Altersdiskriminierung durch an das Lebensalter anknüpfende Entgeltstaffeln (BAT): EuGH verkündet am 8. September 2011

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 01.08.2011
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtEuGHAltersdiskriminierungBAT4|12608 Aufrufe

Blogleser Michael Jäger hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass im Kalender des EuGH jetzt die Urteilsverkündung in der verbundenen Rechtssache Sabine Hennings (C-297/10) und Alexander Mai (C-298/10) terminiert ist. Die Entscheidung steht für den 8. September 2011 an.

In dem Verfahren geht es um die Frage, ob eine unmittelbare Anknüpfung des Arbeitsentgelts an das Lebensalter, wie sie früher im BAT vorgesehen war und heute über den TV-Ü teilweise noch fortwirkt, jüngere Arbeitnehmer wegen ihres Alters diskriminiert. Die Verfahren sind von außerordentlicher finanzieller Bedeutung, weil jüngere Arbeitnehmer jedenfalls für die Vergangenheit u.U. hohe Nachzahlungsansprüche hätten, wenn sie Anspruch auf den selben Lohn hätten wie ihre älteren Kollegen.

Die Vorlagebeschlüsse des BAG sind in NZA 2010, 768 und NZA 2010, 961 veröffentlicht.

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4 Kommentare

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Das Urteil ist ja nun veröffentlicht (unter http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de&jurcdj=jurcdj&newform=newform&docj=docj&docop=docop&docnoj=docnoj&typeord=ALLTYP&numaff=&ddatefs=1&mdatefs=9&ydatefs=2011&ddatefe=8&mdatefe=9&ydatefe=2011&nomusuel=&domaine=&mots=&resmax=100&Submit=Rechercher)

Zumindest für in der Sache Hennings ist es nicht im Sinne der Arbeitnehmer ausgegangen.

Zur Begründung habe ich jedoch noch einige Fragen:

Das Fortbestehen der Ungleichbehandlung wird damit begründet, dass

1. dies die einzige Möglichkeit war das System ohne Einkommensverluste zu wechseln und

2. es sich bei der Ungleichbehandlung um einen befristeten Übergangszeitraum handelt.

 

zu 1. fallen mir gleich 2 andere Möglichkeiten ein:

Die naheliegenste wäre natürlich eine Erhöhung des Gehalts der bisher diskriminierten Angestellten (allerdings eher eine unwahrscheinliche Variante)

Die zweite Alternative wäre gewesen, das besitzstandwahrende Vergleichsentgelt bis zu dem Zeitpunkt unverändert zu lassen (abgesehen von tariflichen Anpassungen) in welcher nach dem TVÖD ein mindestens Gehalt erzielt worden wäre.

Damit wäre der Gehaltsvorsprung innerhalb kürzester Zeit abgeschmolzen worden. So wie es jetzt gelöst wurde, erhalten die Arbeitnehmer, die bei der Einstellung älter waren auch weiterhin Stufenaufstiege - der Gehaltsunterschied bleibt bestehen. Ein Stufenaufstieg ist jedoch meiner Meinung nach nicht durch Besitzstände zu rechtfertigen.

Da der TVÖD in den meisten Fällen (außer in meinem) ungünstiger für die Arbeitnehmer ist bezweifle ich jedoch, dass dies mit den Gewerkschaften machbar gewesen wäre (die Arbeitgeber wären vermutlich gerne dazu bereit gewesen).

 

zu 2.

In meinem konkreten Fall endet der befristete Übergangszeitraum 2022 (über 16 Jahre nach Einführung des TVÖD). Sollte ich bis dahin nochmals höhergruppiert werden verlängert sich das ganze weiter. Sicher wären auch über 40 Jahre ein befristeter Übergangszeitraum - aber auch 16 Jahre sind sicher nicht das was man im Kopf hat wenn man die Formulierung hört

 

Ich habe noch etwas Zeit bevor ich mich in der Angelegenheit fristwahrend bei meinem Arbeitgeber melden müsste (der mich in dieser Angelegenheit ignoriert) aber vermutlich nicht genug um die weitere Entwicklung hier abzuwarten. Lohnt es sich unter der Argumentation einen Rechtsbeistand zu suchen (ohne geht nach dem Urteil eh nichts) oder hat der EuGH alle Hoffnungen der betroffenen Arbeitnehmer zerschlagen?

 

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Was den BAT ohne oder vor dem Übergang auf den TVöD angeht, steht jetzt fest: Jüngere Mitarbeiter haben Anspruch darauf, die Differenz zur höchsten Altersstufe innerhalb ihrer Gehaltsgruppe nachgezahlt zu bekommen. Das Bundesarbeitsgericht hat gestern entschieden. Hier: www.test.de/bat-nachzahlung und hier: http://www.test.de/themen/steuern-recht/meldung/Bundesarbeitsgericht-zum... steht mehr.

 

Letzte noch offene Frage: Haben Kollegen (vor allem wohl in Berlin) Anspruch auf Korrektur ihrer Überleitung in den TVöD, wenn sie wegen Altersdiskriminierung ein zu geringes BAT-Gehalt erhalten haben und sie ihre Ansprüche rechtzeitig angemeldet haben? Nach dem EuGH-Urteil ist zu vermuten: Wohl nicht. Anknüpfungspunkt im deutschen Recht: Der Anspruch auf die Differenz zum Höchstgehalt innerhalb der Gehaltsgruppe ist Schadenersatzanspruch nach dem AGG.

 

Die hier vorgestellte Entscheidung des EuGH vom 08.09.2011, Az. C-297/10 u. C-298/10, und die BAG-Entscheidung vom 10.11.2011, Az.: 6 AZR 481/10, sind auch von Beamten gelesen worden. In Niedersachsen sollen rund 3000 Beamte Widerspruch erhoben haben gegen die nach ihrer Ansicht altersdiskriminierend zu niedrige Besoldung.

 

Einen dieser Fälle hat jetzt das Verwaltungsgericht Lüneburg entschieden. Mit Urt. vom 15.02.2012, Az.: 1 A 106/10, wurde die Klage abgewiesen.

 

Die Entscheidung überzeugt nicht. Die Verwaltungsrichter meinen, vor dem EuGH und dem BAG sei es um arbeitsrechtliche Besonderheiten gegangen. Diese Gedanken würden bei der Beamtenbesoldung nicht passen. Das ist falsch.Sowohl § 3 Abs. 1 u. 2 AGG wie auch die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie 2000/78/EG sind auch auch auf Beschäftigungsverhältnisse mit Beamten anzuwenden.

 

Die vom VG Lüneburg herangezogene und dann für aufs Beamtenrecht nicht "übertragbar" erklärte Rspr. von BAG und EuGH (a. a. O.) ist ja bloß im äußeren Gewand konkreter arbeitsrechtlicher Entscheidungen ergangen. Das Urteil des EuGH betrifft aber in der Sache die Auslegung der Richtlilnie selbst; nach diesen Maßstäben sind daher auch etwaige Diskriminierungen von Beamten zu beurteilen. Denn der EuGH entschied in concreto zwar auf Vorlage des bundesdeutschen BAG. Bereits die bloße Lektüre von dessen Vorlagefragen zeigt aber, dass hier im Kern europarechtliche Fragen betroffen waren. Die Annahme des VG Lüneburg, vor dem EuGH sei ein "arbeitsrechtlicher" Streit geführt worden, der für das Beamtenrecht ohne Bedeutung sei, ist deshalb irrig. Die unter Rn. 19 der Entscheidung des VG Lüneburg vorgenommene Distanzierung vom Urteil des BAG v. 10.11.2011 (a.a.O.) wegen vermeinter arbeitsrechtlicher Besonderheiten dort - gegenüber beamtenrechtlichen Besonderheiten hier - ist darüber hinaus unerheblich, da das BAG auf Grund europarechtlicher, nicht spezifisch arbeitsrechtlicher Vorgaben von der Diskriminerung bereits ausging und sich die Rechtssache um die weitere Frage drehte, welche Rechtsfolge eine erkannte Altersdiskriminierung bei der Eingruppierung haben muss, um deren diskriminierende Wirkung zu beseitigen.

Soweit das VG Lüneburg (ebenfalls unter Rn. 19 seiner Entscheidung) eine Beamtendiskriminierung deshalb nach den Maßstäben der o. g. Richtlinie meint verneinen zu können, weil das niedersächsische Besoldungsrecht (§ 27 nieders. BBesG) neben dem Besoldungsdienstalter auch die Leistung des Beamten berücksichtige, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Denn auch die Vorschrift des Art. 27 Abschn. C BAT (1961) sah im System einer Besoldung nach Altersstufen die Berücksichtigung eines anderen Faktors vor, dort den der Berufserfahrung, wenn auch in engen Grenzen. Das hat jedemfalls dem EuGH (a. a. O.) nicht genügt, um die Vergütung nach Altersstufen nicht als richtlinienwidrig einzustufen. Die Annahme des VG Lüneburg, demngegenüber sei nach niedersächsischem Besoldungsrecht, "bei der Bestimmung des Besoldungsdienstalters keine derartige Nähe zum Lebensalter" zu erkennen, ist bereits in sich widersprüchlich. Der Beamte, dessen Vergütung entsprechend dem Normensystem des Besoldungsrechts deshalb geringer ist, weil er jünger ist, bei dem manifestiert sich denkgesetzlich zwingend beim Besoldungsdienstalter eine große "Nähe zum Lebensalter". Maßstab für die diskrimierende Wirkung ist daher, wie vom EuGH (a. a. O., dort Rn. 59) entschieden, ob zwei unterschiedlich alte Personen (hier: Beamte), die (hier: in Niedersachsen) am selben Tag in derselben Vergütungsgruppe eingestellt würden, auf Grund unterschiedlichen Lebensalters ein unterschiedliches Gehalt erzielen. Hieran gemessen hält das nieders. Beamtenbesoldungsrecht entgegen dem VG Lüneburg europarechtl. Vorgaben nicht stand.

Wenigstens hält hält das VG Lüneburg die Vorschriften des AGG auf Grund von dessen § 24 auch für die Beamtenbesoldung für anwendbar. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der auch vom VG Lüneburg kritisierten gegenteiligen Entscheidung des VG Berlin (v. 24.06.210, Az.: 5 K 17/09) erübrigt sich aber, weil in Lüneburg über die diskriminierende Wirkung von Landesrecht (nieders. BBesG) entschieden wurde, so dass sich die vom VG Berlin thematisierte Frage, ob die Regelungen des Bundesbesoldungsrechts leges speciales gegenüber dem bundesrechtl. AGG seien, nicht stellte.

4Unzutreffend ist allerdings die Annahme des VG Lüneburg, dass dann, wenn man - entgegen seiner Annahme doch eine Altersdiskriminierung annähme, diese gem. § 10 AGG wegen der Berücksichtigung der Berufserfahrung gerechtfertigt sei. Gegenüber dem TVöD, der keine Lebensaltersstufen mehr vorsieht, sondern ein einheitliches Entgeltsystem von Tätigkeit, Berufserfahrung und Leistung schuf, steht nach richtiger Ansicht im nieders. Besoldungsrecht die Vergütung nach Altersstufen immer noch so im Vordergrund, dass deren diskriminierende Wirkung nicht durch höherrangige Ziele i. S. d. § 10 AGG gerechtfertigt ist.

 

 

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