Ausblick 2011 (I): Reicht eine Statistik als Indiz für Diskriminierung?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 27.12.2010

Innerhalb des LAG Berlin-Brandenburg ist umstritten, ob Indizien für eine Diskriminierung (§ 22 AGG) durch bloße Statistiken - etwa bezüglich der Anzahl von Frauen und Männer auf einer bestimmten Hierarchieebene des Unternehmens - geführt werden können. Während die 15. Kammer des Gerichts am 26.11.2008 (15 Sa 517/08, NZA 2009, 43) der Klage einer Arbeitnehmerin stattgegeben hatte, die allein mit Hilfe von Zahlenverhältnissen ihre geschlechtsspezifische Benachteiligung bei einer Beförderungsentscheidung geltend gemacht hatte, ist die 2. Kammer desselben Gerichts in einem Urteil vom 12.2.2009 (2 Sa 2070/08, NZA-RR 2009, 537) - trotz weiterer Indiztatsachen - zum gegenteiligen Ergebnis gelangt.

Die erstgenannte Entscheidung ist inzwischen vom BAG kassiert worden. Der Achte Senat hat mit Urteil vom 22.07.2010 (8 AZR 1012/08, BeckRS 2010, 75924) das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. In den Urteilsgründen heißt es:

Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze berücksichtigt. Es hat aus der Besetzung der Positionen auf der Ebene oberhalb der Abteilungsdirektoren mit Männern und Frauen im Verhältnis zum Frauenanteil an der Gesamtbelegschaft darauf geschlossen, dass der unstreitig weit unterdurchschnittliche Frauenanteil in den oberen Führungsebenen des Beklagten auf einer „gläsernen Decke“ beruhe. Daraus hat das Berufungsgericht auf eine regelhafte Benachteiligung von Frauen wegen des Geschlechts in der Vergangenheit geschlossen. Allein das Verhältnis zwischen dem Frauenanteil der Gesamtbelegschaft und dem in oberen Führungspositionen lässt allerdings einen Rückschluss auf die Ungleichbehandlung von Frauen beim beruflichen Aufstieg in bestimmte Hierarchieebenen eines Unternehmens nicht zu. Der Schluss auf eine regelhafte Nichtberücksichtigung von Frauen bei Beförderungsentscheidungen macht zwar nicht erforderlich, dass vom Bewerber im Rahmen der Darlegung von Indizien (§ 22 Halbs. 1 AGG) oder vom Arbeitgeber im Rahmen der Vermutungswiderlegung (§ 22 Halbs. 2 AGG) alle konkreten Bewerbersituationen bei den bisherigen Beförderungsentscheidungen dargelegt werden. Eine Benachteiligung kann nämlich auch gerade in der Gestaltung des dem Bewerbungsverfahren zeitlich vorgelagerten Verfahrens liegen (vgl. BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276). Um beurteilen zu können, ob signifikant weniger Frauen als Männer die Hierarchiestufe oberhalb einer angenommenen „gläsernen Decke“ erreichen, bedarf es allerdings der Feststellung, wie viele Frauen überhaupt unterhalb dieser angekommen sind. Darüber gibt der Anteil von Frauen an der Gesamtbelegschaft keinen Aufschluss.

Das zweitgenannte Urteil des LAG Berlin-Brandenburg steht im Januar 2011 zur revisionsrechtlichen Überprüfung an. Der Achte Senat hat Termin auf den 27.01.2011 bestimmt (8 AZR 483/09).

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3 Kommentare

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und wie stellt sich das BAG das vor? Gibt es denn nach Ansicht des BAG einen Unterschied, ob die "gläserne Decke" aus einer massiven oder vielen Zwischendecken besteht, wenn das Ergebnis identisch ist?

Beispiel 1: Anteil der Frauen auf Mitarbeiter-Ebene 50%

Anteil der Frauen auf Teamleiter-Ebene 40%

Anteil der Frauen auf Gruppenleiter-Ebene 30%

Anteil der Frauen auf Abteilungsleiter-Ebene 20%

Anteil der Frauen auf Bereichsleiter-Ebene 10%

Anteil der Frauen auf Vorstands-Ebene 0%

Beispiel 2: Anteil der Frauen auf Mitarbeiter-Ebene 50%

Anteil der Frauen auf Teamleiter-Ebene 45%

Anteil der Frauen auf Gruppenleiter-Ebene 40%

Anteil der Frauen auf Abteilungsleiter-Ebene 35%

Anteil der Frauen auf Bereichsleiter-Ebene 10%

Anteil der Frauen auf Vorstands-Ebene 0%

Preisfrage: welches Unternehmen hat die "gläserne Decke"? Und warum wird die gefordert, wenn eine "gläserne Salami" denselben Effekt hat?

Am Ende lässt das BAG wohl noch die Anzahl der Berufsjahre als hartes Ablehnungskriterium zu Lasten der Frauen zu und bestraft somit Kindererziehungszeiten?

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Also ganz sicher gibt es eine gläserne Decke im Bergbau und bei allen anderen, besonders gefährlichen Berufen.

Auch im Kampfeinsatz bei der Bundeswehr sind Frauen bisher sicher stark benachteiligt worden.

Das sollte umgehend geändert werden.

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Die entscheidende Frage bei diesem Fall ist doch, ob das Bundesarbeitsgericht zu Recht die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgelehnt hat, obwohl es selbst die Entscheidungserheblichkeit einer Vorlage bejaht. Die dafür gegebene Begründung, wonach dadurch nicht die Auslegung von Gemeinschaftsrecht betroffen sei (Rdnr. 78), ist mehr als wacklig. Träfe das zu, hätte nicht derselbe Senat des BAG in seinem Beschluss vom 2o.5.2010 (8 AZR 287/08 (A)) dem Gerichtshof die Frage vorlegen dürfen, ob dann, wenn im Falle seiner Nichtberücksichtigung eines Arbeitnehmers ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf nähere Auskunft über die anderweitige Einstellung bestehe, der Umstand, dass der Arbeitgeber die geforderte Auskunft nicht erteile, eine Tatsache sei, welche das Vorliegen der vom Arbeitnehmer behaupteten Diskriminierung vermuten lasse. Auch die Frage, ob die Auskunftsverweigerung eine Tatsache darstellt, die eine Diskriminierungsvermutung trägt, ist eine solche, die die Beweiswürdigung betrifft. Man darf ganz sicher sein, dass der Gerichtshof der Europäischen Union - anders als das BAG jetzt - die Frage beantworten wird, eben weil sie sehr wohl vorlagefähig und -bedürftig ist. Das übrigens jetzt auch mit Blick auf die zwischenzeitlich in Kraft getretene Europäische Grundrechtecharta und deren Art. 21 und 23. Bedauerlicherweise wird die Frage, ob das BAG zu Recht hier nicht vorgelegt hat, nicht vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden können. Es ist bereits in der auf "www-kluge-anwaltskanzlei.de" veröffentlichten Presseerklärung vom 10.1.2011 zu entnehmen, dass die Vermutungswirkung nach § 22 AGG nach den entsprechenden Hinweisen des BAG nunmehr auf andere Weise zustande kommen wird. Der Klägerin hilft das weiter. Vielen anderen Frauen aber nicht. Das Bundesverfassungsgericht würde eine Verfassungsbeschwerde aufgrund dieser Umstände mangels Entscheidungserheblichkeit als unzulässig ansehen.  

Bei der bisherigen öffentlichen Betrachtung der BAG-Entscheidung kommt übrigens deutlich die weitere Problematik zu kurz, die in dem sich der erstmaligen Beschwerde der Klägerin anschließenden Verhalten von deren Arbeitgeber liegt. Auch hier gehört nach den Ausführungen des BAG nicht viel Phantasie dazu, von einer abermaligen Bejahung eines Mobbing durch das LAG auszugehen. Damt würde es sich erst um die zweite vor dem BAG erfolgreiche Mobbing-Klage handeln. Die Klägerin hatte - über den Tatbestand des LAG hinausgehend - mit ihrer erfolgreichen Anschlussrevision gerügt, dass es siebzehn (!!!) weitere Vorfälle gäbe, die dem Mobbing-Geschehen zuzuordnen seien.

 

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