Todesfall nach Brechmittel-Einsatz in Bremen: BGH hebt Freispruch des angeklagten Polizeiarztes zum zweiten Mal auf

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 20.06.2012

Der BGH hat heute erneut ein freisprechendes Urteil gegen einen Polizeiarzt, nach dessen Brechmittel-Einsatz ein vermeintlicher Drogendealer verstorben war, aufgehoben.

Der Arzt hatte im Auftrag der Polizei im Dezember 2004 in Bremen dem Beschuldigten das Brechmittel „Ipecacuanha“ verabreicht, damit dieser verschluckte Drogenbehälter wieder ausscheidet. Hierdurch konnten tatsächlich mehrere Bubbles mit insgesamt ca. 0,5 Gramm Kokain sichergestellt werden. Der Beschuldigte fiel infolge des Zwangsmitteleinsatzes ins Koma und verstarb einige Tage später.

Der Arzt ist im Jahr 2008 zunächst vom Landgericht Bremen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Der BGH hob dieses Urteil am 29.4.2010 (5 StR 18/10) auf und verwies die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Bremen zurück (s. dazu den Blog-Beitrag von Prof. Dr. Müller vom 30.04.2010). Auch hier wurde der Arzt im Juni 2011 freigesprochen (Blog-Beitrag von Prof. Dr. Müller vom 15.06.2011), wieder ohne Erfolg.

Der BGH ist der Ansicht, dass die Fortsetzung der Exploration durch den Arzt, nachdem es zuvor zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschuldigten gekommen war, eine rechtswidrige vorsätzliche Körperverletzung darstelle. Der Tod des Beschuldigten sei durch die Maßnahmen des Arztes  mitverursacht worden. Die von der Vorinstanz festgestellte zusätzliche Todesursache durch einen Herzfehler des Beschuldigten stelle die Vorhersehbarkeit des Todeseintritts nicht in Frage (zur Begründung im Einzelnen s. die Pressemitteilung des BGH vom heutigen Tag).

 

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14 Kommentare

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Wie viele Schurgerichtskammern hat überhaupt das LG Bremen? Von § 354 Abs. 2 S. 1 2.Fall StPO konnte der BGH ja keinen Gebrauch machen.

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Interessantes Problem. Laut Pressemitteilung war das letzte LG-Aktenzeichen 22 Ks (7 KLs) 607 Js 1237/05, d.h. die 22. Strafkammer ("Schwurgericht II") hat das aufgehobene Urteil erlassen.

 

Laut Ziff. A.III.3)b) des GVP ist bei einer Zurückverweisung nach einer Aufhebung eines Urteils des Schwurgerichts II das Schwurgericht I. Beim Schwurgericht I handelt es sich um die Strafkammer 21 (S. 30 des aktuellen GVP).

 

Laut Pressemitteilung 94/2010 hatte das zuerst aufgehobene Urteil aber das LG-Aktenzeichen 7 (27) KLs 607 Js 1237/05. Insofern war wohl nicht die Strafkammer 21, sondern eine Strafkammer 27 mit der Sache befasst, wobei es eine solche im derzeitigen GVP nicht mehr gibt.

 

Insofern scheint es möglich zu sein, dass sich die Strafkammer 21 (Schwurgericht I) nun doch noch mit der Sache befassen kann.

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Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Wäre sie nicht so ergangen, hätte sich der BGH fragen lassen müssen, inwieweit er es den LG erlaubt, eine BGH-Entscheidung mit strafrechtlich zweifelhaften Argumenten praktisch auszuhebeln.

Das LG Bremen hatte die Vorhersehbarkeit des Brechmitteleinsatzes für den Tod des Betroffenen deshalb verneint, weil der Betroffene einen Herzfehler hatte, der zu seinem Tod beitrug. Die Argumnetation des LG Bremen ist abwegig.  Mit dieser Argumentation hätte man die jugendlichen/heranwachsenden Täter im Fall Dominik Brunner freisprechen müssen, denn sie wussten auch nichts vom Herzfehler ihres Opfers, der zum Tode beitrug. Im vorliegenden Fall jedoch ist der Angeklagte Arzt und der Zustand des Opfers war ihm bekannt:

Der Angeklagte hatte den Brechmitteleinsatz  fortgesetzt, obwohl ein wegen des kritischen Zustandes des Opfers hinzugezogener Notarzt von der weiteren zwangsweisen Vergabe des Brechmittekls (mittels Magensonde) abgeraten hatte und obwohl bereits Beweismittel (Rauschmittelpäckchen) gesichert waren.

Die Reaktion des BGH ist deshalb auch ziemlich "harsch": Laut Pressemitteilung rügt der BGH das LG, es habe die Bindungswirkung der Revisionsentscheidung missachtet.

Schon dass nach einem Todesfall in Hamburg in Bremen überhaupt Ärzte bereit waren, solche Methoden anzuwenden, ist ein Skandal. Der derzeitige Oppositionsführer im Bremer Landtag Röwekamp (damals Innensenator) hatte nach dem Tod des Opfers unwahre Behauptungen aufgestellt, um diese zweifelhafte Methode der Beweismittelgewinnung zu rechtfertigen.

Man kann nur hoffen, dass es am LG in Bremen noch Richter (und Schwurgerichts-Strafkammern!) gibt.

Mich wundert immer wieder, wie es mit der ärztlichen Ethik zu vereinbaren ist, sich derart von der Polizei instrumentalisieren zu lassen. Wer als freiberuflicher Arzt arbeitet und Polizei und Justiz nicht dienstlich verpflichtet ist, sollte die Zwangsbehandlung von sich wehrenden Patienten, die nicht im Sinne der Gesundheit des Patienten, sondern allein im zweifelhaften Sinne der Strafverfolgungsbehörden ist, ablehnen. Aber selbst ein Amtsarzt sollte doch ein Problem mit solchen Methoden haben.

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Die Sache spielt 2004. Im Ping-Pong zwischen dem bremschen LG und dem BGH wurde der Ball jetzt zum vierten Mal über das Netz geschlagen. Egal wie die fünfte Runde ausgeht, es wird ganz sicher wieder eine Revision geben. Die Zehnjahresgrenze wird locker überschritten.

 

In der Tat, an ein anderes Gericht verweisen ( ""    fkann an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen) nach 354 II StPO geht nicht, weil es in dem Land Bremen  nur ein LG gibt. Somit müssen erst alle Bremer Kammern aufgebraucht werden...

Ich will ja kein Theoriefanatiker sein: aber was ist denn, wenn die Bremer Kammern "durch" sind? Muss dann eine Hilfskammer aus Zivilisten gebildet werden?

 

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Es wird dann wohl ein "Auffangschwurgericht" zu bilden sein, in BGH NStZ 1981, 489 (Urteil vom 08.04.1981 - 3 StR 88/81) heißt es:

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Präsidium des LG den Geschäftsverteilungsplan durch Beschluß vom 26. 6. 1980 - 3204 E - 1536 - geändert und ein AuffangschwurGer. gebildet hat, das für die vom BGH zum zweiten Mal aufgehobenen Schwurgerichtssachen zuständig sein sollte.

Das Brechmittelverfahren und Art. 3 MRK (Folterverbot)

(ein juristischer Kommentar)

 

Gemessen an die Maßstäben der EGMR-Entscheidung Jalloh ./. Bundesrepublik Deutschland, durch die ein Normalfall eines zwangsweisen Brechmitteleinsatzes als unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Art 3 MRK eingestuft wurde, kann man ohne Zwang die Maßnahmen, die zum Tod von Conde geführt haben, als Folter bezeichnen.

 

Folter stellt eine verschärfte und vorbedachte Form einer grausamen, erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung dar. Als „erniedrigend“ definiert der Europ. Gerichtshof für Menschenrechte eine Behandlung, wenn sie bei den Opfern Gefühle der Angst, Qual und Unterlegenheit hervorriefen, die geeignet waren, sie zu demütigen und zu entwürdigen und möglicherweise ihren körperlichen oder moralischen Widerstand zu brechen. „Unmenschlich“ war sie, wenn sie vorsätzlich und über längere Zeit anwendet wurde und eine tatsächliche Körperverletzung oder starkes körperliches und seelisches Leiden verursachte. (zum Ganzen s. Daniela Demko, Heft 3/2005 der hrrs)

 

„Der Täter darf nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden.“, stellt das BVerfG am 05.02.2004 (Bd. 45,187) fest. In der Entscheidung vom 15.09.1999 über die Verfassungsbeschwerde des Jalloh, dem erst 2006 durch den EGMR Recht geschah, „waren den Hütern unserer Grundfreiheiten (dagegen) Anschläge auf leidensfähige Menschenwesen nicht mal einen vollen Satz wert.“ (Amelung/Wirth, Strafverteidiger 2002, S. 161,167)

 

Unsere Sache als Strafverteidiger wird es sein, zur Geltung zu bringen, dass zu den ungeschriebenen Merkmalen einer legalen Beweisgewinnung z.B. bei § 81 a StPO, nicht nur, wie seit jeher, die Beachtung der Verhältnismäßigkeit gehört, sondern ebenso die absolute Achtung und der absolute Schutz der Menschenwürde, die Beachtung von Art 3 MRK und der Europäischen und UN-Anti-Folter-Konvention.

 

Eines der weiteren, zukünftig bedeutsamen Themen betrifft den an Maßnahmen mitwirkenden Arzt. Unter menschenrechtlichem Blickwinkel muss sich der Arzt inkriminierte Handlungen anderer handelnder Personen zurechnen lassen, wenn sie auf seine Veranlassung oder mit seinem ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis begangen werden. (vgl. Art 16 des UN-Übereinkommens gegen Folter pp vom 26.06.1987) Der Arzt kann danach nicht damit gehört werden, dass nicht er selbst, sondern die im assistierenden Polizeibeamten Gewalt angewendet haben.

 

Der Arzt muss ferner selbstständig prüfen, ob die von ihm vorgenommenen, veranlassten oder geduldeten Maßnahmen gegen das Folterverbot aus Art 3 MRK pp. verstoßen, und kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sich die Legalität seines Handelns schon aus dem staatlichen Auftrag ergibt.

 

 

Eckart Behm

Rechtsanwalt

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Ja, es wird nach Ausschöpfung der vorhandenen Kammern der Geschäftsverteilungsplan ergänzt und eine neue Kammer gebildet.

Selbiges ist mir gerade vor dem LG Aurich widerfahren, nachdem eine Strafsache nach der 2. Revision nun zum 3. Mal in der Berufungsinstanz beim LG anhängig ist. Das LG hatte nur zwei kleine Strafkammern, so daß eiligst eine dritte kleine Strafkammer gebildet worden ist, die künftig für alle entsprechenden Verfahren zuständig ist.

 

Viele Eingänge wird die Kammer nicht zu verzeichnen haben ;)

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Ungeheuerlich...

 

Mich schockieren hier einige Sachen...

zum einen, dass die Polizeibeamten nicht mitangeklagt wurden.

dass solche Methodiken in unserem angeblich zivilisierten Staat überhaupt möglich sind

dass der Arzt frei gesprochen wurde.

 

Wie ist sowas möglich? Dort wird ein Mensch getötet um Beweise zu sammeln. Das die Medien das Thema nicht größer gemacht haben finde ich auch noch schrecklich.

Und all das nur wegen Kokain?

Wäre der Stoff legal in der Apotheke erhältlich müsste niemand wegen des StGB sterben...

 

Wo sind die Menschen, die gegen solche Folter demonstrieren?

Ist unsere Demokratie wirklich schon so kaputt?

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