EuGH „nuanciert“ seine Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 25.11.2011

 

Der EuGH (Urteil vom 22.11.2011 – Rechtssache C-214/10 – Schulte gegen KHS AG) hat seine – jedenfalls hierzulande – sehr kritisch aufgenommene Rechtsprechung in Sachen Schultz-Hoff(Urteil vom 20.1.2009, NZA 2009, 135) in einem entscheidenden Punkt korrigiert und dem Ansammeln von Urlaubsansprüchen über Jahre hinweg Grenzen gesetzt. Dabei geht es um die Urlaubsansprüche langfristig erkrankter Arbeitnehmer. In der Entscheidung Schultz-Hoff hatte der EuGH entschieden, dass eine nationale Bestimmung, mit der ein Übertragungszeitraum festgelegt wird, nicht das Erlöschen des Anspruchs des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub vorsehen könne, wenn der Arbeitnehmer nicht tatsächlich die Möglichkeit gehabt habe, diesen Anspruch auszuüben. In dem vom LAG Hamm vorgelegten Fall, hatte der dauerhaft erkrankte Kläger mit einer im März 2009 erhobenen Klage Abgeltung des nicht genommenen Jahresurlaubs für die Urlaubsjahre 2006, 2007 und 2008 verlangt. Der Arbeitgeber berief sich auf eine tarifvertragliche Höchstfrist für die Übertragung, die 15 Monate betrug. Der EuGH erkennt durchaus, dass er auf der Linie der Schultz-Hoff-Entscheidung eigentlich zugunsten des Arbeitnehmers entscheiden müßte. Dies erscheint ihm jedoch nicht angemessen, so dass die Schlussfolgerung aus der Schultz-Hoff-Entscheidung „unter besonderen Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nuanciert werden“ müsse. Anderenfalls wäre nämlich ein Arbeitnehmer wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, berechtigt, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Der EuGH konstatiert sodann, dass ein Recht auf ein derartiges unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entspreche. Über eine gewisse Grenze hinaus fehle dem Jahresurlaub nämlich seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit. Bleibt noch die Frage, wie lang der Übertragungszeitraum bemessen sein muss. Dazu sagt der EuGH: „Ein Übertragungszeitraum muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten.“ Und ganz konkret: „Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass ein Zeitraum von 15 Monaten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zweck dieses Anspruchs nicht zuwiderläuft, da er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet.“ Das Urteil sorgt für Rechtssicherheit und vermeidet nicht kalkulierbare Kostenbelastungen. Arbeitgebern ist dringend anzuraten, so schnell wie möglich Übertragungsfristen – speziell für den Fall der krankheitsbedingten Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs – Übertragungsfristen in den Arbeits- und Tarifverträgen zu verankern. Auch der Gesetzgeber sollte über eine entsprechende Ergänzung des § 7 BUrlG nachdenken. 

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6 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Stoffels,

 

verstehe ich Ihre Anmerkung richtig, dass eine gesetzliche Änderung nicht notwendig ist, jedoch zumindest eine vertragliche Regelung?

 

Ein Gericht kann damit nicht von sich aus sagen - also ohne vertragliche / tarifvertragliche Grundlage -, dass der Anspruch auf 15 Monate begrenzt sei.

 

 

 

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In der Tat: Automatisch verfällt der Urlaubsanspruch bei langandauernder Krankheit nicht. Es bedarf einer ausdrücklichen Grenze im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag. Das kann jetzt schon geschehen. Einer gesetzlichen Ermächtung bedarf es nicht. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, selbst eine solche Begrenzung einzuführen.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Stoffels,

 

ich kenne nur die Pressemitteilung der curia- Webseite, und meine, dass die Vorlagefrage des LAG Hamm doch nur dahin ging, zu klären, ob eine nationale (gesetzliche oder tarifliche) Regelung, wonach Urlaub nach einem bestimmten Übertragungszeitraum (im entschiedenen Fall: 15 Monate nach ende des Urlaubsjahres, Regelung laut Tarifvertrag) dem europäischen Recht entgegensteht.

Ohne Gesetzliche oder tarifliche Regelung ist das Schicksal des Urlaubsanspruchs langzeiterkrankter Arbeitnehmer immer noch unklar.

 

Woraus folgern Sie, dass der EuGH auch eine einzelarbeitsvertragliche Begrenzung für zulässig erklärt hat?

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Stoffels,

 

ist eine Änderung von § 7 BUrlG und Tarifverträgen wirklich erforderlich? Könnte und müsste man nicht stattdessen § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nunmher europarechtskonform dahingehend auslegen, dass in den Fällen langanhaltender Krankheit ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten anzusetzen ist?

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Arbeitsvertragliche Regelungen erscheinen mir zulässig,
da der EuGH nicht etwa auf den weiten Regelungsspielraum
der Tarifvertragsparteien abstellt. Die materiellen Erwägungen
gelten genauso für die arbeitsvertragliche Ebene. Der EuGH spricht
zwar von 'einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten'. Hierzu würde ich in diesem Fall aber auch Arbeitsverträge rechnen.

Die 15-Monatsgrenze im Wege der richtlinienkonformen Auslegung
in § 7 BUrlG einzulesen, halte ich für zu gewagt. Der EuGH hat doch in erster Linie entschieden, dass eine solche Regelung in einem Tarifvertrag nicht zu beanstanden ist und weniger deutlich, dass sie auch zwingend geboten ist

Aber das sind alles noch ganz ungesicherte Interpretationen.

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@#5:

Wir stimmen überein, dass die 15-Monate nicht zwingend sein dürften. Allerdings steht dies einer Berücksichtigung in § 7 BUrlG m.E. nicht entgegen.

Meine Überlegungen sind dabei:

Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist der Urlaub in den ersten drei Monaten des Folgejahres zu nehmen. Diese Regelung wurde nach der Schulz-Hoff Entscheidung des EuGH in den entsprechenden Fällen im Ergebnis nicht mehr angewandt. Diese vollständige Nichtanwendung dürfte nach der aktuellen Entscheidung nicht mehr zulässig sein. Vielmehr ist sie auf ein zulässige Maß (jedenfalls 15 Monate) zurückzuführen, oder?

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