LAG Baden-Württemberg: Urlaubsansprüche gehen bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres unter

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 06.01.2012

 

Mit der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.12.2011 – 10 Sa 19/11) liegt – soweit ersichtlich – die erste Reaktion eines Arbeitsgerichts auf die neue Entscheidung des EuGH (22.11.2011 NZA 2011, 1333,hierzu Blog-Beitrag vom 25.11.2011) zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei langandauernder und durchgehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit vor. In dieser Entscheidung hatte der EuGH die viel diskutierte Schultz-Hoff-Entscheidung (Urteil vom 20.1.2009NZA 2009, 135) dahingehend präzisiert, dass eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre nicht geboten und eine nationale Regelung mit einer Begrenzung des Übertragungszeitraums von 15 Monaten unionsrechtlich nicht zu beanstanden  sei. Die spannende Frage ist jetzt, ob vor diesem Hintergrund schon de lege lata – durch Auslegung bzw. Rechtsfortbildung des § 7 Abs. 3 BUrlG – von einer 15-monatigen Verfallfrist ausgegangen werden kann. Dagegen bestehen m.E. erhebliche methodische Bedenken, auf die zuletzt auch Franzen in NZA 2011, 1405 hingewiesen hat. Das LAG Baden-Württemberg teilt diese Bedenken offenbar nicht. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der klagende Arbeitnehmer von 2006 bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. November 2010 arbeitsunfähig erkrankt. Er begehrte die Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Jahre 2007 bis 2009. Das LAG hat ihm Abgeltungsansprüche nur für das Jahr 2009 zugesprochen. Es hat entschieden, dass Urlaubsansprüche aus den Jahren 2007 und 2008 zum Zeitpunkt des Ausscheidens bereits verfallen waren. Die Begründung in der Pressemitteilung ist knapp: „Eine Abweichung von der durch den nationalen Gesetzgeber geschaffenen Befristungsregelung in § 7 Abs. 3 BUrlG im Wege der unionsrechtlichen Rechtsfortbildung durch die nationale Rechtsprechung ist nur legitimiert, soweit dies das Unionsrecht gebietet. Urlaubsansprüche gehen daher bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres unter und sind bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten.“

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5 Kommentare

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Die PM ist zwar knapp, aber unmittelbar einleuchtend. Wieso sollte eine europarechtskonforme Auslegung weitergehend vom ursprünglichen Willen des nationalen Gesetzgebers wegführen als es durch das EU-Recht notwendig wird? Darf ein deutsches Gericht auf Grundlage von EU-Richtlinen das deutsche Recht überhaupt weitergehend auf den Kopf stellen, als es die Richtlinie fordert? Der EuGH entscheidet doch nur - und zwar weitestgehend jenseits aller Dogmatik - darüber, ob ein konkretes Resultat deutscher Rechtsanwendung mit dem EU-Recht vereinbar ist. Wir dogmatikverliebten deutschen Juristen trauen uns nicht, nur das konkrete Ergebnis anzupassen, sondern basteln durch unionskonforme Auslegung solange am juristschen Obersatz/Gesetz herum, bis wir das auf den Einzelfall passende Ergebnis hinbekommen und nehmen dafür in Kauf, auch alle anderen zur Norm passenden Fälle durch die gleiche neue Auslegung anders als bisher entscheiden zu müssen, obwohl die bisherige Ergebnisse in diesen anderen Fällen vollkommen unionsrechtskonform waren. Ich denke, wenn es uns gelingt, den Anwendungsbereich "unionskonformer Auslegungen" durch eine "ultra-vires-Theorie" zu begrenzen, werden wir zwar kein übersichtlicheres Arbeitsrecht bekommen, aber die Akzeptanz europäischen Arbeitsrechts deutlich steigern. Letzteres haben wir bitter nötig und an Ersterem scheint unserem Gesetzgeber und unseren Arbeitsgerichten ohnehin nicht viel zu liegen.

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Bleibt abzuwarten, ob sich weitere LAG dieser Auffassung anschließen, denn - soweit für mich ersichtlich - ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH nicht zwingend, dass eine solche Verfallfrist ohne Grundlage (Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, ...) erfolgen könne. Schließlich erging die Entscheidung des EuGH zu einer entsprechenden tariflichen Regelung.

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Zwar kein LAG, aber ein ArbG hat sich nunmehr gegen die Rechtsansicht des LAG Baden-Württemberg gestellt. Nach Ansicht des ArbG Bonn (Urteil vom 18.01.2012 - 5 Ca 2499/11) sei § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG in gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung so zu verstehen, dass gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind. Das entspreche Wortlaut, Systematik und Zweck der innerstaatlichen Regelungen, wenn die Ziele des Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG und der regelmäßig anzunehmende Wille des nationalen Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien berücksichtigt würden. Entgegen der Auffassung des LAG Baden-Württemberg verfielen Urlaubsansprüche auch nicht gleichsam automatisch nach Ablauf von 15 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres. Hierfür fehle es an einer Rechtsgrundlage. Die Kammer halte sich insoweit nicht für befugt, ohne jede gesetzliche Grundlage von der Existenz eines starren fünfzehnmonatigen Übertragungszeitraums für Urlaubsansprüche im Fall langfristiger Erkrankungen auszugehen.

Im dogmatischen Ergebnis stimme ich dieser Entscheidung zu. Allerdings stellt sich in Anbetracht der möglichen Folgen einer solchen Rechtsprechung die Frage, wie man dieser Situation Herr werden möchte. Da der Gesetzgeber in seiner gewohnt trägen Weise wohl kaum kurzfristig auf die Rechtsprechung des EuGH reagieren wird, wird dem BAG nichts anderes übrig bleiben als § 7 Abs. 3 u. 4 BUrlG richtlinienkomform auszulegen oder fortzubilden.

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Das LAG Hamm (16 Sa 1352/11) pflichtet dem LAG Baden-Württemberg dem Grunde nach bei. Allerdings sollen nach dieser Entscheidung Urlaubsansprüche langjährig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer nicht (wie vom LAG Baden-Württemberg angenommen) spätestens 15, sondern "erst" spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen, wenn sie bis dahin nicht genommen werden können. In seiner Begründung bleibt das Gericht allerdings recht wage. So stelle sich nicht die Frage des "ob" einer zeitlichen Begrenzung, sondern die Frage, wie auf der Grundlage deutschen Rechts eine Frist für den Übertragungszeitraum gewonnen werden könne. Hier orientiert sich das LAG Hamm (ausdrücklich entgegen LAG Baden-Württemberg) an der IAO. Art. 9 Abs. 1 IAO Übereinkommen Nr. 132 habe nämlich für das gesamte innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland Bedeutung. Diese Vorschrift regele zwar nicht die vorliegende Fragestellung, sondern bestimme, dass der ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und lediglich der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen sei. In seiner Entscheidung vom 22.11.2011 habe der Europäische Gerichtshof jedoch darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift dahingehend aufgefasst werden könne, dass sie auf der Erwägung beruht, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden könne. Insoweit - so das LAG Hamm - sei Urlaubsansprüchen eine immanente Befristung eigen. Dies müsse bei der Berechnung des Übertragungszeitraums berücksichtigt werden.

Wie bereits die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vermag auch diese Entscheidung dogmatisch nicht zu überzeugen. Dennoch zeigt es die Richtung an, in welche die Reise wohl gehen wird und bereitet einer entsprechenden Entscheidung des BAG den Weg (das Urteil des LAG Hamm ist anhängig beim BAG unter dem Az: 9 AZR 232/12).

 

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Zu der mit Spannung erwarteten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Verjährung von Urlaubsansprüchen (9 AZR 540/10), in welcher es auch zu der Frage hätte Stellung nehmen müssen, ob die geltend gemachten Urlaubsansprüche nicht schon verfallen sind, wird es nicht mehr kommen. Die Revision wurde zurückgenommen (Pressemitteilung 27/12 v. 16.04.2012).

Es bleibt somit weiter abzuwarten wie das BAG die KHS/Schulte Entscheidung des EuGH umzusetzen gedenkt.

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