Der richtige Umgang mit dem Internet oder gerichtsbekannte Weisheiten bei wikipedia

von Dr. Klaus Lützenkirchen, veröffentlicht am 25.01.2012

Ich komme viel herum und kann daher berichten, wo überall Mietrecht gemacht wird. Dabei lerne ich auch unterschiedliche Qualitäten kennen. So weiß ich, dass in Recklinghausen bei Betriebskosten die Amtsermittlung herrscht (nur die Belegeinsicht soll vom Mieter noch selbst durchgeführt werden). Vom Landgericht München habe ich gerade erfahren, dass eine Berufung zurückzuweisen ist, die auf Rückforderung nach § 812 BGB wegen Flächenabweichung überzahlter Miete gestützt wird, weil ein anfänglichen Mangel vorliegt und im Mietvertrag die Garantiehaftung (§ 536a BGB) ausgeschlossen ist.

Das sind traurige Erkenntnisse, aber man hilft ja gern (was für viele Richter aber einem GAU gleichkommt, wenn es der Anwalt "besser" weiß - es gibt aber auch Richter, die Hinweise dankbar aufnehmen).

Bisher konnte ich immer mit Stolz auf das Amts- und Landgericht Köln verweisen. Hier bin ich "groß" geworden und konnte mich mit erfahrenen und kompetenten Richtern messen. Denn schon beim Amtsgericht gibt es über 15 Spezialabteilungen für Mietrecht und die beiden Berufungskammern sind auch spezialisiert. Wenn sie Mietrecht anwenden, wissen sie, was sie tun.

Das habe ich jedenfalls immer erzählt, wenn ich andernorts war und das Bemühen nicht spezialisierter Richtern um das (Miet-) Recht beobachtet habe. 

Nun sind wir Kölner oft geneigt, unserem 1.FC nach zu eifern. Der hatte auch einmal einen Spitzenplatz und versucht seit seinem letzten Aufstieg wieder Anschluss an das gehobene Mittelfeld zu finden.

Zu meinem Bedauern ist das Amtsgericht nun auch infiziert. Ob es nun gerade wieder aufwärts geht oder wir - fußballerisch gesehen - noch vor dem Abstieg stehen, ist philosophisch. Jedenfalls hat sich das Gericht geoutet. Im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO gelten auch in Köln alle Regeln - insbesondere die des Internets. Anstelle der Beweisaufnahme über die angebliche Gesundheitsgefährdung von Bisphenol A gewinnt man seine Erkenntnisse von "wikipedia" und schon ist die fallentscheidende Tatsache "gerichtsbekannt" (AG Köln v. 20.4.2011 - 201 C 546/10, NZM 2011, 629).   

Nun muss man nicht wissen, dass in einer Wohnanlage mit über 400 Wohnungen - trotz der zutreffenden Kritik in der Fachpresse (vgl. Laubinger, ZMR 2012, 25 f.) - nicht der Inhalt der Entscheidung wahrgenommen wird, sondern nur das Egebnis. Dennoch kann man merken, dass auch in der Beschreibung bei wikipedia nicht die Adresse des konkreten Mietobjektes steht. Auch ist der Verfasser der Beschreibungen bei wikipedia nicht bekannt (ich unterstelle nicht, dass der Mietervertreter damit etwas zu tun hat). Selbst das Umweltbundesamt macht deutlich, dass alles zum Thema Bisphenol A wissenschaftlich bisher unverbindlich ist. Ich erwarte auch keinen Hinweis auf eigene Sachkunde des Gerichts - wenn sie besteht.

Ich hänge aber imnmer noch an Art. 20 GG. Denn mein Vater hat mir erzählt, wie es war, als wir noch keinen Rechtsstaat hatten. Deshalb erkläre ich meinen Mandanten, dass über streitige Tatsachen Beweis erhoben werden muss, wenn sie zwar abwegig aber dennoch entscheidungserheblich sind. Das bedeutet bei einer Gesundheitsgefährdung, dass zunächst nachgewiesen werden muss, dass ein gefährlicher Stoff überhaupt vorhanden ist. Das macht selbst das Landgericht Dresden (vgl. LG Dresden v. 25.2.2011 - 4 S 73/10, NZM 2011, 743 - auch so eine schmerzliche Erfahrung)

Auf die am Gesetz orientierte Qualität habe ich mich bisher in Köln verlassen können. Es gibt nicht nur dieses Urteil, das mich in die Ferne treibt. 

  

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6 Kommentare

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Tröstlich an Ihren Ausführungen ist allein die Erkenntnis, dass Richter auch nur Menschen sind. Ich muss dabei an einen Dozenten des Einführungslehrgangs in der Zivilstation denken. Er war der felsenfesten Überzeugung, dass Schimmel immer auf falsches Lüften zurückzuführen sei. Vielleicht hat mancher Richter Probleme damit sich einzugestehen, dass er nur über gesundes Halbwissen verfügt.

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@Ernst Hagen

Vielleicht war der Dozent selbst Vermieter einer Wohnung :)

Ansonsten finde ich den Verlass auf wikipedia als Quelle doch immer sehr bedenklich. Ich habe während des Studiums/ Referendariats gelernt, dass diese nicht zitierfähig ist und somit als "offizielle" Quelle ausscheidet. Ich weiß allerdings, dass das selbst bei Juristen vor einigen Jahren nicht überall so gehandhabt wurde und ich kenne auch einen Professor (aus dem Bereich Naturwissenschaften), der kein Problem mit wikipedia in einer Doktorarbeit hat. Dabei sind ja häufig bei Fachthemen Literaturhinweise angegeben, so dass man sich in den richtigen Werken "seriös" nachinformieren kann.   

Wenn man aber an Richter gerät, die sich bedenkenlos auf wikipedia stützen, hinterlässt das zumindest ein sehr unangenehmes "Geschmäckle" und gewisse Zweifel an der Kompetenz.

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 Der große Vorteil von Wikipedia:

Dort hätten wir umgehend erfahren, dass Herr Dr. Lützenkirchen der Anwalt der Vermieterin ist,

die ihre Mieter offenbar als Versuchskaninchen sieht.

 

Gut, dass es Wikipedia gibt,

 

aber auch der Blick in Sicherheitsdatenblätter bestätigt, wie gefährlich diese Stoffe der

Wassergefährdungsklasse 2 und 3 sind. Ein Sachverständigengutachten wäre also vollkommen

überflüssig gewesen, denn der Sachverständige hätte dazu keine anderen Aussagen machen können.

Gut, dass der Richter den Überblick behalten hat.

 

Es war nicht nur dumm, was die Vermieterin gemacht hat, es ist dazu auch noch verboten,

da ist eine Mietminderung hoffentlich nur der Anfang. Wer mit der Gesundheit

seiner Mieter spielt, sollte härter bestraft werden.

 

Epoxidharzbeschichtungen in Trinkwasserleitungen sind in Deutschland nicht zugelassen,

darauf hätte auch der Vermieter kommen können, ein Blick u. a. in Wikipedia (s. auch

STERN-Beitrag von 2007*) hätte genügt.

 

Diese Vermieterin hatte sich aber bewusst für das nicht zugelassene Rohrinnensanierungsverfahren entschieden, denn sie wurde nachweislich vor der Sanierung vom Kölner Gesundheitsamt gewarnt.

 

Da darf eine Mietminderung von 20 % nur der Anfang sein.

 

 

* Wie gut ist Wikipedia?

 http://wikipedistik.de/2007/12/05/stern-titelthema-wie-gut-ist-wikipedia/

 

 

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Ja, am Rechtsstaat kann man manchmal verzweifeln. Ob aber der anscheinend von Ihnen verlorene Prozess vor dem AG Köln dazu ausreichend Grund liefert, scheint mir fraglich.  Fachanwälte aus Berlin verweisen in diesem Fall auf die Fachpresse und kommen zu dem Befund: 

Im Ergebnis stimmt die Kölner Entscheidung

 

Der ganze Vorfall hat Sie so in ihrem Rechtsgefühl verletzt, dass Sie sich an Ihren Vater erinnern, der erzählte  "wie es war, als wir noch keinen Rechtstaat hatten." 

Ein ähnliches Gefühl beschlich mich, als ich folgendes erfuhr:

In einer großen Wohnanlage in Köln beschwerten sich Mieter eines Immobilienkonzerns immer wieder über - ihrer Ansicht nach - falsch berechnete, ja z.T. unsinnige  Forderungen ihres Vermieters. Auf inhaltliche Beschwerden, so erzählten einige Mieter, ging der Konzern nicht ein. Stattdessen bekamen einige Mieter Briefe von Inkassounternehmen. Viele - vor allem ältere - so wurde erzählt, hätten so eingeschüchtert zähneknirschend bezahlt. 

Mieter, die sich nicht einschüchtern ließen, wurden verklagt. Dabei fiel immer wieder Ihr Name. Soweit so gut. Es ist Aufgabe der Gerichte, solche Streitigkeiten zu klären und Aufgabe der Anwälte, ihre Mandanten zu vertreten. 

Als ich dann allerdings Ihren Namen und den Begriff "Forderungsmanagement" googelte wurde mir doch etwas flau.

Hier das Ergebnis! 

Vielleicht sollte das ja den Mieterverein interessieren, dem Sie - zu Recht - nichts unterstellen wollen. 

Dass man sich in Köln um den Rechtsstaat sorgt, kann ich gut verstehen. Denn, welche Konsequenzen hatte die Vernichtung des Stadtarchivs? Welche Konsequenzen hat es, wenn noch Jahre nach Rohrinnensanierungen tatsächlich dramatisch hohe Werte des gefährlichen Stoffes Bisphenol A im Trinkwasser nachgewiesen werden? 

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Man fragt sich ja schon, ob es dem Beck-Verlag eigentlich recht ist, dass die von ihm angeheuerten "Experten" ihre Position dafür missbrauchen, in ihren Blogbeiträgen ungeniert (und ohne diese Nähebeziehung offenzulegen) eigene Mandanteninteressen zu vertreten.

Man fragt sich ferner, ob es dem Beck-Verlag eigentlich recht ist, dass die von ihm angeheuerten "Experten" ein ihnen missfallendes Gerichtsurteil zum Anlass wahrhaft haarstäubender Nazivergleiche nehmen ("Denn mein Vater hat mir erzählt, wie es war, als wir noch keinen Rechtsstaat hatten.").

In der Sache kann man durchaus diskutieren, wie weit der Offenkundigkeitsbegriff bzw., soweit einschlägig, die Verfahrenserleichterungen des § 495a ZPO reichen. Aber das tut Lützenkirchen doch gar nicht.

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Wie recht das Amtsgericht Köln mit seiner Entscheidung hatte und wie falsch der "Experte" Lützenkirchen lag zeigt sich derzeit in der Realität. 

Nach massiven Überschreitungen des Grenzwertes für Bisphenol A im Trinkwasser der von Herrn Lützenkirchen erwähnten Wohnanlage, lässt der Eigentümer nun die, erst vor wenigen Jahren mit  Epoxidharz sanierten, Trinkwasserleitungen komplett ersetzen. Ein teures Vergnügen. 

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