"Unerhört" und "unsensibel"? - Urteil des LG Köln zur Beschneidung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.06.2012

Aufsehen erregte gestern das Urteil des LG Köln (Urt. v. 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11), das erstmals die Strafrechtswidrigkeit der religiös motivierten Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen männlichen Kleinkindes bejaht hat, aus den Gründen:

Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unange-messen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können zuwider.

Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet.

Der die Zirkumzision durchführende Arzt wurde allerdings aufgrund § 17 StGB wegen nicht vermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen.

Mein Passauer Kollege Holm Putzke ist derjenige Strafrechtswissenschaftler in Deutschland, der dieses Thema am intensivsten bearbeitet hat und dessen Argumente sicher auch in das Kölner Urteil eingegangen sind - er selbst nimmt in LTO Stellung. Eine Literaturübersicht gibt er hier.

Natürlich sind die Religionsgemeinschaften, die die Zirkumzision zu ihren Traditionen zählen (insbesondere Islam und Judentum), ganz anderer Auffassung:

Der Zentralrat der Juden kritisierte das Urteil als "beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften". Zentralratspräsident Dieter Graumann sagte: "Diese Rechtsprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt."(Quelle)

Auch Matthias Drobinski  widerspricht Putzke und dem LG Köln, und zwar in der Süddeutschen Zeitung. Säkularisierte Richter sollten sich aus religiösen Traditionen heraushalten, sich jedenfalls nicht über die Religion stellen:

Manchmal aber ist es überhaupt nicht gut, wenn sich Richter zu Schiedsrichtern der Religion machen, sich über sie stellen, einen Rechtspositivismus quasi zur Ersatzreligion machen. Wo diese Grenze zwischen legitimem Einspruch im Namen des Grundgesetzes und Grenzüberschreitung liegt, das werden in den kommenden Jahren viele Urteile von vielen Gerichten neu justieren müssen, bis hin zum Verfassungsgericht. Es spricht einiges dafür dass sich die Karlsruher Richter irgendwann mit der Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen werden beschäftigen müssen. Und dann der Auffassung des Zentralrats der Juden folgen, der im Kölner Urteil einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften sieht.

Das AG hatte den Eingriff noch als gerechtfertigt angesehen:

Das Gericht entschied, der Eingriff sei zwar eine Körperverletzung, diese sei aber gerechtfertigt, weil sie sich "am Wohl des Kindes" ausrichte und eine Einwilligung der Eltern vorgelegen habe. Die Beschneidung diene als "traditionell-rituelle Handlungsweise zur Dokumentation der kulturellen und religiösen Zugehörigkeit zur muslimischen Lebensgemeinschaft". Durch sie werde einer drohenden Stigmatisierung des Kindes entgegengewirkt (Quelle)

Die Frage der Strafbarkeit der nicht medizinisch indizierten Zirkumzision wird schon seit einigen Jahren in Fachkreisen - von Medizinern und Strafrechtlern - diskutiert.  Die Entscheidung des LG Köln kommt also nicht ganz überraschend, zumal die Praxis der Beschneidung verbreitet ist. Dass die Gerichtsentscheidung "unerhört" sei oder dass das Bundesverfassungsgericht die Frage selbstverständlich anders beurteilen werde, ist nicht ausgemacht: Ob Art. 4 oder Art. 6  GG das Recht einschließt, nicht einwilligungsfähige Kleinkinder am Körper zu verletzen, erscheint höchst fraglich. 

Update: Link zum  Wortlaut der Entscheidung

Update (15.07.2012): Nachdem sich nun Bundesregierung und einige weitere Politiker dahingehend geäußert haben, die Beschneidung künftig gesetzlich zu regeln, habe ich einen neuen Beitrag verfasst. Die Kommentarfunktion ist gesperrt. Ich bitte, beim neuen Beitrag zu diskutieren.

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211 Kommentare

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Das sagen übrigens auch Fachleute, zum Beispiel der Chefarzt der jüdischen Klinik für Innere Medizin in Berlin, Dr. Kristof Graf:

"Der Mediziner betonte, ungeachtet der religiösen Bestimmungen könne eine Beschneidung "ein durchaus sinnvoller hygienischer Eingriff" sein. Medizinisch betrachtet sehe er in Beschneidungen keine Körperverletzung."

Wenn schon die Begründung einer Sicherungsverwahrung mehrere (bis zu 3 !) psychologische Gutachten für den Straftäter erfordert, so sollte bei einer solch sensiblen, für Religionen wesentlichen Thematik e fortiori nicht die das Fachgutachten eines (!) medizinischen Gutachters, wie es wohl im vorliegenden Fall war, ausreichen. Erforderlich ist mithin eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der medizinischen Fachliteratur und die Hörung mehrerer unabhängiger Gutachter. Dann ergäbe sich ein ganz anderes Bild. Zudem dürften für eine ausgewogene Entscheidung rechtsvergleichende Aspekte nicht fehlen.

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@#96: Sie haben etwas Wesentliches übersehen - die "Erkenntnisquelle" des OLG. Ein Konversationslexikon ist kein geeigneter Nachweis für Vor- und Nachteile von Genitalverstümmelung. Das OLG hat es sich in diesem Punkt deswegen leichtgemacht, weil es in diesem Abschnitt nur um die Höhe des Schmerzensgeldes ging.

Das LG Köln hat dagegen einen Sachverständigen gehört. Dieser hat klargemacht, dass es keine medizinische Notwendigkeit für eine Zirkumzision in Mitteleuropa gibt.

zu Recht schrieb:

Um diese Punkte geht es schließlich, nämlich dass die Beschneidung an sich schon kein Akt der Gewalt ist, den es zu rechtfertigen gilt, sondern ein medizinisch indizierter Heileingriff ohne Schaden.

Irrtum: das OLG hat eindeutig festgestellt, dass es sich nicht um eine medizinisch, sondern religiös motiverte Beschneidung gehandelt hat, die an einem nicht einwilligungsfähigen Kind vorgenommen wurde. Und - gerne noch einmal zum Mitschreiben: Die Entscheidung darüber fällt deshalb in den Kernbereich des Rechtes einer Person, über sich und ihr Leben zu bestimmen.

Selbst wenn eine Entfernung von Körperteilen medizinische Vorteile hat, muss ein einwilligungsfähiger Patient oder sein gesetzlicher Vertreter zustimmen! Jeder hat z.B. das Recht, die Entfernung eines Tumors abzulehnen und an Krebs zu sterben. Operiert der Arzt dennoch, ist es Körperverletzung (Ausnahmen sind nur Notfälle im Rettungsdienst, bei denen ein z.B. bewusstloser Patient nicht gefragt werden kann. Dann kann ein Verbotsirrtum geltend gemacht werden - aber eine Zirkumzision ist niemals ein Notfalleingriff). Und Körperverletzung ist Gewalt - Punkt.

Zum Thema "ohne Schaden": es gibt nur zwei andere Hautareale mit einer gleichen Dichte an Nervenenden, also Sensibilität,  wie die männliche Vorhaut: die Fingerkuppen und die Lippen. Würden Sie deren operative Entfernung bei Kleinkindern (oder bei  Erwachsenen) auch als "ohne Schaden" bezeichnen?

Über die "Objektivität" eines Chefarztes einer jüdischen Klinik nachzudenken, überlasse ich Ihnen. Für wie neutral würden Sie denn eine gleichartige Aussage eines Arztes im Sudan zur Mädchenbeschneidung halten?

P.S.: Ärzte bekommen außerdem für Beschneidungen Geld - das sollte man bei der ganzen Diskussion auch nicht vergessen ...

Mein Name schrieb:

Über die "Objektivität" eines Chefarztes einer jüdischen Klinik nachzudenken, überlasse ich Ihnen. Für wie neutral würden Sie denn eine gleichartige Aussage eines Arztes im Sudan zur Mädchenbeschneidung halten?

 

Nur weil der - übrigens als EINZIGER in dem besagten Verfahren vor dem LG - gehörte  Sachverständige nicht nach außen hin als Gegner der Beschneidung erkennbar ist, macht das ihn nicht objektiv. Sie scheinen noch nicht erkannt zu haben, dass es hier um - abseits der religiösen Debatte und Kritik von Ihrer Meinung nach befangenen Muslimen und Juden - die medizinische Indikation, darum, dass eine Beschneidung medizinisch sinnvoll ist, ja derart sinnvoll, dass sie für jedes Kind verpflichtend gemacht werden sollte, würde der Staat seine aus dem GG resultierende Schutzpflicht wahrnehmen. Man kann nicht alles einer streng externen Sichtweise unterziehen und vor lauter Panik weil hier ein Schnitt gemacht wird gleich weiche Knie bekommen und die Keule Selbstbestimmungsrecht und Integritätsschutz herausholen. Eine besonnene Herangehensweise gebietet, dass man sich mit dem Zweck, dem telos einer Beschneidung auseinandersetzt. Der nächste Schritt wäre die Erkenntnis, dass die Beschneidung hygenischere Verhältnisse an besagter Körperstelle zur Folge hat und damit schließlich den Übergriff abgelagerter Keime u.ä. in das weibliche Geschlechtsorgan verhindert. Obendrein verhindert es - wie oben bereits erwähnt - die Übertragung von auch im Westen noch virulentem HIV. Und hier ist das von Ihnen aufgeführte Kondom keine Alternative, da es nicht gleich wirksam ist, denn bekanntermaßen verhindert ein solches die Reproduktion. Will man also sauber verkehren und sich fortpflanzen, so bleibt der Menschheit nichts anderes übrig. Der Sinn ist ein viel tiefgreifender, es handelt sich mitnichten um einen "Kult" oder "barbarischen Akt"! Um so mehr ist hier medizinisches Fachwissen - natürlich auch von jüdischen und muslimischen Ärzten - gefragt, wie können Sie nur ihre Objektivität wegen ihrer Glaubensrichtung in Frage stellen, das ist diskriminierend!

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zu Recht schrieb:

Nur weil der - übrigens als EINZIGER in dem besagten Verfahren vor dem LG - gehörte  Sachverständige nicht nach außen hin als Gegner der Beschneidung erkennbar ist, macht das ihn nicht objektiv.

Es wurde jedenfalls vom Angeklagten kein Gegengutachten verlangt.

Zu dem von Ihnen als "Fachmann bezeichneten Chefarzt für Innere Medizin: der Unterschied zwischen Innerer Medizin und Chirurgie ist Ihnen bekannt? Würden Sie sich von diesem Arzt, der sich vielleicht gut mit Zuckerkrankheit oder Nierensteinen auskennt, aber seit Jahrzehnten kein Skalpell mehr in der Hand gehabt hat, operieren lassen? Ich auf keinen Fall - und genauso wenig gebe ich auf seine "Fachkompetenz" in Bezug auf das Wegschneiden von Körperteilen.

zu Recht schrieb:
dass eine Beschneidung medizinisch sinnvoll ist, ja derart sinnvoll, dass sie für jedes Kind verpflichtend gemacht werden sollte
Das mag Ihre private Meinung sein. Sie haben ein Recht darauf, diese genauso zu äußern wie die Meinung, es sei medizinisch sinnvoll, angesichts des Kariesrisikos und der immensen Kosten für das Gesundheitswesen aufgrund mangelnder Zahnpflege jedem Kind verpflichtend alle Zähne zu ziehen und ihm dafür einen Pürierstab zu schenken.

Da die von Ihnen behaupteten, in einem Land mit hohen hygienischen Standards nicht nachweisbaren Nutzen (siehe o.g. in #72 das Fazit der Studie im Ärzteblatt) rechtfertigen dennoch nicht einen Eingriff vor Beginn des Sexuallebens und schon gar nicht bei Neugeborenen.

zu Recht schrieb:
wie können Sie nur ihre Objektivität wegen ihrer Glaubensrichtung in Frage stellen, das ist diskriminierend!
Das ist genauso wenig diskriminierend wie den Äußerungen eines bei einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft angestellten Arztes zur Abtreibung die Objektivität abzusprechen. Spricht sich ein solcher nämlich öffentlich für die Fristenregelung aus, kann ihm sein Arbeitgeber kündigen. Genauso erginge es Ihrem zitierten Chefarzt, wenn er sich gegen die Brit Mila äußern würde.

zu #101: Das Abschneiden eines der sensibelsten Hautareale und einer erogenen Zone ist Genitalverstümmelung - gleich, ob sie bei Mädchen oder bei Knaben durchgeführt wird. Darum ist die Wertung des BGH durchaus analog anwendbar.

zu Recht schrieb:
grundsätzlich schrankenlos gewährleisteten Art. 4 I, II GG
diese Einschätzung haben Sie exklusiv - sie widerspricht außerdem den in den Art. 136/137 WRV grundgesetzlich verankerten Einschränkungen der Religionsfreiheit. Wäre Glaubensfreiheit wirklich schrankenlos, dann könnten in Deutschland islamische Rechtsgelehrte Urteile nach der Scharia straffrei vollstrecken lassen, wie z.B. Dieben die Hand abzuhacken. Ihre Annahme ist also falsch.

@#103: der früher möglicherweise nur durch eine Beschneidung erreichbare Stand der Hygiene und Gesundheitsvorsorge ist heute auch ohne Verstümmelung erreichbar - es gibt außer der Phimose keine medizinische Indikation. Dagegen gibt es viele Komplikationen (siehe auch die Stellungnahme der Royal Dutch Medical Association). Ein konkreter Nutzen der rituellen Handlung lässt sich also verneinen.

@#104: Sie wollen offensichtlich verdrängen, dass in Ihrem zitierten Fall solche Quellen nur als "sonstige" in Ergänzung herangezogen wurden, wesentlich aber eine wissenschaftliche Bewertung der Bundesärztekammer war. Als alleinige Basis für Erkenntnisse genügen solche populären Sammelwerke keinesfalls wissenschaftlichen oder juristischen Standards. Darum hat das LG Köln ja auch einen Fachgutachter gehört.

Fazit: alle Ihre Einwände und Behauptungen wurden bereits weiter oben widerlegt, Ihre Meinungen halten einer sachlichen Erörterung nicht stand.

 

Mein Name schrieb:

Sie haben etwas Wesentliches übersehen - die "Erkenntnisquelle" des OLG. Ein Konversationslexikon ist kein geeigneter Nachweis für Vor- und Nachteile von Genitalverstümmelung.

Wie Bitte?? Sie wollen den Brockhaus als Erkenntnisquelle in Abrede stellen??? Sind Sie sich dessen bewusst, dass in deutschen Gerichten sogar Wikipedia (!!!) bei wissenschaftlichen Thematiken zititert wird?

vgl. Sie nur den relativ jungen Fall: OVG Nordrhein-Westphalen, Urt. v. 13.6.12, Az. 13 A 668/09

Rn. 40 "Nach der o. a. "Wissenschaftlichen Bewertung osteopathischer Verfahren" der Bundesärztekammer, die auf einer von deren Vorstand zustimmend zur Kenntnis genommenen Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer beruht und von einem mit namhaften fachkundigen Personen besetzten Arbeitskreis des Wissenschaftlichen Beirats nach Anhörung der Fachkreise erstellt wurde, und nach sonstigen Erkenntnissen (u. a. Wikipedia)"

Oder auch das LG Aachen, 5.6.2012, Az. 41 O 8/12

       

Auf den Brockhaus wird übrigens regelmäßig verwiesen! Das ergibt eine einfache Recherche  bei juris.

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Aus hygienischen Gründen ist der Eingriff in westlichen Staaten völlig unbegründet. Zudem ist die massive Änderung der emotionale Empfindsamkeit beim Geschlechtsverkehr beachtlich, deren Entscheidung dem jungen Erwachsenen ab 18 vorbehalten bleiben muss.

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Ich kann nur nochmals die (englischsprachige) Erklärung der niederländischen Vereinigung für das Gesundheitswesen nachdrücklich zur Lektüre empfehlen:

http://knmg.artsennet.nl/web/file?uuid=579e836d-ea83-410f-9889-feb7eda87...

Es werden alle medizinischen Aspekte und Alternativen erörtert, incl. Quellen und die Abwägung gegen kulturelle und religiöse Traditionen erfolgt ebenfalls. Das Ergebnis ist das gleiche wie das des LG Köln.

Ebenso wird die weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation, FGM) mit der nichttherapeutischen Zirkumzision (NTC) verglichen - mit einem vernichtenden Ergebnis für die WHO:

"The WHO also rejects all forms of FGM: ‘Female genital mutilation of any type has been recognized as a harmful practice and a violation of the human rights of girls and women’. The WHO explicitly includes in this the mild forms of FGM, in which no tissue is removed. So the argument for rejecting FGM is not that FGM interferes with female sexuality, but that it is a violation of the rights of the woman."

Es findet also de facto eine Männerdiskriminierung statt, was die Genitalverstümmelung angeht.

Und für die "Präventionspropheten" noch mal zum Nachlesen: "There is currently not a single medical association that recommends routine circumcision for medical/preventative reasons." - keine einzige Ärzteorganisation der Welt empfiehlt die routinemäßige Beschneidung zu medizinischen/vorbeugenden Zwecken (die Mitglieder der WHO dagegen haben keinen hippokratischen Eid geschworen!).

Auch lohnt ein Blick über das GG hinaus:

"Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit." - ohne jede Einschränkung! Art. 3 (1) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

"Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu beken­nen, darf nur Einschrän­kungen unterwor­fen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rech­te und Freiheiten anderer." wie z.B. § 1631 (2) BGB. Art. 9 (2) der Europäischen Menschenrechtskonvention

analog dazu: "Jeder ist bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern ..." Art. 29 (2) der UN-Menschenrechtskonvention

Mein Name schrieb:

Es findet also de facto eine Männerdiskriminierung statt, was die Genitalverstümmelung angeht.

Haarsträubend, Sie können wirklich nicht juristisch argumentieren, Ihnen scheinen Rechtsstaatlichkeit und Grundsätze der Grundrechtslehre sehr fremd zu sein. Nochmal für Sie: Eine Diskriminierung setzt immer eine unsachliche Differenzierung (=Ungleichbehandlung) von wesentlich gleichem voraus. So, und jetzt subsumieren Sie mal schön weiter ...

 

Sie kennen sich offensichtlich auch mit dem Völkerrecht nicht aus, sonst würden Sie die Bedeutung der MEnschenrechtspakte für das nationale Recht kennen und ihre Stellung in der REchtsordnung. Wenn Sie schon mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kommen, empfehle ich Ihnen auch folgendes anerkannte Menschenrecht in derselben, namentlich Art. 18:

Artikel 18

Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.

 

Mein Name schrieb:

Auch lohnt ein Blick über das GG hinaus:

"Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit." - ohne jede Einschränkung! Art. 3 (1) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Das zeugt nun wirklich davon, dass Sie sich auch mit dem Europarecht nicht auskennen und Ihnen offensichtlich die Systematik der GRCh fremd ist. Schauen Sie doch mal in die Art. 51 GRCh ff, insbesondere Art. 52 GRCh dort sind allgemeine Schranken geregelt, die gelten für ALLE in der GRCh genannten Rechte. Sie kennen offensichtlich die Systematik und das Verhältnis der GRCh, EMRK, der UN-Menschenrechtspakte sowie des GG nicht!

Also bitte, bevor Sie weiter mit Laienwissen und juristischen Halbwahrheiten versuchen zu argumentieren, wechseln Sie entweder das Forum oder bilden Sie sich ein wenig im Europa-, Völker-, Staats- und Verfassungsrecht und in der Menschenkunde fort.

Freundlichste Grüße

zu Recht

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Es kommen immer mehr seltsame Meinungen bezüglich des Urteils dazu, wie hier:

 

http://www.fr-online.de/politik/beschneidungsurteil--beschneidungsverbot-wird-sich-nicht-halten--,1472596,16519670.html 

 

Wie viel Islam wollen wir in Deutschland?“ Das Verbot der Beschneidung wird am Fall einer muslimischen und nicht einer jüdischen Familie exerziert. Dahinter verbirgt sich die Angst vieler Deutscher vor einer archaischen, gewaltbereiten Religion, die das christliche Abendland bedroht. In Wahrheit ist es absurd anzunehmen, es gäbe in Grundwertefragen irgendwelche Diskrepanzen zwischen Muslimen und Juden einerseits, Christen oder nicht-religiös Gebundenen andererseits.  

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Eine Entwicklung, die mich nachdenklich macht:

In der taz findet sich gestern ein Interview mit einem Arzt , der in seiner Kölner chirurgischen Praxis jährlich mehrere tausend Operationen durchführt, darunter etliche Beschneidungen, ca. 20 pro Woche. Natürlich spricht er sich für die Beschneidung aus. Die männliche Vorhaut sei überflüssig und sie könne aus ästhetischen und hygienischen Gründne entfernt werden. "Die Zirkumzision bringt nur Vorteile". Die Entscheidung des LG Köln sei auch ein "Angriff auf die Religionsfreiheit".

Im Widerspruch dazu sagt er aber auch Folgendes:

"Trotzdem beschneide ich muslimische Kinder nicht, wenn diese unter einem Jahr sind und religiöse Gründe die Eltern zu diesem Eingriff bewegen. Ich halte dies für ethisch kaum vertretbar"

(...)

"Ich muss diese Eingriffe auch vor mir selbst rechtfertigen können."

Eine Begründung dafür findet sich nicht, der Journalist fragt leider auch nicht nach. Was sind denn die ethischen Bedenken, die man gegen eine Beschneidung an Säuglingen vorbringen kann, die aber dann bei Kleinkindern nicht mehr gelten?

Spätere Interviewäußerungen geraten dann wieder in Widerspruch zu dieser Feststellung, etwa wenn er die Beschneidung mit der Taufe gleichsetzt.

Was mich außerdem irritiert, ist, dass bei aller Empörung über das Urteil des LG Köln auch dieser Arzt seine Tätigkeit aufgrund dieser Entscheidung sofort aufgegeben hat:

"Bis Rechtssicherheit herrscht, werde ich keine Behandlungen wegen religiöser Motive vornehmen."

Bis jetzt ist kein Arzt verurteilt worden, es handelt sich beim LG Köln auch nicht um eine höchste Gerichtsinstanz. Und dennoch sind diejenigen, die sich für diese Tradition auf die Instanz "Gott" berufen und zudem überzeugt sind, medizinisch bringe die Beschneidung nur Vorteile, nicht einmal bereit, das Risiko einer Anklage einzugehen, um auf diese Weise Rechtssicherheit herzustellen.  Zumal der interviewte Arzt meint, dass man dadurch die Eltern zu Beschneidern treibe, die die Kinder auf Küchentischen und in Kellerräumen operierten.

Die gleiche Reaktion zeigt übrigens das Jüdische Krankenhaus in Berlin.

Merkwürdig: Die unverbrüchlichen ethischen Prinzipien und jahrtausendalten religiösen Grundsätze, an die man sich gebunden fühlt, und von denen behauptet wird, kein Staat oder Gericht könne diese beseitigen, werden sofort über Bord geworfen, wenn ein einzelnes Landgericht ein dahingehend nicht einmal bindendes Urteil spricht? Dabei könnte gerade die Fortführung der Praxis der Zirkumzision durch angesehene Ärzte für die Rechtssicherheit sorgen, die man sich allseits nur wünschen kann.

Henning Ernst Müller schrieb:

Merkwürdig: Die unverbrüchlichen ethischen Prinzipien und jahrtausendalten religiösen Grundsätze, an die man sich gebunden fühlt, und von denen behauptet wird, kein Staat oder Gericht könne diese beseitigen, werden sofort über Bord geworfen, wenn ein einzelnes Landgericht ein dahingehend nicht einmal bindendes Urteil spricht?

 

Sehr geehrter Herr Müller,

das haben Sie richtig erkannt, Sie stellen berechtigte Fragen. Doch ist nicht auch gerade in der Verfassungslehre anerkannt, dass ein Verstoß eines Klagenden nicht zumutbar ist, wenn er damit eine strafrechtliche Verurteilung riskiert? Natürlich geht von dem Urteil des LG grundsätzlich keinerlei Bindungswirkung aus. Allerdings würde es wohl nachfolgend Verurteilten schwer fallen, sich auf einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu berufen und damit schuldfrei zu gelten, wenn bereits eine gerichtliche Meinung besteht. Es ist leichter gesagt als getan, aber ich glaube nicht, dass ein Arzt gerne seine Existenz auf das Spiel setzen würde und das ist auch nachvollziehbar. Viel mehr wird nun in das Ausland ausgewichen werden. Wünschenswert wäre es allemal, dass eine Instanz mit Bindungswirkung dieser, das Recht pervertierenden Entscheidung des LG Köln, entschieden entgegentritt und unsere Minderheiten schützt.

Freundlichste Grüße

z.R.

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

angesichts der Tatsache, dass keine Ärzteorganisation der Welt die Beschneidung aus medizinisch-prophylaktischen Gründen empfiehlt, würden diese Ärzte ohne jeden Zweifel ihren hippokratischen Eid verletzen, von "angesehen" kann dann keine Rede mehr sein.

Eine Rechtssicherheit für die Straffreiheit von NTC (Nichttherapeutische Knabenbeschneidung) ist angesichts des massiven Eingriffs in das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit mMn auch durch vielfaches Ignorieren dieser Menschrechtsverletzung nicht wieder herstellbar, und das ist nur zu begrüßen. Oder meinten Sie, dass sich ein Arzt durch diese Körperverletzung für einen Musterprozess "opfern" sollte?

Es wäre mMn übrigens fair von Ihnen gewesen, wenn Sie erwähnt hätten, dass der in der taz interviewte Arzt türkischer Herkunft und gläubiger Muslim ist.

Zu der "Angst vor archaischen Religionen": ich habe den Eindruck, dass viele, selbst intelligente Menschen, aus falsch verstandener Toleranz lieber die in Jahrhunderten und mit Strömen von Blut erkämpften individuellen Menschenrechte preisgeben als stolz auf diese humanitären Errungenschaften zu sein und sie - intolerant gegenüber Verletzungen und Bedrohung dieser Rechte - verteidigen zu wollen. Sie tappen damit in die gleiche Falle wie Schulen, die muslimische Mädchen aus "Glaubensgründen" vom Schwimmunterricht befreien oder nicht an Klassenfahrten teilnehmen lassen, weil diese sich dadurch mehr als eine Kameltagesreise von ihrem Elternhaus entfernen. "Die sind halt so, das ist deren Tradition" ist keine akzeptable Begründung für Menschenrechtsverletzungen, sei es das Recht auf Bildung, das Recht auf Leben (wie viele muslimische Mädchen, die aus "religiösen" Gründen nicht schwimmen lernen durften, ertrinken pro Jahr?) oder auf körperliche Unversehrtheit.

Ich wünsche mir sehr, dass die kassenärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern nun sehr genau hinschauen, was demnächst als "medizinisch" begründete Zirkumzision abgerechnet wird und sogar begrüßen, wenn ein "Warnschuss-Schreiben" dieser Institutionen an alle Ärzte ginge - oder zumindest eine Aufklärung analog zur Stellungenahme des niederländischen Gesundheitsverbandes.

Der Laie freut sich nur allzuschnell wenn er irgendwo ein Grundrecht findet. Und dann schreit er "ohne jede Einschränkung!" wirklich, Herr Mein Name, das ist wirklich lächerlich, wie Sie hier versuchen Grund- und Menschenrechte zusammen zu klauben und dabei nur preisgeben, wie wenig Ahnung Sie von Grundrechtsdogmatik haben!

 

Si tacuisses ...

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Einige Zitate aus dem o.g. Interview mit dem Spezialisten und Arzt, Herr Ulus:

"Denn beschnittene Männer sind weniger anfällig für HIV und Prostatakrebs. Frauen, die mit beschnittenen Männern schlafen, bekommen seltener Gebärmuttermundkrebs. "

q.e.d.

"In den USA wurde vor einigen Jahren eine Studie an 20.000 beschnittenen Männern durchgeführt, das Ergebnis ist eindeutig: Die Zirkumzision bringt nur Vorteile."

q.e.d.

"Je länger man wartet, desto schmerzhafter wird es."

Ob diese Fakten nun ein gläubiger Mensch, oder ein überzeugter Atheist sagt, ändert nichts daran dass sie schlicht wahr sind...

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zu Recht schrieb:

Einige Zitate aus dem o.g. Interview mit dem Spezialisten und Arzt, Herr Ulus:

"Denn beschnittene Männer sind weniger anfällig für HIV und Prostatakrebs. Frauen, die mit beschnittenen Männern schlafen, bekommen seltener Gebärmuttermundkrebs. "

q.e.d.

"In den USA wurde vor einigen Jahren eine Studie an 20.000 beschnittenen Männern durchgeführt, das Ergebnis ist eindeutig: Die Zirkumzision bringt nur Vorteile."

q.e.d.

"Je länger man wartet, desto schmerzhafter wird es."

Ob diese Fakten nun ein gläubiger Mensch, oder ein überzeugter Atheist sagt, ändert nichts daran dass sie schlicht wahr sind...

Ob diese "Fakten" nun ein gläubiger Mensch oder ein überzeugter Atheist sagt, ändert nichts daran, dass es auch eine große Zahl Experten gibt, die anderer Meinung sind.

 

Einen Experten rauszupicken und als Kenner der ultimativen Wahrheit darzustellen ist Unfug. Mit der gleichen Berechtigung kann ich auch jemand verlinken, der "beweist", dass wir nicht auf einer Kugel leben sondern im Innern einer Hohlkugel und da qed drunterschreiben. Das wäre genauso wissenschaftlich (wenn auch off Topic).

 

Das gilt natürlich für die Gegenmeinung genauso. Einigkeit besteht nur, dass die Fachwelt sich nicht einig ist. Mangels ausreichendem Überblick über medizinische Fachliteratur würde ich mir nicht anmaßen, auch nur eine herrschende Meinung festzustellen. Aber ist natürlich praktisch, jeder hat ein paar "Experten", mit denen er die eigene Meinung untermauern kann, also hat natürlich jeder Recht. ;)

 

Mein Name schrieb:

Und dass es sich bei der Zirkumzision, bei der eine wesentliche erogene Zone entfernt wird, um einen gleichartig schwerwiegender Eingriff handelt, kann nicht ernsthaft bestritten werden.

Kann es und wird es - von vielen Experten. Dass die erogene Zone unter der Vorhautentfernung leidet, will ich nicht bestreiten. Ich gehe (mangels Erfahrung) davon aus, dass die ungeschützte Eichel weniger empfindsam ist: weil sie öfter z.B. von Kleidung berührt wird, wird der Körper nach einiger Zeit auf die entsprechenden Signale weniger intensiv reagieren. Das ist aber eine ganz andere Qualität als bei einer Beschneidung von Mädchen - von gleichartig schwerwiegend kann da keine Rede sein. (Das wirkt für mich wie: "Daumen verlieren oder ganzen Arm ist doch gleich schlimm, in beiden Fällen kann man nicht mehr richtig zugreifen.")

 

Es reicht schon, sich mal klar zu machen, dass es für die männliche Beschneidung durchaus eine Vielzahl medizinischer Indikationen gibt (wozu ich beispielsweise auch die hygienische Lage in manchen afrikanischen Ländern zähle, die sich nicht so sehr von der Zeit unterscheiden dürfte, als die Beschneidungs-Vorschrift mal ins alte Testament geschrieben wurde).

 

Und auch in der Diskussion heißt es ja nicht "muss verboten bleiben" sondern "sollen die Jungen selber entscheiden, wenn sie älter sind" - wobei das Alter wahlweise auf die Religionsmündigkeit oder die Volljährigkeit angesetzt wird. Wer weibliche Beschneidung für gleichartig hält, sollte sich fragen, ob die dann auch zu diesen Zeitpunkten erlaubt werden kann - auch in Hinblick auf die Strafbarkeit des handelnden Arztes.

 

Enttäuscht von den Behörden schrieb:

Ob wohl durch den Druck dieser Organisationen und anderer der Juden und der katholischen Kirche ausreicht , dass Gesetzesentwürfe von den Parteien  erstellt werden ?

Das Problem ist, dass man sich in der einen oder anderen Form aus dem Fenster lehnen muss für den Entwurf. Egal was man macht, der Gegner hat Wahlkampfmunition: Wer den Juden das Ritual verwehrt ist ein Nazi, wer die Beschneidung erlaubt ist ein Kinderschänder.

 

Das ist jetzt noch ein schönes Thema fürs Sommerloch, wenn die Eurokrise nicht dazwischen kommt und derweil hoffen alle, dass erstmal irgendwer das Thema zum BVerfG bringt, damit die das entscheiden und dann auch gleich was dazu sagen, in welchen Grenzen Gesetze erlaubt wären - oder noch besser eine europarechtliche Lösung ("Richtlinie zum Schutz von Kindern gegen Verstümmelung", die dann Ausnahmen vorsieht oder auch nicht) bei der hinterher alle Politiker in .de sagen können "Tut uns leid, wir warens nicht".

 

Enttäuscht von den Behörden schrieb:

Wäre eine Fatwa gegen Beschneidung der Jungen nicht auch denkbar im Ausland ?

Ein wesentliches Argument für die Beschneidung von Jungen ist die Hygiene. Das ist in .de, wo man sich einfach unter die Dusche stellen kann, nicht das große Problem - auch wenn es sogar für westliche Länder Ärzte gibt, die einen hygienischen Vorteil in der Beschneidung sehen.

 

In vielen anderen Ländern beispielsweise in Afrika gibt es diesen Hygienestandard nicht und das ist auch der Grund, weswegen die Beschneidung dort auch von Ärzten als sinnvoll angesehen wird - im Gegensatz zur weiblichen Beschneidung, die keinerlei Nutzen aufweist und deshalb zu Recht geächtet wird.

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I.S. schrieb:
Mein Name schrieb:

Und dass es sich bei der Zirkumzision, bei der eine wesentliche erogene Zone entfernt wird, um einen gleichartig schwerwiegenden Eingriff handelt, kann nicht ernsthaft bestritten werden.

Kann es und wird es - von vielen Experten.

Alle "Experten", die sich bisher dergestalt geäußert haben, dass es sich um einen weniger schwerwiegenden Eingriff handele, sind entweder muslimischen oder jüdischen Glaubens, selbst beschnitten oder führ(t)en Beschneidungen durch, verdienen also Geld damit. Das nennt man voreingenommen ...

I.S. schrieb:
Dass die erogene Zone unter der Vorhautentfernung leidet, will ich nicht bestreiten. Ich gehe (mangels Erfahrung) davon aus, dass die ungeschützte Eichel weniger empfindsam ist: weil sie öfter z.B. von Kleidung berührt wird, wird der Körper nach einiger Zeit auf die entsprechenden Signale weniger intensiv reagieren. Das ist aber eine ganz andere Qualität als bei einer Beschneidung von Mädchen - von gleichartig schwerwiegend kann da keine Rede sein.
Man kann jedoch - wenn wir schon bei medizinisch-biologischen Pseudodifferenzierungen sind - auch anders argumentieren: die Vorhaut ist für die menschliche Fortpflanzung nicht unbedingt notwendig - also kann sie weg. Das Gleiche gilt allerdings auch für die äußere Klitoris der Frau. Auch ohne diese kann eine Frau Lust empfinden sowie Kinder empfangen und zur Welt bringen - also ist sie ebenso überflüssig wie die männliche Vorhaut. Wie unter der männlichen, so sammelt sich bei unzureichender Körperpflege auch unter der Klitorisvorhaut Smegma - also sollte sie nicht ebenfalls aus prophylaktischen Gründen entfernt werden?

Lesen Sie diesen Abschnitt des Wikipedia-Artikels zur weiblichen Beschneidungen und Sie werden feststellen, dass die Einschränkungen der Sexualität bei "milderen" Beschneidungsformen nicht gravierender ist als bei der Zirkumzision, sondern nicht weniger Lust und Orgasmen empfunden werden als bei unbeschnittenen Frauen. Dennoch sind auch diese Formen der Genitalverstümmelung zu Recht geächtet - im Gegensatz zur gleich schwerwiegenden Zirkumzision (die Infibulation ist ohne Zweifel noch gravierender, aber die weniger radikalen Formen kommen in ihrem Ausmaß des Eingriffs der Zirkumzision gleich).

So sehr die weibliche Beschneidung (in jeder, auch der leichtesten, nur symbolischen Form ohne Gewebeentfernung!) auch gegen die Ansichten und Wünsche der betroffenen Frauen in der medialen Debatte geächtet wurde, so sehr wird die Zirkumzision in der öffentlichen Diskussion verharmlost. Ich kann Ihnen nur raten, hinter diese Filter der Medien zu schauen und sich fachkundig zu machen bei denen, die kein religiöses oder wirtschaftliches Interesse an der Beibehaltung eines medizinisch nicht notwendigen Eingriffes haben.

Ebenso wird in der Medienlandschaft die Komplikationsrate komplett totgeschwiegen - so als sei dies die einzige Operation, bei der niemals etwas schiefgehen würde. Angesichts der Komplikationen und Infektionen bis hin zu Todesfällen (sogar in höchstentwickelten Ländern wie Schweden und USA!) ist die Indikation für einen Eingriff von sehr zweifelhaftem medizinischem Nutzen sehr streng zu stellen, vergleichbar mit anderen plastischen Operationen (die ebenso wie die Beschneidung nur aus empfundenem sozialen Anpassungsdruck erfolgen).

Weiterhin irren Sie, wenn sie behaupten, dass es "eine Vielzahl" medizinischer Indikationen für die Zirkumzision gäbe. Das war vielleicht vor hundert Jahren der Fall, den aktuellen Stand können Sie im oben verlinkten Papier der niederländischen Gesundheitsbehörde nachlesen. Nicht einmal bei der viel zitierten Phimose ist die Zirkumzision heute mehr die erste Therapieoption, sondern die letzte.

Zur Altersgrenze: eine volljährige Frau darf ihren Körper selbstverständlich so modifizieren wie sie will, genau so wie ein Mann. Ob er/sie sich tätowieren, piercen, branden oder Implants einsetzen lässt oder beschneiden, das liegt dann ganz im Ermessen des einwilligungsfähigen Erwachsenen. Es geht in dieser Diskussion aber ausschließlich um nicht einwilligungsfähige Kinder und deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

@ #113:

Die WHO lehnt die weibliche Genitalverstümmelung auch dann ab, wenn kein Gewebe entfernt wird, sonder "nur" symbolisch eingeschnitten wird. Bei der Knabenbeschneidung wird sensibelste Haut, das außer der erogenen noch "technische" Funktionen hat, vom Geschlechtsteil unwiederbringlich entfernt, analog zur weiblichen Genitalverstümmelung.

Primäres Geschlechtsorgan ist primäres Geschlechtsorgan, egal ob bei Knaben oder bei Mädchen.

Bevor Sie juristisch argumentieren wollen, müssen Sie zuerst lernen, die medizinischen Argumente und Aspekte zu verstehen. Lesen Sie z.B. die umfassende Stellungnahme der niederländischen Gesundheitsorganisation. Althergebrachte Meinungen und das Nachplappern von Gemeinplätzen ersetzen keine Sachkunde.

Zur EU-GRCh: Die Religionsfreiheit ist ganz allgemein durch Art. 136/137 WRV eingeschränkt, zu den "für alle geltenden Gesetze" gehört u.a. § 1631 (2) BGB, das Recht auf gewaltfreie Erziehung, welches das Recht einschließt, keine ungerechtfertigte Körperverletzung erleiden müssen.

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann ebenfalls durch Gesetz eingeschränkt werden - der einzige mir denkbare Fall wäre eine Impfpflicht aufgrund des Seuchengesetzes oder eine Blutspendepflicht (dafür müssten allerdings schon die Notstandsgesetze in Kraft treten).

Nennen Sie mir doch bitte das Gesetz, das es religiösen Gemeinschaften gestattet, Körperverletzungen an Kindern durchführen zu lassen.

Und lesen Sie bitte Beitrag #89 so oft, bis sie ihn verstanden haben, bevor Sie ausfällig werden.

Mein Name schrieb:

Nennen Sie mir doch bitte das Gesetz, das es religiösen Gemeinschaften gestattet, Körperverletzungen an Kindern durchführen zu lassen.

Nachhilfe Europarecht: Der Gesetzesvorbehalt in Art. 52 GRCh ist nicht nationalrechtlich zu verstehen. Vielmehr ermöglicht er die Einschränkung der GR durch Richterrecht (v.a. in COmmon Law ländern der Fall) sowie durch Gewohnheitsrecht und in Einzelfällen sogar durch nationale Gepflogenheiten

 

2

Auch Hilal Sezgin hat sich aus erster Hand informiert und schreibt auf der Taz (http://www.taz.de/Schlagloch-Beschneidung/!96591/):

"Nach Gesprächen mit Ärzten und Spezialisten habe ich den Eindruck gewonnen, dass die medizinisch korrekt ausgeführte Vorhautbeschneidung keine besonderen Beeinträchtigungen nach sich zieht. "

2

@ #115 kleiner Service für Leute, die zu faul zum Anklicken des Links sind:

In 2003, the British Medical Association stated: ‘The medical benefits previously claimed have not been convincingly proven. (…) The British Medical Association considers that the evidence concerning health benefits from non-therapeutic circumcision is insufficient for this alone to be a justification for doing it.’

The American Academy of Pediatrics stated in 1999: ‘Existing scientific evidence … [is] not sufficient to recommend routine neonatal circumcision.’ The American Medical Association endorsed this position in December 1999 and now rejects circumcision formedical/preventative reasons.

the Royal Australasian College of Physicians asserts: ‘Review of the literature in relation to risks and benefits shows there is no evidence of benefit outweighing harm for circumcision as a routine procedure in the neonate.’

Zu den Behauptungen des muslimisch-türkischen Arztes siehe auch Beitrag #72

@ #117: das ist genauso aussagekräftig wie eine gleichlautende Äußerung eines muslimischen sudanesischen Schriftstellers über die weibliche Beschneidung ...

#120

Ja, wenn sich der sudanesische Schriftsteller auch mit Ärzten und Spezialisten unterhält, warum nicht? Ihre perfide Unterscheidung zwischen Äußerungen von muslimen, Afrikanern, juden und "weißen Atheisten", die sie permanent vornehmen ist sehr unwissenschaftlich.

Also bitte lesen: Frau Sezgin kam zu diesem Schluss "Nach Gesprächen mit Ärzten und Spezialisten", dass ist nicht ihre eigene wissenschaftliche Conclusio.

3

Es geht nicht um Atheismus, es geht darum, wo die Schranken der Religionsfreiheit liegen. dabei können Sie das Fazit des Eröffnungsbeitrags durchaus als Expertenrat annehmen: Ob Art. 4 oder Art. 6  GG das Recht einschließt, nicht einwilligungsfähige Kleinkinder am Körper zu verletzen, erscheint höchst fraglich.

Frau Sezgin hat nicht wissenschaftlich gearbeitet - und sie hat auch keine Beschneidungsopfer (Infektionen, Sepsis und damit notwenige Penisamputation, Sensibilitätsstörungen, Hautverhärtungen, Wundheilungssstörungen, Verwachsungen, Panikattacken) interviewt.

Fazit: kein Erkenntnisgewinn.

Edit: Nicht das Erforschen und Berücksichtigen, sondern das Ignorieren des kulturellen und religiösen Hintergrunds (wie auch andere Motive und Abhängigkeiten) einer Person, die eine Meinung zu einem Sachverhalt äußert, ist unwissenschaftlich, um nicht zu sagen naiv.

Angenommen es finden wieder Beschneidungen statt und es kommt zu  Anzeigen und Gerichte müssen urteilen und es käme zu  Verurteilungen wegen Körperverletzung und es "müssen" dann  höhere Instanzen urteilen, könnte alles wieder gekippt werden ? 

Wie wahrscheinlich ist das ?

 

 

4

Wie wahrscheinlich ist es , dass die Regierung eine gestzlcih geschützte Regelung für die Beschneidung von Jungen erläßt.

Zitate:

Der Koordinationsrat der Muslime und anderer muslimischer Organisationen in Deutschland veröffentlichte am Mittwoch eine Erklärung, in der er den Bundestag zum Handeln aufrief. In der Erklärung forderte der Rat die Politik auf, "eine gesetzlich geschützte Regelung für die Beschneidung von Jungen zu erlassen". 

 

 

Auf die Frage, ob auch ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht denkbar wäre, sagte Kizilkaya: "Wir sind noch in der Beratung, wir haben noch keine abschließende Entscheidung getroffen." Eigentlich gehe man fest davon aus, dass dies nicht nötig sein werde, weil der Bundestag eine entsprechende gesetzliche Regelung schaffen werde.
 

http://www.welt.de/politik/deutschland/article107807754/Muslime-fordern-ein-Recht-auf-Beschneidung.html 

4

Ich erwarte von meinem Bundespräsidenten, dass er ein solches Gesetz - so es denn tatsächlich verabschiedet würde - wegen seiner eklatanten Eingriffe in die Grundrechte wehrloser Kinder vom Bundesverfassungsgericht überprüfen ließe. Dort würde es aller Voraussicht nach scheitern.

Der Psychoanalytiker  Schmidbauer führt noch noch weitere

Schäden an durch Beschneidung .

 

"Beschneidung ist nicht harmlos" 

 

Besonders interessant für USA:

Routine infant circumcision (RIC) - routinemäßige Neugeborenenbeschneidung - nennt sich die Praxis, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, um die in der prüden viktorianischen Gesellschaft verpönte Masturbation zu erschweren .

 

 

http://www.sueddeutsche.de/wissen/nach-dem-koelner-urteil-beschneidung-ist-nicht-harmlos-1.1401049 

 

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Die Ärztezeitung schreibt unter anderem: http://www.aerztezeitung.de/news/article/817185/muslime-beschneidung-muss-gesetz.html Muslime: Beschneidung muss ins Gesetz

Die Kritik am umstrittenen Beschneidungs-Urteil reißt nicht ab. Muslimische Organisationen erhöhen den Druck auf die Politik: Sie wollen eine gesetzliche Regelung für die religiöse Zirkumzision - und verweisen auf die WHO.

 

Neunzehn muslimische Organisationen fordern den Bundestag auf, eine gesetzliche Grundlage für die Rechtmäßigkeit von Beschneidungen an Jungen aus religiösen Gründen zu schaffen.

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Ob wohl durch den Druck dieser Organisationen und anderer der Juden und der katholischen Kirche ausreicht , dass Gesetzesentwürfe von den Parteien  erstellt werden ?

Was denken die anderen hier im blog ?

 

 

 

 

4

http://www.tagesspiegel.de/berlin/umstrittenes-urteil-zu-beschneidungen-berliner-aerzte-befuerchten-op-tourismus/6834044.html

 

Zwei leitende Ärzte aus zwei großen Berliner Kliniken sagten am Mittwoch unabhängig voneinander: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Man werde in Einzelfällen weiter Jungen beschneiden, womöglich würden rituelle Beschneidungen als medizinisch notwendige deklariert – etwa wegen Vorhautverengung. „Bei Kleinkindern ist ohnehin nicht eindeutig, ob die Vorhaut ein Problem wird.“

 

 

5

Tatsächlich gibt es Forderungen von Religionsverbänden und Politikern, die nichttherapeutische Zirkumzision straffrei zu stellen. Die Grundrechte der Kinder wurden dabei mit keiner Silbe erwähnt.

Nach einer Meinungsumfrage halten übrigens 56% das Urteil für richtig, nur 35% für falsch: http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-koelner-urteil-politiker-wollen-... Es ist beruhigend, dass die Mehrheit einen Sinn dafür hat, welche Grundrechte in der Abwägung zu bevorzugen sind.

Bemerkenswert finde ich, dass hier bisher von keinem Urteilskritiker (auch denen nicht, die sich selbst juristische Kenntnisse bescheinigen) die einzige Schwachstelle in der Begründung des LG aufgegriffen wurde: "Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider."

Die Formulierung passt m.E. so nicht, drückt aber den richtigen Gedankengang aus: Ob beschnitten oder nicht, dieses Merkmal ist nicht entscheidend oder konstituierend für eine Religionszugehörigkeit. Es gibt beschnittene Christen, die dennoch Christen sind, ebenso gibt es unbeschnittene Juden und Muslime, die dennoch praktizierende und gläubige Juden und Muslime sind.

Gerade aus diesem Grund - weil die Religionszugehörigkeit oder ihr Wechsel nur durch eine Person selbst entschieden werden kann; nur in den ersten 12 Lebensjahren dürfen die Eltern anstelle des Kindes bestimmen - hat aber jeder Mensch das Recht, an religiösen oder anderen rituellen Bräuchen nur dann teilnehmen zu müssen, wenn dadurch nicht irreversibel geschädigt wird, insbesondere nicht körperlich. Das Recht einer Religionsgemeinschaft auf Ausübung und Beibehaltung ihrer Bräuche verwirklicht sich ausschließlich über das Recht ihrer Mitglieder, bestimmte Handlungen zu vollziehen, es gibt keinen übergeordnete oder abstrakte "Befehlsgewalt" einer Glaubensgemeinschaft über ihre Gemeinde (Art. 136 (4) WRV). Diese Handlungen der Gläubigen müssen in einem Rechtsstaat jedoch legal sein - widersprechen sie den geltenden Gesetzen, dürfen sie nicht ausgeführt werden (z.B. das Schächten, das wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz in Deutschland verboten ist). Eine Ausnahmeregelung für § 223 und § 225 StGB und § 1632 (2) BGB für religiöse Gemeinschaften würde das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in unzulässigem Ausmaß einschränken - dem steht Art. 19 (2) GG entgegen. Denn es würde Kindern willkürlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit absprechen, rein zufällig abhängig davon, ob es in eine jüdische, moslemische oder christliche oder ... Familie hineingeboren wird. Dem steht Art. 3 (1) - Gleichheit vor dem Gesetz - und Art. 3 (3) - Benachteiligung oder Bevorzugung wegen religiösem Bekenntnis - entgegen.

Noch ein Aspekt ist außerdem bisher überhaupt nicht hinterfragt worden: die Behauptung, die Nichtbeschneidung führe zur Ausgrenzung der Knaben innerhalb der religiösen Gemeinschaft. Es gibt bis dato überhaupt keinen Beleg für eine derartige Diskriminierung, keine einzige Studie, die von Nachteilen für Unbeschnittene berichtet -  es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass Eltern, die aus Überzeugung auf eine Beschneidung verzichten, ihre Kinder im Bewusstsein erziehen, dass ihr Körper so, wie er von Gott oder der Natur erschaffen wurde, gut und richtig ist und kein Mensch außer einem selbst das Recht hat, dauerhafte Veränderungen an seinem Äußeren vorzunehmen.

Noch viel mehr als solche Eltern werden die, die erst an der Schwelle zu dieser Erkenntnis stehen, durch das Urteil des LG Köln in die richtige Richtung gelenkt: in die der Aufklärung - mehr dazu hier, vor allem im ersten Abschnitt: http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

Weshalb soll das Folgende eine Schwachstelle im Urteil sein ?

 

"Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider."

 

Zitat :

"Ohne Beschneidung ist jüdisches Leben in Deutschland nicht möglich"

 

 

http://www.tagesspiegel.de/berlin/beschneidungs-verbot-ohne-beschneidung-ist-juedisches-leben-in-deutschland-nicht-moeglich/6811458-2.html

 

4

Au weia, was hier zum Teil zu den Einschränkungen der Glaubensfreiheit zu lesen ist wirft partiell Unverständnis rauf.

 

1. Es ist heillos umstritten wie die ins Grundrecht eingefügten Teile der Weimarer Reichsverfassung zu werten sind auf ihre Funktion/ Wirkung.

2. Dies kann aber vorliegend ohnehin dahinstehen, da es nicht um die Einschränkung durch ein Gesetz geht, sondern um praktische Konkordanz zweier Grundrechte. Dazu muss man verstehen, dass Grundrechte nicht unter- oder übereinander sondern nebeneinander stehen. Das führt dazu, dass man (plastisch gesprochen) die Religionsfreiheit der Eltern neben die Grundrechte des Kleinkindes legt. Das LG hat dies getan und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch die Eltern angeordnete Beschneidung zu weit in das Recht des Kindes hereinragt, ohne dabei verhältnismäßig zu sein. Es ist zwar das Recht der Eltern mit ihrem Leben anzufangen was sie wollen, daran zu glauben, woran sie glauben wollen und danach zu handeln (Forum internum bzw Externum). Doch dies betrifft ihr eigenes Leben und soll nicht das, eines anderen Menschens brandmarken, schongarnicht, wenn dieser sich nicht wehren kann, weil er dazu intellektuell nicht in der Lage ist und sein kann. Ansonsten könnten wir unseren Kindern gleich Brandzeichen auf die Stirn setzen und dazu sagen: "So, du gehörst jetzt Odin". Das fände sicherlich auch in der jüdisch/muslimen Gemeindschaft kein Einverständnis. Die Befürworter könnten sagen: "Es ist ästhetisch. Es schützt vor bösen Geistern. Es ist medizinisch sinnvoll weil die vernarbte Haut weniger Verletzungsanfällig ist." Aber wenn es darum geht andere Religionen / Weltanschauungen zu kritisiern sind sowieso alle dabei und finden das in Ordnung, da jeder für sich in Anspruch nimmt an das "Richtige" zu glauben (überspitzt ausgedrückt).

 

Toleranz heißt eben auch die Rechte und Ansichten der anderen zu tolerieren. Wenn wir da nicht bei unseren Kindern anfangen, bei wem denn dann?

 

3. zu den einzelnen Vorteilen der Beschneidung:
a) Schutz vor Krankheit: Irrelevant, waschen hilft.
b) Schutz vor HIV: Irrelevant. Bei langjärigen Beziehungen mir Kindeswunsch ist das Ansteckungsrisiko durch alle möglichen Sorten von Flüßigkeitsaustausch ohnehin immens groß. Bei "one-night-stands" besteht rein logisch kein Kindeswunsch, da sollte man ohnehin besser verhüten. Wem es egal ist, ob er ein Kind zeugt, der braucht sich nicht beschweren, wenn er HIV bekommt, ich sage dazu nur: selbst Schuld, das Risiko ist jedem bekannt. Außerdem ist durch Beschneidung nicht gesichert, dass durch GV keine Viren übertragen werden können. Ich denke auch, dass die Art der sexuellen Prävention eines Menschen nur dieser zu entscheiden hat und nicht die Eltern, der Staat oder sonst wer.

c) Glaubensbekenntnis: Muss das Kind entscheiden und nicht die Eltern, von daher auch irrelevant.

 

lg

 

@130: Muss sich die jüdische Gemeinschaft dann nicht fragen ob ihre ganze Religion an einem Zentimeter Vorhaut eines Neugeborenen hängt? Muss sie sich nicht fragen, ob sie bereit ist Kompromisse zugunsten anderer zu machen? Muss sie sich nicht fragen, ob es nach Jahrtausenden mal an der Zeit ist die eignenen Handlungsweisen zu überdenken und bewährtes über Bort zu werfen? (In Russland hat es sich bewährt das Volk zu unterdrücken. In China hat sich die Zensur bewährt. Sollen beide Staaten das deswegen beibehalten?)

Verstehen sie mich nicht falsch, aber es ist ein schwaches Argument zu sagen: "Ich kann so nicht weiter leben", doch das zu verhindern, ist Kerngehalt eines Verbotes.

 

 

@ #130:

Weil die Beschneidung oder deren Nichtdurchführung - anders als von den Interessenvertretern der Religionen behauptet - nicht entscheidend für die Religionszugehörigkeit ist, zumindest nicht in Deutschland.

@ #113: der zitierte Art. 18 nennt ausdrücklich nicht das Recht, andere zu verletzen. Die Rechte aus Art. 18 finden ihre Schranken im bereits angeführten Art. 29 (2)

@ #119: Gesetz bedeutet Gesetz und nicht Richterrecht oder Bräuche - egal ob Art. 53 EUGRCh oder Art. 2 (2) GG.

 

si tacuisses ...

@ 131

ist überzeugend .

 

Werden es aber die hohen Gläubigen auch so sehen , die ihre Religion schon am Ende sehen, was völlig überzogen ist ?

Einige hohe Gläubige warnen wegen des Urteils vor einem Reiseverkehr in andere Länder zum Beschneiden. So viel ich weis, gehen sowieso Eltern ohne das Urteil zu Beschneidungsfesten ihrer Jungen zB. in die Türkei oder zu Massenbeschneidungen.

Müssten die hohen Gläubigen nicht ihre Anhänger nach dem Urteil aufordern die Beschneidung sein zu lassen ?   

Aber vermutlcih wird das vertuscht wie bei den katholischen Geistlichen, deren Untergebene Mißbrauch verübt haben und nur ihre Untergebenen versetzt haben anstatt sie anzuzeigen

 

Was ist wenn ein Ayatollah oder Großmufti  aus dem Ausland eine Fatwa zum Tode gegen Gegner der Beschneidung ausruft und deshalb aufgehetzte Fanatiker womöglich Anschläge planen ?

Utopie oder ?

 die Fatwa Fa

 

 

3

Am 26. Oktober 2005 veröffentlichten islamische Geistliche in Somalia eine Fatwa, die sich gegen die Beschndiung beziehungsweise die Genitalverstümmelung an Mädchen richtet. Darin wird die in Afrika weit verbreitete traditionelle Praxis als „unislamisch“ verurteilt. Scheich Nur Barud Gurhan, der stellvertretende Vorsitzende der Dachorganisation somalischer Geistlicher, setzte die Beschneidung von Frauen mit einem Mord gleich. Im Jahr 2006 wurde eine weitere Fatwa gegen die Genitalverstümmelung an Frauen von einer Uni Kairo erlassen. Die Initiative dazu kam u. a. vom Obermufti von Mauretanien und von Rüdiger Nehberg.

 

Wäre eine Fatwa gegen Beschneidung der Jungen nicht auch denkbar im Ausland ?

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Das Hygieneargument ist nicht 100% ig stichhaltig.

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 Es können sich Haut- und Sekretreste unter der Vorhaut ablagern und eine Besiedelung mit Keimen zur Folge haben. Bei der täglichen Körperreinigung sollte deshalb die Vorhaut täglich einmal vor und zurück gezogen und mit Wasser abgespült werden. Wer jedoch keine regelmäßige Körperreinigung durchführt, wird auch mit beschnittener Vorhaut Probleme bekommen, teilte eine Kinderchirugin mit.
 

http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12354482/492531/Ein-Koelner-Gericht-hat-religioese-Beschneidungen-bei-Kindern.html 

 

0

Wie denken Sie darüber?

Ich finde das für einen Juristen ziemlich schwach.

"Kirchenrechtler: „Antireligiöse Eiferer“ dürfen nicht triumphieren

Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Prof. Hans Michael Heinig (Göttingen), gibt  zu bedenken, dass die Beschneidung im Judentum und Islam nicht bloßes Brauchtum, sondern grundlegend für die religiöse Identität sei. So begründe die Beschneidung in allen Spielarten des Judentums die Aufnahme in den Bund mit Gott. Bei der Frage steht laut Heinig viel auf dem Spiel: etwa „das Recht der Eltern, über die religiöse Kindererziehung zu entscheiden, und damit die Annahme, dass die religiöse Beheimatung in der Religion der Eltern grundsätzlich dem Kindeswohl dient“. Wenn in der Frage der Beschneidung das Elternrecht auf religiöse Kindererziehung zurücktrete, triumphierten „antireligiöse Eiferer“. Sie wollten Kinder am liebsten von jedem religiösen Einfluss fernhalten. Heinig: „In dieser Logik kann man auch die Kindertaufe (als ‚Beschneidung der Herzen‘) verbieten. Christen sollten diesem Denken nicht auch noch Vorschub leisten.“  

 

http://www.idea.de/detail/thema-des-tages/artikel/religioes-begruendete-beschneidung-verbieten.html 

 

 

1

Enttäuscht von den Behörden schrieb:
Heinig: „In dieser Logik kann man auch die Kindertaufe (als ‚Beschneidung der Herzen‘) verbieten. Christen sollten diesem Denken nicht auch noch Vorschub leisten.“ 

In der Tat kann man diskutieren, ob das Grundrecht auf Glaubensfreiheit das Recht beinhaltet, von Religion unbeeinflusst aufwachsen zu dürfen. Der Gesetzgeber hat dieses Grundrecht aber erst 12-jährigen Kindern zugesprochen, bis zu diesem Alter geht das Recht der Erziehungsrecht der Eltern vor (in welchem Maße, darüber geht die Diskussion ja gerade) bzw. wird angenommen, dass das Aufwachsen in der gleichen weltanschaulichen "Heimat" wie die der Eltern im Wohl des Kindes liegt.

Herr Heinig liegt natürlich trotzdem völlig falsch und disqualifiziert sich komplett, was die juristische (und auch sonstige sachliche) Debatte angeht: wie schon weiter oben zutreffend festgestellt, ist die Taufe eine rein spirituelle Handlung, bei der keine wesentlichen Körperteile unwiederbringlich abgeschnitten werden und die darum auch keinen massiven Eingriff in ein Grundrecht darstellt. Dass eine Taufe, insbesondere eine im Babyalter, eine ähnlich unumkehrbare Zeichnung fürs Leben sein soll wie eine Beschneidung, entspringt vielleicht dem Wunschdenken eines christlichen Theologen - vor dem Hintergrund, dass jemand mit akademischer Ausbildung auch eine gewisse Ahnung von der kindlichen Entwicklung haben sollte, muss man sich jedoch Sorgen entweder um die Allgemeinbildung oder den Geisteszustand des Herrn Professor machen.

Bei solch hilflos schiefen Vergleichen drängt sich mir immer mehr der Eindruck auf, dass die Verteidiger der nichttherapeutischen Zirkumzision allmählich realisieren, dass sie außer "das war schon immer so" überhaupt keine Argumente haben, die ihre Position untermauert.

Schauen wir uns das Statement der WHO zur Beschneidung, auf das hier so oft Bezug genommen wurde, doch einmal an:

http://www.who.int/hiv/mediacentre/news68/en/

Auszüge:

"In response to the urgent need to reduce the number of new HIV infections globally" - es geht sozusagen um "Notstandsmaßnahmen"

"experts attending the consultation recommended that male circumcision now be recognized as an additional important intervention to reduce the risk of heterosexually acquired HIV infection in men" - Zirkumzision ist nur als zusätzliche Maßnahme gedacht, der Schutz Homosexueller spielt außerdem offensichtlich keine Rolle

"Male circumcision should always be considered as part of a comprehensive HIV prevention package, which includes the provision of HIV testing and counselling services; treatment for sexually transmitted infections; the promotion of safer sex practices; and the provision of male and female condoms and promotion of their correct and consistent use. Counselling of men and their sexual partners is necessary to prevent them from developing a false sense of security and engaging in high-risk behaviours that could undermine the partial protection provided by male circumcision." - Ohne Safer Sex ist eine Beschneidung von begrenztem Nutzen, andere Maßnahmen sind wirksamer und verleiten auch nicht zu riskantem Verhalten ("ich bin ja beschnitten, da ist mein Risiko geringer"). Berät man aber die Partner über den Schutz vor HIV, dann kann man mit dem gleichen Aufwand Safer Sex propagieren und Kondome verteilen und die Ansteckung nicht nur um 60, sondern mindestens 90 % senken. Ohne eine solche aufwendige Aufklärungskampagne ist die Zirkumzision ein Schuss in den Ofen.

und vor allem:

"Countries should ensure that male circumcision is provided with full adherence to medical ethics and human rights principles, including informed consent, confidentiality, and absence of coercion" - Die Zirkumzision soll nur an informierten und einverstandenen Personen durchgeführt werden und ohne Zwang.

Die WHO rechfertigt keinesfalls die nichttherapeutische Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen!

 

 

Ein Blick in den Rückspiegel: Stellungnahmen aus dem Jahr 2010 von Politikern und des BMJ, die vor Logikfehlern nur so strotzen hier http://www.beschneidung-von-jungen.de/forum/forum/beitraege/gesetzesvorl...

Sehr interessant auch Folgendes aus dieser Diskussion:

Im Jahre 2005 veröffentlichte der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Paul Spiegel (* 31. Dezember 1937; † 30. April 2006) sein Buch 'Was ist koscher? Jüdischer Glaube, jüdisches Leben' und auf Seite 40 heißt es: "... [das Baby] erhält nicht einmal eine örtliche Narkose, denn den Bund mit Gott muss man sozusagen bei vollem Bewusstsein vollziehen. Natürlich schreit das Baby, natürlich tut ihm der Eingriff weh." Weiter schreibt er: " ... und dann dem Baby unmittelbar nach dem Eingriff einen Tropfen [Wein] auf seine Lippen zu geben. Das Baby ist in wenigen Sekunden sternhagelvoll und schläft sofort ein."

Übrigens: mit Unterzeichnung und Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 1990 verpflichtete sich Deutschland, gemäß deren Artkel 24 "alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen [zu treffen], um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen"

Ein Beispiel dafür, wie schief eine Beschneidung gehen kann: http://www.rp-online.de/niederrhein-sued/moenchengladbach/nachrichten/fe...

"Der Arzt hatte nicht nur die Vorhaut gekappt, sondern hatte sich wesentlich vertan. Als der Vater das Kind Tage später in einer anderen Klinik vorstellte, kamen die dortigen Ärzte zu dem Ergebnis: Das gesamte Untergewebe des Organs war betroffen, ein Drittel des Körperteils ist inzwischen abgestorben, die Harnröhre beschädigt. Die Folgen sind nicht zu beheben."

Es gibt übrigens auch muslimische Stimmen, die die Beschneidung abgeschafft sehen wollen:

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/490034/

Kelek beschreibt die Beschneidung ihrer Neffen. Sie sind neun und vier Jahre alt. Ihre Angst wird übergangen und negiert. Die Jungen werden von etlichen erwachsenen Männern festgehalten. Sie werden überwältigt und sollen dazu schweigen, tapfer sein. Ohne Betäubung wird ihnen die Vorhaut abgeschnitten. Die traumatisierende Lektion des Jungen lautet:
"dass er sich zu fügen hat, wenn die Erwachsenen ihm Schmerz zufügen, dass Gott ihm Prüfungen auferlegt, die es zu bestehen gilt - oder er ist ein Nichts, weder Muslim noch Mann noch Teil der Gemeinschaft."
Man muss nicht einmal psychologisch argumentieren, um zu verstehen, wie Recht Kelek mit ihrer Forderung hat, Beschneidungen ohne medizinische Indikation auch bei Jungen zu verbieten.

Sehr geehrte Kommentatoren,

danke für Ihre zum Teil erhellenden Kommentare und Links. Bitte beachten Sie weiterhin, dass wir hier sachlich argumentieren wollen und daher persönliche Angriffe auf Mitdiskutierende, aber auch auf Außenstehende unterlassen werden sollten (in der Sache darf natürlich hart argumentiert werden).

Ich hatte oben die Beobachtung geschildert, dass etliche Ärzte, obwohl sie sich als verhemente Vertreter der Beschneidungspraxis zu erkennen geben, dennoch nach dem Urteil des LG Köln auf Beschneidungen vorerst verzichten wollen bis zur Klärung der Rechtslage (die aber gerichtlich nicht geklärt werden wird, ohne dass erneut eine Anklage/Verurteilung wegen religiöser Beschneidung erfolgt).

Darauf antwortete Diskussionsteilnehmer "zu recht":

 

Doch ist nicht auch gerade in der Verfassungslehre anerkannt, dass ein Verstoß eines Klagenden nicht zumutbar ist, wenn er damit eine strafrechtliche Verurteilung riskiert? Natürlich geht von dem Urteil des LG grundsätzlich keinerlei Bindungswirkung aus. Allerdings würde es wohl nachfolgend Verurteilten schwer fallen, sich auf einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu berufen und damit schuldfrei zu gelten, wenn bereits eine gerichtliche Meinung besteht. Es ist leichter gesagt als getan, aber ich glaube nicht, dass ein Arzt gerne seine Existenz auf das Spiel setzen würde und das ist auch nachvollziehbar.

Meine Entgegnung: Meine Beobachtung und Feststellung bezog sich nicht darauf, ob es den Ärzten rechtlich "zumutbar" ist, sondern auf einen ethisch-moralischen Widerspruch, der sich in diesem Verhalten zeigt: Wer argumentiert, man müsse aus religiösen Traditionen, gottgewollt und gottbefohlen unbedingt dessen Gebot erfüllen, Säuglingen und Kleinkindern ein Stück(chen) ihres Genitals abzuschneiden, der gerät in einen ethischen Selbstwiderspruch, wenn er, sobald der säkulare Staat, in dem er lebt und arbeitet, ihm dies verbietet (und nicht einmal das ist ja bisher ausdrücklich geschehen), diese gottbefohlene Praxis sofort unterlässt. Für ihn ist offenbar doch das staatliche Gebot stärker als das religiöse. Es ist durchaus aus Sicht des LG Köln "richtig", so zu handeln, aber es ist ein Widerspruch zwischen "Wort" (diese Praxis muss fortgesetzt werden, sonst können wir in Deutschland nicht mehr leben) und Verhalten (mit der Praxis aufzuhören, um jeglichem Risiko einer Bestrafung zu entgehen). Das ist alles, was ich anführen wollte. Vielleicht lässt sich nämlich aus der Reaktion der Ärzte doch noch etwas anderes herauslesen: Sie - die Ärzte - selbst sind gar nicht so überzeugt von dieser religiösen Beschneidungspraxis und ihnen kommt deshalb das Urteil des LG Köln ganz gelegen als nachvollziehbarer Grund, diese Praxis nicht fortzuführen. Aber ich gebe zu, das ist eine Spekulation.

In der Sache  tendiere ich zu der Auffassung, dass das zu befürchtende Ausweichen auf eine wesentlich riskantere Beschneidungspraxis eine (allerdings gesetzlich erst zu regelnde eng definierte) bedingte Erlaubnis der Beschneidung rechtfertigen könnte.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Henning Ernst Müller schrieb:

 Wer argumentiert, man müsse aus religiösen Traditionen, gottgewollt und gottbefohlen unbedingt dessen Gebot erfüllen, Säuglingen und Kleinkindern ein Stück(chen) ihres Genitals abzuschneiden, der gerät in einen ethischen Selbstwiderspruch, wenn er, sobald der säkulare Staat, in dem er lebt und arbeitet, ihm dies verbietet (und nicht einmal das ist ja bisher ausdrücklich geschehen), diese gottbefohlene Praxis sofort unterlässt. Für ihn ist offenbar doch das staatliche Gebot stärker als das religiöse.

Sie unterlassen es vielleicht hier, doch kein religiöser Mensch lässt sich von einem säkulären Staat in seine Glaubenspraxis und Überzeugung hinein reden. Er wird sie praktizieren - dort wo es ihm möglich ist. Deswegen ist es ja gerade fragwürdig, wenn ein Staat  meint in die internen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft hineinreden zu müssen und interpretieren zu müssen was Pflicht ist, was Gut und Schlecht ist. Dann entstehen MOmente, in denen eine Glaubensgemeinschaft praktisch vertrieben wird.

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Jurist schrieb:
fragwürdig, wenn ein Staat  meint in die internen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft hineinreden zu müssen und interpretieren zu müssen was Pflicht ist, was Gut und Schlecht ist. Dann entstehen Momente, in denen eine Glaubensgemeinschaft praktisch vertrieben wird.
In Ihrer Wunschvorstellung soll dann also das gesamte StGB für den Bereich ungültig sein, den eine Religion als ihre Angelegenheit erklärt - denn in diesem ist kodifiziert, was "der Staat" als Gut und als Schlecht interpretiert. Also wären im Ihrer Ansicht nach rechtsfreien Raum der Religionsausübung z.B. Polygamie, umenschliche Bestrafungen, das Verfolgen und Töten von Ungläubigen usw. straffrei und von Art. 4 (2) GG gedeckt.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum das in Deutschland nicht so ist? Eben weil das Recht der Religionsausübung wie jedes andere Grundrecht nicht schrankenlos ist, sondern seine Grenzen dort hat, wo es die Grundrechte Anderer unverhältnismäßig beeinträchtigt.

Edit: Art. 2 (1) GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) ist als "zusammenfassendes" Grundrecht der nachfolgenden, einzeln ausgeführten Grundfreiheiten (Glaubensfreiheit, ungestörte Religionsausübung, Meinungsfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit,  Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl) zu verstehen, demzufolge gilt die Einschränkung "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt" selbstverständlich auch für diese "Detailfreiheiten" (z.B. ist die Eheschließung mit mehr als einer Frau in Deutschland auch für die Angehörigen solcher Religionen verboten, die dies erlauben). Edit Ende

Wer dies als unzumutbar für seine Glaubenspraxis ansieht und nicht in der Lage ist, seine religiösen Bräuche grundrechtskonform auszuüben, der sollte sich mMn tatsächlich einen Ort auf der Welt suchen, wo er nicht von einem derart aufgeklärten Rechtssystem behelligt wird (und ich hoffe, er wird im Lauf der Zeit immer größere Schwierigkeiten damit haben).

Sapere aude! - Dieser Appell zieht sich durch die Fortentwicklung des Rechts der letzten 60 Jahre (sei es die Abschaffung des §175 oder die Einführung des §218a StGB, sei es die sukzessive Änderung des § 1631 (2) BGB u.v.a.m.) und trägt auch heute noch und hoffentlich weiterhin Früchte. Das "staatliche" Gebot (wenn man ein Landgericht hier als Vertreter des Staats annehmen will) kann, wenn es Bestand haben will, immer nur Ergebnis der Grundrechte und ihrer Auslegung und Abwägung sein. Diese unterliegen selbstverständlich einem Wertewandel, der - bisher - den Gedanken der Aufklärung verfolgt. Das Urteil des LG Köln hat in diesem Sinne bereits Wirkung gezeigt: es bestärkt die, die ihren Verstand gebrauchen (wollen) in einer Umgebung, in der die selbst verschuldete Unmündigkeit dominiert.

Gleichzeitig ist das Urteil des LG Köln selbst Ausdruck dieses Wertewandels durch Verstandesgebrauch und Erkenntnisgewinn: so wie sich vor etwa zwei Jahrzehnten die Erkenntnis durchzusetzen begann, dass keine religiös oder sonstwie begründete Tradition eine Genitalverstümmelung an Mädchen auch nur in geringstem Ausmaß rechtfertigen kann, so scheint sich allmählich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Knaben in Bezug auf Selbstbestimmung über ihren Körper und insbesondere ihre primären Geschlechtsorgane nicht weniger Rechte haben dürfen als Mädchen.

Spät, aber dennoch wegweisend und dem großen Königsberger alle Ehre machend.

Hat eigentlich mal jemand bei der Abtreibung, bei der EInrichtung von Babyklappen, oder der nun ermöglichten anonymen Geburt an die Rechte der Kinder gedacht? An das Recht des Kindes auf eine Identität, auf eine Familie, auf einen Vater und eine leibliche Mutter, auf eine Kindheit ohne seelische Verletzungen im eigenen zu Hause ohne KiTa?? Wo sind hier die Verfechter der Kinderrechte?

In dieser scheinheilligen Debatte, in der pseudoaufklärerisch das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung einerseits propagiert wird, gleichzeitig jedoch mit Füßen getreten wird, damit der Promiskuität und Perversionen kein Einhalt geboten werden muss, wird nur allzu gern das Recht der Eltern auf Erziehung vergessen. Dem steht im vorliegenden Fall das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht entgegen, aus oben bereits an mehreren Stellen dargelegten Gründen.

#146: Wenn Sie schon so gerne von Aufklärung reden, empfehle ich Ihnen dringenst Gotthold E. Lessings "Nathan der Weise" als Lektüre. Aufklärung bedeutet an keiner Stelle Ausgang des Menschen aus der Religiösität und Verwerfung alles sittlich-moralischen sowie transzendenten, sondern Befreiung von der Unwissenheit. Sie verwechseln dies leider mit der Botschaft der Stürmer und Dränger, erinnern Ihre auflehnerischen Vorwürfe doch eher an den rebellischen Prometheus in Goethes namensgleichen Gedicht. Ein bekanntlich von Unreife zeugender Protagonist...

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Sehr geehrter "Jurist",

Sie schreiben:

Hat eigentlich mal jemand bei der Abtreibung, bei der EInrichtung von Babyklappen, oder der nun ermöglichten anonymen Geburt an die Rechte der Kinder gedacht? An das Recht des Kindes auf eine Identität, auf eine Familie, auf einen Vater und eine leibliche Mutter, auf eine Kindheit ohne seelische Verletzungen im eigenen zu Hause ohne KiTa?? Wo sind hier die Verfechter der Kinderrechte?

Ihre Annahme, es denke keiner bei den Debatten um die Abtreibung, die Babyklappen oder die anonyme Geburt an die Rechte der Kinder, ist einfach falsch: Natürlich gibt es sehr intensive, teilweise jehrzehntelange und noch nicht beendete Diskussionen über diese Themen, in der wirklich alle erdenklichen Grundrechtspositionen, auch und v.a. die der jeweils betroffenen Ungeborenen oder Kinder thematisiert und mit abgewogen wurden. So wird etwa gerade von tief religiösen (römisch-katholischen) Menschen die Babyklappe/anonyme Geburt befürwortet mit dem Argument, dass das Recht des Kindes auf Leben höherwertiger sei als das Recht auf Identität. Letzteres ist doch eher ein säkulares Argument.  In der Abtreibungsdiskussion ist im Übrigen genau das Argument heute rechtswirksam, das ich auch hier für relevant halte: Ein vollständiges Verbot der Abtreibung wäre einfach nicht effektiv (es würde zwar "Lebensschützer" befriedigen, aber um den Preis des Lebensschutzes, denn es führt tatsächlich zu unkontrollierten  illegalen Abtreibungen oder solchen im Ausland). Es erstaunt mich wirklich, dass Sie als Jurist diese Diskussionen  nicht mitbekommen haben wollen.

Eine umfassendere Debatte zur religiös begründeten Beschneidung hat in Deutschland bislang nicht stattgefunden und beginnt offenbar gerade jetzt mit dem Urteil des LG Köln. Solche Debatten erscheinen mir - auch unabhängig vom Ausgang - wichtig.

Sie schreiben auch:

In dieser scheinheilligen Debatte, in der pseudoaufklärerisch das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung einerseits propagiert wird, gleichzeitig jedoch mit Füßen getreten wird, damit der Promiskuität und Perversionen kein Einhalt geboten werden muss, wird nur allzu gern das Recht der Eltern auf Erziehung vergessen. Dem steht im vorliegenden Fall das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht entgegen, aus oben bereits an mehreren Stellen dargelegten Gründen.

Diese Polemik ist höchst unjuristisch, ich wundere mich, dass sie von einem "Juristen" vorgetragen wird. Die Debatte ist weder scheinheilig noch pseudoaufklärerisch, wenn auch vielleicht nicht alle Argumente sachlichen Gehalt haben. Das hat aber doch Ihre Argumentation auch nicht.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

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