Whistleblowing – Was ist eigentlich aus dem Fall Heinisch geworden?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 28.05.2012

 

Der Rechtsstreit machte bundesweit Schlagzeilen und führte bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Der Berliner Klinikkonzern Vivantes hatte der Altenpflegerin Brigitte Heinisch die fristlose Kündigung präsentiert, weil sie den Klinikbetreiber im Jahr 2004 wegen Pflegemissständen in einem Altenheim bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hatte: Das Unternehmen habe zu wenig Personal und sei deshalb nicht in der Lage, die Heimbewohner ausreichend zu versorgen. Frau Heinisch war danach fristlos entlassen worden. Gegen das die Kündigung bestätigende Urteil des BAG legte Frau Heinisch Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Die EGMR-Richter (Urteil vom 21.7.2011, NZA 2011, 1269) stellten sich auf ihre Seite: Sie gelangten zu dem Ergebnis, dass die deutschen Gerichte keinen angemessenen Ausgleich herbeigeführt hätten zwischen der Notwendigkeit, den Ruf des Arbeitgebers zu schützen, und derjenigen, Frau Heinischs Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu schützen. Folglich liege eine Verletzung von Art. 10 EMRK vor. Frau Heinisch wurde eine Entschädigung von insgesamt 15.000 Euro zugesprochen. Nach ihrem Sieg vor dem EGMR konnte Frau Heinisch die Wiederaufnahme ihres Verfahrens in Deutschland beantragen. Ihr Fall landete wieder beim LAG Berlin-Brandenburg. Vor dem LAG schlossen die Parteien jetzt einen Vergleich. Die unbequeme Mitarbeiterin endgültig loszuwerden, kostet Vivantes einem Gerichtssprecher zufolge 90.000 Euro. Heinisch erhält diese Abfindung und akzeptiert im Gegenzug die ordentliche Kündigung (Az.: 25 Sa 2138/11).

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3 Kommentare

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Der eigentliche Skandal ist doch die Einstellung der durch die Strafanzeige ausgelösten Verfahren angesichts der Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers, der darum gerade nicht den vom BAG angesprochenen Sonderfall "wenn - wie hier - ein selbst nicht rechtswidrig und vorsätzlich handelnder Arbeitgeber betroffen ist" für sich in Anspruch nehmen kann, sondern wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt gehört.

Eine andere Frage: wenn der MDK als Kontrollinstanz keine Informationen über den Zustand in den Heimen weitergeben darf, aber auch offensichtlich keine Sanktionsmöglichkeit hat oder sie nicht durchsetzt (man schaue sich die Berichte über die Vivantes GmbH an, in denen regelmläßig von erheblichen Mängeln die Rede ist), macht er sich dann bei durch diese Mängel bedingten Todesfälle (Infektion durch Wundliegen, falsche Medikamentengabe usw.) dann nicht strafbar wegen Totschlags durch Unterlassen (der Heimbetreiber ja sowieso)?

Und: was sagt dieses Verfahren über die "Qualität" der Richter an LAGs aus?

Die grundlegende Frage ist doch, ob wir zulassen wollen, dass Unternehmen, die aus Profitgier betrügen, mißhandeln, .... , vor Arbeitnehmern, die in unser aller Interesse dagegen vorgehen wollen, vom Gesetz geschützt werden sollen.

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