Ritalin

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 20.10.2011

Die geschiedenen Eltern haben die gemeinsame Sorge für ihr 11-jähriges Kind.

Dieses ist verhaltensauffällig. Ein Facharzt für Psychotherapie und eine entsprechende Klinik diagnostizieren ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). Nach verschiedenen fehlgeschlagenen Therapien wird eine weitere Verhaltenstherapie in Kombination mit einer versuchsweisen Gabe von Methylphenidat (Markenname z.B. Ritalin) vorgeschlagen.

Der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, ist damit einverstanden. Der andere wegen eventueller Nebenwirkungen strikt dagegen.

Welche Anträge können bei dem FamG gestellt werden und wie wird dieses entscheiden?

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15 Kommentare

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Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für den Teilbereich der Gesundheitsfürsorge auf einen Elternteil.

Zur Frage welcher Eltenteil die Gesundheitsfürsorge allein übertragen bekommen sollte, muss man wohl abwägen, ob die Behandlung für das Wohl des Kindes erforderlich ist,  § 1687 II BGB.

 

Dafür spricht:

 

-Zwei fachlich geeignete Stellen empfehlen die Therapie

-andere Therapien waren bereits erfolglos

-Nebenwirkungen kann jedes Medikament haben, hier scheint nicht vorgetragen worden zu sein dass es besonders schwere und gefährliche Nebenwirkungen gibt

- zumindest privat habe ich mal gehört, dass evtl. Appetitlosigkeit eine Nebenwirkung sein kann, was aber keine dauernden Schäden hervorruft und außerdem durch geschickte Wahl der Uhrzeit der Medikamentengabe gemildert werden kann.

 

Auf der Gegenseite steht die Frage, wie sehr die Verhaltensauffälligkeiten das Kind in seiner Entwicklung beeinträchtigen - vermutlich stark, denn es wird die schulische genauso wie die soziale Entwicklung behindert, was später im Leben evtl. nicht mehr auszugleichen ist.

 

Damit sollte wohl derjenige Elternteil die Gesundheitsfürsorge alleine ausüben, bei dem das Kind lebt und der die Behandlung durchführen will.

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Falbala146 schrieb:

- zumindest privat habe ich mal gehört, dass evtl. Appetitlosigkeit eine Nebenwirkung sein kann, was aber keine dauernden Schäden hervorruft und außerdem durch geschickte Wahl der Uhrzeit der Medikamentengabe gemildert werden kann.

Das ist der Teil der Nebenwirkungen, der sicher am einfachsten festzustellen ist und zugleich der harmloseste. Neben den Schlafstörungen.

 

Die schwereren Nebenwirkungen, die gelegentlich diskutiert werden, sind weder positiv noch negativ belegt.

Der Verdacht liegt nahe, da das Mittel tief in den Botenstoffhaushalt des Nervensystems eingreift und mit dem Kokain verwandt sein soll.

 

Die Frage, ob das jemand vorgetragen hat oder nicht, ist dabei sehr auf die juristische Sicht begrenzt und sollte vollkommen irrelevant sein.

Es sollte einzig auf die Frage ankommen, ob das Kind dieses Medikament aus Sicht (mindestens) eines Expertens benötigt oder nicht.

Und die Tatsache, dass ein Elternteil die Gabe dieses Medikaments zumindest hinterfragt, ist mit Sicherheit kein Grund, ihm die Gesundheitssorge zu entziehen, sondern ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig die gemeinsame Sorge beider Eltern ist.

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Hopper schrieb:

Welche Anträge können bei dem FamG gestellt werden und wie wird dieses entscheiden?

Ich hoffe auf jeden Fall mit Weisheit und Fingerspitzengefühl.

 

Ritalin ist ein sehr kritisches Medikament, dass in einigen  Fällen eine sehr gute, wichtige und vielleicht notwendige Hilfe ist, dass die betroffenen Kinder überhaupt in die Lage versetzt , aktiv am schulischen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich halbwegs normal zu entwickeln.

Es in solchen Fällen nicht zu geben, halte ich für unterlassene Hilfeleistung.

Auf der anderen Seite gibt es Kinder, die es bekommen sollen, obwohl sie das dafür passende Krankheitsbild gar nicht haben.

Denen hilft es nicht sondern belastet sie nur unnötig und

schädigt sie womöglich.

 

Es bedarf aber einer sehr aufwendigen und gründlichen Untersuchung durch einen Arzt, der auch etwas davon versteht.

Die Diagnose basiert dabei nicht auf physiologischen Untersuchungen sondern in erster Linie auf Fragebögen zu den Verhaltensweisen des Kindes in bestimmten Situationen, die von möglichst vielen Kontaktpersonen (Eltern, Kindergärtner, Lehrer, etc.) ausgefüllt werden sollten.

Jemand der wirklich mit einem AD(H)S Kind zu tun hat, wird es in diesen Fragen sehr schnell wiederfinden.

 

Leider wird es aber manchmal auch von Ärzten verschrieben, die davon nichts verstehen und denken, man könne damit ein unruhiges Kind zur Ruhe bringen.

 

Die Entscheidung, welcher der beiden Elternteile recht hat und über die Behandlung entscheiden sollte, hängt also auf keinen Fall davon ab, bei wem das Kind zufällig wohnt, sondern einzig davon, ob es einen professionelle Diagnose für ADHS gibt oder nicht.

Und die Fragebögen gehören definitiv dazu.

 

In jedem Falle würde ich es begrüßen, wenn der Richter in diesem Falle nur die Behandlung anordnet oder eben untersagt, statt gleich die gemeinsame Gesundheitssorge zu beenden, denn anderenfalls würde  vielleicht beim nächsten Mal gleich die falsche Behandlung durchgeführt.

Ohne dass der andere Elternteil das hinterfragen könnte.

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In jedem Falle würde ich es begrüßen, wenn der Richter in diesem Falle nur die Behandlung anordnet oder eben untersagt,

Nein. Das genau tut das Gericht nicht.

Wie Eric Untermann schon sagte, gilt § 1628 BGB:

Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.

Das Gericht übeträgt einem von beiden die Entscheidungsbefugnis (was zugegbenermaßen einer Anordnung oder Untersagung der Behandlung gleich kommt).

Ich denke, mitentscheidend wird dabei sein, bei welchem Elternteil sich das Kind tatsächlich aufhält.

Hopper schrieb:

Ich denke, mitentscheidend wird dabei sein, bei welchem Elternteil sich das Kind tatsächlich aufhält.

 

Dieses Argument kann in beide Richtungen wirken. Man könnte diesem Elterteil unterstellen, nur im Eigeninteresse zu handeln (endlich Ruhe - ein ruhiggestelltes Kind macht weniger Mühe), man kann ihm aber auch unterstellen das Kind und seine Bedürfnisse besser einschätzen zu können, weil er ja näher "dran" ist.

Es dürfte insgesamt schwer bis unmöglich werden, hier durch einen Richter eine objektiv solide begründete Entscheidung zu treffen. Für die eine oder andere Seite lassen sich viele Begründungen finden. Vor allem wird man damit einen Elternteil zum Gewinner und einen zum Verlierer machen. Überspitzt gesagt könnte man es auch auswürfeln, das Ergebnis wäre vielleich das selbe - aber billiger und schneller.

 

Wenn die Eltern nicht getrennt sind, klappt es fast immer ohne Gericht. Sie wissen, dass sie sich einigen müssen. Druck auf eine Einigung auszuüben ist bei getrennten Eltern jedoch ein spezifisch deutsches Tabu.

Eric Untermann schrieb:

Wenn die Eltern nicht getrennt sind, klappt es fast immer ohne Gericht. Sie wissen, dass sie sich einigen müssen. Druck auf eine Einigung auszuüben ist bei getrennten Eltern jedoch ein spezifisch deutsches Tabu.

§ 1628 BGB setzt ein Getrenntleben nicht voraus. Es kommt (zugegebenermaßen selten, aber doch) vor, dass ein Antrag nach § 1628 BGB bei beziehender Beziehung gestellt wird.

@ Fawkes:

Nochmal: Der Richter entscheidet nicht danach, ob er die Therapie für angemessen hält oder nicht, sondern danach, welchem Elternteil er die bessere Entscheidung zutraut. Ein Kriterium kann dabei die Nähe zum Kind sein.

Hopper schrieb:

§ 1628 BGB setzt ein Getrenntleben nicht voraus

Das ist klar. Der Druck, sich zu einigen kommt bei Nichtgetrennten von innen, die Hürde bei Dissens ein Gericht anzurufen (obwohl es möglich wäre) ist ungleich höher.

 

Diesen Druck spüren Getrennte nicht, sie externalisieren ihren Dissens und laden ihn dort ab, wo es ihnen gezeigt wird, wo ein breiter Weg hinführt: Am Gericht.

 

Schade, dass §156 FamFG so schwach ausgestaltet ist. Ein kleiner Schritt, wo ein grosser Sprung nötig gewesen wäre.

Hopper schrieb:

so kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.

Das Gericht übeträgt einem von beiden die Entscheidungsbefugnis (was zugegbenermaßen einer Anordnung oder Untersagung der Behandlung gleich kommt).

Ok, was ja im Ergebnis vermutlich das gleiche ist.

Mir kommt es vor Allem darauf an, dass das diese Differenz kein Anlass ist, das GSR einzuschränken, sondern ein Argument ist, es insgesamt beizubehalten

 

Hopper schrieb:

Ich denke, mitentscheidend wird dabei sein, bei welchem Elternteil sich das Kind tatsächlich aufhält.

Warum?

Die Entscheidung für ein Medikament sollte ja wohl ausschließlich aus medizinischen Gründen gefällt werden und nicht aufgrund seines regelmäßigen Aufenthaltsortes.

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@Guy Fawkes: Wenn es alleine nach den medizinischen Gründen gehen würde dann hätten es ja quasi die Ärzte entschieden. So wie ich das verstanden habe würde der Richter sagen das ein Elternteil entscheidet (unter anderem weil das Kind da wohnt) allein weil der Elternteil näher dran ist oder sich dementsprechend mehr kümmert, nicht weil es der medizinisch kompetentere ist.

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Ok, das würde ich verstehen, wenn man sagt, der Betreuungselternteil kann das besser beurteilen, als der "abwesende" Elternteil.

Dann kann aber der Einspruch des abwesenden Elternteils auch daran liegen, dass er in die Diagnose und Entscheidung nicht eingebunden wurde und einfach sagt, "bevor ich zu so einer, folgenreichen Entscheidung meine Zustimung geben kann, will ich umfassend informiert und konsultiert werden.

Das ist sein gutes Recht als Vater und kein Anlass, ihn bei der Entscheidung zu übergehen.

Wenn das nicht geschehen ist, hat eher der andere gegen seine Pflichten aus dem GSR verstoßen.

Und so Eilbedürftig, dass das nicht ginge, ist diese Frage ganz sicher nicht.

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Es gibt sicher auch das Argument, dass der Betreuungselternteil, die Nichtgabe des Medikaments "ausbaden" muss und der Abwesende nicht, nur liefe auch das wieder auf eine Entscheidung zu Gunsten des Elternteils hinaus und nicht auf das Interesse des Kindes.

Es würde dann damit möglicherweise die Mutter therapiert.

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Zu den seltenen Nebenwirkungen gehört (< 1/10.000)

 

<blockquote>

  • Herzanfall
  • Anfälle (Krampfanfälle, Konvulsionen, Epilepsie)
  • Sich schälende Haut oder lila-rötliche Flecken
  • Nicht kontrollierbare Muskelkrämpfe, die die Augen, den Kopf, den Hals, den Körper und das Nervensystem betreffen können, verursacht durch eine kurzfristige Unterversorgung des Gehirns mit Blut
  • Lähmung oder Probleme bei der Bewegung oder beim Sehen, Sprachprobleme (dies können Anzeichen für Probleme mit den Blutgefäßen im Gehirn sein)
  • Verminderung der Anzahl der Blutzellen (rote und weiße Blutkörperchen und Blutplättchen), wodurch sich die Möglichkeit einer Infektion und die Wahrscheinlichkeit von Blutungen oder Blutergüssen erhöhen kann
  • Ein plötzlicher Anstieg der Körpertemperatur, sehr hoher Blutdruck und schwere Krampfanfälle (‚Malignes Neuroleptisches-Syndrom’). Es ist nicht sicher, dass diese Nebenwirkung durch Methylphenidat oder durch andere Arzneimittel verursacht wird, die eventuell in Kombination mit Methylphenidat eingenommen werden.</blockquote>

 

Quelle: http://www.medice.de/produkte/adhs/medikinet

 

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Danke für das ausgraben dieses alten Fadens.

Herr Burschel, wissen Sie zufällig, wie dieses Verfahren ausgegangen ist?

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