Hänsel darf Gretel nicht besuchen
von , veröffentlicht am 07.02.2012Der Mutter (Vater unbekannt) waren das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und Jugendhilfeleistungsantragsrecht für ihre Kinder Hänsel (11) und Gretel (9) im Jahr 2006 entzogen und dem Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden.
Gretel kam in eine Pflegfamilie, die Gretel (mit Zustimmung der Mutter) im Jahr 2010 adoptierte.
Hänsel lebt in einer therapeutischen Wohngruppe.
Ein Umgang zwischen den Geschwistern fand seit 2008 ebensowenig statt wie telefonischer, brieflicher oder sonstiger Kontakt.
Hänsel möchte Umgang mit seiner Schwester und wird dabei von seiner Mutter und dem Jugendamt unterstützt. Die Adoptiveltern Gretels sind dagegen.
Das OLG Dresden hat den Umgangswunsch Hänsels negativ beschieden.
Ein Umgangsrecht gemäß § 1685 I BGB besteht nicht, da gemäß § 1755 I 1 BGB durch die Adoption alle Verwandtschaftsverhältnisse zu der Herkunftsfamilie erlöschen. Hänsel ist rechtlich nicht mehr Gretels Bruder.
§ 1685 II BGB greift nicht ein, da Hänsel für seine leibliche Schwester nie „Verantwortung getragen“ hat.
Gegen ein Umgangsrecht sprechen nach Ansicht des Senats auch systematische Gründe. Das Umgangsrecht dürfe nicht in Widerspruch zu Sinn und Zeck der Adoption treten. Ziel der Volladoption sei die vollständige Eingliederung und Sozialisation des Kindes in der Adoptivfamilie.
Die Adoptionsentscheidung setzt eine umfassende Prüfung aller kindeswohlrelevanten Belange voraus. Dazu gehört auch die Frage der nicht mehr bestehenden oder u.U. erheblich eingeschränkten. Hier [In dem Adoptionsverfahren] ist der Ort für die sorgsame Abwägung, ob die Gründe des Kindeswohls, die für eine Adoption sprechen, ausnahmsweise die Trennung von Geschwistern mit allen tatsächlichen und rechtlichen Nachteilen rechtfertigen. Dabei sind auch die Folgen einer damit einhergehenden Einschränkung der Kontakte oder deren vorübergehende oder längerfristige Aussetzung zu bedenken. Wird die Adoption gleichwohl vollzogen, treten damit die umgangsrechtlichen Beschränkungen ein, die nicht durch ein parallel laufendes oder nachträgliches gesondertes umgangsrechtliches Verfahren im Grundsatz korrigiert werden können. Im Rahmen des Adoptionsverfahrens ist unter dem Gesichtspunkt der Erziehungseignung der Adoptiveltern zu prüfen, ob diese gegebenenfalls auch in der Lage sind, den Umgang mit der Herkunftsfamilie in verantwortbarer Weise zu regeln. Wurde die Erziehungseignung der Eltern - wie hier geschehen - bejaht, verlangt das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Interesse der Adoptiveltern und Gretel an einer möglichst ungestörten Entwicklung eines neuen familiären Bezugssystems unbedingt Beachtung. Dem hat der Gesetzgeber auch durch das Offenbarungs- und Ausforschungsverbot gemäß § 1758 Abs. 1 BGB Ausdruck verliehen.
OLG Dresden v. 12.10.2011 - 21 UF 581/11
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20 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenTilman kommentiert am Permanenter Link
Volltext findet sich auf dem Link unten auf dieser Seite:
http://www.justiz.sachsen.de/esamosweb/document.phtml?id=1006
Daraus ergibt sich auch noch etwas weiteres: eine "halboffene" Adoption gibt es im Streitfall nicht. Leider werden die Eltern wohl eher in Wikipedia als ins BGB schauen und erst viel später kapieren dass sie reingelegt wurden, so wie die Mutter in diesem Fall.
Untermann kommentiert am Permanenter Link
Juristisch "rechtens". Allerdings sollten die Richter den Geschwistern noch selbst erkären, wieso sie plötzlich mit einer Unterschrift keine Geschwister mehr, sondern Fremde geworden sind. Was der Herr BGB tut, wieso die vielen Leute in den komischen Kleidern immer mit ihm reden obwohl er nicht persönlich da ist und alle meinen, es wäre ganz schlimm wenn (Ex-?) Bruder und Schwester hallo zueinander sagen.
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
@ Tilmann
Warum meinen Sie, die Mutter sei "reingelegt" worden?
Hard kommentiert am Permanenter Link
Leider ist dieses Urteil rechtlich richtig aber menschlich falsch. Das Kind wurde reingelegt, denn es konnte sich nicht wehren gegen die Zustimmung der Mutter, es konnte auch den Umfang der Entscheidung nicht erahnen. Das Adoptionsrecht missachtet aus meiner Sicht die Rechte des Kindes, erst ab der volljährigkeit dürfte mit zustimmung des Kindes ein komplettes rechtliches lossagen möglich sein.
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
Zur Einwilligung des Kindes bei einer Adoption siehe § 1746 BGB:
Ein Kind, das mind. 14 und nicht geschäftsunfähig ist, kann nur selbst einwilligen.
Für jüngere Kinder erteilt der gesetzliche Vertreter (ggf. Vormund, Pfleger) die Einwilligung.
Also vollständie Abschaffung der Minderjährigenadoption?
Tilman kommentiert am Permanenter Link
Laut Urteil:
"Hiergegen wendet sich die leibliche Mutter mit ihrer Beschwerde. Die Adoptiveltern hätten getroffene Vereinbarungen gemäß einer halboffenen Adoption nicht eingehalten."
Nun stellt sich heraus, dass die "Vereinbarung", mit der die Mutter sicher stellen wollte dass die Geschwister nicht auseinandergerissen werden, in Wirklichkeit wertlos ist, wegen §1755 BGB.
Zwar könnte die Mutter (bzw. der Sohn) weiter klagen bis zum EGMR um §1755 BGB zu kippen, aber das kann dauern (Bei Görgülü dauerte es 7 Jahre).
Falbala146 kommentiert am Permanenter Link
Aus der Entscheidung ergeben sich aber auch noch andere Details, nämlich dass die Geschwister ohnehin nicht länger als eineinhalb Jahre ihres Lebens gemeinsam verbracht haben und dass der Bruder gegenüber der Schwester ein unangemessenes Verhalten gezeigt haben soll.
Wie man es dreht und wendet, es ist wohl wieder einmal einer der Fälle, wo ein Gericht - egal wie es entscheidet - auch nicht mehr retten kann, was die Eltern vorher im Leben der Kinder versaut haben.
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
Im Fall Görgülü haben der EGMR und das BVerfG keine Vorschriften des BGB "gekippt", sondern krasse Fehlentscheidungen des OLG Naumburg aufgehoben.
Tilman kommentiert am Permanenter Link
Meine Bemerkung bezog sich auf die Dauer des Verfahrens, um Recht zu bekommen. Wobei bei Görgülü die "krasse Fehlentscheidung" nicht nur beim OLG sondern auch beim BVerfG war.
Hard kommentiert am Permanenter Link
Hallo Herr Hans-Otto Burschel, ein 14 jähriges Kind kann die Konsequentz noch garnicht ermessen die sich daraus ergibt. Im Strafrecht gillt sogar meist für einen über 18 jährigen das er oft noch unreif ist. Ich will keine vollständie Abschaffung der Minderjährigenadoption, sondern eine Änderung des Adoptionsverfahrens und deren Auswirkungen, es gibt doch nicht nur Schwarz und Weiss. Was spreche dagegen das bestimmte Auswirkungen erst nach einer Frist ab der volljährigkeit des Adoptierten Kindes wirksam weden. Hier z.B. die vollständige rechtliche loslösung von den leiblichen Geschwistern.
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
Dagegen spricht, dass es ein "bisschen schwanger" nicht gibt. Entweder das minderjährige Kind wird mit allen Konsequenzen adoptiert und damit das Kind nur seiner Adoptiveletrn - oder eben nicht. Und das ist gut so. Die ansonsten auftretenden Loyalitätskonflikte sind für das Kind (und alle übrigen Beteiligten) unerträglich.
Für Erwachsene gibt es die Adoption mit schwächeren Wirkungen (vgl. §§ 1767 ff BGB)
Hard kommentiert am Permanenter Link
Eine Adoption ist wohl kaum mit einer Schwangerschaft zu vergleichen.
Diese Argumentation " entweder so oder so" erwartet man ehr von einem störrischen Jugendlichen :-)
Warum sollte ein Kind in einen Loyalitätskonflikt geraten, wenn die Adoptiveltern wissen das die Bande nicht vollkommen durchschnitten sind, also das Kind nicht seinen "Besitzer" wechselt. Ihre Argumentation zielt lediglich auf ein Weltbild in dem ein Kind nur maximal zwei Eltern haben kann.
Das ist zur Zeit in Deutschland auch nur rechtlich möglich, aber es ist eben nur eine Frage der Gesetze. Die Gesellschaft entwickelt sich weiter und Gesetze und Rechtsprechung müssen es auch ansonsten kollidieren Gesellschaft und Justiz irgendwann zu sehr. Loyalitätskonflikte sind individuell und entstehen nicht aufgrund einer Adoption in der z.B. Geschwister noch Kontakt haben (offene Adoption). Vielmehr kann ein Kontakt Loyalitätskonflikte durchaus senken und entschärfen. In dem hier beschriebenen Fall kann das Adoptierte Kind Loyalitätskonflikte haben weil es weis das die Adoptiveltern den Umgang nicht wollen. Das ist natürlich genauso spekulativ wie ihre Aussage das ansonsten auf jeden Fall Loyalitätskonflikte auftreten werden da das Gericht diese Möglichkeit gar nicht erst untersucht hat.
sic! kommentiert am Permanenter Link
Bissel sehr abwegig gedacht, aber wäre durch den Umweg der Adoption die Heirat von (früheren) Geschwistern möglich?
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
@sic!
§ 1307 BGB
sic! kommentiert am Permanenter Link
Danke.
Wobei ich das dann schon als etwas zwiespältig empfinde, daß man in manchen Sonderfällen (so berechtigt sie auch sein mögen), an der Geschwisterrolle auch nach der Adoption festhält, in anderen hingegen die rechtliche Aufhebung für endgültig erklärt.
Zumindestens aus der Sicht des nicht adoptierten Geschwisterkindes. Auch wenn im vorliegenden Fall der Umgang nicht gegeben war, kann ich mir durchaus vorstellen, daß dies je nach den Umständen auch dem Alter der Kinder geschuldet sein könnte, und das ein Interesse am Kontakt erst später erwächst (Geschwister können das sicher eher verstehen, es gibt ja immer Phasen von 'lass mich in Ruhe' bzw 'beste Freunde' untereinander).
Und auch wenn man das Recht des einen Kindes auf Familienintegration und soziale Stabilität dadurch schützt, liegt es ja durchaus im Rahmen der Möglichkeit, das andere Kind damit (ungewollt) zu schädigen.
Stell ich mir schwer vor, sowas entscheiden zu müssen, auch wenn die Gesetzeslage klar sein sollte.
Apfel kommentiert am Permanenter Link
@Tilman
Wieso sollte das BVerfG oder der EGMR § 1755 BGB kippen?
Tilman kommentiert am Permanenter Link
@16: Weil offenbar das Kind durch die Adoption vorübergehend das Recht verliert, Kontakt zu seinen leiblichen Geschwistern zu haben, wie das Urteil zeigt. Für mich ist das eine Verletzung von §8 EMRK. Es wäre vielleicht anders anders wenn das Kind erst 3 Jahre alt wäre. Aber bei 9 und 11 Jahren ist das sehr grausam.
Hans-Otto Burschel kommentiert am Permanenter Link
@ Hard
aus dem Urteil des OLG Dresden (am Ende)
Richtig dürfte aber sein, dass im Alter von 14 - 15 kein Richter mehr einen Kontakt zwischen den Kindern wird verbieten und das Verbot wird durchsetzen können
Louis XVI kommentiert am Permanenter Link
Deutschland und seine Gerichte zeigen in diesem Fall ganz klar, dass sie seit 1945 nichts, aber auch rein gar nichts gelernt haben. Wenn man sich zumutet einige Gerichtsurteile zu lesen, glaubt man wirklich, dass Irre als Richter, die sich heute noch als die Herrenmenschen auführen, bevorzugt werden. Leider bleibt einem oftmals nichts anderes übrig als bis zum EGMR zu gehen, wo Deutschland schon fast Grundsätzlich, wegen Menschrechtsverletzung verurteilt wird, wie im Falle Görgülü, bei dem das JA und das OLG Nauenburg offensichtlich nicht nur Kinder- und Väterdiskriminierend, sondern auch noch rassistische Gründe zur Rechtsbeugung hatte, oder der Fall Zaunegger.
Deutschland ist ein Kinderfeindliches Land und das wurde dieses Mal wieder durch einen selbstherrlichen Richter, ganz deutlioch zur Schau gestellt.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Ja, das hat Norbert Blüm in seinem Artikel in der "Zeit" (Berufsbedingt überheblich) http://www.zeit.de/2013/27/richter-kritik-justiz ja auch schon sehr schön verdeutlicht:
"Am weitesten fortgeschritten ist die Aufweichung des Rechts hin zum flexiblen Konfliktmanagement an den Familiengerichten. Wenn es um Scheidung oder Sorgerecht geht, wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Den Richter interessiert das wenig. "
"Dafür mag es auch Gründe in der Richterqualifikation geben. "Familienrichter haben eine hochgradig jämmerliche Ausbildung. DasFamilienrecht spielt weder im Studium noch in der Referendarzeit eine große Rolle, geschweige denn, dass es eine spezielle Ausbildung oder verpflichtende Fortbildung für angehende Familienrichter gäbe.""
"Der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofes Günter Hirsch verstieg sich zu der Feststellung, dass es bei der gesetzesauslegenden Urteilsfindung nicht darum gehe, "was der Gesetzgeber – wer immer das sein mag – beim Erlass eines Gesetzes ›gedacht hat‹, sondern was er vernünftigerweise gedacht haben sollte.
"Der Richter ist also eine Gouvernante, die es besser weiß als das Parlament. Lässt sich die Selbstüberschätzung höher treiben? Auf diese Weise wird die Unabhängigkeit zu einer Ungebundenheit vom Recht, die Recht nicht auslegt, sondern schafft. "
"Kann es sein, dass solche Skurrilitäten mehr sind als nur Marotten? Dass sie symptomatisch sind für eine amtgemachte Überheblichkeit, die Richter vergessen lässt, dass sie ihre Urteile im Namen des Volkes fällen? Eine gewisse sprachliche Nähe zu ihrem Arbeitgeber, nämlich dem Volk, sollte dieses erwarten können, inklusive alltagsverträglicher Umgangsformen. Die Verwechslung von Unabhängigkeit mit Rechtfertigungsfreiheit befördert eine strukturelle Enthobenheit des Richteramtes. Diese Entrücktheit führt zum Gegenteil dessen, was mit den Richterprivilegien beabsichtigt war: Sie beschädigt nicht nur die Rechtspflege, sondern auch die Gewaltenteilung."
Deutlicher kann man die Wahrheit kaum sagen.
Die Hybris, über dem Gesetz zu stehen drückt sich auch in dem Unwillen aus, die Sorgerechtsreform von diesem Jahr zu akzeptieren. Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem ein Familienrichter bisher im schriftlichen Verfahren einem Vater das GSR zugewiesen hätte aber zig Fälle, in dem eine mündliche Verhandlung einberufen wurde, inklusive Einbindung des JA. Im direkten Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes und gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.
Deutlicher kann man nicht zeigen, dass die Richter sich über dem Gesetz stehend sehen.