Norwegen: Eine neue Dimension terroristischer Bedrohung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 24.07.2011

Der 11. September machte auch uns Europäer die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus bewusst. Die Terroranschläge in Madrid 2004 und in London 2005 trafen uns so gesehen nicht unvorbereitet.

Die Auswertung der Internetbeiträge des mutmaßlichen Attentäters von Oslo und Utoya durch Journalisten der „Welt am Sonntag“ (24.7.2011 S. 5; zum Attentat: ARD-Brennpunkt)) offenbart ein geschlossenes Weltbild, in dem der Islam Europa bedroht und die Linke, der Multikulturalismus und die politische Korrektheit den Kampf gegen diese Gefahr behindern. An einer Stelle schreibt er: „Nennen Sie mir ein Land, wo Muslime friedlich mit Nichtmuslimen leben, ohne dass sie den Dschihad gegen die Ungläubigen führen?“, um entsprechend dem islamistischen Terrorismus zu agieren, möglichst viele unschuldige Menschen umzubringen.

Nach eigenen Angaben wollte er „Manifest“ schaffen und durch das Massaker weltberühmt werden. Aus Gründen vermeintlicher Selbstverteidigung bomben terroristische Islamisten weltweit – auch in Europa – und ein Norweger bombt gegen seine Landsleute, um diese gegen den vermeintlichen Massenansturm des Islam „wachzurütteln“.

Die Sarrazin-Debatte in Deutschland hat eine neue Dimension bekommen. 

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10 Kommentare

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Lieber Herr von Heintschel-Heinegg,

ich bin überhaupt nicht sicher, dass wir es hier mit einer "neuen Dimension des Terrorismus" zu tun haben. Viele Medien haben (aufgrund des Bombenanschlags , der äußerlich eher terroristischem Vorgehen enstpricht) recht voreilig diese Tat als "Terrorismus" eingeordnet - ähnlich voreilig und gefährlich falsch haben selbsternannte (und von den Medien dazu auserkorene) "Experten" einen islamistischen Hintergrund vermutet, selbst als dieser schon unwahrscheinlich wurde.  Sehr zutreffend dazu der Kommentar von Niggemeier in der FAZ. Terrorismus scheint mir jedenfalls nicht ganz zutreffend das kriminologische Phänomen zu erfassen, je mehr wir über die Hintergründe der Tat erfahren. Möglicherweise handelt es sich auch um einen  psychisch schwer gestörten Menschen, der mit dieser Mordtat seine Wahnideen verfolgte. Könnte man das wirklich noch unter "Politik" einordnen? Sicherlich liegen wir auf einer sehr dünnen Grenze zwischen Amoktat und Terror. Die Reaktion der Medien (sofortige Veröffentlichung des Fotos und Zitate aus seinem kruden Manifest) sind leider wiederum geeignet, anderen Wahnsinnigen oder ideologisch Verblendeten  als Vorlage zu dienen. Ein phänomenologischer und ideologiebezogener Vergleich passt wohl am ehesten mit dem Attentat von Oklahoma City 1995 (Süddeutsche).

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Sogar der UNO-Generalsekretär bemühte sich schnell darum, die Tat zu verurteilen. Ein eher seltener Vorgang bei einem Amoklauf. Eine Mordtat wird nicht durch die Art ihrer Ausführung und die Zahl der Opfer automatisch zum "Terrorismus", selbst wenn ein politisches Motiv dahintersteckt. Soweit bislang bekannt, handelte es sich um die Tat eines verwirrten Einzeltäters. Das Wort "Terrorismus" paßt da schon von der Definition nicht. Wer die Tat als "Terrorismus" bezeichnet, sie sogar reflexartig in die islamistische, links- oder rechtsradikale Ecke einordnet,  öffnet neuen Forderungen nach weitergehender Überwachung der Bürger nur Tür und Tor.

 

 

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Wer unter Berufung auf das Christentum im eigenen Land bombt und Landsleute - zumal auch Kinder - erschießt, um das eigene Land zu schützen (das war für mich der Anlass für den Blogbeitrag), ist allemal psychisch mehr als auffällig. So gesehen spricht viel für einen verwirrten Einzeltäter, aber zwingend erscheint mir das derzeit noch nicht.

Ob jedenfalls äußerlich gesehen ein terroristischer Akt vorliegt, hängt davon ab, wie Terrorismus zu definieren ist - und dies ist bekanntlich heftig umstritten. Wenn Terrorismus bedeutet, für politische Zwecke planmäßig und gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen (so Louise Richardson, Was Terroristen wollen, 2007, S. 28), sehe ich keine Bedenken gegen die Verwendung des Begriffs beim jetzigen Kenntnisstand über Tat und Täter. Im Übrigen ist das gebräuchlichste Terrorinstrument die Bombe; sie ist billig, trifft meist wahllos viele und ihre Wirkung ist dramatisch. Die eingesetzten Mittel sind es, die den Terrorismus ausmachen, nicht die verfolgten Ziele. Schließlich: Das Verhalten von Terroristen erscheint Außenstehenden seit jeher unverständlich; allein deswegen sind Terroristen (bis hin zum Selbstmordattentäter) aber noch nicht "verrückt".

Beim Amoklauf fehlt aus meiner Sicht der politische Bezug desjenigen Einzeltäters, der wahllos mehrere Personen mit potenziell tödlichen Waffen innerhalb eines Tatereignisses ohne Abkühlungsperiode tötet oder zu töten versucht.

Terrorismus wird für mich dadurch gekennzeichnet, daß eine Gruppe von Tätern ein für einen größeren Personenkreis nachvollziehbares und ernsthaftes Ziel verfolgt. Daraus, daß es eine gemeinsame Überzeugung vieler Personen gibt, deren Beweggründe vielleicht sogar für Außenstehende im Ansatz nachvollziehbar sind, leiten die Täter ihre Legitimation ab. Das trifft auf einen Einzeltäter nicht zu, auch dann nicht, wenn er ein wirres politisches Manifest verfaßt hat und vorgibt, ein politisches Ziel zu verfolgen.

 

Strafrechtlich handelt es sich um allen Fällen um Mord, gleichviel ob ein Mensch durch eine Kugel oder eine Vielzahl von Personen durch eine Bombe ums Leben gekommen ist. Hierfür sehen wohl alle Rechtsordnungen die Höchststrafe vor. Spezialtatbestände, wie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sind demgegenüber, jedenfalls in der Strafandrohung, regelmäßig subsidiär. Ich habe den Eindruck, daß diejenigen, die möglichst viele kriminelle Erscheinungsformen als Terrorismus oder dessen Unterstützung verstanden wissen wollen, selbst politische Ziele verfolgen. Welchem anderen Zweck dient die Einordnung eines Mordes unter den Begriff des Terrorismus, als eine politische Diskussion über die Verschärfung des Polizeirechts und des formellen und materiellen Strafrechts anzustoßen?

 

 

 

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@Bernd von Heintschel-Heinegg:
"Ob jedenfalls äußerlich gesehen ein terroristischer Akt vorliegt, hängt davon ab, wie Terrorismus zu definieren ist..."

Gleichwohl führen Sie nachfolgend umgekehrt nur Merkmale des terroristischen Aktes an, um von ihnen auf Terrorismus im vorliegenden Fall zu schließen. Das halte ich nicht für sachgemäß, da der Begriff des Terrorismus gerade dort praktische Bedeutung hat, wo er von einzelnen Taten, die vor seinem Hintergrund begangen werden, abzulösen ist.
Verbreitete Definitionen von Terrorismus und beinahe schon der Titel des Buches "Was Terroristen wollen" implizieren, dass es einer Mehrzahl von tatgeneigten Personen mit ideologisch ähnlich geprägter Motivlage und gleicher Zielsetzung bedarf, deren Streben geeignet ist, eine über einen gewissen Zeitraum anhaltende, von der heterogenen Kriminalität verschiedene Bedrohungslage für Bürger oder Staat zu schaffen. Der Einzeltäter, gleich ob verwirrt oder in seinen Motiven wohl geordnet, kann sicher in seinen Zielen und seiner Vorgehensweise Elemente vereinen, die gewöhnlich auch terroristische Akte aufweisen. Zum Terrorismus reicht dies dennoch nicht, wenn die Bedrohungslage mit der einzelnen Tat erschöpft ist. Breivik war weder organisatorisch in dieser Hinsicht vernetzt, noch ist erkennbar, dass er eine spezifische Prägung erfahren hätte, die andere unabhängig von ihm zu vergleichbaren Taten veranlassen könnte.
Aus meiner Sicht wäre es eine rechtspolitische Verfehlung, Überlegungen zu terroristischen Bedrohungen anhand Taten zu führen, die auf einem sehr persönlichen Gedankenmodell eines einzelnen Täters beruhen. Die Verhältnismäßigkeit der Ergebnisse wäre reiner Zufall. Die Qualifikation eines einfachen Verbrechens als Terrorismus ist mindestens so gefährlich wie die Einordnung von Terrorismus als kriegerischer Angriff.

Interessant sind in dem Zusammenhang auch die Überlegungen, den Täter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen.

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Ich habe den Eindruck, daß die viele Politiker nicht mehr in der Lage sind, die Begriffe Terror und Terrorismus auseinanderzuhalten. Nicht jeder, der Terror ausübt, ist auch ein Terrorist. Aber vielleicht will man sich auch überhaupt nicht mehr um klare Begriffsunterscheidungen und Definitionen bemühen. Je mehr Handlungen man unter den Begriff des Terrorismus subsumiert, desto leichter wird es, eine ständige Bedrohungslage zu belegen, die weiterreichende staatliche Eingriffe in die Rechte der Bürger rechtfertigen sollen.

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Ist es denn Konsens, dass "Terrorismus" nur mittäterschaftlich begangen werden kann und nicht von Einzeltätern?
 

Im Übrigen finde ich die Interpretation als verwirrten Einzeltäter keinesfalls zwingend. Breivik war in einem rechtspolulistischen Milleu, zeitweilig auch in entsprechenden Parteien aktiv. Aus dieser Ecke wurden seine Taten auch für nachvollziehbar erklärt bzw gutgeheißen.

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Keineswegs besteht Einigkeit darüber, dass "Terrorismus" nur mittäterschaftlich begangen werden kann. Vielmehr nennen wohl alle Darstellungen der Historie des Terrorismus auch die Anschläge von Einzelpersonen, zumal etwa von russischen Anarchisten des späten 19. Jahrhunderts.

Das Wort Terrorismus verwendet das StGB nicht, weswegen der Begriff ja gerade so im Streit steht und offen ist für die verschiedensten Definitionen. Strafrechtlich knüpfen §§ 129a, 129b StGB an die "terroristische Vereinigung" an, die nach der Rechtsprechung mindestens aus drei Personen bestehen muss (wie - nach neuerer Rechtsprechung - die Bande; früher genügten für die Bande zwei, also etwa das "diebische Ehepaar"). Natürlich können zwei Täter genauso gefährlich sein wie drei; nur scheiden dann für die strafrechtliche Beurteilung der Tat die §§ 129a, 129b StGB aus - und es bleibt bei (versuchtem) Mord, Sprengstoff- oder Brandstiftungsdelikten.

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