Altersphasenmodell nicht tot, sondern mausetot

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 08.12.2010

Er arbeitet bei den Berliner Verkehrsbetrieben, sie ist ReNo-Gehilfin. Nach der Geburt ihres Sohnes setzte sie für 3 Jahre mit der Berufsstätigkeit aus und arbeitet nun wieder 25 Wochenstunden im erlernten Beruf.

Trennung, Scheidung.  Sie verlangt nachehelichen Betreuungsunterhalt, da ihr eine Ausweitung ihrer Berufstätigkeit nicht möglich sei. Das FamG verurteilt zur Zahlung von Elementarunterhalt in Höhe von 193,20 € und von Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 48,54 €.

Das KG weist die Berufung zurück. Eine Betreuung im Hort über täglich zehn Stunden (8 – 18.00 Uhr) sei nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar; die Mutter benötige auch Zeit, die defizitäre Grundschulausbildung des Sohnes zu ergänzen. Eine Betreuung durch Vater und Großeltern scheitere am nicht aufgearbeiteten Elternkonflikt.

Auf die zugelassene Revision hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht hat eine vollzeitige Betreuung des gemeinsamen Kindes in einer kindgerechten Einrichtung allein im Hinblick auf das Alter des Kindes aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Individuelle Umstände, die diese Entscheidung rechtfertigen könnten, lässt das Berufungsurteil vermissen. Unabhängig davon, dass - offenbar unstreitig - eine Betreuungsmöglichkeit im Hort bis 18.00 Uhr zur Verfügung steht, hat das Berufungsgericht auch die Betreuungsmöglichkeit durch den Antragsgegner mit unzutreffenden Erwägungen verneint.

Grundsätzlich ist auch der barunterhaltspflichtige Elternteil als Betreuungsperson in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet (vgl. Empfehlung 5 des Arbeitskreises 2 des 18. Deutschen Familiengerichtstages). Maßstab dafür ist auch im Rahmen des § 1570 BGB das Kindswohl, hinter dem rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurücktreten müssen. Ist bereits eine am Kindeswohl orientierte Umgangsregelung vorhanden, ist diese grundsätzlich vorgreiflich.

Weil hier ein regelmäßiger Umgang mit dem Vater stattfindet und dieser das Kind ohnehin nach den vom Kammergericht in Bezug genommenen Feststellung des Amtsgerichts donnerstags nachmittags betreut, ist nicht nachvollziehbar, warum sich im Falle einer darüber hinaus gehenden Betreuung durch den Antragsgegner ein Loyalitätskonflikt für das Kind ergeben könnte. Die Grenze der Betreuungsmöglichkeit des Vaters dürfte allerdings u. a. in dessen eigener Erwerbstätigkeit zu erblicken sein. Insoweit fehlt es aber an ausreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts.

BGH . 15.09.2010 - XII 20/09

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5 Kommentare

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Wenn ich das richtig verstehe, muss nun differenziert betrachtet werden, statt nach 0/8/15 zu entscheiden. Im Grundsatz ist das nett, weil es die Einzelfallgerechtigkeit erhöht. Allerdings erhöht es auch die Willkürlichkeit der einzelnen Entscheidung, stellt höhere Hürden für Partei/Anwalt bzgl. der Darlegung auf und reichert das Verfahren mit einer weiteren, differenzierten, ggf. beweispflichtigen, im Ergebnis vermutlich nie streitfreien/eindeutigen Bewertung an.

Wer verliert? Die Mütter als typische Anspruchstellerin auf jeden Fall. Bei den Kindern hängt es davon ab, ob man Betreuung durch einen Elternteil als "besser" ansieht als eine Betreuung durch Dritte (Hort, Kindergarten o. ä.). Die Richter, weil mehr Einzelfallwertung und mehr Arbeit auf sie zukommt, was bei gleichbleibender Stellenzahl die Arbeitsbelastung steigert und vermutlich die Arbeitsqualität insgesamt senkt, was dann einen Nachteil für alle Betroffenen mit sich bringt.

Erstaunlich ist es m. E., dass diese Regelung - wenn ich mich recht entsinne - unter einer CDU-Familienministerin eingeführt wurde, da Parteilinie doch eigentlich die Betreuung durch die Eltern als Grundmodell ist. Oder gilt das nicht mehr für Eltern, die das heilige Sakrament der Ehe nicht ehren? Ein Kuriosum.

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Die Unterhaltsreform ist ein Kind der großen Koalition und damit ein größtmöglicher Kompromiss.

In § 1570 BGB und noch mehr in  § 1578 b BGB haben die damaligen Koalitionspartner alles ihnen jeweils wichtig Erscheinende hineingepackt und die Lösung des Einzelfalls der Rechtsprechung überlassen.

Einzelfallgerechtigkeit ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, führt jedoch im Bereich des Unterhaltsrechts auch zu einer großen Rechtsunsicherheit. Kaum ein Anwalt ist noch in der Lage, seiner/m Mandantin/en sicher vorherzusagen, ob sie Unterhalt bekommen bzw. er solchen zahlen muss (und das muss nicht am Anwalt liegen).

 

 

Vielen Dank für die Erläuterung.

Das klingt nach einer erneuten Flucht des ratlosen oder kompromissunfähigen Gesetzgebers in die Einzelfallentscheidung. Das Gewissen des Richters soll dort ersetzen, was eigentlich über demokratisch unmittelbar legitimierte Volksvertreter ausgearbeitet hätte werden sollen. Das gibt dem Richter zwar mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung und mehr Begründungsaufwand. Den Richter beneide ich da nicht.

Und ja, der Anwalt steht natürlich noch mehr in der Schusslinie; die Enttäuschung des Mandanten ist da garantiert - oder auch die Anwaltshaftung, wenn "zu viel" Unterhalt gezahlt und verbraucht wurde. Denn nach BGH-Linie hat der fachkundige Anwalt ja geradezu hellseherische Fähigkeiten und kann auch bei unklarer Rechtslage die Entscheidung sicher vorhersehen - und bei klarer Rechtslage sogar die Änderung der Rechtsprechungslinie.

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Das Altersphasenmodell ist natürlich nicht mausetot. In einem Zwischenbereich haben sich nur die Gewichte etwas verlagert. Nach wie vor kann der betreuende Elternteil ohne Wenn und Aber bis zum Kindesalter drei Jahre ohne Angabe von sonstigen Gründen vollen Unterhalt fordern und nach wie vor sind bei beispielsweise 16jährigen Kindern sehr starke andere Gründe nötig, um noch einen Unterhaltsanspruch wegen Kinderbetreuung geltend zu machen. All das ist durchaus nicht selbstverständlich und keine unumstössliche Festung, es gibt schliesslich genug Länder in Europa, die solche Unterhaltsflüsse überhaupt nicht kennen.

In der Regel wird auch jetzt ab Kindesalter Drei Unterhalt zugesprochen, weil eine Vollzeit-Erwerbstätigkeit nicht verlangt wird. Auch der BGH ist für Pauschalisierungen offen: "Ob sich aus dem Gesichtspunkt einer überobligationsmäßigen Doppelbelastung ungeachtet des gesetzlichen Regelfalles eines dreijährigen Betreuungsunterhalts Fallgruppen bilden lassen, die auf Erfahrungswerten beruhen und - z.B. nach dem Alter des Kindes - einer gewissen Pauschalierung zugänglich sind, wird das Berufungsgericht prüfen müssen." (XII ZR 109/05).

Die Oberlandesgerichte in ihren Leitlinien sowieso, z.B. die Düsseldorfer, Punkt 17.1.1.: "Die Mehrheit der Senate geht davon aus, dass bei Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit neben der Betreuung eines Kindes unter 10 Jahren nur selten in Betracht kommt und auch danach die Umstände des Einzelfalles entgegen stehen können." Das Oberlandesgericht liefert die Hinweiskataloge für Amtsrichter und Anwälte gleich mit, womit sich weitergehende Unterhaltszahlungen begründen lassen. Argumente gegen weiteren Unterhalt werden nicht geliefert.

Nach wie vor kann der betreuende Elternteil ohne Wenn und Aber bis zum Kindesalter drei Jahre ohne Angabe von sonstigen Gründen vollen Unterhalt fordern.

Ja, so steht es im Gesetz.

Und ich kenne keine Partei im BT, die das ändern will.

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