Unverschämt: Schutzfristverlängerung für Tonaufnahmen

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 13.09.2011

Am Montag ist es in Brüssel zu einer wegweisenden Entscheidung im europäischen Urheberrecht gekommen. Die lange auf Eis liegende Schutzfristverlängerung für Tonaufnahmen (ausübende Künstler/Tonträgerhersteller) von 50 auf 70 Jahre wurde vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen. Gegner waren unter anderem Belgien, Schweden und die Niederlande. Deutschland stimmte für die Verlängerung, Österreich enthielt sich. Die Verlängerung muß nun binnen zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden.

Die letzten Entwicklungen sind weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Schnellverfahren vorangetrieben worden. Durch ein Einlenken von Dänemark, Portugal und Finnland ist inzwischen die Sperrminorität gefallen. Die massive Kritik vieler europäischer Wissenschaftler an diesem Entwurf wurde schlichtweg nicht beachtet.

 

Die Neuregelung ist eine Unverschämtheit. Vorgeschoben wird ein Schutz der ausübenden Künstler, insbesondere der Studiomusiker. Doch denen werden ohnehin die Rechte (auch in neuer verlängerter Form) im Wegen eines Rechtebuyouts zugunsten der Musikindusterie abgenommen. Und mit der neuen Richtlinie werden auch die Tonträgerhersteller geschützt. Warum diese eine Verlängerung der Schutzdauer verdient haben, wurde nie begründet. Wieder einmal versteckt sich die Musikindustrie hinter den Kreativen, um ihre einseitigen Interessen vorbei an der Öffentlichkeit durchzudrücken.

 

Text aus Brüssel: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/intm/12...

Dossier dazu auf deutsch:http://irights.info/userfiles/Schutzfrist_A5_dt_web_final%281%29.pdf
Auf Englisch: http://irights.info/userfiles/Schutzfrist_A5_engl_final%281%29.pdf

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12 Kommentare

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Ich bin Auffassung, daß eine Schutzfrist von 100 Jahren oder mehr zugunsten der Urheber und deren Erben durchaus angemessen ist. Daß die Verwertungsrechte für das Werk eines Künstlers noch über 3-4 Generationen in der Familie bleiben, dürfte nachvollziehbar im Sinne des Urhebers sein, sowohl aus ideellen als auch aus finanziellen Gründen.

 

Nicht gelten sollten diese langen Schutzrechte jedoch zugunsten der Industrie für an diese "verkaufte" Urheberrechte.

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Es ist doch kein Wunder, daß so etwas geschieht. Die Musikindustrie hat doch auch dafür gesorgt, daß Marie Martin-Prat aus ihren eigenen Verbandsreihen Chefin für Urheberrecht bei der EU-Kommission wird. Und keiner hat gemotzt. Die ganze Musikverbandsszene ist einfach nur schmierig.

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Eine Schutzfrist von 100 Jahren PmA schützt den Urheber genau gar nicht (denn er ist tot), sondern allenfalls seine Erben. Warum aber sollten Erben vom Schutz des Schaffens des Ahnen profitieren? Sie haben (im absoluten Regelfall nichts zu dem Werk beigesteuert, denn sonst wären sie Miturheber). Diese Begründung würde mich mal interessieren...

Eckhard Höffner: "Geschichte und Wesen des Urheberrechts" ist in dem Kontext eine hochinteressante Lektüre. Würde mir Wünschen, dass Prof. Hören sich das mal zu Gemüte führt und Rezensiert. Worum geht's da: http://www.fifoost.org/wordpress/?p=1640 Er weist anhand eines Vergleichs der Entwicklung der Autorenhonorare und Buchpreise in England und Deutschland nach, dass das Urheberrecht keinen positiven Einfluss auf Autorenhonorare, Buchpreise und der Verbreitung von Wissen hat.

Wenn man sich gleichwohl für einen urheberrechtlichen Schutz entscheidet, dann gehören die Schutzfristen drastisch verkürzt.

 
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Ich kann die Kritik an der (angeblich?) maßgeblich beteiligten Musikindustrie nicht nachvollziehen: Sie tut das, was die Aufgabe jeder Lobbyorganisation ist, nämlich Lobbyarbeit beim Gesetzgeber. Und das anscheinend erfolgreich - also hat sie ja wohl alles richtig gemacht und kann den Dank und das Lob ihrer Mitglieder entgegennehmen. Wenn irgendein Klima-Klimbim beschlossen wird, beschwert sich ja auch niemand bei Greenpeace oder bei Al Gore, auch wenn gerade letzterer auf Kosten des Steuerzahlers fürstlich an der Hysterie verdient...

Das Problem im vorliegenden Fall ist der EU-Ministerrat, in dem die Fachminister hinter verschlossenen Türen beschließen, was dann anschließend bei Bedarf von der eigenen Regierung als leider, leider unvermeidliches EU-Recht gegeißelt wird... Ganz abgesehen von diesem Kabuki-Theater ist schon die Rollenverteilung katastrophal: Mitglieder der einzelnen Exekutiven setzen sich auf einmal den Hut der Legislative auf, ohne daß die nationalen Parlamente noch mitreden dürfen; eine interessante Demokratie-Auslegung.

Kurzum, mein Vorschlag lautet, denjenigen zu kritisieren, der gegen die Interessen jener handelt, die ihn bezahlen, deren Vertretung er übernimmt und auf deren Wohl er verpflichtet ist - und das ist gewiss nicht die Musikindustrie, die sich hier Fehlverhalten vorwerfen lassen muss...

 

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Lieber HS,

ich sehe das anders. Es gibt Branchen im Kreativbereich, die mit offenem Visier arbeiten und gerade im Interesse einer gesellschaftlichen Akzeptanz auch transparente Diskussionen mit den Usern eingehen (das sind ja auch ihre potentiellen Käufer). Nicht so die Musiklobby: Seit Jahren kann man beobachten, wie sie gerade das von Ihnen zu Recht (!!) bemängelte Transparenzdefizit in Brüssel bewußt für sich instrumentalisiert. Lobbyisten werden in die Kommission geschmuggelt, arbeiten als Berater der DG. Interne Texte der Kommission gehen zu erst zum Musikverband; Kritiker werden denunziert.

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Rene Kautz schrieb:

Seit Jahren kann man beobachten, wie sie [die Musiklobby] gerade das von Ihnen zu Recht (!!) bemängelte Transparenzdefizit in Brüssel bewußt für sich instrumentalisiert. Lobbyisten werden in die Kommission geschmuggelt, arbeiten als Berater der DG. Interne Texte der Kommission gehen zu erst zum Musikverband; Kritiker werden denunziert.

Genau was ich sage; die Musiklobby tut offenbar das, was ihre Aufgabe ist - nämlich die Interessen ihrer Mitglieder durchzusetzen.

Daß sie möglicherweise ein eher unangenehmer Haufen ist - eine Einschätzung, die ich teile - und daß ihre Partikularinteressen vielleicht dem Gemeinwohl (und nebenbei auch meinen Interessen) zuwiderlaufen, ist doch ein völlig anderer Aspekt.

Die Amerikaner sprechen gerne vom "Marketplace of Ideas", um den inhärenten Wert der Meinungsfreiheit - von der Lobbyarbeit ein Teil ist - zu beschreiben: Die Händler preisen ihre Ware (philosophische Ideen, wirtschaftliche Konzepte, politische Vorstellungen) auf dem Marktplatz an, und die potentiellen Käufer können die Ware in Augenschein nehmen und sich dann für das entscheiden, was ihren Wünschen am ehesten entspricht.

Das Problem ist nicht ein Standbetreiber mit mieser Ware, sondern eine Marktverwaltung, die dem Händler und seinen minderwertigen Produkten im Geheimen Vorteile durch die Gewährung von Privilegien verschafft. Die Marktverwaltung gehört zum Teufel gejagt, der Standbetreiber verschwindet dann mangels konkurrenzfähiger Produkte von selbst.

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@le D

 

Der Urheber dürfte aber regelmäßig Interesse daran haben, daß sein Werk auch seinen Erben noch finanziellen Nutzen bringt.  Im Erbrecht kann der Erblasser testamentarisch seinen Nachlaß über Generationen beeinflussen. Da könnte man mit Ihrer Logik auch sagen: wieso darf der tote Hansel noch Jahrzehnte nach seinem Tod bestimmen, was mit seinem Geld geschieht? Und wieso fließt das Vermögen nicht der Staatskasse zum Wohle aller zu? Schließlich haben die Erben nichts zu dem Vermögen beigesteuert...

 

Über den Tod hinaus das Leben weiter beeinflussen zu wollen, ist nunmal eine menschliche Triebfeder, die im Erbrecht ihren Niederschlag findet. Und das Urheberrecht des Verstorbenen gehört in diesem Sinne dazu.

 

 

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Ich sehe allerdings einen strukturellen Unterschied zum Geld: das Urheberrecht hat dem Schaffenden zu seinen Lebzeiten schon Geld eingebracht, das er vererben kann (ja, 28 UrhG ist mir bekannt).

Geld hat mE zu Urheberrechten einen strukturellen Unterschied: Geld ist kein Ausschließlichkeitsrecht, das der freien Benutzbarkeit Aller entnommen wird (wobei ich zugegeben kein Volkswirt, sondern Jurist bin).

Ein Urheberrecht an einem Werk ist - mal drei Schritte zurückgegangen - die Ausnahme und nicht der Regelfall. Deswegen stört mich auch die extrem restriktive Auslegung der "Schranken" des urheberrecht mit dem Argument, dass das Ausnahmevorschriften seien. Das Gegenteil ist der Fall, die "Schranken" des des Urheberrechts sind keine Einschränkungen, sondern verschaffen der Regel: freie Benutzbarkeit, es sei denn dass etwas geschützt ist - wieder Geltung.

 

de lege lata ist die Situation so weit klar, es stellt sich nur die Frage, wie soll es künftig aussehen? Dass die laufende Verlängerung nicht der Weisheit letzter Schluss ist, erschließt sich jedem, der das Stichwort Orphans schonmal gehört hat.

Das Postulat, dass Urheberrechte die Werentstehung positiv beeinflussen bedarf der kritischen Überprüfung durch den Gesetzgeber. Da hilft es nicht, wenn Schutzfristien immer und immer wieder verlängert werden. Nochmal: die Aussage, dass das Urheberrecht positive Wirkungen auf die finanzielle Situation eines Autors hat, ist bislang nicht schlüssig begründet. Im Gegenteil gibt es wissenschaftliche Abhandlungen, die das Gegenteil belegen. Das Positive aus dem Urheberrecht für den Autor ist ein Axiom, das immer wieder herangezogen wird, ohne dass ein Hinterfragen stattfindet.

   
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Das Einzige was den Untergang der Musikindustrie ohne unnatürliche Steuerung dauerhaft aufhalten könnte ist ein Picopaymentsystem, bei dem bei jedem Abspielen eines Titels ein Beitrag gezahlt wird, der so gering ist, dass niemand manipulieren würde. Das brauchen wir allerdings tatsächlich auch für Webseiten und es lässt schon viele Jahre auf sich warten und wird erst wiklich Sinn machen, wenn alle Abspielgeräte faktisch mit dem Internet verbunden sind.

 

Mit der Schallplatte hatte die Musikindustrie noch ihren konstitutiven Datenträger, der von Nutzern praktisch nicht zu kopieren war. Die Musik-/Tonträgerindustrie gibt es gerade mal gut 100 Jahre, was sie in meinen Augen nicht sonderlich schützenswert macht. In vielen Städten gibt es Familienbetriebe die viel länger bestehen als die Musikindustrie.

 

Diese Einmischungen lassen wirklich tief blicken, Künstler sind es auch reichlich leid als Spielball von GEMA / Musikindustrie benutzt zu werden. Aber die Musikindustrie hat ja auch mit viel Geld das Dämonengespenst des "verbrecherischen Raubkopierers" aufgebait, so dass aus dem "Volk" nicht viel Reaktion zu erwarten ist.

 

-> Hahn abderehen, dann geht den Bossen irgendwann das Geld aus, das andere regelt sich von selbst.

 

 

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Es gibt Systemfehler wie die im Normgebungsverfahren der EU. Und es gibt solche, die sie ausnutzen. Den Systemfehler zu verursachen, ist dumm. Ihn auszunutzen, ist verwerflich.

Dass unsere Politiker mindestens zu großen Teilen dumm und bestechlich sind, ist ihnen sicherlich vorzuwerfen. Diese Dummheit und Bestechlichkeit ausnutzen, ist aber nicht minder vorwerfbar.

 

In der Sache wird die Änderung nicht viel bewirken, da sich die Nutzer glücklicherweise durch Raubkopieren und Konsumverzicht zu wehren wissen.

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Es ist wirklich pervers, wie sich die Industrie einen 40 % längeren Einnahmezeitaum als Präsent von der Politik verschafft, auf Kosten der Öffentlichkeit, die nach Ablauf der 50 Jahre einen Anspruch auf die Titel hatte, deren Produktion die Gesellschaft auch durch ihre Rahmenbedingungen, wie Bildung, Sozialsystem etc, erst finanziert hat. Schon die 50 Jahre sind unzeitgemäss, entwicklungs- und fortschrittsfeindlich, jede Verlängerung ist schlicht nicht zu rechtfertigen.

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