Brauchen wir Laienrichter im Kartellrecht?

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 02.07.2012

Kartellrechtliche Zivilstreitigkeiten sind Handelssachen. Sie können vor den mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern besetzten Kammern für Handelssachen verhandelt und von diesen entschieden werden (ich verzichte auf die Paragraphenketten). Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem 8. Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist nun vorgesehen, dass kartellrechtliche Zivilsachen ausschließlich der Zivilkammer zugewiesen werden - ohne Wahlrecht für die Parteien und ohne Verweisungsmöglichkeit. Die Bundesregierung traut den Kollegialspruchkörpern der allgemeinen Zivilkammern eher zu, die mit den Schadensersatzansprüchen regelmäßig verbundenen komplexen sachlichen, ökonomisch und rechtlich Fragen zu bewältigen.

Der Bundesrat sieht dies anders. In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf (vom 11.05.2012, Bundesrats-Drucksache 176/12 (Beschluss)) hat er festgehalten:

"Die geplante Änderung des § 85 Absatz 2 Nummer 1 GVG, mit der deliktische kartellrechtliche Schadensersatzansprüche aus der bisherigen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen herausgelöst und – wegen der rechtlichen und sachlichen Komplexität dieser Verfahren – der mit drei Berufsrichtern besetzten Zivilkammer zugewiesen werden sollen, stößt auf Bedenken. Abgesehen von einer nicht sinnvollen Zuständigkeitssplittung (es werden nur die genannten Ansprüche aus der Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen herausgelöst) haben die Kammern für Handelssachen große Erfahrung und Expertise in diesem Bereich und sind zudem in der Regel konstanter besetzt als eine allgemeine Zivilkammer. Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerechter, den Parteien – wie bisher – die Wahlmöglichkeit zu belassen, ob sie den Rechtsstreit vor der Zivilkammer oder der Kammer für Handelssachen verhandelt wissen wollen".

Eine Beurteilung der jeweiligen Vorschläge von Bundesregierung und Bundesrat ist nicht ganz einfach. Meine eigenen Erfahrungen lassen mich eher den Vorschlag der Bundesregierung unterstützen, allerdings nicht ohne Modifikation. Zwar habe ich schon einige engagierte und gut informierte Handelsrichter erlebt. Wenn ich den Beklagten in Kartellzivilsachen zu vertreten hatte, hatte ich aber häufig das Gefühl, der Kläger habe sich die Kammer für Handelssachen anstelle der Zivilkammer ausgesucht, weil er offensichtlich meinte, vor den Laienrichtern  mit einem "David-gegen-Goliath"-Argument besser zu punkten als vor der Zivilkammer. Außerdem habe ich es schon erlebt, dass sich die Kammer für Handelssachen ihrer Zuständigkeit für kartellrechtliche Ansprüche zwar bewusst war, das Kartellrecht aber nur als ungeliebtes Nebengebiet angesehen hat. Das ist nicht sachdienlich.

Richtig ist am Vorschlag des Bundesrates aber, dass es nicht sinnvoll ist, die Zuständigkeit zu „splitten“. Auch legt der Bundesrat mit dem Hinweis auf die konstantere Besetzung den Finger in die richtige Wunde. Ein häufiger Besetzungswechsel verhindert den Aufbau von Spezialkenntnissen.

Es muss also darum gehen, die Spezialisierung ausgewählter Kammern am Landgericht für das Kartellrecht weiter zu fördern, um rechtliches Know-how aufzubauen und zu bewahren. Das spricht für eine Abschaffung des Wahlrechts und für eine alleinige Zuständigkeit einer ausgewählten Zivilkammer am Landgericht für Kartellzivilsachen.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Die Entscheidung dieser Sachfrage wird m.E. dadurch erschwert, dass sich bei den einzelnen Kartelllandgerichten ganz unterschiedliche Traditionen herausgebildet haben. Es gibt die Gerichte, bei denen bestimmte Zivilkammern spezialisiert sind und die Kammern für Handelssachen - wie Sie sagen - Kartellrecht als unbeliebtes Rechtsgebiet absehen. Genauso gibt es andere Gerichte, bei denen spezialisierte Kammern für Handelssachen existieren und die Zivilkammern nicht müde werden, darauf zu verweisen, dass Kartellsachen doch geborenen Handelssachen seien. Es gibt aber auch Gerichte, bei denen spezialisierte Kammern beider Arten existieren.

 

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Kartellsachen häufig erst über eine Verweisung vom allgemein zuständigen Gericht an das Kartelllandgericht gelangen und dann die Weichenstellung Zivilkammer oder Kammer für Handelssachen schon unwiderruflich erfolgt ist.

0

Die Frage könnte man auch etwas grundsätzlicher formulieren: Brauchen wir überhaupt Laienrichter? Insbesonder im Zivilrecht, wo die Tatsachenfeststellung i.d.R. eine geringere Rolle spielt, halte ich es für zweifelhaft, wie sinnvoll es ist, komplexe rechtliche Probleme von Kammern entscheiden zu lassen, die überwiegend mit Laien besetzt sind. Auch das Spezialwissen, dass Handelsrichter i.d.R. haben sollen erscheint mir mehr als zweifelhaft. Die wenigsten BWLer werden umfassende Kenntnisse von Handelspraktiken in sämtlichen Handelsbereichen haben (Warenhandel, Transportrecht, Finanzindustrie, Banksektor, Industrie, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, aktienrechtliche Anfechtungsklagen von HV-Beschlüssen, kartellrechtliche Streitigkeiten, usw). Außerdem erscheint es mir fragwürdig, ob sich solche herausragenden Korophäen wirklich für einen Job als Laienrichter zur Verfügung stellen würden oder ob es nicht eher Postenjäger sind, die sich als Handelsrichter bereitstellen...

0

Kommentar hinzufügen