Weiterleitung vertraulicher Informationen von Missbrauchsopfern: Fristlose Kündigung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.12.2011

Der Arbeitnehmer ist Lehrer für Mathematik und Physik an einer Privatschule und Mitglied des Betriebsrats. Gegen gesonderte Vergütung oblag ihm die Betreuung des sog. Trash-E-mail-Postfachs der Schule. In dieses Postfach wurden alle eingehenden E-mails geleitet, die - z.B. wegen fehlerhafter Schreibweise des Namens des Adressaten - nicht korrekt zugestellt werden konnten. Seine Aufgabe bestand dann darin, diese E-Mails an den eigentlichen Adressaten weiterzuleiten.

Schülerin erhebt per E-mail Missbrauchsvorwürfe gegen ehemalige Lehrer

In Bezug auf die von der Arbeitgeberin betriebene Schule und die an ihr handelnden Personen wurden im Jahr 2010 Missbrauchsvorwürfe bekannt. Die Schule bot von Missbrauch betroffenen Schülern die Möglichkeit, sich direkt an die Schule zu wenden. Am 09.03.2010 ging die E-Mail einer ehemaligen Schülerin in dem Trash-Ordner ein, die an die Mitarbeiterin C und in Kopie an die Schulleiterin D gerichtet war. In ihr erhob die Schülerin gegenüber einem ehemaligen, in dem Schreiben namentlich genannten Lehrer Vorwürfe in Bezug auf sexuelle Übergriffe und körperliche Gewalt. Der Arbeitnehmer leitete die E-Mail an die ursprünglichen Adressaten weiter, berichtete jedoch auch dem von dem Missbrauchsvorwurf betroffenen ehemaligen Kollegen unter Nennung des Namens des Opfers über die von diesem erhobenen Anschuldigungen. Die Arbeitgeberin mahnte den Arbeitnehmer deswegen ab. Am 06.04.2010 beantragte die Schülerin beim LG Darmstadt eine einstweilige Verfügung gegen ihn auf Unterlassung der Weitergabe des Inhalts ihrer E-Mail vom 09.03.2010.

Arbeitnehmer leitet diese E-mail an einen größeren Personenkreis weiter

Nachdem die Schule unter dem 10.04.2010 eine Pressemitteilung herausgegeben hatte, übersandte der Arbeitnehmer am 12.04.2010 die E-mail der Schülerin vom 09.03.2010 an verschiedene Adressaten, die auch diese Pressemitteilung erhalten hatten, darunter die Mitglieder des Trägervereins der Schule, ehemalige Vorstandsmitglieder, Elternbeiräte und die zur Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe bestellte Rechtsanwältin.

Die Arbeitgeberin beabsichtigt, den Arbeitnehmer wegen dieser (erneuten) Weitergabe vertraulicher Informationen einschließlich des Namens des Opfers außerordentlich zu kündigen. Da der Betriebsrat die hierfür nach § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung verweigert, begehrt sie die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung.

LAG Hessen ersetzt die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten fristlosen Kündigung (§ 103 Abs. 2 BetrVG)

Das LAG Hessen hat dem Antrag stattgegeben (Beschluss vom 06.07.2011 - 2 TaBV 205/10, BeckRS 2011, 78094):

Der Arbeitnehmer habe gegen seine Verschwiegenheitspflicht aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen. Bei dem Interesse der ehemaligen Schülerin an einem absolut vertraulichen Umgang mit den von ihr gemachten Informationen handele es sich auch im Hinblick auf die Wahrung des Opferschutzes um ein berechtigtes und zu respektierendes Anliegen und damit im Hinblick auf ihre Aufklärungsbemühungen auch um ein berechtigtes Bedürfnis der Schule.

Verletzung der Verschwiegenheitspflicht sei nicht zu entschuldigen

Das Verhalten des Arbeitnehmers sei auch nicht vor dem Hintergrund entschuldigt, dass er sich im Zeitpunkt der Versendung der E-Mail vom 12.04.2010 in einer besonderen Ausnahmesituation befunden habe. Nachvollziehbar sei, dass er sich von verschiedenen Seiten angegriffen fühlte und bestrebt war, die jeweiligen Kreise von seiner Sicht der Dinge in Kenntnis zu setzen. Aber selbst solch eine schwierige Ausnahmesituation rechtfertige es nicht, dass er - ohne Not - in seine schriftlichen Erklärungen mehrfach den Namen der ehemaligen Schülerin, die sich als Missbrauchsopfer der Schulleitung gegenüber offenbart hat, aufgenommen und diese dann verbreitet hat. Die von ihm gewünschte Klarstellung gegenüber den Empfängern der Pressemitteilung der A-Schule hätte sich ohne inhaltliche Einbußen auch ohne Nennung des Namens der ehemaligen Schülerin erreichen lassen. Letztlich zeige sein Verhalten, dass er bei Wahrnehmung seiner eigenen Interessen die Interessen Dritter völlig aus dem Auge verloren habe.

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