Generalanwältin beim EuGH zu unterschiedlichen Altersgrenzen für Frauen und Männer

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 11.10.2010

In vielen Mitgliedstaaten der EU bestehen für Frauen und Männer unterschiedliche Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Versorgungssystemen. Auch in Deutschland können Frauen vorübergehend (bis Ende 2011) noch mit 60 Jahren Altersrente in Anspruch nehmen, Männer dagegen erst mit 65. Dem EuGH liegt ein (österreichisches) Vorabentscheidungsersuchen vor, das die Frage aufwirft, ob arbeitsvertragliche Altersgrenzen, die an dieses unterschiedliche Rentenzugangsalter anknüpfen, Arbeitnehmerinnen wegen ihres Alters bzw. ihres Geschlechts diskriminieren (C-356/09, Kleist).

Die Generalanwältin beim EuGH Juliane Kokott hat diese Frage in ihren Schlussanträgen jetzt bejaht: Sie betont, Arbeitgebern dürfe eine Differenzierung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern je nach dem für sie jeweils geltenden gesetzlichen Regelpensionsalter nicht erlaubt werden. Eine solche Vorgehensweise hätte nämlich zur Folge, dass die noch existierenden Unterschiede zwischen Mann und Frau beim gesetzlichen Regelpensionsalter auf andere Bereiche – hier auf den Bereich der Entlassungsbedingungen – ausgedehnt würden. Die Verallgemeinerung von Unterschieden im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme stünde im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die noch bestehende Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung im Hinblick auf das Rentenalter in den gesetzlichen Rentenversicherungssystemen (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 79/7) eng auszulegen ist.

Die österreichische Regelung könne auch nicht unter Hinweis auf das beschäftigungspolitische Ziel, jüngeren Arbeitnehmern Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen, gerechtfertigt werden. Denn beschäftigungspolitische Ziele dürften nicht auf Kosten der Arbeitnehmer eines Geschlechts verwirklicht werden. Genau dies geschehe jedoch, wenn man von weiblichen Arbeitnehmern verlange, ihren Arbeitsplatz fünf Jahre früher zu räumen, als dies ihre männlichen Kollegen tun müssen. Denn dann würden Frauen, nur weil für sie ein niedrigeres gesetzliches Regelpensionsalter gilt, sehr viel stärker zur Verwirklichung der Ziele der Beschäftigungspolitik herangezogen als Männer. Sie würden intensiver als ihre männlichen Kollegen in ihrem Recht beeinträchtigt, zu arbeiten und ihren Beruf auszuüben (Art. 15 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta).

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1 Kommentar

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Interessante Sichtweise. Und wie ist es mit der Gleichbehandlung bestellt, wenn eine Frau einfach 5 Jahre früher in Rente gehen darf, obwohl der Mann sogar eine statistisch geringere Lebenserwartung hat?

Die Frauen, die länger arbeiten wollen, dürfen das also und die, die die Vorzüge der des früheren Rentenbezugs genießen wollen, ebenso. Irgendwie kommt mir das das Schlagwort „Rosine“ in den Sinn.

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