Staatlicher Datenzugriff – Behörden prüfen immer häufiger die Konten der Bürger
von , veröffentlicht am 16.01.2012Laut Aussage des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar prüfen deutsche Finanzämter und Sozialbehörden immer häufiger die Konten der Bürger. Im vergangenen Jahr haben laut Schaar Fahnder in einem automatisierten Verfahren 63.000 Mal Stammdaten wie Namen, Geburtsdaten oder auch Anschriften von Bankkunden abgerufen. 2010 habe die Zahl der Abrufe hingegen noch bei 58.000 gelegen. Daraus ergibt sich eine Steigerung um nahezu neun Prozent. Das sagte Schaar kürzlich der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ in einem Interview. (Handelsblatt)
Das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ erlaubt Finanzbehörden einen automatisierten Abruf von Kontostammdaten der Bankkunden wie Name, Geburtsdatum, Kontonummern bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Die BaFin speichert die betroffenen Daten in einer zentralen Datei. Mit der Regelung sollen Steuerflucht und der Missbrauch von Sozialleistungen verhindert werden. Die Kontostände können die Behörden dabei nicht einsehen. Das Gesetz war am 1.04.2005 in Kraft getreten. Damals hatte es laut Presse noch weniger als 9000 Abfragen gegeben. (sueddeutsche)
Das BVerfG hat 2007 entschieden, dass die Behörden die Kontostammdaten nur im Verdachtsfall abfragen dürfen. (Zeit Online) "Eine Maßnahme, die laut Bundesverfassungsgericht eigentlich als Ausnahme gedacht war, hat sich fast zu einer Routine entwickelt", so Schaar. Abfragen "ins Blaue hinein" entsprächen nicht den Vorgaben des Gerichts.
Danke an Herr Josef Wittmann für diese Hinweise.
Wie sehen Sie den zunehmenden Zugriff auf Kontostammdaten durch deutsche Behörden? Wie beurteilen Sie diese Meldung unter dem Aspekt des Bankgeheimnisses?
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben
6 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenName kommentiert am Permanenter Link
Herr Schaar sollte sich bitte um die tatsächlichen Datenschutzprobleme kümmern - auch wenn er sich dann z.B. mit wirtschaftskräftigen Konzernen anlegen muss.
Hier die Entscheidung des BVerfG:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20070613_1bvr155003.html
Student Wittmann kommentiert am Permanenter Link
Als völlig irrelevant würde ich den Aspekt des Bankgeheimnisses nicht bezeichnen. Das Gesetz war bereits bei seinem Inkrafttreten als Aushöhlung des Bankgeheimnisses heftig kritisiert worden. Freilich ist lediglich der Zugriff auf Stammdaten erlaubt. Allerdings ist zu beachten, dass die Behörden die Kontendaten heimlich abrufen. Das Bundesverfassungsgericht mahnte damals, dass solche verdeckte Methoden nicht unproblematisch sind: „In einem Rechtsstaat ist Heimlichkeit staatlicher Eingriffsmaßnahmen die Ausnahme und bedarf besonderer Rechtfertigung.“ So unkritisch sehe ich den Anstieg der Datenabrufe daher nicht. Bereits der Google Transparency Report, der im Oktober letzten Jahres erschienen ist und auch hier im Blog diskutiert wurde, hat gezeigt, dass der Datenhunger staatlicher Stellen immer größer wird. Die von Schaar geforderte Überprüfung der Abfragepraxis halte ich daher für konsequent und sinnvoll.
Auffallend sind auch die unverhältnismäßigen Unterschiede zwischen den Bundesländern. So haben laut dem Bundesdatenschutzbeauftragten die Behörden in Brandenburg bei fast identischer Einwohnerzahl ein Vielfaches der Daten abgefragt als die Behörden in Sachsen-Anhalt. Berlin lag bei der Zahl der Datenabrufe fast auf der Höhe Nordrhein-Westfalens. Auch aufgrund solcher Zahlen halte ich eine Überprüfung für richtig. Es muss geklärt wie solche Unregelmäßigkeiten zustande kommen.
Name kommentiert am Permanenter Link
Daraus lässt sich kein besonderes Schutzrecht über die allgemeinen Grundsätze des Datenschutzes bzw. der informationellen Selbstbestimmung hinaus herleiten. Das BVerfG hat bereits 1991 entschieden, dass die Steuerehrlichkeit durch gesetzlich geregelte Kontrollmöglichkeiten abgestützt werden muss und wenn dies als "Aushöhlung" des Bankgeheimnisses bezeichnet wird, ist das lediglich eine Wertung von Lobbyisten.
und sagt genau zu diesem Aspekt aber: "Die bestehenden rechtlichen Gewährleistungen räumen dem Betroffenen hinreichende Kenntnismöglichkeiten ein." (Rdnr. 178) stimme ich völlig zu. Die Behauptungen "Routine" (also der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit) oder "ins Blaue hinein" sollte er allerdings erst erheben, wenn er es beweisen kann.klabauter kommentiert am Permanenter Link
@Josef Wittmann:
Dass Berlin und Brandenburg eine sehr hohe absolute Zahl an Abfragen haben, könnte mit dem Anteil an Transferleistungsempfängern in diesen Bundesländern zu tun haben.Wie dabei aber die relative Zahl im Vergleich zu anderen BL aussieht, habe ich nicht recherchiert.
Die Zahl der Abfragen erscheint mir gering, wenn man nicht nur die von mein Name genannte Zahl der Konten betrachtet. Es geht ja nicht nur um Abfragen von Sozialbehörden, sondern auch um Abfragen durch Finanzämter. Und bei mindestens 27 Millionen Einkommensteuerpflichtigen in Deutschland sowie Einzelfirmen und juristischen Personen die von anderen Steuerarten (USt, KSt, GewSt) betroffen sind, ist eine Zahl von 63.000 kein Anzeichen für eine beginnende Totalüberwachung.
Student Wittmann kommentiert am Permanenter Link
Das scheint mir zunächst ein sehr guter Erklärungsansatz zu sein. Ob die erheblichen Unterschiede zwischen den Bundesländern aber tatsächlich daher rühren, werden die weiteren Prüfungen zeigen.
Eine beginnende Totalüberwachung sehe auch ich nicht auf uns zukommen. Aber wie ich oben bereits erwähnt habe, haben verschiedene Berichte in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, dass Regierungen immer häufiger auf die Daten ihrer Bürger zugreifen. Freilich muss man bedenken, dass nach Schätzungen dem deutschen Fiskus jährlich 30 Milliarden Euro durch Steuerhinterzieung entgehen. Den Steuerfahndern müssen daher ausreichende Handlungsmöglichkeiten gegeben werden um diese Betrugskultur, häufig ohne jedes Unrechtsbewusstsein, einzudämmen. Eine Überprüfung in Fälllen von zunehmendem Datenzugriff durch staatliche Stellen, wie sie jetzt Schaar gefordert hat, halte ich aber trotzdem grundsätzlich für geboten.
Dr. Egon Peus kommentiert am Permanenter Link
An Statistik von Interesse wäre die Zahl der ermittlten Sozialleistungsbetrügereien und - versuche.