Mein lieber Polizist - was Sie hier machen erinnert mich an SS-Methoden...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.06.2012

...so oder ähnlich unanständig hatte sich der spätere Angeklagte geäußert. Strafbar war`s aber nicht:

 

I.

Das Amtsgericht Kassel hat den Angeklagten mit Urteil vom 12. Juli 2011 wegen Beleidigung schuldig gesprochen, ihn verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 10,- vorbehalten. Nach den Feststellungen des Urteils wurde der Angeklagte am ...12.2010 durch Beamte der Bundespolizei im Regionalexpress auf der Strecke zwischen A und B angesprochen und darum gebeten sich auszuweisen. Dem lag zugrunde, dass aus Anlass von Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe gerichtet wurde. Der Angeklagte reagierte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Nachdem die Beamten ihm zu seinem Sitzplatz gefolgt waren und einer der Beamten nach seinem Rucksack griff, erklärte der Angeklagte, dass ihn das an etwas erinnere. Auf Nachfrage des Beamten, woran ihn das erinnere, erklärte der Angeklagte, das erinnere ihn an Methoden der SS, es erinnere ihn an die SS. Auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle, verneinte dieser. Der Beamte forderte ihn nun mit den Worten auf: dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin, woraufhin der Angeklagte entgegnete: Nein, das sage ich nicht.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Sprungrevision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Die Revision ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 335, 312, 341, 344, 345 StPO. Der Zulässigkeit der Sprungrevision steht nicht entgegen, dass die Berufung vorliegend der Annahme durch das Landgericht gemäß § 313 Abs. 1 StPO bedurft hätte (Senat, 2 Ss 290/02; BayObLG, StV 1993, 572; OLG Karlsruhe, StV 1994, 292; Kuckein in KK, StPO, 6. Auflage, § 335 Rn. 16; a. A.: Meyer-Goßner, 54. Auflage, § 335 Rn. 21)

Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Überprüfung im Schuldspruch nicht stand.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer ausführlichen Stellungnahme vom 14. März 2012 ausgeführt hat, hat das Amtsgericht das rechtsfehlerfrei festgestellte Geschehen zwar zutreffend als Beleidigung i. S. d. § 185 StGB eingeordnet. Die Beurteilung, inwieweit eine Äußerung einen Angriff auf die Ehre des Betroffenen darstellt, ist nicht ausschließlich nach dem Wortlaut, sondern nach dem Sinn der Äußerung vorzunehmen, wobei eine objektive Bewertung aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums stattzufinden hat (BVerfG, NJW 2009, 3016 - Ls. 3b). Nach diesem Maßstab konnte die Äußerung des Angeklagten, dies erinnere ihn an SS-Methoden nur so verstanden werden, als vergleiche er deren Vorgehen mit den Methoden im NS-Staat und rücke daher auch die handelnden Polizeibeamten selbst in die Nähe von SS-Mitgliedern (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2815 - Gestapo-Methoden).

Jedoch kommt dem Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zugute. Denn die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Ehrschutzes einerseits und des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG führt im vorliegenden Fall zu einem Überwiegen der Meinungsfreiheit. Nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts geht in Fällen, in denen sich die Äußerung als Kundgabe einer durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinung darstellt, die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor, und zwar auch dann, wenn starke, eindringliche und sinnfällige Schlagworte benutzt werden oder scharfe, polemisch formulierte und übersteigerte Äußerungen vorliegen, auch wenn die Kritik anders hätte ausfallen können (BVerfGE 54, 129, 138; BVerfG, NJW 1992, 2815; Senat, 2 Ss 282/05). Bei der Beurteilung der Schwere der Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist es von entscheidender Bedeutung, ob die verantwortlichen Beamten persönlich angegriffen werden oder ob sich die scharfe Kritik gegen die angewendete Maßnahme richtete und die Ehrverletzung sich erst mittelbar daraus ergab, dass die Kritik an der Maßnahme auch einen unausgesprochenen Vorwurf an die Verantwortlichen enthielt (BVerfG, NJW 1992, 2815) Eine solche mittelbare Beeinträchtigung der Ehre vermag im öffentlichen Meinungskampf regelmäßig geringeres Gewicht zu beanspruchen, wenn die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht (BVerfG, ebenda). Schließlich ist es mit der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit als Voraussetzung eines freien und offenen politischen Prozesses unvereinbar, wenn die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung im Wesentlichen danach beurteilt wird, ob die kritisierte Maßnahme der öffentlichen Gewalt rechtmäßig oder rechtswidrig war, da anderenfalls das von Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Recht, die geltenden Gesetze einer Kritik zu unterziehen, nicht mehr gewährleistet wäre (BVerfG, ebenda).

Nach diesen Maßstäben kann das Urteil des Amtsgerichts Kassel keinen Bestand haben. Insbesondere kommt es nicht maßgeblich darauf an, inwieweit die Personenkontrolle zur Identitätsfeststellung nach den Normen des BPolG rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete. Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.

Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung kann außer in Fällen der Formalbeleidigung zwar dann erreicht sein, wenn die Äußerung in ihrem objektiven Sinn und den konkreten Begleitumständen nach nicht mehr als ein Beitrag zur Auseinandersetzung in der Sache zu verstehen ist, sondern eine Diffamierung oder persönliche Herabsetzung der betroffenen Personen bezweckt wird, mithin eine Form der Schmähkritik vorliegt (BVerfGE 93, 266, BVerfG, NJW 2009, 3016). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Dies zeigt sich zum einen bereits in der deutlichen Distanzierung von einer persönlichen Herabsetzung auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle bzw. ob er ihn als Nazi bezeichnen wolle. Der Angeklagte hat dabei gezeigt, dass er deutlich zwischen der sachlichen Kritik am Vorgehen des Beamten und der persönlichen Diffamierung abzugrenzen vermag. Dass die mittelbar durch die Kritik an der Sache bewirkte Kritik an der Person das sachliche Anliegen in den Hintergrund drängen ließe, ist nicht ersichtlich.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatgerichtlicher Prüfung ist nicht erforderlich. Vielmehr kann der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden. Der Senat schließt aus, dass im Falle einer Zurückverweisung der Sache neue ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die zu einem Schuldspruch des Angeklagten führen.

 

 

OLG Frankfurt a. M.: Beschluss vom 20.03.2012 - 2 Ss 329/11    BeckRS 2012, 10981

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10 Kommentare

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Sie haben Recht - was die Zeichensetzung angeht. Den Fehler mache ich eigentlich immer auf der Tastatur. Damit müssen alle Blogleser leben. Ich bitte um Verzeihung! :-)

 

Was die Äußerung in der besprochenen Entscheidung an sich angeht, so habe ich dafür kein Verständnis....das OLG hat es dann ja auch als rechtsfehlerfrei angesehen, dass das AG hierin eine Beleidigung gesehen hat. Das OLG hat die Sache dann aber (einzelfallbezogen) über § 193 StGB gelöst.

 

 

Spätestens in der Nachfrage und Aufforderung des Bundespolizisten, ob er denn gleich als Nazi bezeichnet werden solle, ist erkennbar, dass sogar beim vermeintlichen Beleidungsopfer Unsicherheit darüber bestand, ob der Tatbestand erfüllt war. Er gab dem Angeklagten Gelegenheit, sich davon zu distanzieren - was dieser nutzte. Nicht dem Angeklagten angelastet werden kann, dass es sich bei dieser Nachfrage um kein ernsthaftes Angebot zur Schlichtung der Auseinandersetzung handelte, wie die spätere Anzeige belegt. Vielmehr wollte der Beamte einen beweissicheren Tatbestand künstlich herbeiführen und hätte sein Beschwerderecht bei jeder denkbaren Antwort ohnehin verwirkt.

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Ich bin mir nicht sicher, ob das OLG den Fall zutreffend gelöst hat. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Abwägung mit Art. 5 Abs. 1 GG, wenn es sich nicht um eine Formalbeleidigung handelt, schon auf der Tatbestandsebene vorzunehmen und nicht erst im Rahmen von § 193 StGB.

 

Bei der Äußerung, die Handlungen der Polizeibeamten erinnere ihn an SS-Methoden, handelt es sich unzweifelhaft um eine Meinungsäußerung, die man nicht ohne weiteres als Beleidigung im Sinne von § 185 StGB ansehen kann. Aber die Fachgerichte scheinen Art. 5 Abs. 1 GG noch nie verstanden zu haben, insbesondere wenn sich die vermeintliche Beleidigung gegen Organe des Staates richtet.

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Manche Angehörige der Exekutive und Judikative könnten mitunter den Eindruck erwecken, ein recht putineskes Grundrechtsverständnis zu haben. Nach meiner Wahrnehmung fühlen sich Angehörige der Polizei und Strafjustiz überdurchschnittlich häufig beleidigt oder stellen in Aussicht, sich eventuell beleidigt zu fühlen, wenn man es wagen sollte, mit kritischen Äußerungen fortzufahren.

 

Es sind in diesen Berufsgruppen im übrigen immer wieder dieselben, die sich beleidigt fühlen oder nach Auffassung ihres Dienstvorgesetzten beleidigt zu fühlen haben. Es hat sich sogar einmal ein Oberstaatsanwalt persönlich (!) beleidigt gefühlt, weil ich einen richterlichen (!) Beschluß, der auf dem Entwurf eines seiner Untergebenen (!) beruhte, als "rechtswidrig" gewertet habe (was die Beschwerdekammer im übrigen genauso gesehen hat). Wie man mit so wenig Rechtskenntnis und/oder Schamgefühl OStA werden kann, ist mir ein Rätsel.

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"Was die Äußerung in der besprochenen Entscheidung an sich angeht, so habe ich dafür kein Verständnis....das OLG hat es dann ja auch als rechtsfehlerfrei angesehen, dass das AG hierin eine Beleidigung gesehen hat. Das OLG hat die Sache dann aber (einzelfallbezogen) über § 193 StGBgelöst."

 

Man mag die Äußerung als überzogen empfinden (was sie ist). Dass sie aber angesichts der Drucksituation einer rassisch motivierten Personenkontrolle unanständig war, ist m. E. falsch. Als unanständig empfinde ich das Verhalten des Polizisten, der anstatt die Situation zu deeskalieren den Angeklagten zu Beleidigungen provozieren wollte.

Wenn schon eine hochproblematische Methode wie racial profiling verwendet wird, sollten die eingesetzten Beamte im Bewusstsein der diskriminierenden Wirkung der Maßnahme um Verständnis für diese werben und nicht sinnlos Straftaten provozieren.

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Sehr geehrter RA Jochen,

 

tatsächlich sollte man als Staatsanwalt oder Polizeibeamter nicht allzu dünnhäutig sein. Auf der anderen Seite sind wir kein Freiwild und möchten mit dem gleichen Respekt behandelt werden, den wir den Beschuldigten zollen (ich jedenfalls tue das). Nur weil ich für den Staat arbeite, muss ich mir nicht alles gefallen lassen...

Ich bin übrigens "nur" Staatsanwalt

Sehr geehrter Herr Patzak,

 

natürlich sollen Staatsbedienstete kein "Freiwild" sein. Formalbeleidigungen muß sich niemand gefallen lassen. Es entsteht aber mitunter der Eindruck, daß es die gesetzlich nicht normierte "Beamtenbeleidigung" eben doch gibt und sowohl die Verfolgungsbehörden als auch die Gerichte einen Unterschied zwischen der Beleidigung eines "Normalbürgers" und eines Beamten machen, insbesondere, wenn er der Polizei oder Strafjustiz angehört. Während erstere gerne einmal auf den Privatklageweg verwiesen werden, hat die "Beamtenbeleidigung" wesentlich häufiger einen Strafbefehl oder eine Anklage zur Folge. Unparteiische Strafverfolgung sieht für mich anders aus.

 

Kein Anlaß für Strafanzeigen sollten m.E. Ausdrücke sein, die der rechtsunkundige und/oder geistig minderbegüterte Bürger in der "Hitze des Gefechts" unbedacht äußert, z.B. der Vorwurf der Willkür, der Rechtsbeugung, der "Erpressung" oder die beliebten Nazivergleiche, ohne die ja kaum eine Auseinandersetzung mit staatlichen Behörden auszukommen scheint. Und die meisten Beamten überhören oder überblättern solche Vorwürfe ja auch, weil man sonst den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hätte, als Strafanzeigen zu verfassen.

 

Nicht verständlich ist für mich etwa, wenn ein Polizeibeamter, der gerade einen 3,5 Promille-"Kunden" versorgt, Strafanzeige erstattet, wenn jener irgend etwas von "Nazi-Schwein" lallt und dieser Unsinn dann auch noch in einer Anklage mündet. Wenn Anwälte so empfindlich wären, könnte man bei jeder Staatsanwaltschaft ein eigenes Dezernat "Anwaltsbeleidigung" aufmachen. Rechtliche Auseinandersetzungen gehen nun einmal häufig mit Emotionen einher und die intellektuelle Ausstattung vieler Verfahrensbeteiligter ist eher übersichtlich. 

 

Aber im vorliegenden Fall ging es ja um das Verhältnis von § 185 StGB und Art. 5 Abs. 1 GG.  Zum Grundrecht der Meinungsfreiheit liest man in Urteilen eher selten Ausführungen. Und wenn doch, sind sie meistens falsch. Weshalb ernsthaft noch Anklagen gefertigt werden und Verurteilungen ergehen, wenn ein Bürger - vielleicht auch mit drastischen Worten - schon formulierungstechnisch offensichtlich eine Meinung äußert ("Ich halte das für Rechtsbeugung", "Ich bin der Ansicht, das ist Willkür", "Ich fühlte mich an die Gestapo erinnert.", etc.), ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG nicht nachvollziehbar, zumal dann, wenn jede Auseinandersetzung mit Art. 5 Abs. 1 GG fehlt. Diese Versäumnisse wären eigentlich hinreichend Anlaß für weitere Schmähungen... ;-)

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Siehe zu einem ähnlichen Fall auch den Blog von RA Burhoff, RiOLG a.D.: http://blog.strafrecht-online.de/2012/06/der-oberstaatsanwalt-ist-ein-re...

Meiner bescheidenen Meinung nach sollte die Ehre der in der Strafrechtspflege tätigen Personen solche Anwürfe abprallen lassen, ohne dass es dazu der § 185 ff. StGB bedarf. Mit einer solchen Reaktion zeigt man doch gerade erst, dass die Äußerung gesessen hat. Diesen Triumph würde ich den betreffenden Personen nicht gönnen (vgl. die Souveränität Helmut Kohls im Umgang mit der jahrelangen satirischen Schmähung durch die TITANIC). 

Zum o.g. Fall: Wenn die Berichterstattung zu den Umständen der Kontrolle und insbesondere zum Vorgehen der Beamten (Zerstörung des Handys; Frage, ob die mitgeführte Schokolade geklaut sei) zutrifft, kann ich in der Reaktion des Betroffenen nichts "unanständiges" erkennen. Fragwürdig erscheint mir einzig das Vorgehen der Beamten.

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Er hat doch in der Sache völlig recht.

 

Wenn man als Deutscher mit zufällig dunkler Hautfarbe ungestraft schikaniert werden darf, dann ist es wohl das Mindeste, sich dabei ungestraft an SS-Methoden erinnert fühlen zu dürfen - hätte er sich denn noch über diese Vorzugsbehandlung bei den Beamten bedanken sollen?

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