Kann man Hartz IV erzielen?

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 13.10.2011

Die Bestimmung des Verfahrenswertes für die Scheidung richtet sich nach § 43 FamGKG

 (1) 1In Ehesachen ist der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. 2Der Wert darf nicht unter 2 000 Euro und nicht über 1 Million Euro angenommen werden.

(2) Für die Einkommensverhältnisse ist das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.

 

Ob Sozialleistungen zum „erzielten Nettoeinkommen“ eines Beteiligten im Sinne des § 43 Abs. 2 FamGKG gehören, ist in der Rechtsprechung und Literatur heftig umstritten. Zum Teil wird vertreten, Arbeitslosengeld II sei als Einkommen zu behandeln (bejahend z.B. OLG Celle, Beschluss vom 01.09.2010, NJW 2010, 3587; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.01.2011, FamRZ 2011, 992; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.01.2011, FamRZ 2011, 1423; Klüsener, in: Prütting/Helms, Komm. z. FamFG, 2. Auflage 2011, § 43 FamGKG Rn 12 f.; Thiel, in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Auflage 2011, Rn 7144 m.w.N.; dagegen u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 18.01.2011, FamRZ 2011, 1422; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2011, Gesch.-Nr. 18 WF 56/11, Rn 8, zitiert nach juris; Keske, in: Schulte-Bunert/Weinreich, Komm. z. FamFG, 2. Auflage 2010, Rn 9; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, Komm. z. GKG, 2. Auflage 2009, § 43 FamGKG Rn 6; Herget, in: Zöller, Komm. z. ZPO, 27. Auflage 2009, § 3 ZPO Rn 16).

Eine aus meiner Sicht zutreffende, am Wortlaut orientierte Auffassung vertritt das OLG Bremen:

Bereits der Wortlaut des § 43 Abs. 2 FamGKG spricht gegen eine Behandlung von einkommensunabhängigen Sozialleistungen als Einkommen, da diese nicht „erzielt“, sondern bewilligt werden. Sie sind auch nicht Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und individuellen Belastbarkeit der Beteiligten. Ihre Bewilligung ist vielmehr gerade Ausdruck der fehlenden eigenen Mittel der Empfänger

OLG Bremen v. 27.09.11 - 4 WF 103/11

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9 Kommentare

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Darf ich dagegenhalten: Auch der Lebensstandard von Eheleuten, die Empfänger von Sozialleistungen sind, wird ebenso durch die von ihnen bezogenen Sozialleistungen bestimmt wird wie Erwerbseinkünfte in anderen Fällen den Lebensstandard prägen (OLG Celle, a. a. O.).

Tja.

Schön wäre es gewesen, wenn der Gesetzgeber im neuen FamGKG diese und andere Streitfragen (Zuzug KiG, Abzug KiU, Abschlag für einvernehmliche Scheidung, etc.) gelöst hätte.

Hat er aber leider nicht und so zerfasert die Rechtsprechung.

Also mir erschließt sich nicht, warum jemand der den Hartz4-Satz "bewilligt" bekommt anders oder gar besser behandelt werden sollte, wie jemand, der sich diesen erarbeitet.

Egal ob der Hartz-4 Satz das gesamte Einkommen umfasst oder nur einen Teil davon.

 

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Die Einschätzung des Gericht teile ich nicht.

Leistungen nach dem SGB II sind nicht "einkommensunabhängigen Sozialleistungen". Vielmehr werden sie ja gerade einkommensabhängig gewährt. Ein geeignetere, weil wirklich einkommensunabhängige Sozialleistung wäre Unterhaltsvorschuss.

Auch der Hinweis des Gerichts, "Zudem käme die Anwendung des in § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG bestimmten Mindestwerts regelmäßig nicht zur Anwendung, wenn Sozialleistungen als Einkommen im Sinne des § 43 Abs. 2 FamGKG behandelt würden" verfängt m.E. nicht: Nicht jeder hat Kosten der Unterkunft und Sanktionen können die Regelleistung bis auf das Allernotwendige mindern. Auch bei Empfängern von Asylbewerberleistungen könnten der Mindestwert eine Rolle spielen. Und der seit Jahrzehnten unverändert Mindestwert delegitimiert es, seine Rechtsauffassung hierauf zu stützen.

Siehe auch: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. Januar 2011, 5 WF 178/10

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So ist das mit dem FamFG - man staunt immer wieder, dass auch einfache Probleme, die ein normaler FamRichter tagtäglich zu bewältigen hat den FamFG-Machern offenbar überhaupt nicht bewusst geworden sind.

Ob am Ende das Wort "erzielt" überhaupt richtig ist und so gemeint war? Es gibt ja veilleicht auch andere Einkünfte, für die das Wort "erzielt" nicht so richtig passt. 

 

Über das Ergebnis kann man sich ja unterhalten. Dann muss man aber mit dem Begriff "Einkommen" argumentieren.

Die Argumentation mit dem Wort "erzielen" ist dagegen reichlich abwegig, weil es zu "Einkommen" schlicht kein anderes Verb gibt, das der Gesetzgeber hier hätte sprachlich korrekt verwenden können.

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@ Fawkes
Der Streit beinflusst den Verfahrenswert für die Scheidung (und für VA und elterliche Sorge).
Gewinner/Verlierer ist entweder der Anwalt oder die Staatskasse

Was nichts daran ändert zumal VKH auch schon mal zurück gezaht werden muss und das derjenige, der für "seinen" Hartz4-Satz arbeiten das auch bezahlen muss, wenn er keine VKH bekommt.

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Bei meiner Scheidung wurde das ALG II bei der Bestimmung des Verfahrenswertes als Einkommen mit angerechnet. Das trifft zu, wenn PKH in Anspruch genommen wird. 

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