicht zurück gegangen ist, sondern weiter gewachsen. Inzwischen leben 5 Gutachter davon.

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Guten Morgen Herr Krumm,

leider funktioniert der von Ihnen angegebene Link nicht ("Die Suche nach Meldungen und Anmerkungen ergab leider keine Treffer.") und bei Beck online kommen "0 Treffer" .-(

Was heißt denn anstrengen. Der Tatrichter soll also aud dem Gutachten Häufigkeiten von Merkmalen (Ohrläppchen angewachsen, Knubbelnase) mitteilen, für deren Ermittlung es keinerlei Datenbasis gibt. Genügt dann die Mitteilung in den Urteilsgründen, dass der gerichtsbekannt erfahrene und sorgfältige Sachverständige aufgrund seiner Expertise angeben konnte, dass 10 % der männlichen erwachsenen Bevölkerung über Knubbelnasen verfügen und bei 38 % das Ohrläppchen angewachsen ist? Wozu sollte man derartige Häufigkeiten mit einer Pseudogenauigkeit mitteilen, wenn diese ohnehin geschätzt sind? Und welche Rechtsfehlerkontrolle wird hierdurch dem Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht, außer den stochastischen Rechenweg nachzuprüfen, ob der Wahrscheinlichkeitswert zutreffend aus Schätzwerten errechnet ist?

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