EuGH: Wiederholte Befristung auch bei ständigem Vertretungsbedarf zulässig

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 27.01.2012

 

Die Rechtsprechung des 7. Senats des BAG zum Befristungsrecht sah sich in der Vergangenheit in mehreren Punkten scharfer Kritik ausgesetzt. Die Urteile des Senats seien teils – soweit es um die sachgrundlose Befristung geht - einem rigiden Formalismus verhaftet, teils seien sie – soweit die Sachgrundbefristung betreffend – durch eine die Schutzbedürftigkeit nahezu ausblendende Großzügigkeit gekennzeichnet. Kritisiert wurde insbesondere auch die großzügige Handhabung der sog. Vertretungsbefristung. In der Praxis kommt es auf dieser Grundlage immer wieder zu problematischen Aneinanderreihungen von Befristungen. So war etwa die Klägerin – Frau Kücük - des jetzt in einer EuGH-Entscheidung gipfelnden Ausgangsverfahrens elf Jahre aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen als Justizangestellte im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Alle Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Justizangestellter geschlossen, die sich vorübergehend hatten beurlauben lassen. Das BAG (17.11.2010 BeckRS 2010, 75736) hatte zuletzt selbst Zweifel bekommen, ob ein derart weites Verständnis der Vertretungsbefristung mit den Vorgaben der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG, die eine Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner durchführt, in Einklang steht. Auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen antwortet der EuGH (Urteil vom 26.1.2012, C -586/10, „Kücük“) jetzt wie folgt:

„§ 5 Nr. 1 Buchst. a der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass die Anknüpfung an einen vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften in nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann. Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt weder, dass kein sachlicher Grund gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse durch einen solchen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, müssen die Behörden der Mitgliedstaaten jedoch im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse berücksichtigen.“

Damit ist das Urteil des EuGH weniger streng ausgefallen als man das erwartet hatte. Diskussionsbedarf löst sicherlich der Missbrauchsvorbehalt aus. Hier könnte es sein, dass die Rechtsprechung des BAG der Korrektur bedarf. Bislang macht das BAG allein die letzte Befristung zum Gegenstand der Kontrolle. Mitunter hat das BAG allerdings auch betont, dass im Falle von wiederholten Befristungen schärfere Anforderungen gestellt werden müssen, dies aber nicht immer konsequent praktiziert. Evtl. könnte dieser Ansatz aufgegriffen und ausgebaut werden. 

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5 Kommentare

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Die Crux bei derartigen Fallgestaltungen ist ja, dass sich der fatale Eindruck, wonach bei sage und schreibe 13 Befristungen in nur 11 Jahren "etwas nicht stimmen kann", jedenfalls nach nationalem deutschen Recht relativ leicht zerstreuen lässt mit dem Hinweis, es werde ja nur die letzte Befristung auf ihre Wirksamkeit geprüft. Aus diesem Argumentationsgehäuse kam der 7. Senat auch in seiner Vorlage vom 17.11.2010 nicht heraus.

 

"Früher war alles besser": 1980 und 1981 hatte hatte das BAG in mehreren Urteilen, darunter auch in einem, das sogar in die amtl. Sammlung kam (Urt. vom 19.08.1981, in: BAGE 36, 171), bei Kettenbefristungen auch die Wirksamkeit vorheriger Befristungen geprüft. Das wurde damit begründet, es könne nicht ohne weiteres angenommen werden, der Arbeitnehmer, der sich auf einen neuen befristeten Arbeitsvertrag einlasse, wolle dadurch seine Rechtsposition aufgeben, die er infolge der Unwirksamkeit der Befristung eines vorangegangenen Arbeitsvertrages erlangt hatte. Das ließ sich hören. Diese von mir persönlich für vernünftig gehaltene Rspr. gab das BAG aber in seiner Entscheidung vom 08.05.1985 (7 AZR 191/84), in: NZA 1986, 569, auf und fährt seither den streng formalen "Willenserklärungs"-Kurs, wonach die Parteien durch den Abschluss eines weiteren Arbeitsvertrags ihre Rechtsbeziehungen auf eine neue Rechtsgrundlage stellen würden, die künftig alleine für ihre Rechtsbeziehungen maßgeblich sein solle.

 

 

Die Vorgabe des EUGH lautet (siehe oben) : " alle Umstände des Falles .... berücksichtigen." Hieraus ergibt sich eine enorme Verantwortung. Sollte nämlich ein Umstand nicht berücksichtigt worden sein, kann der Arbeitgeber ein erhebliches Problem haben. Interessant wird die Frage, wie die Berücksichtigung aller Umstände gerichtsfest dokumentiert und archiviert werden kann. Gerade nach vielen Jahren akkumulieren sich ja eventuell die Schäden durch eine nachträglich als missbräuchlich erkannte Befristung.

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@ Martin Bender:

Dass heute nur noch der letzte Vertrag geprüft wird, erscheint mir angesichts des Verweises von § 17 Satz 2 TzBfG auf § 7 KSchG zwingend (auch wenn das BAG schon lange vor Inkrafttreten des TzBfG; nämlich seit 1985, so urteilt).

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob beim wiederholten Abschluss befristeter Arbeitsverträge erhöhte Anforderungen an den Sachgrund gestellt werden müssen. Das entsprach lange Zeit hM (etwa BAG v. 21.2.2001 – 7 AZR 200/00, AP Nr. 226 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag), ist dann aber 2009 überraschend vom 7. Senat anders gesehen worden (BAG v. 25.3.2009 – 7 AZR 34/08, NZA 2010, 34). Nur kurz darauf kamen dem Senat dann schon wieder Zweifel, ob die alte Rechtsprechung nicht doch besser war (BAG v. 17.11.2010 – 7 AZR 443/09 (A), NZA 2011, 34). Kontinuität sieht anders aus.

Christian.Rolfs schrieb:

Dass heute nur noch der letzte Vertrag geprüft wird, erscheint mir angesichts des Verweises von § 17 Satz 2 TzBfG auf § 7 KSchG zwingend.

 

Oh ja, da haben Sie recht. Die Rückkehr zu den guten alten Zeiten von BAGE 36, 171 & Co. dürfte seit 2004 in der Tat verbaut sein. Letztendlich wird aber in der Sache trotz § 7 TzBfG eine incident-Prüfung der früheren Befristungen vorgenommen, zwar nicht auf deren Rechtswirksamkeit, aber auf deren - wenn man so will - "Anstößigkeit", wenn man - wie Sie es schildern - auf den Sachgrund der letzten Befristung schaut und hierbei stirnrunzelnd auf die Länge des bisherigen Kette guckt.

 

Befristete Arbeitsverträge sind nicht unendlich zu verlängern. Anders sieht die Sache aus, wird ein befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen, dieser ist beendet, der AN nicht mehr in einem Arbeitsvertrag steht. Nach einer Zeit, ein Monat dürfte da als Mindestzeit angesehen werden, wird ein neuer befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen, ist dieser Arbeitsvertrag nicht mit dem vorherigen Arbeitsvertrag zu konkludieren.

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