Richter am OLG zeigt BKA-Chef Ziercke wegen Beihilfe zum Mord durch US-Drohnenanschläge an

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 12.01.2011

An der kürzlich bekannt gewordenen Strafanzeige gegen BKA-Chef Ziercke (Süddeutsche, Taz, SpOn, Dank auch an einen Blogleser für den Hinweis)  ist eines ungewöhnlich: Der Anzeigeerstatter ist Richter am OLG Karlsruhe. Man wird die Strafanzeige also nicht ignorieren oder einfach abtun können. Die Sache ist heikel: Im Zusammenhang mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ergab  sich in den letzten zehn Jahren eine weitreichende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der USA und Deutschlands, auf polizeilicher wie geheimdienstlicher Ebene. Etwas jüngeren Datums ist die Praxis der USA (Militär und CIA), terroristischer Aktivitäten oder Absichten Verdächtige v.a. in Pakistan mit unbemannten Flugkörpern (Drohnen) gezielt zu töten. Mittlerweile sind hunderte von Personen aus der Luft getötet worden. Die Weitergabe einer Information durch deutsche Sicherheitsbehörden, die die Reise einer als "Gefährder" eingestuften Person nach Pakistan betrifft, kann also ein wesentlicher Beitrag dazu sein, dass die USA einen Anschlag ausführen können. Wer diesen Zusammenhang kennt, muss sich über die möglichen Folgen einer solchen Information bewusst sein. Am 4. Oktober 2010 wurde der deutsche Staatsangehörige Bünyamin Erdogan aus Wuppertal offenbar durch einen Drohnenangriff in Pakistan getötet (Quelle) Gegen ihn war in Karlsruhe ein Ermittlungsverfahren wegen § 89b StGB anhängig. (Ergänzung: Weitere Hintergründe in diesem schon früheren Artikel auf welt-online)

RiOLG Schulte-Kellinghaus begründet seine Strafanzeige gegen Ziercke so:

(Er) "begründet seinen Verdacht gegen BKA-Chef Jörg Ziercke mit Äußerungen bei einer Veranstaltung vor vier Jahren in Karlsruhe, bei der auch Schulte-Kellinghaus anwesend war. Dabei habe Ziercke die Praxis der Informationsweitergabe des BKA an ausländische Behörden geschildert, wenn sogenannte Gefährder aus dem islamistischen Spektrum Deutschland verlassen - und zwar "nicht als mögliche Maßnahme im Einzelfall, sondern eine generelle Praxis", heißt es in der Anzeige des Richters." (Quelle)

 

Die US-Drohnenanschläge sind völkerrechtlich umstritten. Philip Alston hat im Auftrag des UN Human Rights Council Ende Mai 2010 über die Drohnenangriffe Bericht erstattet (pdf-Dokument, engl. Sprache) und sich skeptisch geäußert (Bericht der NYT). Im Fazit seines Berichts werden die Drohnenangriffe zwar nicht generell verdammt, aber außerhalb von Kampfzonen als rechtlich fragwürdig angesehen. Insbesondere könne kaum ausgeschlossen werden, dass Unbeteiligte oder falsch Beschuldigte ohne rechtliches Verfahren quasi hingerichtet werden.

Die US-Regierung steht auf dem Standpunkt, man befinde sich im Krieg mit Al Quaida, und im Krieg sei es aus nationaler Notwehr gerechtfertigt, Terroristen in dieser Weise zu attackieren; so äußert sich jedenfalls Koh, ein Rechtsberater des Außenministeriums:

"Recently, a number of legal objections have been raised against U.S. targeting practices. While today is obviously not the occasion for a detailed legal opinion responding to each of these objections, let me briefly address four:

First, some have suggested that the very act of targeting a particular leader of an enemy force in an armed conflict must violate the laws of war. But individuals who are part of such an armed group are belligerents and, therefore, lawful targets under international law. During World War II, for example, American aviators tracked and shot down the airplane carrying the architect of the Japanese attack on Pearl Harbor, who was also the leader of enemy forces in the Battle of Midway. This was a lawful operation then, and would be if conducted today. Indeed, targeting particular individuals serves to narrow the focus when force is employed and to avoid broader harm to civilians and civilian objects.

Second, some have challenged the very use of advanced weapons systems, such as unmanned aerial vehicles, for lethal operations. But the rules that govern targeting do not turn on the type of weapon system used, and there is no prohibition under the laws of war on the use of technologically advanced weapons systems in armed conflict-- such as pilotless aircraft or so-called smart bombs-- so long as they are employed in conformity with applicable laws of war. Indeed, using such advanced technologies can ensure both that the best intelligence is available for planning operations, and that civilian casualties are minimized in carrying out such operations.
Third, some have argued that the use of lethal force against specific individuals fails to provide adequate process and thus constitutes unlawful extrajudicial killing. But a state that is engaged in an armed conflict or in legitimate self-defense is not required to provide targets with legal process before the state may use lethal force. Our procedures and practices for identifying lawful targets are extremely robust, and advanced technologies have helped to make our targeting even more precise. In my experience, the principles of distinction and proportionality that the United States applies are not just recited at meetings. They are implemented rigorously throughout the planning and execution of lethal operations to ensure that such operations are conducted in accordance with all applicable law.

Fourth and finally, some have argued that our targeting practices violate domestic law, in particular, the long-standing domestic ban on assassinations. But under domestic law, the use of lawful weapons systems—consistent with the applicable laws of war—for precision targeting of specific high-level belligerent leaders when acting in self-defense or during an armed conflict is not unlawful, and hence does not constitute “assassination.” (Quelle)

 

Auf einen entscheidenden Einwand, nämlich den nach Alston zweifelhaften Gebrauch der Drohnen außerhalb von Kampfzonen, geht Koh allerdings nicht ein.

Sicherlich wird man genau prüfen müssen, ob in diesem speziellen Fall tatsächlich das BKA (mit Wissen Zierckes) eine solche Information weitergegeben hat und mit dem Angriff durch Drohnen rechnete. Betroffen sein könnten auch andere Behörden, insb. der Verfassungsschutz. Aber auch die Frage der völkerrechtlichen Legitimation der Drohnentötungen wird im Brennpunkt der juristischen Prüfung stehen, wenn die tatsächlichen Hintergründe einmal aufgeklärt sind. Dabei sind natürlich auch die Beziehungen zur USA betroffen. Man kann sich deshalb vorstellen, dass auch die US-Diplomatie Einfluss nehmen wird, wie es bereits bei der strafrechtlichen Aufbereitung der CIA-Entführungen geschehen ist.

 

 

 

 

 

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6 Kommentare

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Mal aus der ersten als "Quelle" verlinkten Quelle zitiert:

"Im Laufe dieses Jahres war der damals 20-Jährige in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet übergesiedelt. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelte seit Juli gegen ihn und weitere Beschuldigte wegen des sogenannten Lagerparagraphen des Strafgesetzbuches, also des Verdachts der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat". Am 10. Oktober, sechs Tage nach dem Drohnenangriff, übergaben die Düsseldorfer Behörden das Verfahren an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Seitdem lautete der Verdacht auf Unterstützung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Erdoğan soll sich der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) angeschlossen haben. Inzwischen prüft die Bundesanwaltschaft, ob sie wegen des Todes von Erdoğan Ermittlungen einleiten muss."

Ob er überhaupt getötet wurde, steht laut diesem Artikel gar nicht fest.

Bei der zitierten Sachlage von einem Mord als beihilfefähige Haupttat auszugehen, ist etwas mutig. Streitkräfte von an einem Krieg beteiligten Staaten dürfen jedenfalls auch außerhalb von Kampfzonen getötet werden. Wieso das bei Guerillas (die sich in der Regel um die Haager LKO und die Genfer Konventionen gar nicht kümmern) anders sein sollte, ist mir nicht so ganz klar.Und ob eine Weitergabe von nicht näher genannten Erkenntnissen (reist aus? reist wohin?) als Beihilfe zu werten ist, halte ich für etwas fragwürdig. Da müsste schon positive Kenntnis von einem beabsichtigten targeted killing jedes potentiellen Gefährders vorliegen. Zumal noch nicht einmal klar ist, ob sich der Angriff speziell gegen Erdogan richtete, oder ob man einfach ein entdecktes Guerillaversteck angegriffen hat und er eben zufällig dabei war.

Aber nachdem der politische Hintergrund des Anzeigeerstatters ja auch in der Presse breitgetreten wird, verwundert einen die Anzeige nicht. Allenfalls wundert mich, weshalb der Herr RiOLG nicht schon vor 4 Jahren nach dem Vortrag an die Öffentlichkeit gegangen ist, um künftige Straftaten des BKA-Präsidenten möglichst zu verhindern....

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@ klabauter: dass er getötet wurde, davon gehen Presseberichte bereits im Oktober aus: http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Fahndung-nach-Terror-Rekruten-in-NRW-id3886700.html

Warum unterschlägst du den ersten Satz des Artikels, der da lautet: "Deutsche Regierungsstellen gehen davon aus, dass bei einem US-Drohnenangriff im pakistanischen Mir Ali am 4. Oktober ein deutscher Staatsbürger getötet wurde." ? Bricht sonst deine "Argumentation" zusammen?

Weiters: welche Staaten befinden sich deiner Meinung nach in diesem Fall im Krieg? Bitte die Nummer der UN-Resolution nennen. Und generell über das Kriegsvölkerrecht informieren, um den Unterschied zwischen regulären Truppen und Guerillas kennenzulernen. Auch ein Klick auf http://de.wikipedia.org/wiki/Standrecht hilft: "Die in militärischen Konflikten immer wieder geübte Praxis, irreguläre Kämpfer, Partisanen oder Plünderer standrechtlich hinzurichten, ist seit Anfang der 1950er Jahre völkerrechtswidrig."

Wie die Ereignisse um Guantanamo gezeigt haben, unterliegen solche Guerillas nach herrschender Meinung auch in den USA der allgemeinen Gerichtsbarkeit, das Dekret für die Aburteilung vor Militärgerichten widerspricht offensichtlich der US-Verfassung und der Menschnrechtskonvention.

Welcher politische Hintergrund ist gemeint? Oder hast du einfach Schulte-Kellinghaus mit Neskovic verwechselt?

@klabauter:

Es trifft zu, dass bislang nicht einwandfrei geklärt ist, ob Bünyamin Erdogan bei dem Angriff getötet wurde. Allerdings gehen wohl die offiziellen Stellen davon aus, dass dies der Fall ist. Ein entspr. "Beobachtungsvorgang" wurde schon vor der Strafanzeige von der Bundesanwaltschaft angelegt (RP-Online). Ob als Terroristen Verdächtige in Pakistan, also außerhalb vom Kriegsland Afghanistan, getötet werden dürfen, ist doch eine berechtigte Frage. Wäre es Ihrer Auffassung nach denn auch legitim, einen verdächtigen Terroristen "auf Heimaturlaub"  in der Düsseldorfer Fußgängerzone (per Drohne oder auf andere Weise) zu attackieren, um ihn zu töten? Wo genau liegt die Grenze in dieser "Grauzone"?

Ob die angezeigte "Beihilfe" vorliegt, halte ich wie Sie für keineswegs gesichert, allerdings steht man ja auch noch ganz am Anfang der Ermittlungen. Es würde mich allerdings schon beruhigen, wenn deutsche Behörden sich nicht aktiv an dieser Art der Kriegsführung beteiligen würden, deren Zukunft gerade erst begonnen hat. Nach diesem Bericht eines amerikanischen Magazins wird einem ganz schummrig.

Mir ist keine politische Parteifunktion o.ä. des Anzeigeerstatters bekannt, darüber wurde jedenfalls in der Presse, die ich gelesen habe, auch nicht berichtet, geschweige denn irgendetwas "breitgetreten". Die allgemeine politische Meinung des Anzeigeerstatters dürfte ja auch uninteressant für die juristische Bewertung sein.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@M.N.: Ich verwechsle Neskovic nicht. Aber interessant ist schon, dass mehr oder weniger zeitlich parallel zu dieser Strafanzeige Herr Neskovic in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (vom letzten Sonntag) einen Aufsatz zum targeted killing mittels Drohnen veröffentlichte. In dem Aufsatz wird übrigens nicht auf das BKA abgestellt, sondern darauf, dass das BMVg  Erkenntnisse liefere, die zur Aufnahme von Personen auf "ISAF-Todeslisten" führen sollen. Wobei die Existenz solcher Listen vom Stern berichtet wurde und eigentlich alle anderen Quellen nur auf den Stern-Bericht Bezug nehmen. Die NATO selbst erstellt nach offiziellen Angaben Fahndungslisten mit festzunehmenden Personen.

Thema Standrecht: Darum geht es hier nicht. Und der verlinkte Beitrag zur "standrechtlichen Hinrichtung" betrifft GEFANGEN genommene IK/Partisanen, die man jedenfalls nach Gefangennahme entweder wie zivile Kriminelle oder wie Kriegsgefangene behandeln muß. Mit der Frage des Kombattantenstatus und ob man Kombattanten außerhalb von Kampfhandlungen töten darf hat das wenig zu tun.

Die Frage ist eher, ob Taliban/AlQuaida als Kombattanten anzusehen sind oder nicht. Kombattanten dürfen in ihren "Kasernen" und Rückzugsräumen getötet werden. Sobald sie gefangen werden, gelten die GKonventionsregeln. Die USA hebeln diese letztere Behandlung aus, indem sie "unlawful combatants" kreierten.

Wo Sie schon auf wiki verweisen (zu Kombattanten):

"In den Genfer Konventionen wurde diese Bestimmung um Guerillakämpfer erweitert. Zivilpersonen, die während bewaffneter Auseinandersetzungen, eines Krieges oder eines nationalen Befreiungskampfes, zu den Waffen greifen, gelten als Kombattanten wenn sie ihre Waffen offen tragen, solange sie für den Gegner sichtbar sind. Sie benötigen auch keine Unterscheidung von der Zivilbevölkerung in Form von Kennzeichnung oder Uniform, um als Kombattant zu gelten."

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Wäre Herr Schulte-Kellinghaus nicht Mitglied in einem Zivil-, sondern in einem Strafsenat, wüßte er, daß man sich solche Strafanzeigen schenken kann und sie auch nicht an Schlagkraft gewinnen, wenn man meint, seine Amtsbezeichnung hinter die Anzeige setzen zu müssen. Ich denke nicht, daß die Staatsanwaltschaft auch nur Ermittlungen aufnehmen wird. Es wird vermutlich bei einem AR-Aktenzeichen und "Vorprüfungen" bleiben, die nicht einmal einen Anfangsverdacht ergeben werden. Denn je nachdem, wer der Beschuldigte ist, werden die Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO mal höher und mal niedriger gehängt.

 

Bei Strafanzeigen gegen Richter, hochrangige Beamter oder Politiker liegen die Hürden für einen Anfangsverdacht meistens sehr hoch.

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@Denny Crane:

Sie haben natürlich Recht, dass diese Strafanzeige wahrscheinlich nicht zur Anklageerhebung führen wird. Aber es ist eine rechtlich und politisch höchst brisante Frage, die durch die aus meiner Sicht jedenfalls nicht völlig abwegige Argumentation in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt. D.h. solche Strafanzeigen haben für den Anzeigeerstatter auch einen Wert über die rein prozessualen Folgen hinaus, den man sich nicht unbedingt "schenken kann". Die problematische Kriegsführung mit unbemannten Drohnen in Drittländern ist offenbar nicht nur eine Sache der USA. Auch "wir" sind beteiligt und sollten uns Gedanken machen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

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