Buback-Mordprozess - Verena Becker will aussagen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 04.05.2012

Die Strafverteidiger von Verena Becker haben heute angekündigt, ihre Mandantin werde sich am 14. Mai "umfassend zur Sache äußern" (Quelle Focus, Auszug)

Becker werde etwa 15 bis 20 Minuten lang sprechen. „Sie kann einige Sachen so nicht stehenlassen“, sagte der andere Verteidiger Hans Wolfgang Euler außerhalb des Verhandlungssaals. Becker werde sich „umfassend zur Sache äußern. Sie wird sich nicht verstecken“. Auf die Frage, was Becker sagen werde, antwortete Euler: „Sie wird sagen: ja oder nein.“

 

Ob dies "eine sensationelle Wende" (Focus) im Prozess auslösen wird, erscheint mir allerdings fraglich. Gisela Friedrichsen auf SPON - zollt ihr jedenfalls schon einmal vorab "Respekt" (!?) - wofür eigentlich jetzt schon?

Also erst einmal abwarten. Eine Sensation wäre es wohl tatsächlich, wenn Becker gestehen würde, die Schützin gewesen zu sein, wie Michael Buback vermutet. Denn es gibt zwar einige Indizien (zierliche Person als Schütze/Tatwaffe bei ihr gefunden/vorhandene Motorradfahrkünste), aber keine Beweise, geschuldet v.a. der damaligen fragwürdigen Ermittlungsarbeit, merkwürdigen Lücken in den Akten, zudem Geheimhaltung der Verfassungsschutzaufzeichnungen auch noch nach 35 Jahren). Und die Bundesanwaltschaft machte in der Hauptverhandlung nicht unbedingt den Eindruck, als sei ihr, die man zum Jagen tragen musste, eine Verurteilung Beckers ein besonderes Anliegen. Auch für die ihr in der Anklage vorgeworfenen Tatbeiträge (Auskundschaften des Tatortes, Versenden der Bekennerbriefe, psychische Hilfeleistung) gibt es wohl nicht allzu viel Verwertbares (immerhin aber DNA am Briefumschlag).

Es erscheint ebenfalls relativ unwahrscheinlich, dass Frau Becker konkrete andere Personen aus der RAF nennt, die auf dem Motorrad saßen.

Schließlich ebenfalls unwahrscheinlich ist, dass sie vollständig darüber Auskunft gibt, wie ihre Zusammenarbeit mit dem VS aussah.

Aber dass sie aussagt, wo sie selbst sich am 7. April 1977 aufgehalten hat und dass sie über ihre Rolle in der RAF Auskunft gibt und dabei insbesondere den Angaben Boocks widerspricht, lässt sich vermuten. Ob man ihr dann glaubt, ist eine andere Frage. Michael Buback hat sich mehrfach dahingehend geäußert, dass es ihm nicht darum geht, Frau Becker erneut in den Strafvollzug zu bringen. Wenn sie ein nachweisbares Alibi hat für den Tattag, dann wäre der Prozess aus seiner Sicht wohl zu Ende. Ob sie Briefe zugeklebt hat, interessiert ihn nicht. Die Frage, wer seinen Vater erschossen hat, bliebe dann trotzdem offen.

Vgl. auch:

diesen Beitrag im Beck-Blog

Kommentar von Armin Conrad (3sat)

Kommentar von Holger Schmidt (swr)

 

 

 

 

 

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3 Kommentare

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Juristisch interessiert mich dieser Fall überhaupt nicht.

 

Roland Barthes hat 1957 in "Mythen des Alltags" Phänomene wie analysiert wie die Berichterstattung über die Tour de France, den Bauern und Intellektuellen in einer Nation einigenden Blut-Mythos beim Verzehr des Entrecôte, den neuen Citroën oder Zeitschriften "für die moderne Frau". Hätten wir nur einen heutigen Roland Barthes, der strukturalistisch oder poststrukturalistisch das Ritual der medialen und juristischen Terrorbewältigung deutete - "thirtyfive years after"! Bilder von der in Karlsruhe weltberühmten Straßenkreuzung mit Mercedes; Bilder von der schönen Gudrun Ensslin, deren ewig junges Bild als Popstar-Poster eingeblendet wird, auch wenn es gar nicht um sie geht, sondern um andere Damen und Herren, zumal solche im Rentenalter, die heute wegen der Zugluft nicht mehr als Sozii auf Motorrädern sitzen; Bilder vom Fahrer Wurst. Bilder, Bilder, Bilder. Und dann der Sohn, der von seinem toten Vater spricht. Wie sagte Woyceck beim Anblick von Mustern in Flechten, die er auf bemoostem Boden betrachtet: "Wer das lesen könnt!"   

 

Eben hörte ich ein Deutschlandfunk ein Interview mit einem der vielen Terrorismusexperten, die wir haben. Auch das ein Teil des Rituals: Es tritt ein Terrorismusexperte auf. Und dann tritt noch ein Terrorismusexperte auf. Dieser hier sagte: man weiß nicht, was sie sagen wird, warten wir's ab, es wäre überraschend, wenn sie A sagen würde, es kann aber auch sein, dass sie B sagen wird. Vielleicht aber nur C. Es ist freilich zu früh, denn noch hat sie ja nichts gesagt, wie bisher fast alle RAF-Leute, die führenden jedenfalls, es könnte also sein, dass ein Schweigegelübte gebrochen wird, wenn sie aussagt, wenn es ein solches Schweigegelübde gegeben haben sollte usw. usw.

 

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Sehr geehrte/r Herr/Frau Notker,

tja, was ist juristisch "interessant" an diesem Diskurs?  Die für mich nach wie vor auch juristisch "interessante" Fragestellung ist diejenige nach der geheimdienstlichen Arbeit im Rechtsstaat: Der Strafprozess verlangt nach Transparenz, hat Transparenz als Legitimationsgrundlage einer Verurteilung und dem widerspricht diametral die Logik der Geheimdienste (war damals Thema meiner Diss.)  - auch nach 35 Jahren noch, wie wir sehen.

Und die (vermeintlichen oder tatsächlichen?) Fehler der Ermittlungsbehörden und  Geheimdienste im Umgang mit dem Terrorismus wiederholen sich offenkundig.

Der Prozess hätte etwas beitragen können und hat dann auch etwas beigetragen dazu, dem Publikum die Augen zu öffnen. Und was Sie zu den Spekulationen über Frau Beckers Äußerungen schreiben, da gebe ich Ihnen - obwohl von Ihrer Kritik betroffen -  völlig Recht, ebenso zu den "Mythen des Alltags", zu denen die RAF gehört, einschließlich Verkauf von Faksimile-Fahndungsplakaten im amerikanischen Versandhandel.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

In der Tat, es wäre eine Sensation, wenn Verena Becker ihr Wissen zum Mord an Generalbundesanwalt Buback und seinen beiden Begleitern offenbaren würde. So wichtig eine solche Aussage wäre, ich glaube nicht, dass sie als erste das Schweigegelübde des harten Kerns der RAF brechen wird. Vermutlich wird sie aus ihrer Sicht einiges "klarstellen", aber ein Geständnis erwarte ich nicht.

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