Die Neustrukturierung der Jugendschutzaufsicht in den neuen Medien durch die Landesmedienanstalten – rechtswidrig und rückwärtsgewandt

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 18.04.2012

Nach § 35 Abs. 7 RStV haben die Landesmedienanstalten für die Organe der ZAK, GVK, KEK und der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) „eine gemeinsame Geschäftsstelle“ zu bilden. Für die KJM-Geschäftsstelle hat dies bis zum 1. September 2013 zu erfolgen. Bis dahin darf die Geschäftsstelle in Erfurt bleiben.

Die Landesmedienanstalten gehen in ihren Beschlüssen nun über eine bloße Verlegung der organisatorisch tätigen Geschäftsstelle von Erfurt nach Berlin zum September 2012 weit hinaus. Die Regelung des § 35 Abs. 7 RStV wird namentlich als Vehikel für eine weitaus tiefgreifendere Neustrukturierung  der Jugendschutzaufsicht im Bereich Rundfunk und Telemedien genutzt.

Bislang war unumstritten, dass die KJM und ihr organisatorischer Unterbau – namentlich die KJM-Stabsstelle und die KJM-Prüfgruppen – die angebotsinhaltliche Prüfung von Rundfunksendungen und Telemedien als Kernaufgaben der Jugendschutzaufsicht für die Landesmedienanstalten gemäß ihrer gesetzlichen Organstellung eigenständig durchführen. Außerhalb dieser Organisationstruktur der KJM werden daher bislang keine Jugendschutzaufgaben insbesondere angebotsinhaltlich-wertender Art durch Landesmedienanstalten wahrgenommen.

Nunmehr wollen die Landesmedienanstalten indes die KJM-Stabstelle abschaffen und die „inhaltliche Arbeit“ weitgehend den einzelnen Landesmedienanstalten übertragen. Dies ergibt sich freilich aus der insoweit sehr vage formulierten Pressemitteilung der Landesmedienanstalten vom 22.3.2012 nicht. Dort heißt es lediglich: „Die neue Struktur ist das Ergebnis einer gelungenen Selbstorganisation föderaler Zusammenarbeit, die die Gemeinschaft stärkt und gleichzeitig die Zuständigkeiten in den Ländern wahrt“ sowie: „Sie stärkt auch die Stimme der Medienanstalten angesichts anstehender Herausforderungen, wenn Regulierungsentscheidungen zunehmend auf nationaler und europäischer Ebene getroffen werden und wichtige Medienunternehmen ihre Dienste und Inhalte im Internet grenzüberschreitend anbieten.“

Erhellend ist demgegenüber der bislang unveröffentlichte Entwurf eines Beschlusses der Gesamtkonferenz (GK) als Zusammenschluss von Direktorenkonferenz (DLM) und Gremienvorsitzenden-Konferenz der Landesmedienanstalten. Danach ist als „unstrittig“ vorgesehen, dass „die inhaltliche Arbeit, insbesondere die einzelnen Prüfverfahren, durch die Landesmedienanstalten durchgeführt werden“. Weiterhin wird in dem GK-Beschluss-Entwurf ausdrücklich die „Auflösung“ der KJM-Stabsstelle statuiert sowie ein „stärkeres Aufgabenvolumen“ der Landesmedienanstalten. Die künftige KJM-Geschäftsstelle soll hingegen lediglich organisatorische Aufgaben wahrnehmen. Wie dies mit den gesetzlichen Vorgaben der §§ 14 bis 16 JMStV zu vereinbaren sein soll, welche die angebotsinhaltliche Prüfkompetenz zur Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen ausschließlich der KJM und ihrer nachgeordneten Organisation zuordnet und gerade nicht den Landesmedienanstalten, wird in dem Beschlussentwurf nicht erläutert.

Bei genauer Prüfung der gesetzlichen Vorgaben des JMStV und mit Blick auf die in der Rechtsprechung zur Medienaufsicht im Jugendschutz statuierten Grundsätze ist indes die geplante Neustrukturierung der Aufgaben im Jugendmedienschutz nach dem Entwurf eines Beschlusses der Gesamtkonferenz (GK) unter mehreren Gesichtspunkten als rechtswidrig anzusehen bzw. würde im Falle der Umsetzung zur Rechtswidrigkeit aller hieraufhin ergangener Jugendschutzentscheidungen führen. Der Autor wird hierzu in der Fachzeitschrift  Multimedia und Recht in einer der kommenden Ausgaben einen ausführlichen Fachbeitrag veröffentlichen (voraussichtlich MMR 06/2012).

Dem geplanten Aufsichtsmodell der Gesamtkonferenz (GK) einer weitgehenden Überantwortung „inhaltlicher Arbeit“ an die einzelnen Landesmedienanstalten steht im Übrigen auch der Wille der Gesetzgeber der Jugendschutzreform 2003 diametral entgegen, wonach zersplitterte Aufsichtsstrukturen gerade überwunden werden sollten, um eine homogene Spruchpraxis im Jugendschutz zu gewährleisten. Dies ist auch Grundlage der vom Bund im Rahmen des Eckpunktepapiers 2002 zugebilligten Überantwortung des Regulierungsbereichs der Teledienste an die Bundesländer.

Schließlich erscheint es auch nicht sachgerecht, die derzeit homogenen Strukturen der Aufsicht zu zerschlagen und – entsprechend dem Modell vor 2003 – zu einer dezentralen Aufgabenerledigung durch einzelne Landesmedienanstalten zurückzukehren. Sollte es künftig jede Anstalt selbst in der Hand haben, ob sie gegen Anbieter ihres Zuständigkeitsbereichs bei dem Verdacht von Jugendschutzverstößen vorgehen will und nur nach eigenem Gutdünken der Landesanstalt eine Weiterleitung ins KJM-Plenum erfolgen sollte, wäre das in der Kommentarliteratur vor dem Hintergrund des im Medienmarkt bereits befürchteten „race to the bottom“ im Jugendschutz eröffnet (vgl. Held/Schulz in Hahn/Vesting, § 14 JMStV Rn. 32).

Meines Erachtens wäre es demgegenüber rechtskonform und auch sachgerechter gewesen, wenn sich die Landesmedienanstalten an dem Wortlaut des § 35 Abs. 7 RStV und mithin an die gesetzlichen Vorgaben gehalten hätten: Hiernach ist nur die organisatorisch tätige Geschäftsstelle in Erfurt zu verlegen. Keinesfalls aber sollte der KJM der organisatorische Unterbau der KJM-Stabsstelle weggeschlagen werden, welche seit 2003 gemäß §§ 14 bis 16 JMStV die angebotsinhaltliche Prüfkompetenz und -zuständigkeit der KJM gewährleistet.

Sollten nun künftig die Landesmedienanstalten ohne Zuständigkeit angebotsinhaltliche Prüfungen vornehmen oder auch nur Beschlussvorlagen für das KJM-Plenum im schriftlichen Verfahren vorbereiten, kann man nur jedem Rundfunk- und Internetanbieter raten, gegen jede hieraufhin ergangene Jugendschutzmaßnahme (z.B. Beanstandung, Bußgeldbescheid) aufgrund formeller Rechtswidrigkeit zu klagen.

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