Schläge für das Gericht - Kommentar zum Bremer Freispruch für den Brechmittel-Arzt

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 15.06.2011

Das LG Bremen hat den Polizeiarzt V. vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung erneut freigesprochen; der Vorsitzende erkannte offenbar gleich die Problematik dieses Freispruchs, denn er erwartete lt. Pressemeldungen ""Wir werden Schläge für dieses Urteil einstecken" (Quelle). Vor einem Jahr hatte der BGH ein freisprechendes Urteil des Gerichts aufgehoben -  (hier mein damaliger Beitrag im Beck-Blog- dort auch weitere Hintergründe zum Fall). Die damalige Begründung des LG, die von Überforderung des Arztes, der erstmals eine Beweissicherung per Brechmittel durchgeführt hatte, ausging, hatte der BGH zutreffend für nicht durchgreifend erachtet.

Nun hat eine andere Kammer des LG den Angeklagten erneut frei gesprochen. Diesmal allerdings mit der Begründung, die Kausalität des zwangsweisen Brechmitteleinsatzes für den Tod sei nicht zweifelsfrei erwiesen. Zwar hat die Mehrheit der Experten einen Kausalzusammenhang angenommen, das Gericht meinte aber - mit der Minderheit der Experten  - nicht ausschließen zu können, dass der Tod durch einen bei der Obduktion festgestellten Herzfehler des Opfers verursacht sei (Bericht der taz).

Zentral war wohl die Aussage eines von der Verteidigung beauftragten Neurologen:

Den Neurologen zufolge sei es einem Menschen unmöglich, einen Hustenreiz zu unterbinden, wenn in seine Lunge Wasser eingedrungen sei. Mediziner hätten jedoch erklärt, der Reiz könne erlahmen, so dass die bei dem Brechmitteleinsatz Anwesenden im weiteren Verlauf kein Husten gehört hätten. „Wenn die kein Husten gehört haben, ist kein Wasser in die Lunge eingedrungen“, erklärte Joester. Dann sei der Kreislaufzusammenbruch und Tod des Mannes auf die diagnostizierte Vorschädigung seines Herzens zurückzuführen und nicht auf das Handeln des Arztes.(Dt. Ärzteblatt)

Nun kann ich mangels eigener medizinischer Expertise (und schon mangels Kenntnis der entsprechenden Gutachten) den medizinischen Gutachterstreit kaum lösen, halte die Begründung des Gerichts aber aus rechtlichen Gründen für wenig überzeugend. Bei einer Ursachenreihe, die typischerweise für jeden Erfolg vorliegt, gibt es regelmäßig nicht die eine Ursache, die alle anderen ausschließt. Für die Kausalität bei einem Tötungsdelikt, so lernen es die Studenten im ersten Semester, genügt die (Mit-)Verursachung des konkreten Erfolgs einer Lebensverkürzung. Zu beweisen war deshalb nicht etwa, dass der Brechmitteleinsatz des Arztes V. allein den Tod verursacht hat, es genügte - wie bei allen Tötungsdelikten - eine Mitverursachung des Todes in diesem Zeitpunkt - zum Beispiel durch die Dramatik einer zwangsweisen Einführung der Magensonde. Die Annahme, dass das Opfer ohne den Brechmitteleinsatz allein wegen des Herzfehlers zu diesem Zeitpunkt gestorben wäre, halte ich für ziemlich fernliegend, unabhängig davon, ob Wasser in die Lunge eingedrungen ist oder nicht. 

Lag eine atypische Konstitution des Opfers vor, könnte zwar - nach Lehrmeinung - die objektive Zurechnung in Frage stehen. Allerdings sind die Grenzen für einen Ausschluss hier sehr eng zu ziehen, im Grunde deshalb, weil nicht nur die Gesunden, sondern eben auch die Kranken von den Tatbeständen der §§ 211 StGB geschützt werden. Die entscheidenden Grenzziehungen werden hier erst im subjektiven Tatbestand verankert: Man könnte zwar bei noch unbedarften jugendlichen oder heranwachsenden Tätern plausibel argumentieren, dass für sie eine untypische Opferkonstitution (Herzfehler, Bluterkrankheit) nicht vorhersehbar war. Für einen akademisch ausgebildeten und approbierten Mediziner jedoch liegt die Verteidigung, er habe mit einem Herzfehler nicht rechnen können, deutlich ferner.
Um das noch einmal zu untermauern: Nach dem im BGH-Urteil geschilderten Ablauf war das Opfer nach dem Brechmitteleinsatz zunächst in eine körperliche Notlage geraten, so dass man den Notarzt alarmierte. Dieser behandelte den Betroffenen und "stabilisierte" seinen Kreislauf. Der jetzt freigesprochene V. setzte dann - gegen den Rat des Notarztes - den Einsatz des Brechmittels fort, obwohl

a) bereits Beweise für ein BtM-Delikt gesichert worden waren, dazu der BGH (NStZ-RR 2011, 54):

"schon deshalb lagen die Voraussetzungen für eine weitere Inanspruchnahme der Eilkompetenz offensichtlich nicht mehr vor, und die Maßnahme war ab diesem Zeitpunkt wegen leicht erkennbarer Unverhältnismäßigkeit unzulässig."

b) nun auch für jeden Laien erkennbar war, dass der Einsatz, jedenfalls bei diesem Beschuldigten, nicht ungefährlich war. Zur Fortsetzung der Exkorporation nochmal der BGH (NStZ-RR 2011, 55):

"Darüber hinaus hat es das LG unterlassen, ein Verbot der Fortsetzung der Exkorporation nach erfolgreicher Bergung des ersten Kokainkügelchens wegen Verstoßes des Angekl. gegen das Gebot der Wahrung der Menschenwürde in Betracht zu ziehen. Das sich aus § 7 Abs.1 Berufsordnung ergebende (...) Gebot gilt für „jede medizinische Behandlung” und umfasst demnach auch die von Ärzten ausgeführten Zwangsmaßnahmen gemäß § 81a Abs.1 StPO. (...) 

Das Bedürfnis nach Fortsetzung der Exkorporation war nach Bergen des ersten Kokainkügelchens zum Nachweis eines vom Betr. begangenen Vergehens stark herabgesetzt, das Fortfahren jedenfalls unverhältnismäßig. Bereits die erste Exkorporationsphase führte zur Ohnmacht des gefesselt gebliebenen Betr. und beinhaltete schon ein zweites Legen der Sonde, wodurch ein Scheitern der Maßnahme indiziert gewesen ist. Hinzu tritt, dass das Ziel des Eingriffs, ein schwallartiges Erbrechen, niemals erreicht worden ist. Die Fortsetzung erfolgte 50 Minuten nach Beginn der Maßnahme, ohne die Ursache der zuvor eingetretenen Ohnmacht aufzuklären, und dauerte weitere 30 Minuten. Sie war gegen einen in seiner mentalen Reaktionsfähigkeit eingeschränkten und im Bewusstsein eingetrübten Betroffenen gerichtet, der ersichtlich keine Chance mehr hatte, durch Kooperation ein Ende der Zwangsmaßnahme herbeizuführen, die dann zudem am Schluss eine rechtswidrige Körperverletzung durch den Angekl. umfasste. Die Verantwortung dieser Umstände lag allein beim Angekl."

Beide Umstände beseitigen objektiv die Rechtfertigung für die Körperverletzung, die sich ja zunächst auf § 81 a StPO stützte.

Konsequent war es daher, dass der BGH auch eine Verwirklichung des § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) nicht ausschloss und die Sache an eine Schwurgerichtskammer zurückverwies, da es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch sein könne,

 dass der Angeklagte eine Exkorporation um jeden Preis unter vollständiger Missachtung der Belange des Betroffenen durchgeführt [habe], wodurch sich der Verdacht einer (vorsätzlichen) Körperverletzung mit Todesfolge ergeben kann (BGH NSTZ-RR 2011, 55).

Ich hatte damals ebenfalls § 227 StGB in Betracht gezogen (siehe hier), wobei sich für die vorsätzliche Körperverletzung jedoch noch die Frage des Erlaubnistatbestandsirrtums stellt.

Mit seiner - für mich nicht leicht nachvollziehbaren (s.o.)  - Argumentation mangelnder Kausalität "rettet" das Gericht den Angeklagten auf einer Prüfungsstufe, die die vorherige Tatsacheninstanz offenbar bejaht hatte und die deshalb auch vom BGH nicht angezweifelt wurde.

Ich halte es für wichtig, den BGH nun auch diese Entscheidung überprüfen zu lassen.

Dass die Bremer StA offenbar davon abgesehen hat, gegen die Polizeibeamten vorzugehen, die den Einsatz anordneten und dabei assistierten (Quelle), ist ein eigener Skandal, der das Vertrauen in die Unabhängigkeit der staatsanwaltlichen Ermittlungen, wenn es um Polizeibeamte geht, erneut belastet.

 

 

 

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2 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

inwiefern haben sich die Polizisten und der Notarzt Ihrer Ansicht nach strafbar gemacht?

Polizisten: §§ 223,227,26 StGB ?

Notarzt: dürfte von den genauen Einzelheiten abhängen - da gab es doch eine Diskussion bzgl. Risikoübernahme / -verteilung ?

 

Was wären die Voraussetzungen für die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums auf Seiten des Arztes und wie plausibel ist das in diesem Fall?

Nach herrschender Literaturansicht würde ja ein ETBI eine Strafbarkeit der Polizisten wegen Anstiftung nicht entfallen lassen - könnte man bei den Polizisten einen eigenen ETBI annehmen?

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