Bundesverfassungsgericht: Bisherige Regelungen zur Sicherungsverwahrung verfassungswidrig! (Update)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 04.05.2011

Soeben hat das BVerfG (hier jetzt die Pressemitteilung, hier der Volltext des Urteils) die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung, insbesondere die nachträgliche Sicherungsverwahrung, einschließlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht (siehe schon hier), für verfassungswidrig erklärt. Für eine Neuregelung wurde dem Gesetzgeber eine Frist bis 31.05.2013 eingeräumt, solange gelten die Vorschriften unter bestimmten Maßgaben fort.

Gefangene, deren weitere Inhaftierung wegen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot schon vom EGMR als gegen die MRK verstoßend als rechtswidrig bezeichnet wurde ("Altfälle"), sollen ebenfalls nicht unmittelbar freigelassen werden. Hier wird vom BVerfG eine unverzügliche gerichtliche  Überprüfung bis spätestens zum 31.12.2011 angeordnet. Nur "hochgradig gefährliche" Täter, bei denen  schwerste Sexual- oder Gewaltdelikte befürchetet werden, und die "psychisch gestört" sind, dürfen weiterhin verwahrt bleiben.

In den sog. Altfällen, in denen die Unterbringung der Sicherungsverwahrten über die frühere Zehnjahresfrist hinaus fortdauert, sowie in den Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung darf die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bzw. deren Fortdauer nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) leidet. Die Vollstreckungsgerichte haben unverzüglich das Vorliegen dieser Voraussetzungen der Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu prüfen und anderenfalls die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens zum 31. Dezember 2011 anzuordnen. (Quelle)

Also können sich demnach wohl etliche der betroffenen Gefangenen ("Altfälle")  Hoffnung machen, dass sie bis Ende des Jahres entlassen werden.

 

Das BVerfG hat damit seine Entscheidung vom 5.2.2004, 2 BvR 2029/01 (BVerfGE 109, 133) revidiert und ist einen großen Schritt auf die anderslautende Entscheidung des EGMR vom Dezember 2009 zugegangen. Der Europ. Menschenrechtskonvention wurde ein wesentlicher Einfluss auf die Verfassungsinterpretation zugestanden ("völkerrechtsfreundliche Auslegung"):

Die Europäische Menschenrechtskonvention steht zwar innerstaatlich im Rang unter dem Grundgesetz. Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind jedoch völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes. (Quelle)

Als erster Grund für die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Sicherungsverwahrung wird der mangelnde Abstand zwischen Straf- und Sicherungsverwahrungsvollzug genannt:

Die grundlegend unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Legitimationsgrundlagen und Zwecksetzungen von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung erfordern einen deutlichen Abstand des Freiheitsentzugs durch Sicherungsverwahrung zum Strafvollzug (sog. Abstandsgebot).(Quelle)

Insbesondere die detailreichen Ausführungen und Vorgaben im Urteil zum verfassungsgemäßen Vollzug der "neuen" Sicherungsverwahrung mit dem Ziel einer "realistischen Entlassungsperspektive" sind sehr beachtlich (und werden Bund und Länder auch vor erhebliche finanzielle Herausforderungen stellen).

 

Allerdings ist das BVerfG nicht den ganzen Weg  auf den EGMR zugegangen. Die nachträgliche Anordnung und Verlängerung der Sicherungsverwahrung soll nach wie vor  nicht gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs.2 GG verstoßen:

Zur Anpassung des grundgesetzlichen Begriffs der Strafe in Art. 103 Abs. 2 GG – und damit zugleich des Art. 103 Abs. 3 GG – an den Strafbegriff des Art. 7 Abs. 1 EMRK besteht demzufolge kein Anlass. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst führt insoweit aus, der Begriff der „Strafe“ im Sinne von Art. 7 EMRK sei „autonom“ auszulegen; er – der Gerichtshof – sei an die Einordnung einer Maßnahme nach nationalem Recht nicht gebunden (EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009, Beschwerde-Nr. 19359/04, M. ./. Deutschland, Rn. 126). Diese Art der Begriffsbildung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat für die Zwecke der Europäischen Menschenrechtskonvention ihre Berechtigung. Die Unabhängigkeit der Begriffsbildung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die damit notwendig verbundene Flexibilität und Unschärfe tragen der rechtlichen, sprachlichen und kulturellen Vielfalt der Mitgliedstaaten des Europarates Rechnung (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2009, § 5 Rn. 9 ff.). Für die gewachsene Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist dagegen an dem Begriff der Strafe in Art. 103 GG, wie er in der Entscheidung vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133 <167 ff.>) zum Ausdruck gekommen ist, festzuhalten.(Urteil, Rz. 142)

Vielmehr wird die Verfassungswidrigkeit mit einem  Verstoß gegen den grundrechtlichen Vertrauensschutz (Rechtstaatsgebot) begründet, der durch die Wertungen des EGMR (zu  Art. 5 und Art.7 EMRK) verstärkt werde:

Zudem verletzten die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Vorschriften zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahreshöchstfrist hinaus und zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. (Quelle)

Die Bedeutung des Vertrauensschutzes  war von der früheren Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 109, 133) verkannt worden und dies wird nun korrigiert, allerdings erlaubt es der Bezug auf den Vertrauensschutzgedanken, anders als es bei einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot der Fall wäre, dass man den Schutz der Bevölkerung in die Abwägung mit einbezieht. Hätte das Gericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs.2 GG festgestellt, dann wäre nur die sofortige Freilassung aller von rückwirkender Verlängerung oder Anordnung betroffenen Gefangenen in Betracht gekommen, denn das Rückwirkungsverbot ist absolut. Der Vertrauensschutz kann aber im Hinblick auf "hohe Gefahren" eingeschränkt werden (dazu Urteil Rz. 131 ff.).

Offenbar meint man, gegen eine auch nachrägliche Sicherungsverwahrung "hoch gefährlicher" und "psychisch gestörter"  Straftäter, die dann im Vollzug auch nicht mehr wie Freiheitsstrafe wirke, werde das EGMR nichts mehr einzuwenden haben.

Etwas irritierend ist die Nachbesserungsfrist, die dem Gesetzgeber eingeräumt wurde, denn dass Neuregelungsbedarf besteht, ist ja seit längerer Zeit bekannt. Dennoch hat der Gesetzgeber eine Neuregelung nur für künftige Taten erlassen, nicht aber für diejenigen Gefangenen, die derzeit schon im Freiheitsstrafvollzug einsitzen - gegen sie kann nach wie vor nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Dass dieser verfassungswidrige Zustand weitere zwei Jahre bestehen bleiben darf, ist sehr großzügig.

(Beitrag wurde - zuletzt um 17:00 Uhr - ergänzt)

 

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11 Kommentare

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Es ist mir unbegreiflich, wie andere Staaten ohne das hochnotwendige Instrument der Sicherungsverwahrung überhaupt existieren können. Bekanntlich wird in Großbritannien, Frankreich, Italien, usw., Tag und Nacht nur gemordet, gebrandschatzt und vergewaltigt, weil die Täter nach Verbüßung ihrer Strafe einfach wieder auf freien Fuß gelangen...

 

Ich bezweifele, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die aufgrund dieser Entscheidung ergehenden weiteren Beschlüsse der zuständigen Strafvollstreckungskammern und Oberlandesgerichte vor dem EGMR Bestand haben werden. So vollmundig und rechtsstaatsfreundlich die Entscheidung zunächst anmuten mag: bei genauerem Hinsehen hat das BVerfG wieder tausend Türen für die Vollstreckungsgerichte und den Gesetzgeber geöffnet, um die Betroffenen weiterhin auf unbestimmte Zeit in Haft zu halten; zumal es oftmals am Willen und der intellektuellen Redlichkeit fehlt, die Weisungen aus Straßburg und Karlsruhe umzusetzen. Wenn Fachgerichte verfassungsrechtliche Erwägungen anstellen sollen, fühlt man sich oftmals an Arbeiten von Zweitsemestern erinnert - was auch nicht Wunder nimmt, da bei den meisten Juristen die letzte Begegnung mit einer verfassungsrechtlichen Prüfung im zweiten Semester stattgefunden hat.

 

Die in dem Urteil aufgezeigte unheitliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der BGH-Senate wird sich weiter fortsetzen.  Dieses Urteil wird keine Fragen beantworten, sondern das Chaos nur vergrößern.

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Wer hatte das Gesetz damals erarbeitet? Die Zypresse? (Ihre Gesetze wären ja nicht zum ersten Mal durch das BVerfG in die Tonne getreten)

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@Hans:Nun ja, jedes Land hat so seine Besonderheiten. Im Rechtsstaat GB können Kinder ab 10 Jahren in den Knast. Und Schweigen kann gegen den Angeklagten verwendet werden. In Italien und Frankreich sind Urteile, die in ine Folge der Entscheidung ist: zumindest bei denjenigen, bei denen die SV schon im Urteil wegen der Anlasstaten verhängt wurde (also keine vorbehaltene oder nachträgliche) war dieser Umstand ein strafAbwesenheit des Angeklagten ergehen, üblich (s. z.B.die Fälle Battisti oder kürzlich den aus Deutschland entführten Arzt).

 

Und wenn man dann in der BVerfG -Entscheidung z. B. die "Karriere" des BF zu IV liest, hält sich die Freude darüber, ihn wieder als geläutertes vollwertiges Mitglied der Gesellschaft begrüßen zu dürfen, in Grenzen :

"Der 1947 geborene Beschwerdeführer zu IV. ist vielfach vorbestraft und befindet sich seit Juni 1973 – abgesehen von wenigen Monaten in Freiheit – fortlaufend in Haft oder im Maßregelvollzug.

59

a) Er wurde erstmals im Jahr 1968 wegen Diebstahls zu einer Geldauflage und im Jahr 1970 wegen Beihilfe zur Verkehrsunfallflucht zu einer Geldstrafe sowie wegen mehrerer, teils qualifizierter Diebstähle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

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b) In der Zeit von Oktober 1970 bis Juni 1973 brachte er in insgesamt zwölf Fällen Mädchen an einsam gelegenen Orten überfallartig in seine Gewalt, versetzte sie durch Drohung mit einem Messer in Todesangst und nötigte sie zu vaginalem oder oralem Geschlechtsverkehr oder anderen sexuellen Handlungen. Er wurde deshalb am 14. Dezember 1973 durch das Landgericht Berlin wegen Vergewaltigung in fünf Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung in sieben weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. ....

61

c) Im März 1987 wurde er erneut festgenommen und am 8. März 1988 vom Landgericht Hannover wegen einer – drei Monate nach seiner Haftentlassung an einem achtjährigen Mädchen begangenen – Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, sexuellen Missbrauchs von Kindern und Entführung gegen den Willen der Entführten zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

62

d) Im Juni 1988 entwich er aus dem Maßregelvollzug und überfiel eine junge Frau, bedrohte sie mit einem Messer oder einem anderen gefährlichen Gegenstand, versuchte, sie zu vergewaltigen, und erwürgte sie anschließend. Ende Juni 1988 wurde er wieder festgenommen und am 2. Februar 1990 durch das Landgericht Baden-Baden wegen versuchter Vergewaltigung und Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt, wobei erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet wurde.

Das Landgericht ging nach sachverständiger Beratung davon aus, der Beschwerdeführer leide an einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB, nämlich einer sadomasochistischen sexuellen Perversion von tiefgreifendem Ausmaß und mit progredienter Verlaufsform, aufgrund derer seine Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt erheblich vermindert gewesen sei. Infolge seines psychischen Zustandes sei er für die Allgemeinheit gefährlich. Sobald er auf freien

63 ....

e) In der Folgezeit war der Beschwerdeführer im Maßregelvollzug in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht. Im April 1993 erklärte die zuständige Strafvollstreckungskammer die Unterbringung für erledigt und ordnete die Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafen an, weil der Beschwerdeführer therapieunfähig sei. .... Der Beschwerdeführer nahm von 2002 bis 2003 und ab November 2005 an dem Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter in der Sozialtherapeutischen Anstalt der Justizvollzugsanstalt teil. Hinreichende Behandlungserfolge konnten dabei nicht erzielt werden. ....... Anschließend wurde der Beschwerdeführer vorläufig in der Sicherungsverwahrung untergebracht.

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@ klabauter: auf solche Fälle wie den des zitierten BF ist wohl die Formulierung gemünzt "... wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) leidet." Die Unterstellung, der Straftäter des o.g. Falles könne sich bald wieder frei bewegen, entbehrt also jeder Grundlage und kann als billige Propagande ad acta gelegt werden.

Hier ein anderer Einzelfall, der die Verfassungswidrikeit wohl ziemlich deutlich macht: http://www.sueddeutsche.de/politik/sicherungsverwahrung-ein-betroffener-...

"Zumal bei der Verurteilung Bergers 1995 noch die Höchstgrenze von zehn Jahren Sicherungsverwahrung galt. Weil sich die Rechtslage danach aber geändert hatte, konnte das Gericht 2009 die Sicherungsverwahrung nachträglich verlängern: Die Richter stützten sich dabei unter anderem auf ein Gutachten aus dem Jahr 2006, in dem es hieß, es bestehe die Gefahr, dass Berger Straftaten gegen das Leben begehe. Ein zweiter Psychiater kam hingegen zum Schluss, die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall sei bei Berger nicht höher als bei anderen langjährigen Strafgefangenen."

zum "Abstandsgebot":

"die Sicherungsverwahrten genießen ein paar Privilegien, die ihnen den Neid der normalen Strafhäftlinge eintragen: Sie haben beispielsweise einen eigenen Gruppenraum mit einer Spielkonsole. Abends bleiben ihre Zellen länger offen. Ihre privaten Fernseher dürfen immerhin 26 Zoll groß sein, erläutert Anstaltsleiter Matthias Konopka - sonst sind es maximal 21 Zoll."

Fünf Zoll und eine Playstation reichen dann doch nicht ...

 

@klabauter

 

Ich weiß nicht, was die kriminelle Karriere des BF zu IV mit der Frage der Menschen- und Verfassungsrechtsrechtswidrigkeit der SV zu tun hat. Das scheinen mir diese von Vergeltung geprägten Denkmuster zu sein, die erst zu dem rechtlichen Chaos geführt haben. Wer seine Strafe verbüßt hat, ist aus der Haft zu entlassen. Gefahrenabwehr ist keine originäre Aufgabe des Strafrechts und ich habe auch Zweifel, daß der Bund für derlei präventivpolizeiliche Maßnahmen überhaupt die Gesetzeskompetenz hat.

 

Es ist in meinen Augen ein deutlicher Wertungswiderspruch, wenn man für wiederholte schwere Straftaten zwar nur relativ kurze Freiheitsstrafen verhängt und den gesetzlichen Strafrahmen nicht im Ansatz ausschöpft, den Verurteilten nach Verbüßung dieser Strafe aber für unbestimmte Zeit in Sicherungsverwahrung behalten will. Für viele Verbrechenstatbestände sieht das Gesetz eine Höchststrafe von 10 bis 15 Jahren vor. Die Höchststrafen werden aber auch bei gefährlichen Wiederholungstätern zumeist nicht verhängt. Ich erlebe in der Praxis häufig, daß gegen Menschen Sicherungsverwahrung verhängt wird, die zwar wiederholt, aber eben "nur" zu Freiheitsstrafe im unteren Bereich des Strafrahmens verurteilt worden sind. Schwer nachvollziehbar.

 

Im übrigen: weder das Grundgesetz noch die EMRK verbieten drastische Freiheitsstrafen. Es spricht nichts dagegen, die Höchstgrenze für Zeitstrafen von derzeit 15 auf 20, 30 oder 40 Jahre zu erhöhen. Das beanstandet der EGMR in anderen Ländern auch nicht.  Wenn man also eine vermeintliche "Bestie" hat, die aus Sicht der Gerichte und der Bevölkerung auf Dauer "weggesperrt" gehört, wäre es naheliegend, einfach die Strafrahmen zu erhöhen und bei Bedarf auszuschöpfen.  Bei dem Beschwerdeführer zu IV wäre eine sehr lange Freiheitsstrafe sicher tat- und schuldangemessen gewesen, ohne daß man sich auf die rechtlich zweifelhafte Krücke der Sicherungsverwahrung hätte zurückziehen müssen.

 

Gänzlich unvertretbar scheint es mir hingegen, auf Mehrfachvergewaltigungen immer wieder mit "kurzen" Freiheitsstrafe zwischen fünf und acht Jahren zu reagieren und sodann für unbestimmte Dauer eine menschenrechtswidrige Präventivhaft anzuordnen.

 

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@Gerhard:

Es geht bei der SV eben nicht um "Vergeltung", wie schon der Name und auch der vom EGMR beanstandete Regelungsinhalt zeigen und ich habe auch keine Vergeltungsgelüste, sondern fände es sympathischer, wenn bestimmte Personen nicht frei herumlaufen.

 

@Mein Name:

Der BF war aber - vorläufig - erfolgreich.

Die BVerfG-Entscheidung ist - trotz jahrzehntelanger Bedenkenfreiheit des BVerfG gegenüber der SV  - etwas erstaunlich, auch wenn der Gesetzgeber sich durch seinen Aktionismus nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Das BVerfG hatte bislang weder Bedenken gegen die SV an sich, noch gegen die rückwirkende Verlängerung etc.  angemeldet und sieht plötzlich die gesamte (und nicht nur die Teile "rückwirkende Verlängerung" ) Regelung als verfassungswidrig an.

 

Die Entscheidung des BVerfG nach mehreren EGMR -Urteilen ist daher ebenso mutig wie die jahrzehntelange Praxis des BVerfG, der EWG/EG/EU immer wieder zu bescheinigen, dass man "derzeit noch nicht" "solange.." "Soweit..."  EU-Akte nicht überprüfen müsse, aber aber: natürlich behält man sich vor, doch noch mal den großen Hammer hervorzuholen. Der Sache nach betreibt das BVerfG gelegentlich das Radfahrerprinzip: nach "oben" (EU /Europarat) buckeln, nach unten (Bundestag, BGH und andere Obergerichte) treten.

 

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Alle gesetzlichen Regelungen seid 1998 bis einschließlich 1.1.2011 sind jetzt verfassungswidrig. Nach meiner Kenntnis hat es einen solchen Fall in der deutschen Rechtsgeschichte noch nicht gegeben. All diese Bundesregierungen haben also Gesetze verabschiedet, die gegen das Grundgesetz gerichtet sind. Der aktuelle Gesetzgeber steht vor einem Scherbenhaufen - siehe Statements der Opposition. Wie sich Max Stadler(FDP) und Beate Merk(CSU) nach der Urteilsverkündung geäußert haben, kann man im Übrigen meinen Webseiten entnehmen - ich war LIVE dabei:

http://k13-online.krumme13.org/news.php?s=read&id=1964 

 

 

 

 

Guten Tag zusammen !

Bei Abgeordnetenwatch habe ich fünf Politiker/Innen aller fünf Fraktionen im Bundestagsrechtsausschuss zur Neuregelung der SV befragt. Hier sind die bisher eingetroffenen drei Antworten von den GRÜNEN, LINKEN und der SPD - die anderen kommen wohl noch:

http://www.abgeordnetenwatch.de/monika_lazar-575-37765--f295116.html#q295116

http://www.abgeordnetenwatch.de/burkhard_lischka-575-37784--f295117.html#q295117 

http://www.abgeordnetenwatch.de/halina_wawzyniak-575-38031--f295114.html#q295114 

 

Viel Spaß beim Studieren der Inhalte wünscht,

 

Dieter Gieseking

K13online Redaktion

 

 

 

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