Tabuwörter bei Google und Bing - wie Suchmaschinen sich an Kriminalprävention versuchen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 31.01.2011

Der amerikanische Kriminologe Edwin H. Sutherland hat in seiner Theorie der differentiellen Assoziation darauf hingewiesen, dass Straftatbegehung nicht nur die böse Absicht und Gelegenheit voraussetzt, sondern auch ganz banal Kenntnisse über die Techniken der Begehung eines Delikts. Die erfolgreiche Karriere als Straftäter setzt voraus, dass man sich solche Techniken aneignet und sie praktisch einübt. Eine quasi natürliche Hürde vor der Straftat ist daher regelmäßig schlicht die Unwissenheit, wie man denn ein bestimmtes Delikt überhaupt ausführen könnte, ohne dabei erwischt zu werden. Nun war dieses Knowhow in der Zeit Sutherlands  noch nicht an jeder Ecke verfügbar, so dass Sutherlands Theorie insofern recht überzeugend wirkte: Für manche Informationen musste man wohl zunächst die entsprechenden Informanten ausfindig machen und kennenlernen, und sie waren als künftige Konkurrenten auch nicht gerade besonders auskunftsfreudig, kurz: man musste schon selbst einen entscheidenden Schritt auf die Seite des Unrechts tun, bevor man gewisse Fertigkeiten überhaupt erlernen konnte.

Mit dem Internet und vor allem mit Google ist heute alles anders: Nahezu ungefiltert erhält der (weitgehend anonym) suchende User jede Menge Informationen über kriminelle Fertigkeiten: Wie man Schlösser knackt, ist dabei noch das harmloseste Beispiel. Die schon fast sprichwörtliche "Internet-Anleitung zum Bombenbau" fehlt in keinem internetskeptischen Beitrag. Mehr noch: Durch die Funktion "Autovervollständigen" hilft Google sogar noch denen auf die kriminellen Sprünge, die nicht einmal die Suchwörter richtig schreiben oder die Suchanfrage richtig formulieren können.

Besonders geärgert hat sich über die Autovervollständigen-Funktion die Musikindustrie. Sie hat jetzt einen Erfolg zu vermelden: Wer in Google nach den Begriffen "rapidshare", "torrent" oder "megaupload" suchen will, dem wird nicht mehr schon nach der bloßen Eingabe von "ra", "tor" oder "mega" der treffende Suchbegriff angeboten. Diese Wörter wurden vielmehr von Google aus der Autovervollständigen-Datenbank gelöscht (Quelle). Natürlich können diese Begriffe noch gesucht und gefunden werden. Aber Google will sich offenbar nicht mehr vorwerfen lassen, die Suchmaschine erleichtere den (Urheber-)Rechtsbruch auch noch. Wobei, darauf weisen die Betreiber durchaus zutreffend hin (Quelle), auf den jeweiligen Seiten auch völlig legale Downloadmöglichkeiten zu finden sind. Eine für diese Wörter "unzensierte" Autovervollständigung bietet übrigens (noch immer) die Suchmaschine "bing".

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob Google sich allgemein dem Recht stärker verpflichtet fühlt und etwa auch bei anderen mit deutlich schwerwiegenderer Kriminalität verbundenen Suchanfragen die Hilfe verweigert, quasi kriminalpräventiv motiviert. Unter anderem das fragte sich jedenfalls Eli Rosenberg vom amerikanischen Magazin "the Atlantic" (hier). Ähnliche Beispiele habe ich einmal in deutscher Sprache bei google.de und bing.de ausprobiert.

"Wie baue" - wird bei Google vervollständigt zu "ich einen Joint" (2. Stelle), bei Bing  zu "ich eine Bombe" (1. Stelle)

"Wie bringe ich einen" - wird bei Google vervollständigt zu "Menschen um" (7. Stelle), bei Bing wird schon nach "Wie bringe" nur noch "ich mich um" angeboten.

"Wie raube" - wird vervollständigt zu "eine Bank aus" (1. Stelle), bei Bing wird nichts ergänzt.

"Wo kann" - wird in sieben von zehn Vervollständigen-Angeboten - ähnlich bei Bing -  mit nicht ganz legalen Möglichkeiten verknüpft, wobei es insbesondere um Verhaltensweisen geht, die der Musik- und Filmindustrie Sorge bereiten.

Das Ergebnis bei "Wie tö" ist bei Google nur wenig überraschend - bei Bing gibt es dazu keine Ergänzung.

"Bom" wird hingegen bei beiden nicht zu "Bombe" vervollständigt, offenbar ist es auf der Liste der Tabuwörter.

Hinter dem ganz witzigen Potential, das solche Recherchen auch haben können, verbirgt sich ein ernsterer Hintergrund:

Eine wirtschaftlich starke Lobby schafft es, die Suchroutinen von (eigentlich) ganz neutralen Suchmaschinen zu beeinflussen. Dies erscheint mir durchaus eine subtile Form der Kontrolle, die demokratisch kaum legitimiert ist und - wie gezeigt - auch nicht wirklich mit dem Bemühen um Kriminalprävention zusammenhängt.

 

 

 

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6 Kommentare

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Nun ja - es wird ja nur die Auto-Vervollständigen-Funktion beeinträchtigt. Wer wirklich auf der Suche nach einer Anleitung zum Bombenbau ist, der wird dadurch nicht wirksam gehindert (wer auf Sprengstoffrezepte aus ist, findet auch durch Wikipedia genügend Anregungen, wenn er z.B. mit dem Artikel über das Attentat von Oklahoma startet).

Abgesehen davon, dass man die relevanten Suchmaschinen, Homepages oder Blogs zum Download von urheberrechtlich geschützem Material auf jedem Schulhof erfahren kann, findet selbst der Unbedarfteste mit der Kombination "(aktueller) Filmtitel" + "download" die entsprechenden Quellen. Man müsste schon das Wort "download" in Suchmaschinen komplett blockieren, um das zu verhindern - unrealistisch angesichts der Tatsache, dass Downloads ein wichtiger Distributionskanal auch für kommerzielle Software sind.

Die tatsächliche länderspezifische Zensur kann man z.B. hier für Google vergleichen: http://www.chillingeffects.org/search-comparator/ 

Was es mit den Löschbegehren aus Deutschland meistens auf sich hat: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,690278,00.html

So lange man noch mit zwei bis drei Mausklicks beim DPMA herausfinden kann, wer vor der Umschreibung (Pos. 5) Inhaber der Marke mit der Registernummer 39747033 war, mache ich mir für Deutschland noch nicht wirklich Sorgen. Und schließlich halte ich es für gewagt, Freiheit bzw. Kontrolle des Internets an der Einfachheit von Suchmaschinen oder der Vollständigkeit von deren Trefferlisten zu messen - da gibt es wirklich größere Gefahren, die vor allem von ahnungslosen Politikern ausgehen (Stichwort "Zensursula").

Suchmaschinen strukturieren das Denken der Menschen, denn sie entscheiden durch ihre "willkürlichen" Algorithmen, was Menschen rezipieren und damit denken.

 

Das Bsp. der Suche eines juristischen Begriffspaares ergab zudem etwa bei Google lediglich 1/3 der Trefferanzahl im Vergleich zu Yahoo, womit fest steht, dass Suchmaschinen durch unterschiedliche Filter und Algorithmen nicht nur strukturieren sondern auch wesentliche Inhalte in hohem Umfang selbst ganz von der Suche ausblenden.

 

Hier wäre eine demokratische Kontrolle, auch der Arbeitsweise und Algorithmen, sehr angezeigt. Jedenfalls muss sicher gestellt werden, dass man mit jeder individuellen Suche eine Chance hat, je nach Ausdifferenzierung, auch die benötigten Treffer/ Ergebnisse zu erzielen. Derzeit findet der Suchende hingegen nur, was ihm die Suchmaschine "autoritär" anbietet, die eigenen Recherche-Fähigkeiten (etwa durch Begriffspaarwahl, Kontexte, Ausschlüsse) spielen somit nur eine sehr begrenzte Rolle.

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Samuel schrieb:
Das Bsp. der Suche eines juristischen Begriffspaares ergab zudem etwa bei Google lediglich 1/3 der Trefferanzahl im Vergleich zu Yahoo, womit fest steht, dass Suchmaschinen durch unterschiedliche Filter und Algorithmen nicht nur strukturieren sondern auch wesentliche Inhalte in hohem Umfang selbst ganz von der Suche ausblenden.

Sie berücksichtigen dabei nicht, dass nicht jede Suchmaschine über die gleiche Datenbasis verfügt. Außerdem lassen Sie unberücksichtigt, dass die Zahl der Treffer ohne Vergleich der dahinterstehenden Schätzalgorithmen kaum eine Aussage in inhaltlicher Hinsicht zulässt.

Christoph Kling

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@Samuel: Wenn Sie mit "Trefferanzahl" die bei google und bing über den Suchergebnissen angegebene Anzahl von Treffern meinen, dann ist das eine höchst fragwürdige Angabe. Machen Sie sich einfach einmal die Arbeit, bei einem nicht allzu gängigen Suchergebnis, bei dem mehrere tausend Treffer angegeben werden, bis zur letzten Seite durchzuklicken. Bei nur wenigen hundert Treffern ist Schluss. Man kann dann bei google sich noch die weiteren Treffer - die Wiederholungen - anzeigen lassen, aber auch diese - angeblich dann komplette Anzahl der Treffer - ist vergleichsweise begrenzt. Die Trefferangabe gibt offenbar nur einen Schätzwert wieder, tatsächlich werden wesentlich weniger Treffer tatsächlich "gefunden". Zudem wechselt die Gesamtzahl von Schätztreffern manchmal im Verlauf des Tages bzw. an verschiedenen Tagen ganz erheblich, ohne dass tatsächlich mehr Treffer angezeigt werden. Ein Mysterium. Aber jedenfalls ist die geschätzte Anzahl von Treffern kein geeigneter Wertmaßstab für eine Suchmaschine.

Bei Interesse hier weiterlesen.

 

Samuel schrieb:
Hier wäre eine demokratische Kontrolle, auch der Arbeitsweise und Algorithmen, sehr angezeigt.
mit Verlaub, das ist ein Schmarrn.

Genauso könnten Sie eine "demokratische Kontrolle" (was soll das denn überhaupt sein außer Wahlen und Abstimmungen?) der Ordnungssystematiken aller Universitäts- und Stadtbibliotheken fordern.

 

Samuel schrieb:
Jedenfalls muss sicher gestellt werden, dass man mit jeder individuellen Suche eine Chance hat, je nach Ausdifferenzierung, auch die benötigten Treffer/ Ergebnisse zu erzielen.
Es gibt kein "Menschenrecht auf passende Suchergebnisse". Und die Forderung nach individuell passenden Treffern wäre nur erfüllbar, wenn die Suchalgorithmen Gedanken lesen könnten. So weit wird es hoffentlich nie kommen.

 

Samuel schrieb:
Suchmaschinen strukturieren das Denken der Menschen, denn sie entscheiden durch ihre "willkürlichen" Algorithmen, was Menschen rezipieren und damit denken.
Diese "Gefahr" besteht bei jedem Medienkonsum, angefangen bei den Geschichtenerzählern der frühesten Menschheitsgeschichte vor zehntausenden von Jahren.  

Rätsel gelüftet!

Hinter der Auitovervollständigung steckt in Wirklichkeit ein viel komplizierterer Mechanismus als bisher angenommen. Hier ein Report von google, der vor einigen Tagen auf dem Official Blog erschien (Film).

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