Die Scharia in Deutschland

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 21.02.2012
Rechtsgebiete: Familienrecht9|8848 Aufrufe

 

Das islamische Recht der Scharia darf in Deutschland niemals zur Anwendung kommen“, tönte es dem rheinland-pfälzischen Justizminister Hartloff entgegen, nachdem dieser geäußert hatte, bei Streitigkeiten über Geld, Scheidungen und Erbsachen halte er Scharia-Gerichte in Form von Schiedsgerichten für möglich.

 

Die Kritiker übersehen, dass im Familien- und Erbrecht das Recht der Scharia schon heute zur Anwendung kommen kann - und dies schon lange.

 

Sowohl die Voraussetzungen der Eheschließung (Art. 13 I EGBGB) als auch die Scheidung (Art. 14 I Nr. 1, 17 I EGBGB) richten sich (vorbehaltlich eventueller Weiter- oder Rückverweisungen) in erster Linie nach dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören oder zuletzt angehörten, wenn einer von ihnen diesem Staat noch angehört.

 

Lassen sich zwei Iraner in Deutschland scheiden, so ist auf die Scheidung grundsätzlich die iranische Scharia anzuwenden.

 

Die Grenze setzt Art. 6 EGBGB (Ordre public)

 

Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

Die in der Scharia vieler Länder vorgesehene Ungleichbehandlung nach Geschlecht und Religionszugehörigkeit erfordert die Prüfung einer möglichen Grundrechtsverletzung im Rahmen des Ordre-public Vorbehalts. Beispielsweise steht den Frauen nach islamischem Verständnis nur selten ein Scheidungsantragsrecht zu, während dem Mann weitestgehende Freiheit in der Form der Verstossung (Talaq) zugebilligt wird.

Auch die islamische Vorschrift, wonach bei Scheidung dem Mann automatisch das Sorgerecht zusteht, verstösst gegen den Ordre public und ist daher nicht anzuwenden.

PS: Die Türkei hat bereits 1926 die Scharia vollständig abgeschafft und ein auf schweizerischem Recht basierendes Zivilrecht eingeführt.

 

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9 Kommentare

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Hopper schrieb:

Auch die islamische Vorschrift, wonach bei Scheidung dem Mann automatisch das Sorgerecht zusteht

 

Das ist so nicht richtig. Das kann der (obligatorische) Ehevertrag auch anders regeln. Zudem bleiben die Kinder bis zu einer Altersgrenze in der Obhut der Mutter. Dem steht der vom Rechtswesen in Deutschland kaugummiartig verbogene und oft missbrauchte Kindeswohlbegriff gegenüber. Was für eine Wahl...

 

Man muss übrigens überhaupt nicht irgendwelche Familienrechtsordnungen mit Turban auffahren, um gegen "ordre public" zu verstossen. Das passiert bereits innerhalb Europas im Familienrecht. Einige Rechtsordnungen kennen keinen Ehegattenunterhalt (z.B. Norwegen), auch nicht im Fall der Bedürftigkeit und ehelichen Kleinkindern.

Könnten Sie mir als Laien bitte erklären, wieso automatisches Sorgerecht für den Vater gegen den Ordre Public verstößt, für die Mutter aber nicht?

An den Grundrechten kann es ja wohl nicht liegen.

Offenbar unterscheidet sich das deutsche Familienrecht ja nur im Vorzeichen von der Scharia.

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A.Wieser schrieb:

Könnten Sie mir als Laien bitte erklären, wieso automatisches Sorgerecht für den Vater gegen den Ordre Public verstößt, für die Mutter aber nicht?

Sie wollen offensichtlich bewusst missverstehen.

Ein automatisches Sorgerecht für die Mutter nach Scheidung gibt es in D nicht - und das wissen Sie auch.

Für die nichtehelichen Kinder hat das BVerfG die bisherige Regelung für verfassungswidrig erklärt. Eine Neuregelung steht noch aus. Für die Übergangszeit lesen Sie bitte in der Entscheidung des BVerfG nach.

Bei Hartloff geht es aber gar nicht um die Scharia als ggf. kollisionsrechtlich zur Entscheidung berufenes Sachrecht, sondern um "Scharia-Gerichte" (also z.B. durch islamische Geistliche oder Gemeindeälteste) als zur Entscheidung berufene Spruchkörper. Wenn Sie dazu etwas schreiben wollen, müssen Sie deshalb nicht ins EGBGB (= IPR) schauen, sondern vor allem in die §§ 1025 ff. ZPO (insbesondere zur Schiedsfähigkeit bestimmter familienrechtlicher Streitgegenstände).

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Hochinteressant!

Gibt es an jedem Amtsgericht Fachleute für die über 200 Rechtssysteme auf der Welt?

Gilt auch die ausländische Gebührenordnung?

Gilt das auch für die beispielhaft genannten Iraner, die nach dt. Recht verheiratet wurden?

Und letzte Nachfrage:

Gibt es nicht einen Zustimmungsvorbehalt der Parteien zur Anwendung des ausländischen Rechts oder kann jede Partei zur Anwendung des ausländischen Rechts, bspw. der Sharia, gezwungen werden?

 

 

 

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Gibt es an jedem Amtsgericht Fachleute für die über 200 Rechtssysteme auf der Welt?

Gilt auch die ausländische Gebührenordnung?

Gilt das auch für die beispielhaft genannten Iraner, die nach dt. Recht verheiratet wurden?

Gibt es nicht einen Zustimmungsvorbehalt der Parteien zur Anwendung des ausländischen Rechts oder kann jede Partei zur Anwendung des ausländischen Rechts, bspw. der Sharia, gezwungen werden?

Ich bin's nochmal ;-).

Vielleicht auch interessant zur "Grundbildung"/Horizonterweiterung bei wachsendem Anteil von bi- bzw. multikulturellen Familienrechtsangelegenheiten:

(auch von kleinen Gerichten leicht zugänglich ;-) )

 

Das Eheverständnis im Islam und in ausgewählten islamischen Ländern

Yassari, N. (2011). Das Eheverständnis im Islam und in ausgewählten islamischen Ländern. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 1-3.

 

MfG

 

 

 

 

 

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