Weitere Merkwürdigkeiten des EuGH zum Urlaubsrecht

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 14.06.2010
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtUrlaubSchultz-HoffTeilzeitarbeit2|7999 Aufrufe

Der EuGH hat seine Rechtsprechung zum Urlaubsrecht fortgesetzt (Urteil vom 22.04.2010 - C-486/08). Zwar betrifft der Fall ein Gesetz des österreichischen Bundeslandes Tirol, das in Deutschland keine unmittelbare Entsprechung findet. Die Entscheidung kann aber dahin interpretiert werden, dass ein Arbeitnehmer, der von Voll- in Teilzeitarbeit wechselt und während der Teilzeitbeschäftigung Urlaub nimmt, Arbeitsentgelt auf der Basis seiner früheren Vollzeittätigkeit verlangen kann, wenn er den Urlaub vor der Reduzierung der Arbeitszeit nicht nehmen konnte. Währenddessen bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, dass sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst bemisst, das der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. Lag die Vollzeitbeschäftigung länger zurück, bleibt das während ihr verdiente höhere Arbeitsentgelt unberücksichtigt.

In den Gründen des EuGH-Urteils heißt es:

(30) Es steht zudem fest, dass mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bezweckt wird, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. Urteil Schultz-Hoff u. a., Randnr. 25). Diese Ruhezeit verliert ihre Bedeutung, die sie im Hinblick auf die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaubs für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers hat, nicht dadurch, dass sie nicht im Bezugszeitraum, sondern zu einer späteren Zeit genommen wird (Urteil vom 6. April 2006, Federatie Nederlandse Vakbeweging, C‑124/05, Slg. 2006, I‑3423, Randnr. 30).

(31) Der Arbeitnehmer muss nämlich normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können, denn nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lässt Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird (vgl. in diesem Sinne zur Richtlinie 93/104 Urteile BECTU, Randnr. 44, und Merino Gómez, Randnr. 30).

(32) Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einer späteren Zeit als dem Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit steht. Folglich darf durch eine Veränderung, insbesondere Verringerung, der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden.

(33) Im Übrigen ist festzustellen, dass der in Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit festgelegte Pro-rata-temporis-Grundsatz zwar auf die Gewährung des Jahresurlaubs für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung anzuwenden ist. Denn für diese Zeit ist die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Hingegen kann dieser Grundsatz nicht nachträglich auf einen Anspruch auf Jahresurlaub angewandt werden, der in einer Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben wurde.

(34) Wenn schließlich weder aus den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 noch aus Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit der Schluss gezogen werden kann, dass eine nationale Regelung als eine der Modalitäten der Ausübung des Anspruchs auf Jahresurlaub den teilweisen Verlust eines in einem Bezugszeitraum erworbenen Urlaubsanspruchs vorsehen dürfte, ist gleichwohl daran zu erinnern, dass dies nur gilt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch auszuüben (vgl. Urteil Vicente Pereda, Randnr. 19).

(35) Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81 in der durch die Richtlinie 98/23 geänderten Fassung, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Bestimmung wie § 55 Abs. 5 L‑VBG entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann.

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