Juristen oder Kriegsverbrecher?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 28.10.2010

Immerhin steckt im Kern der Berufsbezeichnung des Juristen noch ein Bezug zur Gerechtigkeit, beim Lawyer steckt Law drin. Dies scheint aber, betrachtet man zwei Meldungen aus den USA, die in dieser Woche bekannt wurden, bei den dortigen dem Militär dienenden  Juristen, aus  dem Blick geraten zu sein.

Erste Meldung (Quelle): In einem durch wikileaks bekannt gewordenen Dokument wird auf  die Frage der Apache-Hubschrauber-Besatzung, ob man auf zwei Männer, die sich ergeben wollten, schießen dürfe, geantwortet:
"Lawyer states they cannot surrender to aircraft and are still valid targets."
Dies widerspricht Art. 23 der  Haager Landkriegsordnung von 1907, der sich die USA vor 100 Jahren angeschlossen haben.

Zweite Meldung (Quelle):  Der seit acht Jahren in Guantanamo inhaftierte Omar Khadr hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, um im Gegenzug eine zeitliche Freiheitsstrafe zu erhalten, deren Rest er (möglicherweise) in  seinem Heimatland Kanada absolvieren darf. Hintergrund: Der Vorsitzende des Militärtribunals hat die mittels (von den Vernehmungsbeamten nicht bestrittenem) Druck durch Schlafentzug und sonstige Maßnahmen erzielten selbstbelastenden Angaben des damals noch jugendlichen Gefangenen als Beweismittel zugelassen. Khadrs Verteidigung blieb offenbar nichts anderes übrig, als durch Deal eine mildere Strafe zu erreichen (die soll nach ersten Meldungen wohl weitere acht Jahre betragen). Es hätte ihm ansonsten lebenslang gedroht. Khadrs Tat:  Als er durch amerikanischen Beschuss schon schwer verletzt war, soll er eine Handgranate geworfen haben, mit der ein US-amerikanischer Sanitäter getötet wurde. In der Lesart der US-Militärjustiz ist diese Tat deshalb ein "Kriegsverbrechen", weil Khadr kein regulärer Soldat gewesen sei.
"U.S. government is saying that the killing of a combatant openly on the battlefield is a war crime when committed by an irregular combatant. It's a novel legal argument: Merely engaging in battle as an insurgent rather than as a member of a regular army has never made such battlefield conduct a war crime." (Quelle)
Erstmalig wird damit ein Minderjähriger wegen Kriegsverbrechen verurteilt - dieses Verdienst darf sich Obama an die Brust heften, gleich neben den Orden für die versprochene (aber nicht eingehaltene) Schließung von Guantanamo, wo immer noch 174 Gefangene (Quelle) ohne Gerichtsverfahren "schmoren".

Zweierlei Maß: Der "Lawyer", der bequem in der Leitzentrale sitzt und von dort aus mal eben die rechtswidrige Tötung von sich ergebenden Gegnern "genehmigt".
Der fanatisierte Jugendliche, der in einer Kampfhandlung den Sanitäter tötet - von ihm wird ein Geständnis erpresst und er wird verurteilt.

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7 Kommentare

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Es ist eben die entscheidene Frage, ob man sich einem fliegenden Objekt "rechtswirksam" ergeben kann. Bei einem Hubschrauber müsste man die Frage meiner Meinung nach mit "ja" beantworten.Insoweit teile ich Ihre Position.

Allerdings müsste hier genau in der einschlägigen Kommentierung recherchiert werden, haben Sie das getan oder werfen Sie einfach mal auf Verdacht mit Begriffen wie "Kriegsverbrecher" um sich? Haben Sie wirklich die entsprechenden amerikanischen Militärrechtsvorschriften vorliegen die dem Anwalt zur Befolgung aufgegeben sind? Ich hoffe auf eine ehrliche Antwort.

Zum zweiten Fall: Über den Folteraspekt müssen wir nicht diskutieren, volle Zustimmung meinerseits. Mich beschäftigt aber die Frage des Alters. Gibt es denn eine Art "Jugendstrafrecht" im Völkerrecht? Was macht ein 15-jähriger Kanadier in einem afghanischem Kriegsgebiet? Es handelt sich bestimmt nicht um den Fall eines zwangsverpflichteten Kindersoldaten. Lesen Sie mal besonders den Abschnitt "Early Life":

http://en.wikipedia.org/wiki/Omar_Khadr

Lassen Sie mich raten, der Artikel ist von der CIA manipuliert. ;-)

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@Dave, das die "Angreifer" sich einer Waffe bedienen, die es dem Opfer unmöglich macht, sich zu ergeben, kann ja wohl kaum denen angelastet werden, die sich ergeben möchte.

Oder kann man die Kapitulation schon dadurch verhindern, dass man sich die Ohren zu hält und damit das Recht erlangen, die anderen zu töten?

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Sehr geehrter Dave,

Art. 23 der Haager Landkriegsordnung ist eigentlich ziemlich deutlich. Dass die Militärjuristen einschränkende Regeln hinzuerfinden, wenn man mit (1907) noch unbekannten Waffengattungen operiert, bedeutet aus meiner Sicht eine Unergrabung dieser klaren Aussage. Der lawyer hätte nachfragen müssen, worin die Anzeichen für ein "surrender" bestehen und dann entscheiden, ob dieses surrender eindeutig genug ist. In diesem Fall wäre dann ein Beschuss verboten. Die pauschale Angabe, es seien "valid targets", weil sie sich dem Hubschrauber per se nicht ergeben könnten, ist ein Verstoß.

One of Britain's foremost experts on the subject, Professor Sir Adam Roberts, cast doubt on the legal advice given to the Crazyhorse 18 crew. "Surrender is not always a simple matter," Roberts, emeritus professor of international relations at Oxford University and joint editor of Documents on the Laws of War, told the Guardian. But the reasoning given by the US military lawyer was "dogmatic and wrong".
"The issue is not that ground forces simply cannot surrender to aircraft," he said. "The issue is that ground forces in such circumstances need to surrender in ways that are clear and unequivocal."(Quelle)

Ich habe nicht von "Kindersoldat" (wobei man diesen immerhin begrifflich noch den Soldaten-Status zuerkennt, den die USA offenbar bei Khadr nicht anerkennen) geschrieben. Die Biographie des Omar Khadr ist mir bekannt und auch, dass er aufgrund dieser Biographie als durchaus gefährlich einzustufen ist. Man hat sich allerdings während der vergangenen acht Jahre keinerlei Mühe gegeben, ihn davon abzubringen, im Gegenteil: Im Prozess wurden indirekt die Verhältnisse in Guantanamo, d.h. die
menschenrechtswidrige Behandlung des jugendlichen Khadr, die bei ihm -
verständlicherweise - nicht zu einer Abkehr von radikalen Positionen
geführt hat, auch noch gegen ihn angeführt.

Im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1992 ratifiziert von den USA)  wird explizit  Jugendlichen bei der Strafverfolgung eine Sonderstellung eingeräumt.

Die USA ist nach Auskunft von amnesty international "vermutlich der einzige Staat in dem Jugendliche zu lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Bewährung" verurteilt werden; dies widerspricht dem Art. 37 des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes,

Article 37

States Parties shall ensure that:

(a) No child shall be subjected to torture or other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment. Neither capital punishment nor life imprisonment without possibility of release shall be imposed for offences committed by persons below eighteen years of age;

das die USA unterzeichnet haben, aber noch nicht ratifiziert (193 Staaten haben dieses Übereinkommen ratifiziert).  (Quelle) (längerer Report von ai-pdf)

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

PS: Natürlich befasst sich die CIA nicht mit der Manipulation von wikipedia-Artikeln. Aber leider ist es relativ unwitzig, mit was sich die CIA und andere Geheimdienste so befassen. Ich erinnere an die Entführungen und Folterungen (von Personen, die dem IRK nicht gemeldet wurden, so gen. ghost prisoners), sowie an den Versuch, die UNO mit gefälschten und erfolterten Beweisen  über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak zu täuschen - allg. bekannte Fakten, keine Verschwörungstheorien.

 

Seien wir ehrlich: die Haager Landkriegsordnung und alle anderen Regeln des Kriegsvölkerrechts werden schon seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr eingehalten. Das fängt damit an, daß es keine Kriegserklärungen und keine Friedensverträge mehr gibt.

 

Militärische Gewalt wird heute stets hinter politisch korrekten Bezeichnungen versteckt ("Friedenseinsatz, Stabilisierungseinsatz, Notwehr, Nothilfe" usw.). Niemand hat in den letzten 20 Jahren dem Irak, Serbien oder Afghanistan den Krieg erklärt und niemand hat irgendwelche Friedensverträge geschlossen. Das ist angesichts der veränderten Verhältnisse nur folgerichtig. Dem Kriegsvölkerrecht liegt die Vorstellung einer "sauberen" und "ehrbaren" Auseinandersetzung zwischen zwei staatlichen Armeen auf den Schlachtfeld zugrunde. Man erklärt einander den Krieg, trifft sich auf einem Rübenacker, schießt aufeinander und der Verlierer schwenkt die weiße Fahne. Anschließend treffen sich die Feldherren in einem Zelt und unterzeichnen ein Dokument unter Versicherung ihrer gegenseitigen Wertschätzung.

 

Die staatlichen Armeen der militärischen Großmächte sind heute aber allen Armeen von Mittel- und Kleinstaaten haushoch überlegen, insbesondere technisch. Die Taliban oder die Palästinenser können den USA bzw. Israel nicht anbieten, sich einmal zum Kräftemessen auf einer grünen Wiese zu treffen. Es bleibt aus Sicht der hoffnungslos unterlegenen Partei nur der Partisanenkampf (das war auch schon im 2. Weltkrieg so), der  aus Sicht der überlegenen Macht nichts als Terrorismus und illegales Kombatantentum darstellt.

 

Weshalb sollten sich jedoch die unterlegenen Kräfte an das Kriegsvölkerrecht halten, wenn es die überlegenen Mächte auch nicht tun? In meinen Augen ist das klassische Kriegsvölkerrecht tot, solange sich völlig ungleiche Kräfte gegenüberstehen. Im Falle eines Gleichgewichts der Kräfte (USA: Sowjetunion/Rußland : China, usw.) dürften weniger rechtliche Regeln als tatsächliche Einsichten (totale wechselseitige Vernichtung) Kriege verhindert haben.

 

Wir werden - zwar vermutlich nicht in Europa - wieder dahin zurückwandern, wo wir bereits im Mittelalter waren und was wir seit dem 18./.19 Jahrhundert für überwunden hielten: Söldnerarmeen, Privatarmeen, Privatfehden.  Durch den Aufmarsch einer staatlichen Armee läßt sich in Krisenregionen niemand mehr beeindrucken. Eine staatliche Armee kann nur dann "Ordnung" schaffen, wenn sie völlig rücksichtslos vorgeht und Exempel an Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung statuiert. Wir können aber nicht à la Karl dem Großen ein "Blutgericht von Verden" durchführen, um eine aufständische Region zu "befrieden". Nach heutigem Verständnis wäre der "allermildeste Herr König Karl" ein Kriegsverbrecher und keinesfalls ein "Großer". Aus diesem Dilemma scheint es im Medienzeitalter keinen Ausweg zu geben. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten und der Einsatz unverhältnismäßiger Mittel verbieten sich, mit (relativer) Zurückhaltung ist gegen Partisanen/Terroristen jedoch kein Blumentopf zu gewinnen.

 

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Nach der Haager Landkriegsordnung sind auch "irreguläre" Truppen wie in Afghanistan nicht per se vogelfrei, Quellenstudium hilft:

 

Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs

I. Abschnitt - Kriegführende

I. Kapitel - Begriff des Kriegführenden

 

Art. 1

Die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligenkorps, wenn sie folgende Bedingungen erfüllen:

1. wenn jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist,

2. wenn sie ein festes, aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen,

3. wenn sie die Waffen offen führen und

4. wenn sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachten.

In den Ländern, wo Milizien oder Freiwilligenkorps das Heer oder einen Bestandteil des Heeres bilden, sind diese unter der Bezeichnung «Heer» inbegriffen.

Art. 2

Die Bevölkerung eines nicht besetzten Gebiets, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antriebe zu den Waffen greift, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen, ohne Zeit gehabt zu haben, sich nach Artikel 1 zu organisieren, wird als kriegführend betrachtet, wenn sie die Waffen offen führt und die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachtet.

Art. 3

Die bewaffnete Macht der Kriegsparteien kann sich zusammensetzen aus Kombattanten und Nichtkombattanten. Im Falle der Gefangennahme durch den Feind haben die einen wie die anderen Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene.

Damit gelten die völkerrechtlichen Vorschriften des Kriegsrechts nicht zuletzt wegen der vor dem Einmarsch 2001 fehlenden staatlichen Ordnung in Afghanistan im Prinzip für jeden, der eine Waffe offen trägt (und damit allerdings das allgemeine Risiko im Krieg eingeht, ohne Vorwarnung getötet zu werden). Selbst dann, wenn er zusätzlich einer terroristischen Vereinigung angehört. Eine Anklage wegen Verstoßes gegen das Kriegsrecht ist nicht zu begründen; eine Anklage wegen Terrorismus ist nur vor einem ordentlichen Gericht in den USA möglich und nicht vor einem Militärtribunal auf exterritorialem Gebiet.

Aber dass die USA (und andere ebenfalls, aber hier geht es ja um diesen konkreten Fall) sich im Zweifel einen Dreck um ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen scheren, ist ja nichts Neues.

Zum Anwenden einer Waffe gegenüber denjenigen, die sich ergeben möchten, sind die Regelungen eindeutig:

II. Abschnitt - 

Feindseligkeiten

 

1. Kapitel - 

Mittel zur Schädigung des Feindes, Belagerungen und Beschiessungen

 

Art. 23

 

Abgesehen von den durch Sonderverträge aufgestellten Verboten, ist namentlich untersagt:

a) die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen,

b) die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres,

c) die Tötung oder Verwundung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade oder Ungnade ergeben hat,

d) die Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird,

e) der Gebrauch von Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet sind, unnötige Leiden zu verursachen,

f) ...

 

 

 

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