Bundesgerichtshof stärkt Schutz behinderter Menschen vor sexuellen Übergriffen

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 31.01.2011

 

Es geht um eine junge Frau, die seit ihrer Geburt an einer spastischen Lähmung beider Beine leidet und auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Auch kann sie eine Hand nicht bewegen. So konnte sie sich der Übergriffe des Angeklagten weder ernsthaft erwehren noch sich entfernen, zumal der Angeklagte die Taten bewusst an Orten ausgeführte, an denen hilfsbereite Personen für die junge Frau nicht erreichbar waren. Mehrfach erzwang der Angeklagte den Geschlechtsverkehr (Oral-, Vaginal- und Analverkehr), und hatte in weiteren Fällen vom Opfer gegen dessen Willen sexuelle Handlungen an sich vornehmen lassen. Stets drohte der Angeklagte der Geschädigten damit, deren Mutter umzubringen, wenn sie nicht mitmache oder ihn verrate.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des  Landgericht Landshut wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung, mit dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und dazu verurteilt wurde, dem Tatopfer Schadensersatz und Schmerzensgeld zu zahlen, mit Beschluss vom 12.1.2011 - 1 StR 580/10 - als unbegründet verworfen. Der BGH betont insbesondere, dass das Landgericht straferschwerend berücksichtigen durfte, dass der Angeklagte in allen Fällen sowohl § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Drohung) als auch § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Opfers) verwirklicht hat. Beide Tatvarianten stehen gleichrangig nebeneinander. Tendenzen, dieses gleichrangige Vorliegen der Begehungsvariante "Ausnutzen einer schutzlosen Lage" neben der Begehungsvariante "Drohung" zu verneinen, tritt der Senat entgegen. Eine derart einschränkende Auslegung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB könnte zu untragbaren Strafbarkeitslücken führen und wäre mit der vom Gesetzgeber gewollten Verbesserung des Schutzes behinderter Menschen vor erzwungenen sexuellen Übergriffen nicht zu vereinbaren. Der Schutz insbesondere von Behinderten, die zu den schwächsten und hilfsbedürftigsten Mitgliedern der Gesellschaft zählen, ist gesetzgeberisches Ziel. Der bewussten Verletzung auch dieses Rechtsguts kommt schulderhöhende Bedeutung zu.

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1 Kommentar

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6 1/2 sind doch immer noch "günstig", wenn das Maximum (laut Wikipedia, muss also nicht stimmen) bei 15 liegt.

Nach einem Blick ins Gesetz

http://dejure.org/gesetze/StGB/177.html

glaube ich aber dass Behinderte wie das besagte Opfer trotzdem im Nachteil sind, da die Täter keine (strafverschärfende) Waffe "braucht". D.h. der Täter riskiert nicht in den Absatz (3) hineinzurutschen weil er die Behinderung ausnutzen kann. Insofern finde ich den Schutz behinderter Menschen noch unzureichend.

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